Kostenprivilegierung behinderter Menschen vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit
Gesetze: § 73 Abs 4 SGG, § 183 S 1 SGG, § 197a Abs 1 S 1 SGG, § 1 Abs 2 Nr 3 GKG 2004, § 1 Abs 5 GKG 2004, § 3 Abs 1 GKG 2004, § 21 Abs 1 S 3 GKG 2004, § 34 Abs 1 GKG 2004, § 66 Abs 1 S 1 GKG 2004, § 66 Abs 5 S 1 GKG 2004, § 66 Abs 6 S 1 GKG 2004, § 71 Abs 1 S 1 GKG 2004, § 71 Abs 1 S 2 GKG 2004, Nr 7502 GKVerz, § 154 Abs 2 VwGO, § 2 Abs 1 SGB 9 2018
Gründe
1I. Der 2. Senat des ) die Beschwerde des Klägers und hiesigen Erinnerungsführers gegen die Nichtzulassung der Revision im ) als unzulässig - weil nicht formgerecht von einem zugelassenen Prozessbevollmächtigten eingelegt - verworfen. Zugleich wurde in dem genannten Beschluss der Kläger gemäß § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO zur Tragung der Kosten des Beschwerdeverfahrens verpflichtet und der Streitwert für das Beschwerdeverfahren auf 5579,15 Euro festgesetzt. Das Ausgangsverfahren vor dem LSG betraf die Wirksamkeit einer vor dem SG Aachen erklärten Klagerücknahme in einem Rechtsstreit, in dem sich der 1946 geborene Kläger gegen die Ablehnung der Rücknahme einer Zuständigkeitsfeststellung der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft vom für seine Tätigkeit als Unternehmer der Pferdezucht und Pferdehaltung sowie gegen die Vollstreckung der zum fälligen Beiträge samt Mahngebühren und Säumniszuschläge wandte.
2Unmittelbar nach Zustellung des Beschlusses vom und noch vor Festsetzung der Kosten trug der Kläger mit Telefax vom vor, dass er "den Kostenansatz insgesamt" bestreite. Der 2. Senat des BSG hat das - da ein Kostenansatz überhaupt noch nicht vorliege - in der Sache als Rechtsbehelf gegen die in dem Beschluss vom ausgesprochene Verpflichtung zur Tragung der Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens dem Grunde nach gedeutet. Er hat dieses Begehren mit Beschluss vom (B 2 U 2/21 S - juris) unter Heranziehung der Verfahrensvorschriften in § 66 GKG zurückgewiesen. Die Kostenbeamtin der Geschäftsstelle hat sodann in der Schlusskostenrechnung vom die vom Kläger (Erinnerungsführer) zu tragenden Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG gemäß Nr 7502 des Kostenverzeichnisses (KV - Anlage 1 zu § 3 Abs 2 GKG) auf 330 Euro festgesetzt. Hiergegen wendet sich der Kläger erneut mit einer Erinnerung (Telefax vom bzw vom ). Er macht eine greifbare Gesetzeswidrigkeit iS von § 21 GKG geltend, weil unter Verletzung des Kostenrechts § 197a SGG iVm § 3 GKG statt richtigerweise §§ 183, 193 SGG angewandt worden sei. Die Kostenbeamtin hat der Erinnerung nicht abgeholfen. Die Kostenprüfungsbeamtin ist dem am beigetreten.
3II. 1. Zur Entscheidung über eine Kostenerinnerung ist nicht der für die Hauptsache zuständige 2. Senat des BSG, sondern der 5. Senat als Kostensenat berufen (§ 66 Abs 1 Satz 1 GKG iVm RdNr 5 Ziffer 13 des Geschäftsverteilungsplans des BSG für das Jahr 2021). Er entscheidet durch den zuständigen Berichterstatter als Einzelrichter (§ 66 Abs 6 Satz 1 iVm § 1 Abs 5 GKG).
42. Die Erinnerung ist zulässig. Sie ist formgerecht erhoben. Abweichend von dem für Verfahren vor dem BSG ansonsten geltenden Vertretungszwang (§ 73 Abs 4 SGG) bedarf es für eine Kostenerinnerung nach der Sondervorschrift in § 66 Abs 5 Satz 1 GKG keiner Vertretung durch einen vor dem BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten (s auch § 1 Abs 5 GKG). Der Rechtsbehelf der Erinnerung nach § 66 Abs 1 GKG ist nicht fristgebunden (vgl - juris RdNr 8).
53. Die Erinnerung bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die zulasten des Erinnerungsführers auf 330 Euro festgesetzte Verfahrensgebühr für das Beschwerdeverfahren ist weder dem Grunde noch der Höhe nach zu beanstanden.
6a) Rechtsgrundlage der festgesetzten Verfahrensgebühr für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren ist § 197a Abs 1 Satz 1 SGG sowie § 1 Abs 2 Nr 3, § 3 GKG iVm Nr 7502 KV. Nach der letztgenannten Bestimmung wird für ein Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eine 2,0-fache Gebühr nach Maßgabe des Streitwerts erhoben (§ 3 Abs 1 iVm § 34 Abs 1 GKG), wenn die Beschwerde verworfen oder zurückgewiesen wird. Der Verwerfungsbeschluss des 2. Senats vom (B 2 U 174/20 B) hatte eine solche Nichtzulassungsbeschwerde zum Gegenstand. Auf der Grundlage des in diesem Beschluss festgesetzten Streitwerts von 5579,15 Euro beträgt die einfache Gebühr in Verfahren über ein Rechtsmittel, das bis zum eingelegt worden ist (vgl § 71 Abs 1 Satz 1 und 2 GKG), nur 165 Euro (statt künftig 182 Euro). Die für das Verfahren zu zahlende zweifache Gebühr entspricht somit dem von der Kostenbeamtin in der Schlusskostenrechnung angeforderten Betrag von 330 Euro.
7b) Die Einwendungen des Erinnerungsführers rechtfertigen es nicht, ihn von den Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren freizustellen.
8aa) Seine Ansicht, für das Verfahren bestehe für ihn als behinderten Menschen Kostenfreiheit nach § 183 SGG, trifft nicht zu. Gemäß § 183 Satz 1 SGG ist das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger kostenfrei, "soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind". Maßgeblich für das Wirksamwerden des Kostenprivilegs für behinderte Menschen im Sozialgerichtsverfahren ist somit nicht allein das Vorliegen einer Behinderung iS von § 2 Abs 1 SGB IX, sondern vielmehr, ob in dem konkreten Rechtsstreit um Rechte gestritten wird, die gerade behinderten Menschen in dieser Eigenschaft zustehen (also zB die Feststellung eines GdB oder die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises; s hierzu - juris RdNr 9 mwN; Toussaint, Kostenrecht, 51. Aufl 2021, § 183 SGG RdNr 3; Schmidt in Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl 2020, § 183 RdNr 10; H. Lange in jurisPK-SGG, § 183 RdNr 43 ff, 60, Stand ; Boiczenko in Dörndorfer/Wendtland/Gerlach/Diehn, BeckOK Kostenrecht, § 183 SGG RdNr 9, Stand ; Krauß in Roos/Wahrendorf/Müller, BeckOGK SGG, § 183 RdNr 36, Stand ). Das war bei dem vom Erinnerungsführer betriebenen Beschwerdeverfahren nicht der Fall. In der seiner Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Streitsache begehrte er vielmehr die Rücknahme eines Bescheids zur Zuständigkeitsfeststellung für seine Tätigkeit als landwirtschaftlicher Unternehmer für Pferdezucht und Pferdehaltung sowie die Einstellung der Vollstreckung aus einem Beitragsbescheid. Der 2. Senat hat deshalb im Beschluss vom völlig zu Recht entschieden, dass der Kläger (Erinnerungsführer) nicht zu den in § 183 SGG kostenprivilegierten Personen gehört und für dieses Verfahren Gerichtskosten nach den Vorschriften des GKG zu erheben sind (§ 197a Abs 1 Satz 1 SGG).
9bb) Nichts anderes folgt daraus, dass nach Angaben des Erinnerungsführers die Clearing-Stelle der DRV Bund im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens im Januar 2021 seine Versicherungsfreiheit als Beamter auf Lebenszeit des Landes Nordrhein-Westfalen (Lehrer, OStR) für die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung festgestellt habe. Die Versicherungsfreiheit in der Kranken- und Pflegeversicherung hat mit der Kostenfreiheit für ein sozialgerichtliches Verfahren nichts zu tun, wenn im sozialgerichtlichen Verfahren um etwas ganz anderes gestritten wird (hier: um Beitragspflichten als landwirtschaftlicher Unternehmer).
10cc) Auch aus § 74 der Satzung der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau in der Fassung des 33. Nachtrags vom ergibt sich keine Kostenbefreiung für das sozialgerichtliche Verfahren. In der genannten Bestimmung ist die Möglichkeit einer Versicherungsbefreiung für Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens bis zur Größe von 0,25 ha geregelt. Selbst wenn der Erinnerungsführer meint, diese Vorschrift sei auf ihn anzuwenden, obgleich er nach den Feststellungen des LSG eine Grundlandfläche von 4,2 ha für seine Pferdezucht nutzt, ist er in dem Streit hierüber nicht "Versicherter" iS des § 183 Satz 1 SGG, sondern Unternehmer (vgl - juris RdNr 3 mwN).
11dd) Ebenso erschließt sich aus dem Hinweis des Erinnerungsführers auf § 19 Abs 6 SGB XII (Regelung zur Sonderrechtsnachfolge für sozialhilferechtliche Ansprüche auf Pflegegeld oÄ beim Tod des Leistungsberechtigten) keine "greifbare Gesetzeswidrigkeit" der von ihm angegriffenen Schlusskostenrechnung vom .
12ee) Soweit der Erinnerungsführer eine unrichtige Sachbehandlung darin begründet sieht, dass das LSG seine Nichtzulassungsbeschwerde an das BSG weitergeleitet habe, rechtfertigt das ebenfalls kein Absehen von der Erhebung der Gerichtskosten für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren. Zwar hat der Erinnerungsführer seine Beschwerdeschrift am an das LSG adressiert und per Telefax dorthin übersandt. Er hat darin aber ausdrücklich festgehalten: "… beantrage ich die Nichtzulassungs-Beschwerde beim Bundessozialgericht". Inwiefern die Weiterleitung dieses Begehrens an das BSG eine unrichtige Sachbehandlung gewesen sein könnte, erschließt sich dem Kostensenat nicht.
13Im Übrigen hatte der Berichterstatter des 2. Senats des BSG den Erinnerungsführer mit Schreiben vom ausdrücklich auf die Kostenpflicht des Beschwerdeverfahrens hingewiesen. Von einer unverschuldeten Unkenntnis des Erinnerungsführers hinsichtlich der kostenrechtlichen Folgen seines Tuns, die gemäß § 21 Abs 1 Satz 3 GKG ein Absehen von der Kostenerhebung rechtfertigen könnte, kann hier mithin keine Rede sein.
144. Die Kostenentscheidung für das Verfahren der Erinnerung beruht auf § 66 Abs 8 GKG.
155. Gegen diese Entscheidung ist kein weiteres Rechtsmittel statthaft (§ 66 Abs 3 Satz 2 und 3 GKG - s hierzu - juris RdNr 17).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2021:250621BB5SF1021S0
Fundstelle(n):
RAAAH-86680