BGH Beschluss v. - 4 StR 597/19

Korrektur einer rechtskräftigen Revisionsentscheidung in Strafsachen

Gesetze: § 349 Abs 2 StPO, § 349 Abs 4 StPO, § 349 Abs 5 StPO, § 356a StPO

Instanzenzug: Az: 4 StR 597/19 Beschlussvorgehend LG Detmold Az: 21 KLs 14/19

Gründe

1Das Landgericht Detmold hatte den Angeklagten am wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Auf die Revision des Angeklagten hob der Senat mit Beschluss vom das Urteil im Strafausspruch gemäß § 349 Abs. 4 StPO auf und verwies die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück; die weiter gehende Revision des Angeklagten wurde gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

I.

2Eine erneute Hauptverhandlung hat bislang noch nicht stattgefunden. Vielmehr sind die Akten über den Generalbundesanwalt erneut dem Bundesgerichtshof vorgelegt worden mit dem Antrag, den Senatsbeschluss vom aufzuheben und das Verfahren fortzusetzen.

3Dem Antrag liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

4Die von der Strafkammer des Landgerichts auf der Grundlage der Beratung verfasste, 16 Seiten umfassende, ordnungsgemäß unterschriebene und zur Zustellung an die Verfahrensbeteiligten bestimmte Urteilsurkunde ging am auf der Geschäftsstelle des Landgerichts ein. Aus nicht mehr aufklärbaren Gründen gelangte neben dem Original der Urteilsurkunde auch eine 18 Seiten umfassende „beglaubigte Abschrift“ eines Urteilsentwurfs zu den Gerichtsakten, die mit der Urschrift nicht übereinstimmte, vielmehr in der Beweiswürdigung und bei der Strafzumessung von der Originalurkunde abwich. Entgegen der Zustellungsverfügung des Vorsitzenden der Strafkammer vom , die sich auf die Originalurkunde des Urteils bezog, wurde den Verteidigern versehentlich eine Ausfertigung der Entwurfsfassung zugestellt, die nicht als Urteilsentwurf erkennbar war. Nach Eingang der Revisionsbegründung, mit der die Verteidiger sachlich-rechtliche Fehler des ihnen zugestellten „Urteils“ beanstandeten, wurde – aus ebenfalls nicht mehr aufklärbaren Gründen – auch nur der 18-seitige Urteilsentwurf als „beglaubigte Abschrift“ zu den Handakten des Generalbundesanwalts und sodann zu dem für die Revisionsinstanz zusammengestellten sogenannten Senatsheft genommen. Auf dieser Grundlage erstellte der Generalbundesanwalt seinen auf § 349 Abs. 2 StPO gestützten Verwerfungsantrag und fasste der Senat seinen Beschluss vom . Zum Zeitpunkt der Beschlussfassung befand sich die Originalurkunde des Urteils in den dem Senat ebenfalls vorgelegten Gerichtsakten.

II.

5Eine Aufhebung des Senatsbeschlusses vom kommt in der hier vorliegenden Fallkonstellation nicht in Betracht. Es verbleibt bei der teilaufhebenden Entscheidung.

61. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können Entscheidungen des Revisionsgerichts grundsätzlich weder aufgehoben noch abgeändert werden. Das gilt nicht nur für nach § 349 Abs. 2 StPO ergangene Beschlüsse über die Verwerfung der Revision, durch die das Verfahren wie durch ein Verwerfungsurteil nach § 349 Abs. 5 StPO rechtskräftig abgeschlossen wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 392/61, BGHSt 17, 94, und vom – 4 StR 637/10), sondern auch für einen nach § 349 Abs. 4 StPO gefassten Beschluss, mit dem die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Tatgericht zurückverwiesen wird und der deshalb lediglich formelle Rechtskraft erlangt (vgl. ‒ 4 StR 24/15 Rn. 8 mwN; vgl. auch Beschluss vom ‒ 5 StR 514/04 für Entscheidungen nach § 349 Abs. 2 i.V.m. Abs. 4 StPO). Ein Bedürfnis der Rechtspflege und der Allgemeinheit nach Rechtssicherheit verbietet es auch im Revisionsverfahren, einen Eingriff in die Rechtskraft einer gerichtlichen Sachentscheidung zuzulassen, es sei denn, die Voraussetzungen der speziell für diesen Verfahrensabschnitt geltenden Ausnahmevorschrift des § 356a StPO wären erfüllt, wonach die Entscheidung des Revisionsgerichts unter Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör zustande gekommen ist (vgl. mwN; Beschluss vom – 1 StR 62/19).

72. Zwar hat die Rechtsprechung eine Korrektur einer formell bzw. materiell rechtskräftigen Revisionsentscheidung in eng begrenzten Ausnahmefällen zugelassen (vgl. RG, Beschluss vom – I 512/25, RGSt 59, 419 bei irrtümlicher Annahme der Mitwirkung eines funktionell unzuständigen Urkundsbeamten bei Anbringung der Revisionsanträge; bei fehlender Kenntnis des Revisionsgerichts von der Revisionsrücknahme und der Entscheidung des Landgerichts über die Kostenfolge, die den dem Revisionssenat vorgelegten Akten nicht beigefügt waren; bei Verursachung des Irrtums des Revisionsgerichts über ein Verfahrenshindernis durch eine dem Angeklagten zuzurechnende Täuschung; zur Verfahrenseinstellung nach nachträglich bekannt gewordenem Tod des Beschwerdeführers).

8Ein solcher Ausnahmefall, der eine Durchbrechung der formellen bzw. materiellen Rechtskraft einer Revisionsentscheidung rechtfertigen könnte, liegt aber jedenfalls unter den hier gegebenen Umständen nicht vor.

9a) Den den vorgenannten Ausnahmeentscheidungen zugrundeliegenden Fallkonstellationen ist – soweit ersichtlich – gemein, dass die jeweiligen Revisionsentscheidungen auf einer – nicht erkennbar – unvollständigen oder falschen Aktenlage getroffen wurden und dem Revisionsgericht infolgedessen für das Revisionsverfahren erhebliche prozessuale Tatsachen verborgen blieben oder ihm für die Revisionsentscheidung maßgebliche verfahrensverändernde Entscheidungen nicht bekannt wurden.

10Von dieser engen Begrenzung einer Rechtskraftdurchbrechung ist auch der 1. Strafsenat in seiner Entscheidung vom (1 StR 62/19) ausgegangen und hat die Aufhebung eines lediglich versehentlich auf einer unzutreffenden tatsächlichen Grundlage ergangenen Senatsbeschlusses abgelehnt. Der Entscheidung lag ein Fall zugrunde, in welchem statt des nach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 267 Abs. 4 Satz 4 StPO ergänzten, zugestellten und vom Angeklagten mit der Revision angegriffenen Urteils aufgrund eines Versehens lediglich die Ausfertigung der Fassung des ursprünglich gemäß § 267 Abs. 4 StPO abgekürzten Urteils zum Senatsheft gelangte, auf dessen Grundlage sodann ein Senatsbeschluss gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO erging. Zur Begründung hat der 1. Strafsenat darauf verwiesen, dass der von der Tatsacheninstanz vollständig vorgelegte Akteninhalt lediglich nicht vollständig – soweit für die Revisionsentscheidung erforderlich – zum Inhalt des Senatshefts gelangte. Ein solches Versehen könne jedoch einen Eingriff in die formelle bzw. materielle Rechtskraft einer Entscheidung im Revisionsverfahren nicht rechtfertigen.

11b) So liegt der Fall auch hier.

12Dem Senat lagen bei seiner Beschlussfassung die vollständigen Akten der Tatsacheninstanz einschließlich der Urteilsurkunde im Original vor. Auch im vorliegenden Fall war es einem Versehen geschuldet, dass bei der Zusammenstellung des lediglich für den internen Gebrauch bestimmten Senatshefts (vgl. dazu [unter dem Gesichtspunkt des Akteneinsichtsrechts]) nicht eine Kopie oder eine Ausfertigung der Urschrift des Urteils, sondern eine „Ausfertigung“ des Urteilsentwurfs zu den senatsinternen Akten gelangte, auf dessen Grundlage die Beschlussfassung erfolgte. Die Aktenvorlage war indes vollständig erfolgt. Die Senatsentscheidung ist deshalb zwar auf einer tatsächlich falschen Grundlage ergangen; dies war aber nicht Folge einer unvollständigen oder falschen Aktenlage, sondern beruhte auf einem Versehen.

13Der Senat folgt daher für den vorliegenden Fall der Rechtsauffassung des 1. Strafsenats, zumal sich auch in Ansehung des Originalurteils die auf falscher Tatsachengrundlage getroffene teilaufhebende Senatsentscheidung zum Vorteil des Angeklagten auswirkt. Soweit sich aus der Entscheidung des Senats vom (4 StR 24/15) etwas anderes ergibt, hält der Senat hieran nicht fest.

14Es verbleibt nach alledem bei der Senatsentscheidung vom .

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:091120B4STR597.19.0

Fundstelle(n):
XAAAH-86143