BGH Urteil v. - VI ZR 167/20

Deliktische Haftung eines Automobilherstellers in einem sog. Dieselfall: Feststellung des Annahmeverzugs

Leitsatz

Zum Umfang der Haftung eines Automobilherstellers nach §§ 826, 31 BGB gegenüber dem Käufer des Fahrzeugs in einem sogenannten Dieselfall (hier: Feststellung des Annahmeverzugs).

Gesetze: § 31 BGB, § 249 BGB, §§ 249ff BGB, § 293 BGB, § 826 BGB, Art 3 Nr 10 EGV 715/2007, Art 5 Abs 1 EGV 715/2007, § 6 EG-FGV, § 27 EG-FGV

Instanzenzug: Az: 9 U 131/19vorgehend LG Itzehoe Az: 6 O 440/18

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Anspruch.

2Der Kläger erwarb am von einem Autohaus einen VW Tiguan als Neufahrzeug zum Kaufpreis von 30.817,01 €. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA189 der Schadstoffklasse Euro 5 ausgestattet. Zum Zeitpunkt des Erwerbs enthielt dieser eine Steuerungssoftware, die erkannte, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand den Neuen Europäischen Fahrzyklus durchlief oder sich im normalen Fahrbetrieb befand. Im Prüfstandsbetrieb bewirkte die Software eine im Vergleich zum Normalbetrieb erhöhte Abgasrückführungsrate, wodurch die Grenzwerte für Stickoxidemissionen der Abgasnorm Euro 5 auf dem Prüfstand eingehalten werden konnten.

3Mit anwaltlichem Schreiben forderte der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung bis zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs auf.

4Mit seiner Klage macht der Kläger Schadensersatz in Höhe von 30.817,01 € nebst Verzugszinsen seit dem abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs und Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Schäden, die Zahlung von Deliktszinsen in Höhe von 4 % aus dem Kaufpreis für die Zeit vom bis zum und Zahlung von Rechtsanwaltskosten geltend.

5Das Landgericht hat unter Abweisung der Klage im Übrigen die Beklagte zur Zahlung von 20.704,20 € nebst Verzugszinsen seit dem Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs sowie zur Zahlung von Deliktszinsen in Höhe von 4 % aus dem Kaufpreis verurteilt und den Annahmeverzug festgestellt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung das Urteil des Landgerichts teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 17.920,96 € nebst Verzugszinsen seit dem Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs sowie Deliktszinsen in Höhe von 4 % aus dem Kaufpreis vom bis zum zu zahlen sowie den Annahmeverzug seit dem festgestellt.

6Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte das Ziel der Klageabweisung aus den Vorinstanzen weiter, soweit das Berufungsgericht den Annahmeverzug seit dem festgestellt hat. Soweit die Revision weiter geltend gemacht hat, dass das Berufungsgericht die Beklagte zu Unrecht verurteilt habe, Deliktszinsen aus dem Kaufpreis vom bis zum zu zahlen, hat der Kläger seine Klage in der Revisionsinstanz mit Zustimmung der Beklagten zurückgenommen.

Gründe

I.

7Das Berufungsgericht, dessen Urteil unter BeckRS 2020, 7415 veröffentlicht ist, hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse - im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

8Die Beklagte befinde sich hinsichtlich der Rücknahme des Fahrzeugs seit dem in Annahmeverzug. Der Kläger habe mit anwaltlichem Schreiben vom die Beklagte zur Zahlung von Schadensersatz Zug um Zug gegen Rücknahme des Fahrzeugs aufgefordert. Dahingestellt bleiben könne, ob es sich bei der Schadensersatzforderung in Höhe des vollen Kaufpreises von 30.817,01 € um eine Zuvielforderung handele. Zwar führe eine Zuvielforderung des Schuldners grundsätzlich nicht zum Annahmeverzug. Anderes gelte jedoch dann, wenn nicht die Zuvielforderung Anlass gewesen sei, den geltend gemachten Anspruch abzulehnen, sondern der Anspruch bereits dem Grunde nach verneint werde. So liege es hier. Die Beklagte habe während des gesamten Verfahrens zum Ausdruck gebracht, der Rückgängigmachung des Kaufvertrags im Wege des Schadensersatzes nicht entsprechen zu wollen.

II.

9Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet.

101. Mit der teilweisen Klagerücknahme ist das Urteil des Berufungsgerichts, soweit die Beklagte zur Zahlung von Deliktszinsen verurteilt wurde, wirkungslos (§ 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO) und die Revision der Beklagten insoweit gegenstandslos geworden.

112. Die Revision der Beklagten ist zulässig. Sie richtet sich nach der teilweisen Klagerücknahme noch gegen die Feststellung des Annahmeverzugs. Entgegen der Ansicht des Klägers ist der Ausspruch über den Annahmeverzug von der Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht umfasst.

12a) Enthält die Entscheidungsformel des Berufungsurteils - wie im Streitfall - keine Beschränkung der Revisionszulassung, ist dennoch von einer beschränkten Revisionszulassung auszugehen, wenn sich dies aus den Gründen des Urteils klar ergibt. Das ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn sich die vom Berufungsgericht als zulassungsrelevant angesehene Frage nur für einen eindeutig abgrenzbaren selbständigen Teil des Streitstoffs stellt, der Gegenstand eines Teilurteils oder eines eingeschränkt eingelegten Rechtsmittels sein kann (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 445/19, juris Rn. 11; , NJW 2020, 3258 Rn. 9 mwN).

13b) Das Berufungsgericht führt zur Begründung der Zulassung der Revision aus, andere Oberlandesgerichte hätten in vergleichbar gelagerten Fällen einen Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB bejaht; ein Oberlandesgericht hingegen habe einen solchen Schadensersatzanspruch dem Grunde nach verneint. Da die Entscheidung über den Annahmeverzug jedoch nur ein rechtlich unselbständiges Element der Hauptleistungsverpflichtung und damit - auch - von dieser abhängig ist, ist sie von der insoweit ausgesprochenen Zulassung der Revision erfasst (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 449/20, NJW-RR 2021, 316 Rn. 6 mwN).

143. Die Revision der Beklagten ist begründet. Der Ausspruch des Berufungsgerichts, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs seit dem in Annahmeverzug befinde, hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

15Der Kläger hat sein Angebot auf Rückgabe des Fahrzeugs in dem für die Feststellung des Annahmeverzugs maßgeblichen Zeitpunkt, dem Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz, an die unberechtigte Bedingung der Erstattung des Kaufpreises ohne (ausreichende) Berücksichtigung von Nutzungsvorteilen geknüpft (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 85). In der Klageschrift hat sich der Kläger in der Sache gegen die Abzugsfähigkeit von Nutzungsvorteilen gewandt und dies mit dem Unionsrecht begründet. In der Berufungserwiderung hat der Kläger vollumfänglich auf seinen erstinstanzlichen Vortrag verwiesen und sich in Verbindung mit seinem Antrag auf Zurückweisung der Berufung damit aus unionsrechtlichen Gründen gegen einen über das landgerichtliche Urteil hinausgehenden Abzug von Nutzungsvorteilen gewandt (siehe dazu auch BU 17). Er hat damit nicht unerheblich mehr verlangt, als ihm zustand. Dass die Beklagte den Anspruch dem Grunde nach verneint hat, führt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht dazu, dass die Zuvielforderung rechtlich unerheblich und die Beklagte in Annahmeverzug geraten wäre.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:180521UVIZR167.20.0

Fundstelle(n):
NJW-RR 2021 S. 1387 Nr. 21
WM 2021 S. 1297 Nr. 26
IAAAH-81748