Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Fehlen von Entscheidungsgründen - zulässige Bezugnahme auf die Gründe des angefochtenen Urteils - Änderung der prozessualen Beurteilungssituation - neue rechtserhebliche Tatsachen - keine geänderte Prozesslage durch späteren Arztbrief bei Anfechtungsklage
Gesetze: § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG, § 54 Abs 1 S 1 Alt 1 SGG, § 62 SGG, § 136 Abs 1 Nr 6 SGG, § 153 Abs 2 SGG, Art 103 Abs 1 GG
Instanzenzug: SG Landshut Az: S 3 SB 49/18 Urteilvorgehend Bayerisches Landessozialgericht Az: L 2 SB 133/19 Urteil
Gründe
1I. Der Kläger wendet sich in der Hauptsache gegen die Herabsetzung seines mit Bescheid vom mit 50 festgestellten Grades der Behinderung (GdB) auf 30 (Bescheid des Beklagten vom in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom ). Die hiergegen erhobene Anfechtungsklage hat das SG nach Einholung von Befundberichten der behandelnden Ärzte und Sachverständigengutachten abgewiesen. Zum hier allein maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids vom könne kein höherer GdB als 30 festgestellt werden (Urteil vom ). Das LSG hat die Berufung des Klägers als unbegründet zurückgewiesen und auf die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung Bezug genommen, die es sich vollumfänglich zu eigen gemacht hat (Urteil vom ).
2Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er macht als Verfahrensmängel geltend, das LSG-Urteil sei nicht mit Gründen versehen und verletze seinen Anspruch auf rechtliches Gehör.
3II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil die behaupteten Verfahrensmängel nicht ordnungsgemäß bezeichnet worden sind (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
4Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung dieses Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst substantiiert die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen dargetan werden.
5Daran fehlt es hier. Der Kläger hat den behaupteten Verstoß gegen § 136 Abs 1 Nr 6 SGG iVm § 153 Abs 2 SGG und damit auch eine Verletzung seines rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) nicht hinreichend substantiiert dargetan.
6Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG zu § 136 Abs 1 Nr 6 SGG (zB - juris RdNr 10 mwN) müssen die Entscheidungsgründe im Regelfall zu allen entscheidungserheblichen Streitpunkten die Erwägungen, die zum Urteilsausspruch des Gerichts geführt haben, enthalten. Zum Mindestinhalt eines Urteils, der durch eine Bezugnahme auf vorinstanzliche Entscheidungen, Akten ua Unterlagen nicht ersetzt werden kann, gehört danach grundsätzlich die Angabe der angewandten Rechtsnormen und der für erfüllt bzw nicht gegeben erachteten Tatbestandsmerkmale sowie der ausschlaggebenden tatsächlichen und rechtlichen Gründe.
7Wie der Kläger indes nicht ausreichend berücksichtigt, gelten diese Begründungsanforderungen nicht im geschilderten Umfang, wenn das LSG rechtsfehlerfrei von der in § 153 Abs 2 SGG vorgesehenen Verweisungsmöglichkeit Gebrauch macht. Die Vorschrift soll dem Berufungsgericht "überflüssige Formulierungs- und Schreibarbeit" ersparen, wenn und soweit das LSG die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils zurückweist, die die Beteiligten bereits kennen (vgl - juris RdNr 11 mwN).
8Es steht im freien Ermessen des LSG, ob es gemäß § 153 Abs 2 SGG verfährt. Das Berufungsgericht kann auf diese Vorschrift stets dann zurückgreifen, wenn das Urteil des SG ausreichende Entscheidungsgründe iS des § 136 Abs 1 Nr 6 SGG enthält und es lediglich aus diesen Gründen die Berufung zurückweisen will. Dann vermeidet es, dem Normzweck der Vorschriften entsprechend, die Argumente der Vorinstanz schlicht zu wiederholen ( - juris RdNr 12).
9Nur wenn ein Beteiligter im Berufungsverfahren neue rechtserhebliche Tatsachen oder substantiierte Einwendungen gegen die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe vorgebracht oder entsprechende Beweisanträge gestellt hat, muss sich das LSG in jedem dieser Fälle damit auseinandersetzen (vgl - juris RdNr 13). In solchen Fällen genügt eine bloße Bezugnahme gemäß § 153 Abs 2 SGG nicht. Sie würde neues rechtserhebliches Vorbringen übergehen und damit das rechtliche Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) des betreffenden Beteiligten verletzen (Senatsurteil vom - B 9 VG 7/98 R - juris RdNr 16; aaO).
10Der Kläger behauptet nicht, das SG-Urteil enthalte keine ausreichenden Gründe. Ebenso wenig trägt er substantiiert vor, welche rechtserheblichen neuen Tatsachen oder stichhaltigen Einwendungen er mit der Berufung vorgebracht hat, auf die das LSG zwingend hätte eingehen müssen. Der Kläger verweist zwar auf einen im Berufungsverfahren vorgelegten Arztbrief vom . Er setzt sich jedoch nicht mit der prozessualen Beurteilungssituation bei der hier erhobenen isolierten (reinen) Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 Alt 1 SGG) auseinander. Maßgebender Beurteilungszeitraum der Rechtmäßigkeit der GdB-Herabsetzung ist hier - worauf auch bereits die Vorinstanzen zutreffend hingewiesen haben - die Sach- und Rechtslage bei der letzten Verwaltungsentscheidung, vorliegend also die Sach- und Rechtslage beim Erlass des Widerspruchsbescheids vom (vgl Senatsurteil vom - 9 RVs 15/96 - BSGE 81, 50, 52 = SozR 3-3870 § 3 Nr 7 S 14 = juris RdNr 11; Senatsurteil vom - 9 RVs 5/95 - BSGE 79, 223, 225 ff = SozR 3-1300 § 48 Nr 57 S 126, 129 ff = juris RdNr 14 ff). Der Kläger zeigt aber nicht auf, aus welchem Grund hierfür die im Arztbrief vom beschriebene Operation rechtlich relevant sein sollte. Soweit er mit der vom SG vorgenommenen Auswertung der Sachverständigengutachten, die sich das LSG zu eigen gemacht hat, nicht einverstanden ist, wendet er sich gegen die Beweiswürdigung der Vorinstanzen nach Maßgabe des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG, die § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG indes der Beurteilung durch das BSG als Beschwerdegericht entzieht.
11Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 SGG).
12Die Kostenentscheidung ergibt sich aus der entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2021:110521BB9SB6520B0
Fundstelle(n):
VAAAH-81359