Strafverfahren: Entpflichtung des Pflichtverteidigers wegen Zerstörung des Vertrauensverhältnisses
Gesetze: § 143a Abs 2 S 1 Nr 3 Alt 1 StPO, § 143a Abs 4 StPO, § 152 Abs 2 StPO
Gründe
I.
1Das Oberlandesgericht Celle führt gegen den Angeklagten eine Hauptverhandlung wegen des Vorwurfs der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland in acht Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit einem weiteren Delikt. Der Angeklagte hat beantragt, die Bestellung seiner Pflichtverteidiger, der Rechtsanwälte P. und Dr. E. , aufzuheben, da er kein Vertrauen mehr zu ihnen habe. Den Antrag hat der Vorsitzende des mit der Sache befassten Strafsenats des Oberlandesgerichts abgelehnt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner sofortigen Beschwerde. Diese begründet er im Wesentlichen damit, dass Rechtsanwalt P. die Anklageschrift nicht mit ihm besprochen und ihn überhaupt nur zweimal anlässlich von Hauptverhandlungsterminen in der Haftzelle des Gerichts aufgesucht habe. Rechtsanwalt Dr. E. habe wiederholt der Entlassung von Zeugen zugestimmt, ohne ihnen zuvor von ihm - dem Angeklagten - gewünschte Fragen gestellt zu haben. Auch habe dieser Verteidiger ihm den Entwurf einer Einlassung übergeben, die er - der Angeklagte - aufgrund der enthaltenen Unrichtigkeiten so nicht unterzeichnen könne. Das Vertrauensverhältnis zu den Genannten sei daher endgültig zerstört.
II.
2Die nach § 143a Abs. 4, § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO zulässige sofortige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Entpflichtung der Verteidiger zu Recht abgelehnt.
3Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung liegen nicht vor, wie vom insoweit zuständigen Vorsitzenden des Oberlandesgerichts (vgl. , NStZ 2021, 60 Rn. 3) zutreffend angenommen. Weder ist das Vertrauensverhältnis zwischen den Pflichtverteidigern und dem Angeklagten endgültig im Sinne des § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Alternative 1 StPO zerstört, noch besteht ein sonstiger Grund, die Verteidigerbestellung aufzuheben.
41. Eine Störung des Vertrauensverhältnisses ist aus Sicht eines verständigen Angeklagten zu beurteilen und von diesem oder seinem Verteidiger substantiiert darzulegen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - StB 4/20, NStZ 2021, 60 Rn. 7 mwN; vom - StB 9/21, NStZ-RR 2021, 179, 180).
5a) Insoweit kann zwar von Bedeutung sein, wenn ein Pflichtverteidiger zu seinem inhaftierten Mandanten über einen längeren Zeitraum überhaupt nicht in Verbindung tritt (vgl. etwa III-1 Ws 290/10, NStZ-RR 2011, 48; OLG Braunschweig, Beschluss vom - Ws 268/12, StV 2012, 719; HansOLG Hamburg, Beschluss vom - 2 Ws 195/72, MDR 1972, 799; weitergehend für eine Jugendliche , StraFo 2007, 157). Allerdings liegt es grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Verteidigers, in welchem Umfang und auf welche Weise er mit dem Beschuldigten Kontakt hält (, juris Rn. 12; vgl. auch SächsVerfGH, Beschluss vom - Vf. 107-IV-12 [HS], juris Rn. 11, 32 f.). Die unverzichtbaren Mindeststandards müssen jedenfalls gewahrt sein (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 5 StR 251/08, NStZ 2009, 465; vom - 4 StR 610/17, NStZ-RR 2018, 84 mwN).
6Daran gemessen ist mit Blick auf Rechtsanwalt P. , der wegen des Ausscheidens eines anderen Verteidigers erst mit Beschluss vom zum Pflichtverteidiger bestellt worden ist, nicht von einem endgültigen Vertrauensverlust auszugehen. Bereits nach dem Vorbringen des Angeklagten ist dieser seitdem zweimal durch Rechtsanwalt P. anlässlich von Hauptverhandlungsterminen persönlich aufgesucht worden. Dass Rechtsanwalt P. die Anklageschrift vom nicht mit dem Angeklagten besprochen hat, ist, wie in dem zutreffend dargelegt, dem Umstand geschuldet, dass er zu diesem Zeitpunkt noch nicht zum Pflichtverteidiger bestellt worden war. Hinzu kommt, dass die Anklageschrift im Wesentlichen dem im Haftbefehl ausgeführten Tatvorwurf (vgl. , juris Rn. 2 f.) entspricht, weswegen von erheblichem, über den hinaus fortbestehendem Besprechungsbedarf nicht ausgegangen werden kann. Anzeichen dafür, dass die unverzichtbaren Mindeststandards der Kontakthaltung nicht gewahrt worden sein könnten, sind jedenfalls nicht ersichtlich. Dies gilt umso mehr, als Rechtsanwalt P. - ausweislich seiner Stellungnahme vom - in der Sache des Angeklagten in intensivem Austausch mit seinem Bürokollegen Rechtsanwalt Dr. E. steht und auch während mehrerer Telefonate dieses Mitverteidigers mit dem Angeklagten zugegen war.
7b) Soweit das Entpflichtungsbegehren indessen auf das Bestehen von Meinungsverschiedenheiten gestützt wird, gilt:
8Bloße Differenzen zwischen dem Pflichtverteidiger und dem Angeklagten über die Verteidigungsstrategie rechtfertigen für sich genommen die Entpflichtung nicht (vgl. , BGHR StPO § 142 Abs. 1 Auswahl 2; vom - 3 StR 586/94, BGHR StPO § 142 Abs. 1 Auswahl 4; u.a., juris Rn. 8). Etwas Anderes kann mit der Folge einer endgültigen und nachhaltigen Erschütterung des Vertrauensverhältnisses allenfalls gelten, wenn solche Meinungsverschiedenheiten über das grundlegende Verteidigungskonzept nicht behoben werden können und der Verteidiger sich etwa wegen der Ablehnung seines Rats außerstande erklärt, die Verteidigung des Angeklagten sachgemäß zu führen (vgl. , BGHR StPO § 142 Abs. 1 Auswahl 2; Beschluss vom - StB 6/20, NStZ 2020, 434 Rn. 11).
9Nach den dargelegten Maßstäben ist ein endgültiger Vertrauensverlust auch in Bezug auf Rechtsanwalt Dr. E. nicht feststellbar. Soweit im Hinblick auf die Ausübung und den Umfang des Fragerechts gegenüber Zeugen zwischen Rechtsanwalt Dr. E. und dem Angeklagten unterschiedliche Auffassungen zur Verteidigungsstrategie offenbar geworden sein sollten, ist dieser Umstand nach dem Vorstehenden nicht ohne Weiteres geeignet, eine Erschütterung des Vertrauensverhältnisses zu begründen. Dass und warum der Pflichtverteidiger aufgrund der Differenzen zu einer sachgerechten Verteidigung insgesamt außerstande sein sollte, ist nicht dargetan. Abgesehen davon hat das Oberlandesgericht in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hingewiesen, dass der Angeklagte - der vorherigen Belehrung durch das Gericht entsprechend - sein Fragerecht eigenverantwortlich und unabhängig von der Zustimmung des Pflichtverteidigers ausüben kann.
102. Eine Entpflichtung beider Pflichtverteidiger aus einem anderen Grund kommt ebenfalls nicht in Betracht. Insbesondere das Vorliegen einer groben Pflichtverletzung ist nicht ersichtlich (s. § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Alternative 2 StPO). Zwar könnte eine solche in der Abgabe einer mit dem Angeklagten nicht abgesprochenen Sachdarstellung gegenüber dem Gericht (vgl. OLG München, Verfügung vom - 7 St 7/14 (2), StV 2015, 155, 156; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 143a Rn. 27) zu sehen sein; Rechtsanwalt Dr. E. hat dem Angeklagten seinen Einlassungsentwurf jedoch vor dessen Einreichung bei Gericht zur Durchsicht und Unterschrift vorgelegt und damit den Fortgang hinsichtlich dieser schriftlichen Erklärung der Entscheidung des Angeklagten überantwortet. Durch diese Vorgehensweise wird eine Pflichtverletzung gerade vermieden.
Berg Paul Anstötz
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:150621BSTB24.21.0
Fundstelle(n):
VAAAH-86161