Klage der Wohnungseigentümergemeinschaft gegen einzelnen oder mehrere Wohnungseigentümer: Wohnungseigentumsverwalter als Zustellungsvertreter der Beklagten
Leitsatz
§ 45 Abs. 1 WEG ist einschränkend dahingehend auszulegen, dass bei einer Klage der Wohnungseigentümergemeinschaft gegen Wohnungseigentümer der Verwalter nicht Zustellungsvertreter der Beklagten ist.
Gesetze: § 43 Nr 2 WoEigG, § 45 Abs 1 WoEigG
Instanzenzug: LG Bamberg Az: 41 S 32/19 WEG Urteilvorgehend AG Aschaffenburg Az: 127 C 191 WEG
Tatbestand
1Die Klägerin, eine Wohnungseigentümergemeinschaft, nimmt die beklagte Wohnungseigentümerin auf Zahlung rückständiger Hausgelder in Anspruch. In der Klage war als Adresse der Beklagten deren Ferienwohnung auf Malta, in der sie sich zum Zeitpunkt der Zustellung der Klage aufhalten wollte, angegeben und die Verwalterin als Zustellungsvertreterin gemäß § 45 Abs. 1 WEG benannt. Das Amtsgericht hat die Klage der Verwalterin zugestellt. Nach Ablauf der Notfrist zur Verteidigungsanzeige hat es mit Versäumnisurteil der Klage stattgegeben und das Urteil wiederum der Verwalterin zugestellt. Rund drei Monate später hat die Beklagte Einspruch eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist mit der Begründung beantragt, dass ihr weder die Klage noch das Urteil zugestellt worden sei und sie Kenntnis von dem Verfahren erst durch die eingeleiteten Vollstreckungsmaßnahmen erlangt habe. Das Amtsgericht hat den Einspruch durch Urteil als unzulässig verworfen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht die Urteile des Amtsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen. Dagegen richtet sich die von dem Landgericht zugelassene Revision der Klägerin, mit der sie die Wiederherstellung der amtsgerichtlichen Urteile erreichen will. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Gründe
I.
2Nach Ansicht des Berufungsgerichts, dessen Entscheidung in ZWE 2020, 203 veröffentlicht ist, handelt es sich bei den Urteilen des Amtsgerichts um Scheinurteile, deren Nichtexistenz klarzustellen sei. Das erstinstanzliche Verfahren sei mangels wirksamer Zustellung der Klage nicht rechtshängig geworden. Die Verwalterin sei nicht Zustellungsvertreterin der Beklagten. § 45 Abs. 1 WEG erfasse nicht Konstellationen, in denen an einen einzelnen Wohnungseigentümer als Beklagten zuzustellen sei. Dieses Ergebnis sei im Wortlaut der Norm durch die Verwendung des Plurals „Wohnungseigentümer“ angelegt, ergebe sich aber auch aus dem Ausnahmecharakter der Vorschrift. Der allgemeinen Systematik des Zivilprozessrechts sei das Prinzip der persönlichen Zustellung zu entnehmen, das der Absicherung des Anspruchs auf rechtliches Gehör diene. Hiervon mache § 45 Abs. 1 WEG aufgrund der Besonderheiten des Wohnungseigentumsrechts eine Ausnahme, weil es prozessuale Situationen gebe, in denen ein Wohnungseigentümer zur Durchsetzung seiner Rechte auf die Klageerhebung gegen die übrigen Wohnungseigentümer verwiesen werde und dadurch das Bedürfnis für eine erleichterte Zustellung entstehe. Diese prozessuale Besonderheit fehle bei einer Klage gegen einen einzelnen Wohnungseigentümer. Auch Sinn und Zweck der Norm, den mit der Vielzahl an Zustellungen verbundenen Aufwand für das Gericht und die zu Lasten der Wohnungseigentümergemeinschaft entstehenden Kosten gering zu halten, machten deutlich, dass der Fall eines einzelnen Wohnungseigentümers auf Beklagtenseite von § 45 Abs. 1 WEG nicht erfasst sei.
II.
3Das hält rechtlicher Nachprüfung stand. Zutreffend kommt das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, dass die Urteile des Amtsgerichts außerhalb eines rechtshängigen Verfahrens ergangen und daher wirkungslos sind.
41. Rechtsfehlerfrei nimmt das Berufungsgericht an, dass die Klage der Wohnungseigentümergemeinschaft gegen die Beklagte nicht wirksam der Verwalterin zugestellt werden konnte, da diese nicht Zustellungsvertreterin der beklagten Wohnungseigentümerin gemäß § 45 Abs. 1 WEG ist.
5a) Nach § 45 Abs. 1 WEG ist der Verwalter Zustellungsvertreter der Wohnungseigentümer, wenn diese Beklagte oder gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 WEG beizuladen sind, es sei denn, dass er als Gegner der Wohnungseigentümer an dem Verfahren beteiligt ist oder aufgrund des Streitgegenstandes die Gefahr besteht, der Verwalter werde die Wohnungseigentümer nicht sachgerecht unterrichten. Ob der Anwendungsbereich von § 45 Abs. 1 WEG eröffnet ist, wenn - wie hier - die Wohnungseigentümergemeinschaft gegen einen Wohnungseigentümer klagt, wird unterschiedlich beurteilt. Teilweise wird die Norm auf sämtliche Verfahren nach § 43 WEG angewandt, in denen auf Beklagtenseite ein Wohnungseigentümer steht, mithin auch auf Streitigkeiten nach § 43 Nr. 2 WEG zwischen dem Verband als Kläger und einem oder mehreren Wohnungseigentümern als Beklagte (Bärmann/Roth, WEG, 14. Aufl., § 45 Rn. 3; MüKoBGB/Engelhardt, 8. Aufl., § 45 WEG Rn. 2; Müller in Hügel/Scheel, Rechtshandbuch Wohnungseigentum, 4. Aufl., § 17 Rn. 98); dies wird teilweise mit dem Berufungsgericht dahingehend eingeschränkt, dass § 45 Abs. 1 WEG dann nicht eingreift, wenn nur ein einzelner Wohnungseigentümer verklagt wird (BeckOK BGB/Scheel [], WEG § 45 Rn. 3). Nach anderer Ansicht ist § 45 Abs. 1 WEG nur anwendbar, wenn aufgrund gesetzlicher Besonderheiten die Klage notwendigerweise gegen alle (übrigen) Wohnungseigentümer zu richten ist (Staudinger/Lehmann-Richter, BGB [2018], § 45 WEG Rn. 13; vgl. auch BeckOK WEG/Elzer [], § 45 Rn. 26). Nach dieser Auffassung ist in einem Verfahren des Verbandes gegen Wohnungseigentümer der Verwalter nicht Zustellungsbevollmächtigter der beklagten Wohnungseigentümer.
6b) Richtigerweise ist § 45 Abs. 1 WEG einschränkend dahingehend auszulegen, dass bei einer Klage der Wohnungseigentümergemeinschaft gegen Wohnungseigentümer der Verwalter nicht Zustellungsvertreter der Beklagten ist. Maßgeblich ist nicht - wie das Berufungsgericht meint - die Zahl der beklagten Wohnungseigentümer, sondern die Art des Verfahrens. Klagt die Wohnungseigentümergemeinschaft gegen einzelne oder mehrere Wohnungseigentümer (§ 43 Nr. 2 WEG) ist § 45 Abs. 1 WEG nach seiner Entstehungsgeschichte und seinem Sinn und Zweck nicht anwendbar.
7aa) Der Wortlaut der Norm, wonach der Verwalter Zustellungsvertreter der beklagten Wohnungseigentümer ist, lässt allerdings keine eindeutigen Rückschlüsse zu. Er schließt auch Klagen der Wohnungseigentümergemeinschaft gegen ihre Mitglieder ein.
8bb) Aus der Entstehungsgeschichte der Norm wird aber deutlich, dass der Fall, in dem (einzelne oder mehrere) Wohnungseigentümer von der Wohnungseigentümergemeinschaft verklagt werden, von § 45 Abs. 1 WEG nicht erfasst wird. Nach der Begründung zum Gesetzentwurf „stellt“ die Regelung „klar“, dass auch bei gerichtlichen Auseinandersetzungen der Wohnungseigentümer untereinander und damit nicht nur in Verfahren, in denen aufgrund der Klage eines außenstehenden Dritten alle Wohnungseigentümer verklagt sind, der Verwalter grundsätzlich Zustellungsvertreter der beklagten Wohnungseigentümer ist (vgl. BT-Drucks., 16/887, S. 36). Dabei hatte der Gesetzgeber den Fall vor Augen, dass ein oder mehrere Wohnungseigentümer gegen die übrigen Wohnungseigentümer gerichtlich vorgehen (vgl. BT-Drucks., 16/887, S. 37), was insbesondere auf die Anfechtungsklage oder Beschlussersetzungsklage zutrifft. Für eine solche Konstellation, in der die Zustellung der Klage nicht an „alle“, sondern nur an „die übrigen“ Wohnungseigentümer zu erfolgen hat, war in der Rechtsprechung § 27 Abs. 2 Nr. 3 WEG aF (= § 27 Abs. 2 Nr. 1 WEG in der bis zum geltenden Fassung) entsprechend angewendet und eine Zustellung an den Verwalter als Zustellungsvertreter der beklagten übrigen Wohnungseigentümer als zulässig erachtet worden (vgl. nur Senat, Beschluss vom - V ZB 21/03, BGHZ 156, 192 Rn. 10 mwN; Urteil vom - V ZR 202/16, NJW-RR 2018, 970 Rn. 23). Die Regelung in § 45 Abs. 1 WEG hat ausdrücklich nur die klarstellende Funktion, dass auch in (solchen) Streitigkeiten der Wohnungseigentümer untereinander der Verwalter grundsätzlich Zustellungsvertreter der beklagten Wohnungseigentümer ist (vgl. BT-Drucks. 16/887, S. 36). Für die Annahme, dass der Gesetzgeber über diese gesetzliche Klarstellung hinaus die Befugnisse des Verwalters erweitern wollte und dieser auch dann Zustellungsvertreter der Beklagten sein sollte, wenn es sich um eine Klage der Wohnungseigentümergemeinschaft gegen Wohnungseigentümer handelt, bietet die Gesetzesbegründung dagegen keine Anhaltspunkte.
9cc) Auch Sinn und Zweck von § 45 Abs. 1 WEG sprechen gegen die Annahme, dass die Norm Klagen der Wohnungseigentümergemeinschaft gegen Wohnungseigentümer erfasst. Mit der grundsätzlichen Zustellungsbevollmächtigung des Verwalters für die Wohnungseigentümer wollte der Gesetzgeber den mit Zustellungen verbundenen Aufwand für das Gericht und auch die zu Lasten der Wohnungseigentümergemeinschaft entstehenden Kosten geringhalten (BT-Drucks. 16/887, S. 37; Senat, Urteil vom - V ZR 170/11, NJW 2012, 2040 Rn. 8). Grundsätzlich erfordern Klagen von Wohnungseigentümern untereinander angesichts der Vielzahl der Beklagten einen höheren Zustellungsaufwand, so dass eine Bündelung der Zustellung zur Vereinfachung des Rechtsverkehrs mit den beklagten Wohnungseigentümern regelmäßig sachgerecht ist (vgl. BT-Drucks. 16/887, S. 37). Eine Klage der Wohnungseigentümergemeinschaft gegen Wohnungseigentümer erfordert hingegen regelmäßig keinen vergleichbaren Zustellungsaufwand, da sich eine solche Klage nicht gegen die übrigen Wohnungseigentümer, sondern nur gegen einzelne oder mehrere Wohnungseigentümer richtet. Ein sachlicher Grund, die Zustellungsstücke nicht an die eigentlichen Adressaten, sondern an einen Zustellungsvertreter zuzustellen, besteht in solchen Fällen nicht.
10dd) Dass der Verwalter bei Klagen der Wohnungseigentümergemeinschaft gegen Wohnungseigentümer nicht Zustellungsvertreter der beklagten Wohnungseigentümer ist, macht auch die Regelung in § 45 Abs. 1 Hs. 3 WEG deutlich. Danach kann der Verwalter nicht Zustellungsvertreter der beklagten Wohnungseigentümer sein, wenn er als Gegner der Wohnungseigentümer an dem Verfahren beteiligt ist oder aufgrund des Streitgegenstandes die Gefahr besteht, er werde die Wohnungseigentümer nicht sachgerecht unterrichten. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Einschränkung ausschließen, dass der Verwalter im Fall einer Interessenkollision die Wohnungseigentümer vertritt (vgl. BT-Drucks. 16/887, S. 37). Dieser Rechtsgedanke lässt sich auf den Fall übertragen, dass die Wohnungseigentümergemeinschaft gegen einen oder mehrere Wohnungseigentümer klagt. Der Verwalter, der nach § 27 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 WEG Vertreter und Zustellungsvertreter der Wohnungseigentümergemeinschaft ist, kann nicht zugleich Zustellungsvertreter des oder der beklagten Wohnungseigentümer sein. Die Zustellungsvertretung der sich in einem Rechtsstreit mit gegenläufigen Interessen gegenüberstehenden Parteien durch dieselbe Person lässt sich nicht mit dem in § 181 BGB und § 178 Abs. 2 ZPO zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken vereinbaren, Interessenkollisionen zu vermeiden, die durch die Mitwirkung derselben Person auf beiden Seiten eines Rechtsgeschäfts oder eines Rechtsstreits entstehen können.
112. Der in der Zustellung an die Verwalterin liegende Zustellungsmangel ist nicht nach § 189 ZPO geheilt worden; nach den - von der Revision nicht angegriffenen - Feststellungen des Berufungsgerichts fehlt es an dem hierfür erforderlichen tatsächlichen Zugang der Klageschrift bei der Beklagten. Mangels wirksamer Zustellung der Klageschrift an die Beklagte ist die Klage daher nicht gemäß § 253 Abs. 1, § 261 Abs. 1 ZPO rechtshängig geworden und zwischen der Klägerin und der Beklagten kein Prozessrechtsverhältnis begründet worden. Da eine gerichtliche Entscheidung nicht außerhalb eines Prozessrechtsverhältnisses ergehen kann (, NJW 2013, 387 Rn. 29), sind die Urteile des Amtsgerichts wirkungslos; zugleich konnten sie mit der Berufung angefochten werden (vgl. , NJW 1996, 1969, 1970; Beschluss vom - II ZB 2/05, NJW-RR 2006, 565 Rn. 11 f.).
123. Es ist auch nicht rechtsmissbräuchlich, dass sich die Beklagte auf die nicht erfolgte Zustellung der Klageschrift beruft. Entgegen der Auffassung der Revision kommt es nicht darauf an, wann die Beklagte das Schriftstück zur Kenntnis genommen hätte, wäre es durch Einlegen in ihren Briefkasten (§ 180 ZPO) zugestellt worden. Eine Entscheidung, die trotz fehlender Rechtshängigkeit der Klage ergeht, ist mit einem besonders schweren Mangel behaftet. Das Recht zur Geltendmachung eines solch schwerwiegenden Mangels, der die Wirkungslosigkeit der Entscheidung zur Folge hat, hängt nicht davon ab, welchen hypothetischen Verlauf das Verfahren genommen hätte, wenn die Klage ordnungsgemäß zugestellt worden wäre.
134. Zutreffend ist schließlich die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die erstinstanzlichen Urteile aufzuheben sind und die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen ist. Eines Antrags einer Partei gemäß § 538 Abs. 2 ZPO bedurfte es nicht. Ein Rechtsmittel gegen ein wirkungsloses Urteil hat den Zweck, die scheinbaren Urteilswirkungen zu beseitigen bzw. die formelle Rechtskraft des Urteils zu verhindern (vgl. , NJW 1996, 1969, 1970; Beschluss vom - II ZB 2/05, NJW-RR 2006, 565 Rn. 11). Daher hat das Berufungsgericht zu Recht nur über die Wirkungslosigkeit des angefochtenen Urteils entschieden. Eine Entscheidung in der Sache selbst war ihm verwehrt, da die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche aufgrund der fehlenden Rechtshängigkeit noch nicht Gegenstand eines erstinstanzlichen Verfahrens und wirksamen Urteils waren.
III.
14Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:271120UVZR67.20.0
Fundstelle(n):
NJW-RR 2021 S. 464 Nr. 8
ZAAAH-73719