BGH Beschluss v. - 6 StR 404/20

Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge: Doppelverwertungsverbot; Absehen von der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bei fehlendem Therapiewillen

Gesetze: § 46 Abs 3 StGB, § 64 StGB, § 29a BtMG

Instanzenzug: LG Neuruppin Az: 11 KLs 5/20

Gründe

1Das Landgericht hat die Angeklagte - unter Freispruch im Übrigen - wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Ihre hiergegen gerichtete, auf materiell- und verfahrensrechtliche Beanstandungen gestützte Revision hat im Umfang der Beschlussformel Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

21. Der Strafausspruch hat keinen Bestand.

3a) Das Landgericht hat im Rahmen der Verneinung der Voraussetzungen des § 29a Abs. 2 StGB auch in den Fällen nur geringfügiger Überschreitung des Grenzwerts der nicht geringen Menge von Betäubungsmitteln neben anderen Zumessungserwägungen zu Lasten der Angeklagten die „hochgradige Selbstverständlichkeit“ gewertet, „mit der sie sich darauf eingelassen hat, zur Verbesserung ihrer eigenen wirtschaftlichen Situation - und damit letztlich gewerbsmäßig - mit Betäubungsmitteln zu handeln und dabei eine Vielzahl von Endverbrauchern zu beliefern“ (UA S. 23).

4b) Diese Erwägungen begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Mit der Absicht einer Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation hat das Landgericht zu Lasten der Angeklagten einen Umstand in die Strafzumessung eingestellt, dessen Berücksichtigung gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB verstößt. Denn das Handeltreiben im Sinne des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG setzt stets voraus, dass der Täter nach Gewinn strebt oder sich irgendeinen anderen persönlichen Vorteil verspricht (vgl. BGH, Beschlüsse vom - GSSt 1/05, BGHSt 50, 252, 256; vom - 3 StR 503/88, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 15 mwN; vom - 3 StR 294/09, NStZ-RR 2010, 24, 25). Auch die strafschärfende Berücksichtigung der „hochgradigen Selbstverständlichkeit“, mit der sich die Angeklagte „auf die Taten eingelassen“ hat, stellt einen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot dar (vgl. mwN). Denn damit hat das Landgericht der Angeklagten letztlich straferschwerend zur Last gelegt, die abgeurteilten Taten überhaupt begangen zu haben (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 543/15 Rn. 2; vom - 3 StR 81/17 Rn. 5, StV 2018, 487).

5c) Der Senat vermag nicht sicher auszuschließen, dass das Landgericht ohne die fehlerhaften Erwägungen auf niedrigere Einzelstrafen und eine mildere Gesamtstrafe erkannt hätte, und hebt daher den gesamten Strafausspruch auf. Die von dem Wertungsfehler nicht berührten Feststellungen können bestehen bleiben und um ihnen nicht widersprechende ergänzt werden.

62. Zudem ist die Begründung, mit der das Landgericht von der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abgesehen hat, in mehrfacher Hinsicht zu beanstanden.

7a) Nach den Urteilsfeststellungen konsumierte die Angeklagte seit 2014 Drogen. Bei ihr liegt ein schädlicher Gebrauch (ICD-10 F12.1), nicht ausschließbar ein Abhängigkeitssyndrom von Cannabis (ICD-10 F12.2), außerdem ein schädlicher Gebrauch von anderen Stimulantien (ICD-10 F15.1) vor. Ohne Begründung hat die Strafkammer gleichwohl „nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen“ einen Hang der Angeklagten im Sinne des § 64 StGB für fraglich gehalten (UA S. 27). Der Senat kann demgemäß nicht ausschließen, dass sie ihrer Maßregelentscheidung bereits einen zu engen Begriff des Hangs und damit einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt hat (vgl. , StV 2019, 261 mwN).

8b) Die Strafkammer hat sich im Folgenden der Bewertung des Sachverständigen angeschlossen, es bestehe eine „unterdurchschnittliche Wahrscheinlichkeit“, dass die Angeklagte infolge eines (möglichen) Hanges künftig erhebliche rechtswidrige Taten begehen werde. In unaufgelöstem Widerspruch hierzu stehen jedoch die Ausführungen des Sachverständigen, „dass unter den bei der Angeklagten festzustellenden Risikofaktoren für eine erneute Straffälligkeit ihr Betäubungsmittelkonsum eine herausragende Rolle einnehme, und dass bei Fortsetzung dieses Betäubungsmittelkonsums und bei Unvermögen der Angeklagten, ihn auf legale Weise zu finanzieren, eine höhere Rückfallwahrscheinlichkeit anzunehmen sei“ (UA S. 27).

9c) Schließlich hat die Strafkammer entscheidend darauf abgestellt, dass die Angeklagte selbst erklärt habe, „zwar gegen eine Therapie keine Einwände zu haben und sie auch auf jeden Fall machen zu wollen, jedoch selbst entscheiden zu wollen, wo und wie dies geschehe“. Die dem zu entnehmende Ablehnung der Angeklagten gegenüber einer ihr zwangsweise verordneten Therapie spreche deutlich gegen die Erfolgsaussicht einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt.

10Indes hindert fehlender Therapiewille, zumal wenn er sich allein auf eine „zwangsweise verordnete Therapie“ richtet, die Unterbringung nach § 64 StGB grundsätzlich nicht, auch wenn er ein gegen die Erfolgsaussicht der Entwöhnungsbehandlung sprechendes Indiz sein kann. Ob der Mangel an Bereitschaft, sich in einer Entziehungsanstalt behandeln zu lassen, den Schluss auf das Fehlen einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht der Maßregel rechtfertigt, lässt sich nur aufgrund einer - vom Landgericht nicht vorgenommenen - Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgeblichen Umstände beurteilen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 502/09 Rn. 5; vom - 5 StR 413/09, NStZ-RR 2010, 42, 43; vom - 2 StR 172/19, NStZ-RR 2020, 71, 73).

11d) Das Landgericht wird daher über die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt neu zu entscheiden und als Grundlage hierfür neue Feststellungen zu treffen haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:090321B6STR404.20.0

Fundstelle(n):
TAAAH-82268