BGH Urteil v. - VI ZR 130/20

Haftung eines Automobilherstellers in einem sog. Dieselfall: Annahmeverzug hinsichtlich der Rücknahme des Fahrzeugs

Leitsatz

Zu den Voraussetzungen des Annahmeverzuges bei der Haftung eines Automobilherstellers nach §§ 826, 31 BGB gegenüber dem Käufer des Fahrzeugs in einem sogenannten Dieselfall.

Gesetze: § 31 BGB, § 249 BGB, §§ 249ff BGB, § 293 BGB, § 826 BGB, Art 3 Nr 10 EGV 715/2007, Art 5 Abs 1 EGV 715/2007, § 6 EG-FGV, § 27 EG-FGV

Instanzenzug: Az: 17 U 342/19vorgehend LG Mannheim Az: 11 O 328/18

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung eines Kraftfahrzeugs auf Schadensersatz und Feststellung des Annahmeverzugs in Anspruch.

2Der Kläger erwarb am von einem Autohaus einen SEAT Alhambra zum Gesamtbetrag von 32.790,01 €. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA189 ausgestattet, in dem eine Software zur Abgassteuerung installiert wurde. Diese Software verfügt über zwei unterschiedliche Betriebsmodi, welche die Abgasrückführung steuern. Bei "Modus 1", der beim Durchfahren des für die amtliche Bestimmung der Fahrzeugemissionen maßgeblichen Neuen Europäischen Fahrzyklus automatisch aktiviert wird, kommt es zu einer höheren Abgasrückführungsrate, wodurch die gesetzlich geforderten Grenzwerte für Stickoxidemissionen eingehalten werden. Bei im normalen Straßenverkehr anzutreffenden Fahrbedingungen ist der "Modus 0" aktiviert, der zu einer geringeren Abgasrückführungsrate und damit zu einem höheren Stickoxidausstoß führt. Der Dieselmotor wurde auf Veranlassung des Vorstands der Beklagten nicht nur in diversen Fahrzeugtypen der Beklagten, sondern auch in solchen der zum VW-Konzern gehörenden Unternehmen verbaut, unter anderem in von der SEAT S.A. hergestellten Fahrzeugen.

3Mit Rechtsanwaltsschreiben vom forderte der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung bis zum "zur Zahlung von Schadenersatz i.H. des Kaufpreises von 32.790,01 € zzgl. Zinsen i.H.v. 4 % aus § 849 BGB seit dem auf, Zug-um-Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs sowie Zahlung einer Nutzungsentschädigung".

4Das Landgericht hat unter Abweisung der Klage im Übrigen die Beklagte verurteilt, an den Kläger 25.403,93 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zug-um-Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs zu zahlen, und festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs seit in Annahmeverzug befindet.

5Auf die Berufungen des Klägers und der Beklagten hat das Oberlandesgericht unter Zurückweisung des Rechtsmittels der Beklagten im Übrigen das Urteil des Landgerichts abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 23.149,89 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zug-um-Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs und Zinsen in Höhe von vier Prozent aus 32.790,01 € seit dem bis zum zu zahlen, sowie festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.

6Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen. Die Beklagte verfolgt mit ihrer Revision das Ziel der Klageabweisung weiter, soweit das Berufungsgericht den Annahmeverzug festgestellt hat. Soweit die Revision weiter geltend gemacht hat, dass das Berufungsgericht die Beklagte zu Unrecht verurteilt habe, an den Kläger Zinsen in Höhe von vier Prozent aus 32.790,01 € für den Zeitraum vom bis zum zu zahlen, hat der Kläger seine Klage in der Revisionsinstanz mit Zustimmung der Beklagten zurückgenommen.

Gründe

I.

7Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse - im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

8Aufgrund der seit dem Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz mit dem Fahrzeug zusätzlich zurückgelegten Strecke mindere sich der Schadensersatzanspruch um weitere 1.464,65 €, sodass dem Kläger die von dem Landgericht zuerkannten Ansprüche nur teilweise zuständen; für den Zeitraum von bis zum Schluss mündlicher Verhandlung in erster Instanz seien zudem weitere 789,39 € in Abzug zu bringen, da auch während des Annahmeverzugs Nutzungen anzurechnen seien. Die Berechnung des Landgerichts sei nur insoweit zutreffend, als es bei einem Kilometerstand am Tag des Ablaufs der vorprozessual gesetzten Frist einen Nutzungsersatzanspruch bis dahin errechnet habe. Dabei hätte es jedoch nicht stehenbleiben dürfen. Denn auch für die Zeit bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz seien weitere 789,30 € für die bis dahin gefahrenen Kilometer angefallen. Zudem sei der Kläger bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungssenat gefahren, sodass ein Nutzungsersatzanspruch von weiteren 1.464,65 € auf den Kaufpreis von 32.790,01 € anzurechnen und die Klage in Höhe von 2.254,04 € auf die Berufung der Beklagten abzuweisen sei.

9Die Beklagte befinde sich in Annahmeverzug. Dabei sei unschädlich, dass der Kläger im vorprozessualen Schreiben noch die Rückzahlung des Kaufpreises ohne Anrechnung eines konkret bezifferten Nutzungsersatzanspruchs gefordert und die Rückgabe des Fahrzeugs nur unter dieser Bedingung angeboten habe. Zwar führe eine Zuvielforderung des Schuldners grundsätzlich weder zur Begründung von Schuldnerverzug hinsichtlich der Kaufpreisrückzahlung noch zur Begründung von Annahmeverzug des Gläubigers. Allerdings sei der Kläger in der Berufungsinstanz - wie seine Anfechtung des landgerichtlichen Urteils nur hinsichtlich des aberkannten Zinsanspruchs belege - bereit, eine um die vom Landgericht errechnete Nutzungsentschädigung reduzierte Zahlung anzunehmen. Diesen zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz reduzierten Antrag des Klägers habe die Beklagte zurückgewiesen.

II.

10Die Revision der Beklagten ist begründet.

111. Mit der teilweisen Klagerücknahme ist das Urteil des Berufungsgerichts, soweit die Beklagte zur Zahlung von Deliktszinsen verurteilt worden ist, wirkungslos (§ 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO) und die Revision der Beklagten insoweit gegenstandslos geworden. Die Revision der Beklagten richtet sich nach der teilweisen Klagerücknahme noch gegen die Feststellung des Annahmeverzugs.

122. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ist der Ausspruch über die Feststellung des Annahmeverzugs von der Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht umfasst.

13a) Enthält die Entscheidungsformel des Berufungsurteils - wie im Streitfall - keine Beschränkung der Revisionszulassung, ist dennoch von einer beschränkten Revisionszulassung auszugehen, wenn sich dies aus den Gründen des Urteils klar ergibt. Das ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn sich die vom Berufungsgericht als zulassungsrelevant angesehene Frage nur für einen eindeutig abgrenzbaren selbständigen Teil des Streitstoffs stellt, der Gegenstand eines Teilurteils oder eines eingeschränkt eingelegten Rechtsmittels sein kann (vgl. Senat, Urteil vom - VI ZR 445/19, juris Rn. 11; , NJW 2020, 3258 Rn. 9 mwN).

14b) Das Berufungsgericht hat zur Begründung der Zulassung der Revision ausgeführt, die höchstrichterlich noch nicht entschiedene Rechtsfrage einer Haftung der Beklagten gemäß § 826 BGB habe im Hinblick auf die enorme Anzahl der bundesweit gegen die Beklagte anhängigen Klagen grundsätzliche Bedeutung. Zudem werde eine Haftung der Beklagten gemäß § 826 BGB in der obergerichtlichen Rechtsprechung kontrovers beurteilt. Da die Entscheidung über den Annahmeverzug jedoch nur ein rechtlich unselbständiges Element der Hauptleistungsverpflichtung und damit - auch - von dieser abhängig ist, wird sie schon deshalb von der insoweit ausgesprochenen Zulassung der Revision erfasst (vgl. dazu Senat, Urteil vom - VI ZR 449/20, NJW-RR 2021, 316 Rn. 6 mwN).

153. Die Revision der Beklagten ist begründet. Der Feststellungsausspruch des Berufungsgerichts, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet (§§ 293 ff. BGB), hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

16Die Forderung jedenfalls eines nicht nur unerheblich höheren als des geschuldeten Betrags schließt ein ordnungsgemäßes Angebot der Zug-um-Zug zu erbringenden Leistung aus (vgl. Senat, Urteile vom - VI ZR 521/19, juris Rn. 7; vom - VI ZR 3/20, juris Rn. 15; vom - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 85). Der für diese Beurteilung maßgebliche Zeitpunkt ist der Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz (vgl. Senat, Urteile vom - VI ZR 521/19, juris Rn. 7; vom - VI ZR 274/20, juris Rn. 24; vom - VI ZR 3/20, juris Rn. 15; vom - VI ZR 449/20, juris Rn. 9). Durch die Verteidigung einer erstinstanzlichen Zug-um-Zug-Verurteilung macht ein Kläger regelmäßig ein entsprechendes wörtliches Angebot (vgl. Senat, Urteil vom - VI ZR 274/20, juris Rn. 24).

17Das Landgericht hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger 25.403,93 € Zug-um-Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs zu zahlen. Der Kläger hat beantragt, die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückzuweisen. Damit hat er - was das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend erkannt hat - ein entsprechendes wörtliches Angebot gemacht. Demgegenüber beläuft sich ausweislich des insoweit rechtskräftigen Berufungsurteils der Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte auf nur 23.149,89 €. Die sich daraus ergebende Differenz von 2.254,04 € führt zur Forderung eines deutlich höheren als des geschuldeten Betrags. Ob der Kläger sein Angebot darüber hinaus, wie die Revision meint, von der Zahlung von Deliktszinsen abhängig gemacht hat, kann angesichts dessen dahinstehen.

184. Daher ist insoweit das Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 3 ZPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:290621UVIZR130.20.0

Fundstelle(n):
WM 2021 S. 1560 Nr. 32
MAAAH-85529