Angemessenheit einer zahnärztlichen Gebührenforderung; Kieferorthopädie; Klebebracket
Leitsatz
Für die Eingliederung von Klebebrackets kann neben der Nummer 6100 nicht zusätzlich auch die Nummer 2197 Anlage 1 GOZ abgerechnet werden, weil deren selbstständige Berechnungsfähigkeit nach § 4 Abs. 2 Satz 2 GOZ grundsätzlich ausgeschlossen ist.
Gesetze: § 17 Abs 2 S 1 GVG, § 4 Abs 2 S 2 GOZ 1987, § 4 Abs 3 GOZ 1987, § 4 Abs 4 GOZ 1987
Instanzenzug: Sächsisches Oberverwaltungsgericht Az: 2 A 301/17 Urteilvorgehend VG Chemnitz Az: 3 K 2206/14 Urteil
Tatbestand
1Die Beteiligten streiten über den Umfang von Beihilfeleistungen für die Eingliederung von Brackets im Rahmen einer kieferorthopädischen Behandlung.
2Die Klägerin ist Beamtin des Freistaats Sachsen und für ihren im Jahr 2002 geborenen Sohn beihilfeberechtigt. Für eine bei diesem geplante kieferorthopädische Behandlung reichte sie im Jahr 2014 bei der zuständigen Beihilfestelle einen Behandlungsplan ein, der u.a. für die Eingliederung von Brackets neben der Nummer 6100 (Eingliederung eines Klebebrackets) des Gebührenverzeichnisses der Gebührenordnung für Zahnärzte auch die dortige Nummer 2197 (adhäsive Befestigung) vorsah.
3Die Beihilfestelle erkannte die aufgeführten Aufwendungen mit Ausnahme des Ansatzes der Nummer 2197 des Gebührenverzeichnisses als dem Grunde nach beihilfefähig an. Die Abrechnung der adhäsiven Befestigung sei neben der Nummer 6100 des Gebührenverzeichnisses nicht beihilfefähig, weil Letztere ihrem Leistungsinhalt nach eine Klebebefestigung umfasse. Der Widerspruch der Klägerin wurde mit Bescheid vom zurückgewiesen.
4Auf die hiergegen erhobene Klage verpflichtete das Verwaltungsgericht den Beklagten zur Anerkennung der Leistung nach der Nummer 2197 neben der Nummer 6100 des Gebührenverzeichnisses. Die hierzu ergangene Rechtsprechung der Zivilgerichte bejahe die Abrechenbarkeit nahezu einhellig; dieser sei zu folgen. Das Oberverwaltungsgericht hat das erstinstanzliche Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Der Beklagte habe rechtzeitig für Klarheit über seine Auslegung der maßgeblichen Bestimmungen der Gebührenordnung gesorgt. Diese Auslegung, nach welcher die Nummern 6100 und 2197 des Gebührenverzeichnisses nicht nebeneinander anwendbar seien, sei nicht nur vertretbar, sondern entgegen der in der Zivilrechtsprechung mehrheitlich vertretenen gegenteiligen Ansicht auch rechtlich zutreffend. Weder eine Auslegung nach dem Wortlaut noch nach der Systematik ergebe, dass eine parallele Abrechnungsmöglichkeit zwingend sei. Vielmehr ergebe eine Auslegung nach dem Sinn und Zweck, dass die Eingliederung des Klebebrackets im Rahmen der Nummer 6100 des Gebührenverzeichnisses und die adhäsive Befestigung nach dessen Nummer 2197 identische Leistungen darstellten und nicht nebeneinander abrechenbar seien.
5Mit ihrer vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Die beanstandete Abrechnung stehe im Einklang mit der Gebührenordnung.
6Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil des Oberverwaltungsgerichts.
Gründe
7Die Revision der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 141, 125 Abs. 1, § 101 Abs. 2 VwGO), ist unbegründet. Das Oberverwaltungsgericht hat im Einklang mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) entschieden, dass der Klägerin kein Anspruch auf Anerkennung der Beihilfefähigkeit der Abrechnung der Nummer 2197 neben der Nummer 6100 der Anlage 1 der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) vom (BGBl. I S. 2316), die zuletzt durch Art. 1 der Verordnung vom (BGBl. I S. 2661) geändert worden ist, zusteht. Die Revision ist daher zurückzuweisen (§ 144 Abs. 2 VwGO).
8Grundlage für den im Streit stehenden Anerkennungsanspruch ist § 10 Satz 2 i.V.m. § 12 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums der Finanzen über die Gewährung von Beihilfe in Krankheits-, Pflege, Geburts- und sonstigen Fällen in der - soweit hier von Interesse - seit dem Jahr 2014 inhaltlich unverändert gebliebenen und bis zum geltenden Fassung (Sächsische Beihilfeverordnung - SächsBhVO a.F.), die hier weiterhin maßgeblich ist, weil nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts die vom streitigen Anerkennungsbegehren erfassten Leistungen noch vor dem Ergehen des angefochtenen Urteils erbracht worden sind. Danach sind Aufwendungen für kieferorthopädische Leistungen nach Beginn der zweiten Phase des Zahnwechsels dem Grunde nach beihilfefähig, wenn bei Behandlungsbeginn das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet ist und die Festsetzungsstelle vor Beginn der Behandlung die Beihilfefähigkeit auf der Grundlage eines vorgelegten Heil- und Kostenplanes dem Grunde nach anerkannt hat. Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 SächsBhVO a.F. sind Aufwendungen beihilfefähig, wenn sie dem Grunde nach notwendig und der Höhe nach angemessen sind und die Beihilfefähigkeit nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist. Zwischen den Beteiligten steht die grundsätzliche Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für die hier in Rede stehende Eingliederung von Brackets zu Recht nicht im Streit. Ihr Streit konzentriert sich vielmehr darauf, ob es sich bei der hierfür im Raum stehenden Nummer 2197 der Anlage 1 GOZ um angemessene Aufwendungen handelt. Das ist nicht der Fall.
9Die Angemessenheit von Aufwendungen für zahnärztliche Leistungen beurteilt sich gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 SächsBhVO a.F. nach dem Gebührenrahmen der Gebührenordnung für Zahnärzte in der jeweils geltenden Fassung. Somit knüpft die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für ärztliche Leistungen grundsätzlich an den Leistungsanspruch des Arztes an und setzt im Rahmen der hier in Rede stehenden Entscheidung über die Vorabanerkennung voraus, dass dieser im Behandlungsplan einen Leistungsanspruch unter zutreffender Auslegung der Gebührenordnung bezeichnet hat.
10Das Oberverwaltungsgericht ist richtigerweise davon ausgegangen, dass die Frage der materiell-rechtlichen Berechtigung des hier in Rede stehenden ärztlichen Gebührenanspruchs anhand einer objektiv zweifelhaften Gebührenvorschrift zu beurteilen ist, deren Auslegung bislang nicht als geklärt angesehen werden kann. Ferner hat es ausgehend hiervon zutreffend angenommen, dass dann die Anwendung des Gebührenrechts durch den Dienstherrn im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vollständig zu prüfen ist (1.). Ebenfalls zuzustimmen ist seiner Beurteilung, dass der Klägerin kein Anspruch auf Anerkennung der Beihilfefähigkeit der Abrechnung der Nummer 2197 neben der Nummer 6100 der Anlage 1 GOZ dem Grunde nach zusteht (2.).
111. Ob der Arzt eine Forderung zu Recht geltend gemacht hat, ist eine der Beihilfegewährung vorgreifliche Rechtsfrage, die nach der Natur des Rechtsverhältnisses zwischen Arzt und Patienten dem Zivilrecht zuzuordnen ist. Den Streit über die Berechtigung einer ärztlichen Liquidation entscheiden letztverbindlich die Zivilgerichte. Damit ist für die Entscheidung, ob nach den Maßstäben des Beihilferechts Aufwendungen für ärztliche Leistungen angemessen sind, die Auslegung des ärztlichen Gebührenrechts durch die Zivilgerichte maßgebend. Deren Beurteilung im konkreten Fall präjudiziert die Angemessenheit der Aufwendungen für ärztliche Leistungen im beihilferechtlichen Sinne. Hat das Zivilgericht - in welcher Instanz auch immer - den Beamten rechtskräftig zur Begleichung der Honorarforderung eines Arztes verurteilt, ist die Vergütung regelmäßig angemessen im Sinne des Beihilferechts. Gleiches gilt, wenn es eine einschlägige und eindeutige höchstrichterliche Rechtsprechung zu den sich im konkreten Fall stellenden gebührenrechtlichen Fragen gibt. Ist dies nicht der Fall, hat der Dienstherr zu prüfen, ob die vom Arzt bezeichneten Ansprüche nach materiellem Recht begründet sind (vgl. 2 C 19.16 - BVerwGE 160, 114 Rn. 17 f., 22 m.w.N.). Vorstehendes gilt entsprechend auch für das Verfahren, in dem - wie hier auf der Grundlage eines Kostenplanes - über die Vorabanerkennung der Beihilfefähigkeit von erst künftig entstehenden Aufwendungen auch mit Blick auf ihre Angemessenheit entschieden und der Beamte zugleich individuell über die Auslegung objektiv zweifelhafter Vorschriften des Gebührenrechts durch den Dienstherrn in Kenntnis gesetzt wird, was insoweit Vorrang gegenüber etwaigen generellen Auslegungshinweisen hat.
12Hat - wie hier - der Dienstherr die Berechtigung des Gebührenanspruchs selbst geprüft, ist im verwaltungsgerichtlichen Verfahren eine vollumfängliche Prüfung der Anwendung des Gebührenrechts durch den Dienstherrn im Rahmen der Anerkennungsentscheidung vorzunehmen, die gerichtliche Kontrolldichte ist nicht zu dessen Gunsten auf die bloße Vertretbarkeit seiner Auffassung reduziert (vgl. dazu 5 C 7.19 - Rn. 13, zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung vorgesehen). Davon ist das Oberverwaltungsgericht in Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung (OVG Bautzen, Urteil vom - 2 A 887/16 - juris Rn. 21) zutreffend ausgegangen.
132. Auf der Grundlage dieser Maßstäbe lässt sich hier die Angemessenheit der Aufwendungen allerdings - anders als die Klägerin meint - nicht bejahen. Eine Entscheidung über die Berechtigung der bereits vor Ergehen des angefochtenen Urteils erbrachten Gebührenforderung ist im ordentlichen Rechtsweg nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts nicht ergangen. Zudem ist die in Rede stehende Auslegungsfrage auch nicht abschließend zivilgerichtlich geklärt. Auch wenn in der Regel davon auszugehen ist, dass objektiv zweifelhafte Gebührenvorschriften, bei denen es ernsthaft widerstreitende Meinungen über die Berechtigung des Gebührenansatzes geben kann, lediglich der Ausnahmefall sind (vgl. 2 C 10.92 - BVerwGE 95, 117 <119>), folgt die Zweifelhaftigkeit der hier in Rede stehenden Anwendbarkeit der Nummer 2197 Anlage 1 GOZ aus den vom Oberverwaltungsgericht angeführten hierzu ergangenen divergierenden zivilgerichtlichen Entscheidungen, die sich auch in dem unterschiedlichen Ausgang der vorinstanzlichen Verfahren widerspiegeln.
14Die zwischen den Beteiligten allein im Streit stehende Frage, ob für die Eingliederung von Brackets im Rahmen einer kieferorthopädischen Behandlung neben der zweifelsfrei einschlägigen Nummer 6100 auch die Nummer 2197 Anlage 1 GOZ in Ansatz gebracht werden darf, hat der Beklagte zutreffend verneint. Nummer 2197 Anlage 1 GOZ umfasst dem Leistungstext nach die adhäsive Befestigung eines Therapiegeräts bzw. Werkstücks, das seinerseits mit einem Klammerzusatz ("plastischer Aufbau, Stift, Inlay, Krone, Teilkrone, Veneer etc.") umschrieben wird. Ihre weitere Berechnung ist allerdings nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil die Erbringung der Leistung nach der Nummer 6100 Anlage 1 GOZ schon ihrem Leistungstext nach mit einer adhäsiven Befestigung einhergeht (a). Ihre selbstständige Berechnungsfähigkeit ist aber nach § 4 Abs. 2 Satz 2 GOZ grundsätzlich ausgeschlossen, weil sie zwar nicht Bestandteil, wohl aber besondere Ausführung der Leistung nach der Nummer 6100 Anlage 1 GOZ ist (b). Der Verordnungsgeber hat die adhäsive Befestigung im Verhältnis zur Leistung nach der Nummer 6100 Anlage 1 GOZ schließlich nicht derart abrechnungstechnisch verselbstständigt, dass sich die Frage nach ihrem Verhältnis zueinander nicht mehr stellt (c).
15a) Die Abrechenbarkeit der Nummer 2197 neben der Nummer 6100 Anlage 1 GOZ scheidet nicht schon deshalb aus, weil der Inhalt der dort beschriebenen Leistung so zu verstehen wäre, dass die Eingliederung eines Brackets nur im Wege der adhäsiven Befestigung erfolgen könne. Unabhängig von der Reichweite der Regelung in § 4 Abs. 2 GOZ ist es eine abrechnungsrechtliche Selbstverständlichkeit, dass eine Leistung, die bereits auf normativer Ebene im Sinne einer unselbstständigen Teilleistung als Inhalt einer anderen Leistung bezeichnet ist, nicht ein zweites Mal berechnet werden darf. Hätte also der Verordnungsgeber unmittelbar deutlich gemacht, dass mit der Eingliederung eines Brackets nach Maßgabe der Nummer 6100 Anlage 1 GOZ nur eine solche in Anwendung der Adhäsivtechnik gemeint ist, dann käme der Ansatz einer weiteren Gebühr, die ausdrücklich dasselbe umfasst, von vornherein nicht in Betracht. Es handelte sich dann bereits mit Blick auf die Leistungsbeschreibung um eine Doppelleistung wegen einer insoweit vollständigen Identität des Leistungstatbestandes. Das ist für das Verhältnis der Nummer 2197 etwa zur Nummer 2100 Anlage 1 GOZ, in der die Adhäsivtechnik ausdrücklich erwähnt ist, auch grundsätzlich anerkannt (vgl. Kommentierung der PKV zur GOZ (Gebührenteil), Stand , S. 52; Liebold/Raff/Wissing, DER Kommentar BEMA/GOZ, 2020, GOZ-Nr. 2197 Nr. 1.6). Dass sich die Eingliederung eines Brackets indes nach der Nummer 6100 Anlage 1 GOZ nicht auf die Adhäsivtechnik beschränkt, ergibt sich aus einer Auslegung der Norm, insbesondere anhand von Wortlaut und Systematik. Danach ist die Anwendung der Adhäsivtechnik keine unselbstständige Teilleistung der in Nummer 6100 Anlage 1 GOZ beschriebenen Leistung. Vielmehr kann die Eingliederung eines "Klebebrackets" mittels einer Technik erfolgen, die im Sinne eines Oberbegriffs sowohl die Adhäsivtechnik wie auch andere Befestigungsarten unter Verwendung eines "Klebstoffs" als Verbindungsmittel umfasst.
16Die durch die Novellierung der Gebührenordnung im Jahr 2011 inhaltlich unverändert gebliebene Nummer 6100 Anlage 1 GOZ umfasst nach ihrem Wortlaut die "Eingliederung eines Klebebrackets ...". Dabei ist mit Eingliedern zunächst das Einsetzen des Therapiegerätes an die therapeutisch richtige Stelle im Zahnraum einschließlich der erforderlichen Anpassungen am Gerät gemeint (vgl. Kommentierung der PKV zur GOZ (Gebührenteil), Stand , S. 194). Handelt es sich um ihrer Konstruktion nach festsitzende Therapiegeräte, ist das Eingliedern notwendig auch mit der Befestigung als solcher verbunden. Wie diese Befestigung nach den Vorstellungen des Verordnungsgebers technisch durchgeführt werden soll, hat er allerdings nicht ausdrücklich deutlich gemacht; insbesondere hat er nicht etwa entsprechend der Nummer 2100 Anlage 1 GOZ in den Leistungstext aufgenommen, dass die Behandlung "in Adhäsivtechnik" erfolgt. Eine diesbezügliche Konkretisierung ergibt sich indirekt allerdings daraus, dass er in diesem Zusammenhang den Begriff "Klebebracket" verwendet, was den Schluss zulässt, dass die Eingliederung in einer "Klebetechnik" erfolgen soll. Wäre es dem Verordnungsgeber nur darum gegangen, das einzugliedernde Therapiegerät ohne Bezug zum Eingliederungsvorgang zu beschreiben, hätte er schlicht den Begriff "Bracket" verwenden können.
17Diese Eingrenzung der denkbaren Befestigungsmöglichkeiten auf ein "Einkleben" ist jedoch bei einer Wortlautbetrachtung nicht als gleichbedeutend mit der in Nummer 2197 Anlage 1 GOZ erwähnten Adhäsivtechnik anzusehen; der Leistungstext der Nummer 6100 Anlage 1 GOZ ist demgemäß nicht zu lesen als "Eingliederung eines Brackets in Adhäsivtechnik" (so aber die Stellungnahme des Verbandes der Privaten Krankenversicherungen e.V. zur Nebeneinanderberechnung der GOZ-Nr. 2197 und 6100, Stand , S. 1). Unter adhäsiver Befestigung ist ein Verfahren zu verstehen, mit dem mittels einer physikalisch-chemischen Konditionierung der Zahnkontaktflächen (Anätzen) und einer anschließenden Aufbringung von spezifischen Haftvermittlern das Werkstück befestigt wird (vgl. Liebold/Raff/Wissing, DER Kommentar BEMA/GOZ, 2020, GOZ-Nr. 2197 Nr. 1 ff.). Auch der der Nummer 6100 Anlage 1 GOZ zu entnehmende Begriff des "Einklebens" hat bei aller Unschärfe jedenfalls erkennbar zum Inhalt, dass das Bracket mit Hilfe eines "Klebstoffs", der aufgrund chemischer oder mechanischer Kräfte eine Verbindungswirkung erlangt, an den Zahn angeheftet wird, ohne dass aber notwendig eine Konditionierung und die Verwendung bestimmter Haftmittel vorausgesetzt wird. Insofern ist er dem Wortlaut nach erkennbar weiter als der der Adhäsivtechnik. Davon, dass die Anbringung eines Brackets technisch schlechterdings nur im Wege der Adhäsivtechnik möglich ist, etwa weil andere Verbindungsmittel keinerlei Haftwirkung hätten, und der Begriff des "Klebebrackets" insofern enger zu verstehen wäre, ist nicht auszugehen. Insoweit wird darauf verwiesen, dass eine Befestigung von Brackets am Zahn auch mit Hilfe von Glasiomerzement als Verbindungsmittel möglich ist (Liebold/Raff/Wissing, DER Kommentar BEMA/GOZ, 2020, GOZ-Nr. 2197 Nr. 2.2). Hiergegen wird zwar eingewandt, die Anwendung von Glasiomerzement im Zusammenhang mit Brackets habe keine Praxisrelevanz, weil sie sich wegen mangelnder Adhäsionskraft in der praktischen Anwendung als ungeeignet erwiesen habe (Stellungnahme des Verbandes der Privaten Krankenversicherungen e.V. zur Nebeneinanderberechnung der GOZ-Nr. 2197 und 6100, Stand , S. 5). Dies bedeutet aber gerade nicht, dass eine Verwendung von Glasiomerzement als Verbindungsmittel für die Eingliederung von Brackets schlechterdings ausgeschlossen ist.
18In systematischer Hinsicht ist einerseits von Bedeutung, dass der Verordnungsgeber im Fall der Nummer 6120 Anlage 1 GOZ in der Leistungsbeschreibung lediglich von der "Eingliederung eines Bandes" spricht, ohne einen Bezug zu einer Befestigungsmethodik herzustellen. Dies stützt jedenfalls das Argument, dass er mit der Verwendung des Begriffs "Klebebracket" nicht nur das Objekt der Eingliederung, sondern auch eine spezifische Befestigungsmethode beschreiben wollte. Andererseits ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass der Verordnungsgeber bei der Novellierung der Gebührenordnung im Jahr 2011 zwar die Adhäsivtechnik als eigenständige Leistung bzw. als Leistungselement in das Gebührenverzeichnis eingeführt hat, die Fassung der Leistungsbeschreibung der Nummer 6100 Anlage 1 GOZ aber nicht an diese nunmehr von ihm verwendete Terminologie angepasst hat. Wenn er der Auffassung gewesen wäre, die Befestigung eines Brackets sei auf die Verwendung der Adhäsivtechnik beschränkt, hätte es nahegelegen, dies in der Vorschrift klarzustellen. Denn die Verwendung unterschiedlicher Begrifflichkeiten in einem Normtext legt grundsätzlich nahe, dass auch Verschiedenes gemeint ist.
19b) Ist die Adhäsivtechnik nicht bereits von vornherein mit der Nummer 6100 Anlage 1 GOZ abgegolten, ist für die Frage, ob die gleichzeitig oder im Zusammenhang damit erbrachte Leistung nach der Nummer 2197 Anlage 1 GOZ selbstständig berechnungsfähig ist, vor allem § 4 Abs. 2 Satz 2 GOZ in den Blick zu nehmen. Nach dieser Bestimmung kann der Zahnarzt für eine Leistung, die Bestandteil (Alt. 1) oder eine besondere Ausführung (Alt. 2) einer anderen Leistung nach dem Gebührenverzeichnis ist, eine Gebühr nicht berechnen, wenn er für die andere Leistung eine Gebühr berechnet. Der Bestimmung in § 4 Abs. 2 Satz 2 GOZ kommt ebenfalls eine klare abrechnungstechnische Bedeutung zu, die unmittelbar einleuchtet: Der Zahnarzt darf eine Leistung, die sich mit dem Inhalt einer von ihm gleichfalls vorgenommenen anderen Leistung überschneidet, nicht zweimal abrechnen (vgl. auch für die Parallelbestimmungen in der GOÄ: 2 C 19.16 - Buchholz 239.1 § 33 BeamtVG Nr. 2 Rn. 26 unter Verweis auf - BGHZ 177, 43 Rn. 6 ff. m.w.N.).
20Dies zugrunde gelegt kann die Nummer 2197 Anlage 1 GOZ für die Eingliederung eines Brackets nicht mehr in Ansatz gebracht werden, weil sich dessen Eingliederung in Adhäsivtechnik mit dem Inhalt der gleichzeitig angesetzten Nummer 6100 Anlage 1 GOZ überschneidet und daher dem sog. Doppelberechnungsverbot unterliegt. Dabei kann offenbleiben, ob sich eine solche Überschneidung bereits daraus ergibt, dass die Anwendung der Adhäsivtechnik im Sinne von § 4 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 GOZ Bestandteil der mit der Nummer 6100 Anlage 1 GOZ abgerechneten Leistung ist. Denn sie folgt jedenfalls daraus, dass es sich bei ihr um eine besondere Ausführung dieser anderen Leistung im Sinne von § 4 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 GOZ handelt. Auf die mit Blick auf einen Leistungsbestandteil im Sinne von § 4 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 GOZ wegen § 4 Abs. 2 Satz 4 GOZ relevante Frage, inwieweit die Adhäsivtechnik in der Punktebewertung der Nummer 6100 Anlage 1 GOZ berücksichtigt worden ist, kommt es dann nicht mehr an.
21Mit § 4 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 GOZ soll die gesonderte Berechnungsfähigkeit solcher Leistungen ausgeschlossen werden, die die Leistungsbeschreibung einer Gebührennummer des Gebührenverzeichnisses erfüllen und lediglich eine besondere Art und Weise ihrer Erbringung darstellen. Dabei geht es nicht um das Verhältnis zwischen einer Regelmethodik oder Standardleistung und der Abweichung hiervon durch eine "besondere" Leistung, also auch nicht um die Frage, was die typische und was die atypische Form der Leistungserbringung ist. Vielmehr ist eine Leistungsausführung dann als besonders anzusehen, wenn sie sich als bloße methodische bzw. technische Variation oder Modifikation der beschriebenen Zielleistung erweist (vgl. Clausen, in: Clausen/Makoski, GOÄ/GOZ, 1. Aufl. 2019 § 4 GOZ Rn. 31; Liebold/Raff/Wissing, DER Kommentar BEMA/GOZ, 2020, § 4 GOZ Rn. 5 und 9). Dies ist dann zu bejahen, wenn die Beschreibung der Zielleistung im Gebührenverzeichnis ergibt, dass die in Rede stehende Leistungsausführung ihrer technischen oder methodischen Eigenart nach bereits davon mit umfasst ist, etwa weil die Leistungsbeschreibung offen lässt, mit welchen Techniken oder Methoden eine Leistung zu erbringen bzw. ein Behandlungsziel zu erreichen ist (vgl. - NJW-RR 2010, 1355 Rn. 11; Liebold/Raff/Wissing, DER Kommentar BEMA/GOZ, 2020, § 4 GOZ Rn. 10). Dies zugrunde gelegt ist der Nummer 6100 Anlage 1 GOZ zu entnehmen, dass die in der Nummer 2197 Anlage 1 GOZ beschriebene Adhäsivtechnik im Sinne einer besonderen Ausführungsart in der Leistungsbeschreibung der erstgenannten Gebührennummer enthalten ist.
22Diese Bewertung ergibt sich schon daraus, dass nach den obigen Ausführungen zum Inhalt der in Nummer 6100 Anlage 1 GOZ mit "Eingliederung eines Klebebrackets" eine Technik umschrieben wird, die im Sinne eines Oberbegriffs auch die Adhäsivtechnik umfasst, wobei offengelassen wird, mit welcher der möglichen Techniken das Leistungsziel erreicht wird. Infolgedessen ist die Befestigung eines Brackets in Anwendung dieser Technik als besondere Ausführung der in Nummer 6100 Anlage 1 GOZ genannten Leistung anzusehen.
23c) Die Anwendung der Adhäsivtechnik kann nach der Nummer 2197 Anlage 1 GOZ schließlich auch nicht ausnahmsweise unabhängig von der Erfüllung der Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 Satz 2 GOZ neben der Leistung nach der Nummer 6100 Anlage 1 GOZ berechnet werden.
24Allerdings hat der Verordnungsgeber es in der Hand, auch Leistungen gesondert zu beschreiben und damit auch ihre Abrechenbarkeit zu regeln, die in einem so engen Zusammenhang zu einer anderen gebührenrechtlich definierten Leistung stehen, dass man ihre Selbstständigkeit in Frage stellen könnte. Er kann desgleichen positiv bestimmen, dass Leistungen neben einer anderen Leistung abgerechnet werden können, obwohl sie "an sich" von dieser bereits erfasst werden. Der Verordnungsgeber ist damit auch im Fall kieferorthopädischer Leistungen frei darin, zusätzlich zu einer Gebühr, die einen Oberbegriff von behandlungstechnischen Leistungen abbildet, auch noch einzelne dieser Leistungen daneben zur Abrechnung zu stellen. Insoweit liegt dann ein Regelungszusammenhang vor, in dem sich weder Fragen der Selbstständigkeit der Leistung noch solche nach der Reichweite des Zielleistungsprinzips stellen (vgl. 5 C 7.19 - Rn. 29, zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung vorgesehen, unter Verweis auf - NJW-RR 2010, 1355 Rn. 7).
25Eine solche abrechnungstechnische Verselbstständigung lässt sich für die Nummer 2197 Anlage 1 GOZ im Verhältnis zur Eingliederung eines Brackets nach der Nummer 6100 Anlage 1 GOZ indes nicht feststellen. Sie würde eine Ausnahme von dem Doppelberechnungsverbot nach § 4 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 GOZ und damit dem Prinzip darstellen, dass Voraussetzung der Berechenbarkeit zahnärztlicher Leistungen ihre Selbstständigkeit ist. Eine Abweichung von diesem normativen Grundsatz setzt eine hinreichend deutlich erkennbare Regelungsabsicht des Verordnungsgebers voraus. Eine solche lässt sich im Wege der Auslegung der hier in Rede stehenden Normen nicht feststellen.
26aa) Dem Wortlaut der Nummer 2197 Anlage 1 GOZ lässt sich eine derartige Absicht des Verordnungsgebers nicht in der erforderlichen eindeutigen Weise entnehmen. Insbesondere enthält die Aufzählung im Klammerzusatz des Leistungstextes, der zum Ausdruck bringen soll, für welche Werkstücke eine adhäsive Befestigung zur Anwendung kommen kann, keinen Hinweis auf das hier in Rede stehende Bracket. Äußerstenfalls kann angenommen werden, dass eine Einbeziehung von Brackets nicht ausdrücklich ausgeschlossen worden ist, weil der unspezifische Zusatz "etc." einerseits den bloß beispielhaften Charakter der Aufzählung verdeutlicht und andererseits weitere etwa einzubeziehende Werkstücke nicht im Sinne der Regelbeispieltechnik auf eine qualitative wertungsmäßige Vergleichbarkeit beschränkt.
27bb) Auch systematische Argumente sprechen nicht dafür, eine Berechenbarkeit der Leistung nach der Nummer 2197 Anlage 1 GOZ neben der Nummer 6100 Anlage 1 GOZ, deren Wortlaut keine Aussage über das Verhältnis zur Nummer 2197 Anlage 1 GOZ enthält, anzunehmen. Richtig ist zwar, dass allein die Stellung der Nummer 2197 Anlage 1 GOZ außerhalb des Abschnitts G (Kieferorthopädische Leistungen) des Gebührenverzeichnisses der Annahme einer abrechnungstechnischen Verselbstständigung im Verhältnis zu dort aufgeführten Leistungen nicht entgegensteht. Zugleich verdeutlicht aber die sich aus einem Umkehrschluss aus der Regelung in Absatz 4 der Abrechnungsbestimmungen in der Nummer 6080 Anlage 1 GOZ ergebende Berechenbarkeit der Nummern 6090 bis 6180 Anlage 1 GOZ neben den Nummern 6030 bis 6080 Anlage 1 GOZ, obwohl sie inhaltlich von diesen umfasst sind (vgl. dazu 5 C 7.19 - Rn. 28 f., zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung vorgesehen), dass dem Verordnungsgeber die Notwendigkeit einer hinreichend eindeutigen normativen Klarstellung einer Ausnahme vom Doppelberechnungsverbot bewusst war.
28cc) Schließlich entspricht es auch dem Sinn und Zweck der im Jahr 2011 eingefügten Nummer 2197 Anlage 1 GOZ nicht, sie neben der Nummer 6100 Anlage 1 für berechnungsfähig zu halten, obwohl die Anwendung der Adhäsivtechnik bereits Leistungsinhalt dieser Gebührennummer ist.
29Zwar ist zu berücksichtigen, dass die Nummer 2197 nach dem Willen des Verordnungsgebers den Mehraufwand für eine adhäsive Befestigung abgelten soll (BR-Drs. 566/11, S. 54). Sie beinhaltet ihrer Struktur nach zunächst keine Vergütung für ein bestimmtes Behandlungsziel oder eine Behandlungsmethode, sondern allenfalls einen Teilaspekt davon, nämlich die Verwendung einer bestimmten Befestigungstechnik. Dem entspricht es von vornherein, dass sie nicht für sich genommen zur Abrechnung gelangt, sondern immer nur zusammen mit einer anderen Gebührennummer, die das zu befestigende Werkstück und seine Einbringung regelt (vgl. - juris Rn. 55). Insofern handelt es sich bei ihr um eine Art unselbstständiger Zusatzvergütung, die für ein bestimmtes zahnärztliches Vorgehen mit einem höheren Aufwand (allein) im Zusammenhang mit einer anderen Leistung als der nach Nummer 2197 Anlage 1 GOZ gewährt werden soll. Der Mehraufwand, der dem Verordnungsgeber erkennbar insoweit vor Augen stand, ist der Mehraufwand, der bei der Erbringung der (anderen) zahnärztlichen Leistung in Bezug auf die Befestigung mit Adhäsivtechnik im Vergleich zu einer alternativen Leistung, nämlich einer Erbringung ohne Befestigung in Adhäsivtechnik entsteht. Er differenziert dabei auch nicht zwischen der Dentin-Adhäsivtechnik einerseits und der Schmelz-Adhäsivtechnik andererseits (vgl. BR-Drs. 566/11, S. 54).
30Gleichwohl ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Verordnungsgeber einen solchen Mehraufwand für die Anwendung der Adhäsivtechnik auch in den Fällen über den Ansatz der Nummer 2197 Anlage 1 GOZ für berechnungsfähig gehalten hat, in denen die Adhäsivtechnik - wie hier im Fall der Nummer 6100 Anlage 1 GOZ - als methodische Variation bereits in die Leistungsbeschreibung eines anderen Gebührentatbestandes aufgenommen worden ist. Hierfür gibt insbesondere die Verordnungsbegründung keinen Hinweis.
313. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2021:050321U5C11.19.0
Fundstelle(n):
PAAAH-82787