Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus im Sicherungsverfahren: Anforderungen an die Begründung der Gefährlichkeitsprognose; Voraussetzungen für eine Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben beim Raub
Gesetze: § 261 StPO, § 267 StPO, § 63 StGB, § 249 Abs 1 StGB
Instanzenzug: Az: 537 KLs 22/19
Gründe
1Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus sowie die Einziehung des Wertes des Tatertrages in Höhe von 2.435 Euro angeordnet. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Beschuldigten hat weitgehend Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
I.
2Das Landgericht hat im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
3Der Beschuldigte leidet seit über 30 Jahren an einer mittlerweile chronifizierten paranoiden Schizophrenie (ICD-10: F20.0) mit Angstzuständen, Körperhalluzinationen und wahnhaftem Verfolgungserleben, das im Kontakt mit anderen Menschen besonders ausgeprägt auftritt. Ausdruck der ständigen Beschäftigung mit dem psychotischen Binnenerleben sind unverständliche Selbstgespräche.
4Als Folge seines Wahnerlebens schlug der Beschuldigte am in seinem Wohnheim in Berlin einem Mitbewohner ohne Vorwarnung ein leeres Bierglas gegen die Stirn. Dieser erlitt dadurch eine schmerzhafte, stark blutende Platzwunde, die ambulant behandelt werden musste.
5Am frühen Morgen des hielt sich der Beschuldigte in einem Berliner Café auf und führte Selbstgespräche. Als eine Mitarbeiterin des Lokals hinter dem Tresen Geld aus einem Umschlag sortierte, trat er unvermittelt von hinten an sie heran, hob kurz die rechte Hand über den Kopf und forderte sie auf, ihm das Geld zu geben und die Kasse zu öffnen. Dem kam die Geschädigte aus Angst vor dem ihr aus früheren Besuchen des Lokals bekannten Beschuldigten nach. Dieser entwendete insgesamt 2.435 Euro und verließ das Café. Im Verlauf des Geschehens hatte er der Kellnerin zudem damit gedroht, sie umzubringen.
6Das Landgericht hat die erste Tat als gefährliche Körperverletzung und die zweite als Diebstahl in Tateinheit mit Bedrohung gewertet. Als erheblich im Sinne des § 63 Satz 1 StGB hat es die beiden Taten nicht eingeordnet, weil sie „für sich genommen nicht besonders schwerwiegend“ gewesen seien.
7Die sachverständig beratene Strafkammer ist letztlich davon ausgegangen, dass der Beschuldigte bei keiner der Taten in der Lage gewesen sei, seiner Unrechtseinsicht entsprechend zu handeln.
II.
8Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hat keinen Bestand, da die Gefährlichkeitsprognose nicht tragfähig begründet ist.
91. Die für die Anordnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB erforderliche Wahrscheinlichkeit höheren Grades, der Täter werde infolge seines fortdauernden psychischen Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, ist aufgrund einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 556/19; vom ‒ 2 StR 239/15; vom ‒ 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306 f. und vom ‒ 1 StR 445/16, StV 2017, 585 mwN). Bei der insofern vorzunehmenden Gesamtwürdigung des Täters und der Symptomtat sind etwaige Vortaten von besonderer Bedeutung (BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 556/19 mwN). Dabei darf das Gericht im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose Schlüsse aus anhängig gewesenen Verfahren nur dann ziehen, wenn es die diesen Verfahren zugrundeliegenden Taten für erwiesen hält; dies muss nachprüfbar dargelegt werden (BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 556/19, und vom – 4 StR 632/19).
102. Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht.
11Die Prognose, dass der Beschuldigte aufgrund seiner Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis für die Allgemeinheit gefährlich ist, hat das Landgericht nicht allein mit den Anlasstaten begründet, sondern auch zahlreiche „Gewaltausbrüche“ des Beschuldigten in den Jahren 2013 bis 2019 herangezogen. Insoweit erscheint es angesichts von Formulierungen wie „der Beschuldigte habe … getreten“ oder „schlug laut Strafanzeige“ indes schon zweifelhaft, ob die Strafkammer die betreffenden Taten überhaupt für erwiesen erachtet hat. Jedenfalls aber hat sie ihre Überzeugung von der Täterschaft des Beschuldigten nicht nachprüfbar dargelegt. Denn sie hat sich lediglich auf die in der Hauptverhandlung verlesenen Strafanzeigen und Einstellungsverfügungen sowie den Inhalt einer beigezogenen Akte gestützt. Ob und gegebenenfalls mit welchem Inhalt sich der Beschuldigte konkret zu den Vorfällen eingelassen hat, lassen die Urteilsgründe indes nicht erkennen (vgl. hierzu ; NStZ 2015, 299, 300).
12Soweit das Landgericht im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose eine im Jahr 2001 angeordnete Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus herangezogen hat, leidet das Urteil ebenfalls an einem Erörterungsmangel. Denn die Urteilsgründe lassen jegliche inhaltliche Auseinandersetzung mit den damals gegenständlichen Taten und deren krankheitsbedingte Ursache vermissen (vgl. zur indiziellen Bedeutung länger zurückliegender Straftaten ).
133. Die bislang unzureichend begründete Gefahrenprognose nötigt zur Aufhebung der Entscheidung einschließlich des überwiegenden Teils der Feststellungen. Jedoch sind die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen rechtsfehlerfrei getroffen und können deshalb bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).
144. Der Senat weist auf Folgendes hin:
15Die bisherige Einordnung der Anlasstaten als solche im Sinne von § 63 Satz 2 StGB ist nicht tragfähig begründet.
16a) Gewalt- und Aggressionsdelikte wie die hier verwirklichte gefährliche Körperverletzung mit der Folge einer stark blutenden Platzwunde im Gesicht des Opfers sind regelmäßig als erheblich im Sinne des § 63 Satz 1 StGB anzusehen (vgl. ; Beschluss vom – 3 StR 268/10).
17b) Bezüglich der zweiten Tat liegt es angesichts der „Gewaltausbrüche“ des Beschuldigten, die sich insbesondere in Schlägen gegen den Kopf wahlloser Geschädigter widerspiegeln und teilweise zu schweren Verletzungen geführt haben, nahe, dass er mit dem Erheben der Hand über seinen Kopf der geschädigten Kellnerin konkludent mit einem erheblichen Angriff auf ihre körperliche Unversehrtheit gedroht hat und die Tat deshalb als Raub bzw. räuberische Erpressung zu werten ist. Lediglich die Ankündigung einer nur ganz unwesentlichen Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit reicht für eine Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben im Sinne des § 249 Abs. 1 StGB nicht aus (vgl. , BGHSt 7, 252, 254; zur Drohung mit einer Ohrfeige vgl. , StV 2001, 679, 680 zu §§ 177, 178 aF; Vogel in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl., § 249 Rn. 14; krit. hierzu MüKo-StGB/Sander, 3. Aufl., § 249 Rn. 21; Fischer, StGB, 67. Aufl., § 177 Rn. 78).
18c) Die Einziehung nach den §§ 73 ff. StGB ist im Sicherungsverfahren nicht zulässig, da in diesem gemäß § 413 StPO nur Maßregeln der Besserung und Sicherung angeordnet werden können. Eine Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen (§§ 73, 73c StGB) ist in diesen Fällen nur im selbständigen Einziehungsverfahren gemäß § 435 Abs. 1 StPO zulässig; dazu bedarf es eines gesonderten Antrags der Staatsanwaltschaft (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 109/19; vom – 5 StR 70/17; und vom – 3 StR 558/17, NStZ 2018, 559 mwN).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:180820B5STR318.20.0
Fundstelle(n):
QAAAH-75783