BVerwG Beschluss v. - 2 B 59/20

Anforderungen an die Fristenkontrolle bei fristgebundenen Schriftsätzen

Gesetze: § 132 Abs 2 Nr 3 VwGO, § 60 Abs 1 VwGO

Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: 6 A 3160/18 Beschlussvorgehend Az: 19 K 5787/16

Gründe

1Die Beschwerde ist unbegründet.

2Der mit der Beschwerde nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geltend gemachte Verfahrensfehler wegen Nichtgewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegt nicht vor. Zu Unrecht macht die Beschwerde geltend, das Oberverwaltungsgericht habe die Berufung des Beklagten nicht wegen Versäumnis der Begründungsfrist verwerfen dürfen, sondern hätte dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattgeben müssen.

3Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt ein "Verschulden" im Sinne von § 60 Abs. 1 VwGO vor, wenn diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen wird, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten ist und die ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war ( 4 C 100.66 - BVerwGE 27, 36 <37 f.>; Beschlüsse vom - 6 C 13.93 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 198 S. 14 f. und vom - 2 B 44.05 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 257 Rn. 2). Dabei sind an eine Behörde zwar keine strengeren, aber auch keine geringeren Anforderungen zu stellen als an einen Rechtsanwalt (BVerwG, Beschlüsse vom - 8 B 121.91 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 176 S. 48 f. und vom - 2 B 104.04 - Buchholz 310 § 67 VwGO Nr. 103 S. 11 f.). Auch das sog. Behördenprivileg bei der Vertretung in den Rechtsmittelinstanzen bezweckt keine Besserstellung der Behörde gegenüber einer anwaltlich vertretenen Privatperson.

4Diesen Grundsätzen gemäß hat der Beklagte die Versäumung der Frist für die Begründung der Berufung deswegen zu vertreten, weil er keine hinreichenden Vorkehrungen für eine wirksame Ausgangskontrolle in Fristsachen getroffen hat, die gewährleisten, dass der tatsächliche - rechtzeitige - Abgang fristwahrender Schriftsätze zweifelsfrei nachgewiesen werden kann.

5Nicht nur Rechtsanwälte, sondern auch Behörden haben ihre Büroabläufe so zu organisieren, dass, jedenfalls für fristwahrende Schriftsätze, etwa durch Führung eines Postausgangsbuches oder durch einen Vermerk im Terminkalender, eine wirksame Ausgangskontrolle durchgeführt werden kann. Dies entspricht der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 2 C 6.88 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 156 S. 12 und vom - 5 C 47.01 - FEVS 54, 390 m.w.N.; 9b RU 8/86 - BSGE 61, 213 <216 f.>; - BFHE 140, 146 <148>; - NJW 1994, 3171 f.). Die Ausgangskontrolle dient dazu, den rechtzeitigen Abgang fristwahrender Schriftsätze sicherzustellen und den Nachweis hierüber zu ermöglichen. Diesen Anforderungen genügten - auf der Grundlage der Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts - die von dem Beklagten getroffenen Vorkehrungen im Bereich seiner Poststelle nicht.

6Der Beklagte hat die notwendige Postausgangskontrolle in Fristsachen - hier bezüglich der Berufungsbegründungsfrist - weder durch ein Postausgangsbuch oder einen Terminkalender hinreichend nachvollziehbar belegt noch anderweitig glaubhaft gemacht. Die Ausführungen der beim Beklagten nach seinen Angaben allein für die Postein- und Postausgangskontrolle zuständigen Beschäftigten K. beschreiben lediglich das übliche Vorgehen in Fristsachen, ohne konkret Aussagen zum streitgegenständlichen Sachverhalt - Schriftsatz der Berufungsbegründung mit Wiedereinsetzungsantrag vom nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist am - zu treffen; an den vorliegend entscheidungserheblichen Vorgang vom - an die vermeintliche Fertigung und vor allem an die Versendung des dann erst im zweiten Anlauf am beim Oberverwaltungsgericht eingegangenen Berufungsbegründungsschriftsatzes - kann sich Frau K. nicht erinnern.

7Die vom Beklagten dagegen mit der Beschwerde erhobenen Einwendungen rechtfertigen keine abweichende Entscheidung. Die Tatsache, dass Frau K. den Ausführungen der Beschwerde zufolge die einzige Mitarbeiterin für den Postein- und Postausgang ist, kann nicht von den genannten organisatorischen Anforderungen entbinden. Die Zweifel an der hinreichenden organisatorischen Sorgfalt des Beklagten werden noch dadurch verstärkt, dass er seinem Beschwerdevortrag zufolge Wiedervorlagefristen einerseits und Rechtsmittel- sowie Begründungsfristen andererseits einheitlich in den Terminkalender eintragen lässt. Anders lässt sich jedenfalls die Äußerung in der Beschwerde - "Jede Verfügung endet mit einer Wiedervorlagefrist, wenn der Vorgang nicht 'z.d.A.' geschrieben wird." - kaum verstehen. Damit verkennt der Beklagte, dass bloße Wiedervorlageanordnungen die Notierung einer Rechtsmittelfrist - oder einer besonderen gesetzlichen Begründungsfrist - nicht ersetzen können, weil so die besondere Warnfunktion der fristgebundenen Vorlage verfehlt wird. Denn der Beklagte hat - wie ein Rechtsanwalt - durch allgemeine Anweisung dafür Sorge zu tragen, dass der Ablauf von Rechtsmittelfristen zuverlässig rechtzeitig bemerkt wird. Um dies sicherzustellen, müssen Rechtsmittelfristen in einer Weise notiert werden, die sich von gewöhnlichen Wiedervorlagen deutlich abhebt (BVerwG, Beschlüsse vom - 9 B 3209.82 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 140 S. 39 und vom - 3 B 37.95 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 202 S. 24; Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 60 Rn. 15; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 60 Rn. 20). Daran hat es vorliegend gefehlt.

8Dies zugrunde gelegt, kann es auf den weiteren Vortrag der Beschwerde, keinem der Mitarbeiter der Beklagten sei erinnerlich, dass in der Vergangenheit ein fristwahrender Schriftsatz nicht beim Adressaten angekommen sei, rechtlich nicht ankommen. Im Übrigen kommt es für fristwahrende Schriftsätze - wie den der Berufungsbegründung (§ 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO) - nicht nur darauf an, dass sie beim gesetzlich bestimmten Adressaten - hier nach § 124a Abs. 6 Satz 2 VwGO dem Oberverwaltungsgericht - (überhaupt) ankommen, sondern darauf, dass sie ihren Adressaten fristgerecht erreichen.

9Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den § 40, § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 Sätze 2 und 3 GKG.

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2021:260121B2B59.20.0

Fundstelle(n):
SAAAH-74138