NWB Sanieren Nr. 1 vom Seite 20

Gewerbemiete neu verhandeln

Pandemie begründet den Wegfall der Geschäftsgrundlage

Prof. Dr. Volker Römermann *

Seit dem gilt eine gesetzliche Vermutung: Die Pandemie führt zur Störung der Geschäftsgrundlage bei gewerblichen Mietverhältnissen. Mieter sind damit aufgerufen, über die Herabsetzung der Miete seit März 2020 (rückwirkend) zu verhandeln. Das gilt auch für Büroräume und wird in vielen Fällen zu einer Halbierung der Zahlungspflichten führen.

Kernaussagen
  • Durch die COVID-19-Pandemie ist die Geschäftsgrundlage aller Gewerbemietverträge gestört.

  • Die Verträge sind anzupassen oder – in Ausnahmefällen – zu kündigen. Das gilt auch für Büroräume.

  • Steuerberater dürfen ihre Mandanten dabei wirtschaftlich begleiten.

I. Ausgangslage

Seit dem ersten Lockdown im März 2020 ist der Einzelhandel nicht mehr das, was er mal war. Innenstädte veröden, Flächen, die früher heißbegehrte 1A-Lage waren, liegen brach, fristen bestenfalls als Lagerfläche ein bescheidenes Dasein. Gastronomie ist nur noch eine ferne Erinnerung an bessere Zeiten. Die Miete aber läuft weiter, als wäre nichts geschehen. Ist das angemessen, gar gerecht?

Vergleichsweise wenige Mieter begehrten auf. Jedenfalls gibt es nur wenige Gerichtsurteile. War es, weil Gewerbetreibende andere, noch größere Sorgen hatten, als die Miete zu mindern? War es, weil staatliche Unterstützung ihnen die Zahlungen erlaubte, als sei nichts geschehen? Oder war einfach die Rechtslage zu unsicher, der Boden zu brüchig, auf dem man hätte den Streit führen müssen? Wahrscheinlich ein Mix aus alledem, wobei die staatliche Unterstützung für die meisten noch nicht einmal in den besonders üppigen Monaten November und Dezember 2020 gereicht hat.

Verlangten Gewerbemieter eine Herabsetzung der Miete, dann trafen sie auf durchaus gemischte Reaktionen. Manche Vermieter ließen sich auf Reduktionen ein, aber die wenigsten. Meistens beharrte der Vermieter auf seinem (vermeintlichen) Recht. Die wenigsten Mieter suchten dann den offenen Kampf vor Gericht. Taten sie es, so scheiterten sie zumeist.

II. Höchstrichterliche Grundsätze

1. Sachmangel

Die Richter konnten sich dabei nur begrenzt auf frühere Entscheidungen höchster Gerichte stützen. Schließlich kommen Verheerungen wie Naturkatastrophen oder Pandemien zum Glück in Deutschland nur äußerst selten vor. Seit Inkrafttreten des BGB hatte dieses Gesetz insoweit im Ersten Weltkrieg seine erste Bewährungsprobe zu bestehen. Infolge der Kriegseinwirkungen konnten Miet- und Pachträume nicht in gleicher Weise genutzt werden wie vorher und auch damals stellte sich schon die Frage, welche Auswirkungen das auf das Mietverhältnis haben könnte.

Das Reichsgericht hatte in dem Nutzungsverbot noch einen Sachmangel gesehen. Der BGH ist seither anderer Meinung. Räume, die als Tanzlokal geeignet wären, sind danach in Ordnung, auch wenn das Tanzen behördlich unterbunden wird. Ein Sachmangel ist nur ein Umstand, der unmittelbar auf der konkreten Beschaffenheit der Mietsache beruht. [1]

Die meisten Gerichte in der COVID-19-Zeit halten sich natürlich an den BGH, auch wenn es Ausreißer gibt. Sowohl das LG München I [2] als auch das LG Kempten [3] erkennen auf einen Mangel i. S. des § 536 Abs. 1 BGB, wenn ein vertraglich vereinbarter Mietzweck nach den öffentlich rechtlichen Beschränkungen infolge der Corona-Epidemie nicht mehr eingehalten werden kann.

2. Treu und Glauben und die Geschäftsgrundlage

Paul Oertmann hatte im Jahre 1921 sein epochales Werk „Die Geschäftsgrundlage – Ein neuer Rechtsbegriff“ publiziert.S. 21 Die Idee der Geschäftsgrundlage, und damit verbunden: des Wegfalls der Geschäftsgrundlage hielt Einzug in die höchstrichterliche Rechtsprechung. Sie bemühte als Ausgangspunkt § 242 BGB, also den Grundsatz von Treu und Glauben. Seit der Schuldrechtsreform zum in „Störung der Geschäftsgrundlage“ umbenannt, findet sich nun mit § 313 eine spezielle Norm dazu im BGB. Sie stellt – ähnlich wie das Reichsgericht 1917 – die Zumutbarkeit in das Zentrum der Betrachtung.

III. Zumutbarkeit

Was aber ist „zumutbar“? Der Begriff ist vage und unbestimmt und lädt daher dazu ein, Wertungen aller Art hineinzuinterpretieren.

Da es keine gesetzlichen Kriterien der Zumutbarkeit gibt, überrascht es nicht, dass die COVID-19-Rechtsprechung die unterschiedlichsten Facetten betont. In den Landgerichts-Entscheidungen [4] liest man etwa:

  • Existenzgefährdung: Nur wer in seiner Existenz bedroht ist, dem sei das Festhalten am bisherigen Vertrag unzumutbar. Die Existenzbedrohung müsse im Prozess konkret dargelegt und bewiesen werden.

  • Inanspruchnahme staatlicher Unterstützung: Wer staatliche Mittel in Anspruch genommen habe oder noch nehme, der könne den bisherigen Vertrag erfüllen, das sei doch auch der Sinn solcher Hilfen.

  • Pandemie-Versicherung (Betriebsunterbrechung): Wer keine Pandemie-Versicherung abgeschlossen habe, sei selbst an seinem Schicksal schuld.

  • Verhandlungen mit Geschäftspartnern: Bevor die Miete herabgesetzt würde, müsse erst einmal versucht worden sein, alle anderen Verpflichtungen in ernsten Verhandlungen mit den Vertragspartnern zu reduzieren und dadurch freie Liquidität zu gewinnen.

  • Kündigungsmöglichkeit des Vertrages: Wenn der Vertrag z. B. in Sondersituationen eine Kündigungsmöglichkeit mit einer Frist (beispielsweise von sechs Monaten) vorsehe, müsse der Mieter zumindest eine solche Periode aushalten, ohne dass eine Vertragsänderung in Betracht komme.

  • Anderweitige Nutzung der Räume: Der Mieter könne die Räume ggfs. anderweitig nutzen, z. B. als Lager- statt Verkaufsfläche.

  • Anderweitiger Versuch, den Umsatz auszuweiten, z. B. durch Online-Handel: Bevor eine Mietreduzierung verlangt werde, müsse der Mieter versuchen, seine Leistungsfähigkeit zu steigern, etwa durch Auf- oder Ausbau des Online-Handels oder durch Rabattaktionen.

  • Allgemein: Gewinn oder Verlust durch die Pandemie: Wer „Krisengewinner“ sei und sogar mehr Umsatz in der Pandemie erziele, dem sei das Entrichten der bisherigen Miete keinesfalls unzumutbar. Eine Herabsetzung komme nur bei drastischen Einbrüchen in Betracht.

Diese Voraussetzungen sind streng. In der Gesamtschau kaum erfüllbar. Nur wenige Mieter konnten sich bei Gericht durchsetzen.

Aber sind die Kriterien der ersten COVID-19-Rechtsprechung auch überzeugend? Darf man einen Mieter darauf verweisen, dass er seine 1A-Ladenfläche in der Innenstadt doch auch als Lager nutzen könne? Darf ein Richter unternehmerische Phantasie walten lassen und den Mieter befragen, warum er im Lockdown dann nicht eben mal einen florierenden Online-Handel aufgemacht hat? War es wirklich so selbstverständlich, vor März 2020 eine Pandemie-Versicherung abzuschließen, dass man dem Mieter gleichsam einen Schuldvorwurf machen kann, wenn er daran nicht gedacht hat?

IV. Der Gesetzgeber schreitet ein

1. Gesetzgeberische Initiative

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN waren die Ersten, die sich offiziell dieses Themas bemächtigten. Unter dem Titel „Risikoverteilung bei Gewerbemieten klarstellen – Selbstständige, kleine und mittlere Unternehmen in der Corona-Krise unterstützen“ brachten sie am einen Antrag in den Deutschen Bundestag ein. [5] Er sollte die Bundesregierung verpflichten, einen Gesetzentwurf vorzulegen, um Gewerbemietern die Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage zu ermöglichen oder zu erleichtern. Der Antrag wurde abgelehnt, wohl nicht zuletzt deswegen, weil er von der Opposition kam, um nahezu zeitgleich einen Entwurf im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz erstellen zu lassen, der inhaltlich weitgehende Überschneidungen aufwies. Gesagt wurde nach außen im November 2020 nichts.

Wer aufmerksam las, konnte dem Protokoll der Telefonkonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder vom [6] einen ersten Hinweis darauf entnehmen, was sich abzeichnete. Dann nahm man noch eine Abkürzung im Gesetzgebungsverfahren: Man fügte einfach in einen Gesetzentwurf, der zur Beschlussfassung anstand und der bis dahin mit dem Thema Gewerbemiete nicht das Mindeste zu tun gehabt hatte, nach kurzer Beratung in einer Sondersitzung des Rechtsausschusses die künftige Norm ein und sorgte am dadurch für eine verblüffend rasche Verabschiedung – ohne, dass jemand bis dahin groß Notiz von dem Vorhaben genommen hätte.

2. Die neue Norm

Die Vorschrift, die daraufhin im Bundesgesetzblatt v. verkündet wurde und nur einen Tag später in Kraft trat, lautet:S. 22

Art. 240 § 7 EGBGB Störung der Geschäftsgrundlage von Miet- und Pachtverträgen

(1)

Sind vermietete Grundstücke oder vermietete Räume, die keine Wohnräume sind, infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar, so wird vermutet, dass sich insofern ein Umstand im Sinne des § 313 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat.

(2)

Absatz 1 ist auf Pachtverträge entsprechend anzuwenden.

Die Regelung enthält eine Vermutung. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

V. Die neue Rechtslage

1. Betroffene Räume

Der Anwendungsbereich der Neuregelung erstreckt sich auf Grundstücke oder vermietete Räume, die keine Wohnräume sind. Typischerweise sind das gewerblich genutzte Mietflächen. Darauf beschränkt sich die Anwendung aber nicht. Konzerthallen oder Sporthallen gehören dazu, aber auch der Schrebergarten oder gepachtete landwirtschaftliche Ackerböden.

2. Staatliche Maßnahmen

Auf diese Räume müssen sich staatliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie beziehen. Einige Beispiele dazu:

  • Das ist sicher dann der Fall, wenn eine Landes-Verordnung die Schließung von Schuhgeschäften anordnet.

  • Auch die Verhängung einer Maskenpflicht, Mindestabstände im Verkaufsraum oder Höchstzahlen von Kunden gehören dazu.

  • Wenn der Bundespräsident am einen „Appell zur stärkeren Nutzung des Homeoffice“ [7] an das Volk richtet und dabei von dem Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und dem Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) flankiert wird, ist auch das eine staatliche Maßnahme.

3. Einschränkungen

Infolge der staatlichen Maßnahmen dürfen die Räume „nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar“ sein.

Diese Konsequenz lässt sich leicht feststellen, wenn die Benutzung verboten wird. Textilgeschäfte etwa mussten während des Lockdowns bereits im März 2020 ihren Laden schließen. Ein Textilgeschäft, in dem keine Kleidung verkauft werden darf, ist nur noch sehr eingeschränkt nutzbar. Als bloßen Aufbewahrungsort hätte der Mieter die Räumlichkeiten zumeist nicht angemietet.

Da die Verwendung auf Vollauslastung ausgerichtet ist, sind aber auch sonstige Einschränkungen aller Art, etwa Begrenzungen des Publikumsverkehrs auf eine bestimmte Anzahl von Personen pro Quadratmeter, ohne Weiteres relevante Einschränkungen.

Wenn Unternehmen dem staatlichen Appell folgen und weitgehend auf Homeoffice umstellen, ist das auch eine Konsequenz aus der staatlichen Maßnahme. Damit fallen auch schlichte Büroräume unter die Regelung, auch wenn der Betrieb nicht komplett verboten wird.

In der ersten Literatur war umstritten, wann die „erhebliche“ Beeinträchtigung beginnt. Einige schlagen Zeiträume von drei Monaten vor. [8] Dabei zählt in den meisten Ladengeschäften jeder Tag. Nur in Ausnahmefällen wird in der Pandemie der Einwand greifen, die Beeinträchtigung sei doch nur kurz und vorübergehend gewesen. Auch wenn der Lockdown zeitlich begrenzt war, gab es doch auch danach und dazwischen spürbare Einschränkungen der Geschäftstätigkeit. Seit März 2020 konnte kaum ein Wirtschaftsunternehmen de facto seine Räumlichkeiten in derselben Art und Weise benutzen wie zuvor.

4. Fortgeltung bisheriger Landgerichts-Rechtsprechung?

Welche der Argumente bisheriger Landgerichts-Entscheidungen werden nach Inkrafttreten des Art. 240 § 7 EGBGB noch von Gewicht sein? Meiner Ansicht nach: Fast keine.

  • Existenzgefährdung: Das Gesetz stellt auf die Verwendbarkeit für den Betrieb des Mieters ab. Es kommt nicht darauf an, ob der Mieter arm oder reich ist. Auch der reiche Mieter hatte – gemeinsam mit dem Vermieter – die Vorstellung, die Räume für sein Ladengeschäft nutzen zu können. Das war Illusion.

  • Inanspruchnahme staatlicher Unterstützung: Auf den ersten Blick wirkt es unglücklich, wenn Mieter einerseits staatliche Mittel in Anspruch nehmen, andererseits aber die Miete kürzen. Das wird in der Literatur zuweilen als „double-dipping“ gebrandmarkt. [9] Aber der erste Blick genügt nicht. Zumeist werden staatliche Unterstützungsgelder nicht konkret zur Erstattung bestimmter Kosten gewährt, sondern allgemein aufgrund des Geschäftsrückganges. Anrechnungen gewährter Leistungen sieht Art. 240 § 7 EGBGB nicht vor. Umgekehrt enthalten die bisherigen Förderrichtlinien typischerweise keine Regelung, die eine nachträgliche Herabsetzung der Miete umfasst. Beides steht beziehungslos nebeneinander. Je nach Einzelfall mag das anders zu betrachten sein.

  • Pandemie-Versicherung (Betriebsunterbrechung): Niemand konnte seriös vorhersehen, was sich im Jahre 2020S. 23 ereignete. Demnach kann auch niemandem ein Vorwurf gemacht werden, der keine Pandemie-Versicherung abgeschlossen hatte.

  • Verhandlungen mit Geschäftspartnern: Es ist ohnehin übergriffig, wenn Gerichte meinen, erst Verhandlungen des Mieters mit anderen Vertragspartnern fordern zu können, bevor er die Herabsetzung der Miete verlangt. Das Eine hat mit dem Anderen nichts zu tun.

  • Kündigungsmöglichkeit des Vertrages: Es gibt Verträge, die in Sondersituationen eine Kündigungsmöglichkeit mit einer Frist vorsehen. Zumeist geht es um die grundlegende Umgestaltung der Verkehrssituation oder ähnlich schwerwiegende Eingriffe. Derartige Veränderungen sind auf längere Sicht vorhersehbar, man kann sich darauf einstellen. Das galt für die Pandemie nicht. Kündigungsmöglichkeiten entfalten keine Sperrwirkung in dem Sinne, dass während ihrer Frist keine Anpassung der Miete möglich wäre.

  • Anderweitige Nutzung der Räume: Das Argument, der Mieter solle sich nicht so anstellen, er könne die bisherige Verkaufsfläche doch als Lager nutzen, ist abwegig.

  • Anderweitiger Versuch, den Umsatz auszuweiten, z. B. durch Online-Handel: Gerichte sind nicht dazu berufen, Geschäftsführern unternehmerische Tipps zu geben. Es spielt für die Verwendbarkeit der Räume keine Rolle, ob der Mieter anderweitig Umsätze erzielt oder erzielen könnte.

  • Allgemein: Gewinn oder Verlust durch die Pandemie: Die polemische Qualifikation als „Krisengewinner“ für Unternehmen, die auf die veränderten Bedingungen eingestellt sind oder deren Warenangebot in der COVID-19-Pandemie besonders nachgefragt ist, indiziert bereits, dass es hier nicht um rationale Argumente, sondern um stimmungsgeleitete Ergebnisse geht. Auch für den Mieter, der im Übrigen gute Umsätze erzielt, ist die Verwendbarkeit der Räume erheblich beeinträchtigt, wenn sein Ladengeschäft schließen muss.

VI. Geltendmachung

Stellt sich somit in der Zeit seit März 2020 eine eingeschränkte Verwendbarkeit der angemieteten Räume heraus, kann und darf der Mieter auf seinen Vermieter zugehen und eine Anpassung der Vertragskonditionen fordern – und das rückwirkend.

Dem Mieter stehen mehrere Möglichkeiten der Geltendmachung zur Verfügung:

  • Er kann schlicht die Miete angemessen kürzen. Oft wird er nur noch die Hälfte der bisherigen Miete fortzahlen. Das Risiko: Der Vermieter erklärt die Kündigung des Vertrages. Dann muss ein Gericht feststellen, ob die Herabsetzung der Miete angemessen war oder zu hoch – mit der Folge, dass die Kündigung unwirksam oder wirksam ist.

  • Der Mieter kann aber auch schlicht weiterzahlen, einen Teil der Miete aber „unter Vorbehalt“. Der Vermieter ist dann nicht zur Kündigung berechtigt. Die Parteien können in einem Rechtsstreit klären lassen, welchen Minderungsbetrag das zuständige Gericht für angemessen hält.

Im Zuge desselben Gesetzes ist ein neuer § 44 EGZPO gekommen. Er statuiert ein „Vorrang- und Beschleunigungsgebot“: „(1) Verfahren über die Anpassung der Miete oder Pacht für Grundstücke oder Räume, die keine Wohnräume sind, wegen staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie sind vorrangig und beschleunigt zu behandeln. (2) In Verfahren nach Absatz 1 soll ein früher erster Termin spätestens einen Monat nach Zustellung der Klageschrift stattfinden.“

Der Gesetzgeber will damit erreichen, dass rasch Klarheit geschaffen wird. Das ist zumindest gut gemeint, denn beide Parteien eines Mietverhältnisses haben großes Interesse daran, bald zu wissen, woran sie sind. Für den Vermieter hängt schließlich oft auch eine Finanzierung der Immobilie daran.

Ob der Wunsch des Gesetzgebers nach Beschleunigung indes Chancen auf Realisierung hat, erscheint fraglich. Gerade in COVID-19-Zeiten, in denen lange der Gerichtsbetrieb unterbrochen war, hat sich ein Rückstau an Verfahren ergeben, der erst nach und nach abgebaut wird. Außerdem müssen die Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten, wenn der Termin zur mündlichen Verhandlung kein bloßer Durchlauftermin sein, sondern einen inhaltlichen Zweck erfüllen soll. Schließlich kommt es aber auch darauf an, ob sich die Gerichte eine eigene Einschätzung darüber zutrauen, welche Anpassung im Einzelfall angemessen ist. Setzen sie auf Sachverständige, dann zieht sich ein solches Verfahren in aller Regel erheblich in die Länge.

VII. Die Rolle der Steuerberater

Für Steuerberater eröffnet das neue Gesetz zwei Perspektiven:

Zum einen in eigener Sache. Steuerberater sind zumeist Mieter von Büroräumen. Können sie darlegen, dass z. B. wegen der notwendigen Anordnung von Homeoffice die Verwendbarkeit der Räume erheblich eingeschränkt war, so können sie die Miete herabsetzen. Folgt man der hier vertretenen Ansicht, dann kommt es gar nicht darauf an, ob Steuerberater gegenwärtig aufgrund der Pandemie oder aus sonstigen Ursachen in wirtschaftlicher Not sind. Sie können sich darauf berufen, dass sie den Appellen von Bundespräsident, Kanzlerin und Ministerpräsidenten Folge leisten mussten, vielleicht auch: dass ihre Mitarbeiter darauf drangen, dem staatlichen Befehl endlich Folge zu leisten. Da blieb faktisch keine Wahl, als sich zu beugen und die Kanzlei nach Hause zu verbannen. In der Konsequenz werden nur Teile des Büros genutzt. Auch zur Dauer und konkreten Nutzung – welche Räume, wie viele Personen – sollte etwas gesagt werden. Je konkreter die Situation geschildert wird, desto größer sind im Einzelfall die Chancen.

Zum anderen in der Sache ihrer Mandanten. Steuerberater sind oft die Berater, die ihren Mandanten am nächsten steS. 24hen. Sie dürfen darauf hinweisen, dass es hier eine Möglichkeit für Mieter gibt, eine deutliche Herabsetzung der Miete zu bewirken. Sie dürfen die Verhandlungen auch wirtschaftlich begleiten. Nur rechtlich beraten dürfen sie wegen der Beschränkungen des RDG nicht. Am besten sprechen Steuerberater den Mandanten auf die Chancen an, die das neue Gesetz für ihn bieten. Dann wird überlegt, wer konkret die Verhandlungen führen soll. Oft sind Mandanten dazu kaum in der Lage, wollen auch nicht das gute persönliche Verhältnis zum Vermieter riskieren. Da bietet es sich an, einen Berater zu finden, der die Rolle des „Bad guy“ glaubwürdig verkörpert. Steuerberater sind dazu oft etwas zu harmonisch veranlagt und etwas zu wenig streitbar. Deswegen könnte eine anwaltliche Vertretung hinzugezogen werden. Sie könnte eine große Rückforderung aufmachen und ein Gespräch erzwingen, in dem der Mandant dann eine – vom Steuerberater vorbereitete und begleitete – wirtschaftlich für alle Seiten akzeptable Lösung findet. Es ist wichtig, sich auf diese Verhandlungen professionell vorzubereiten und auch eine sichere Rollenverteilung vorzunehmen. [10]

VIII. Fazit

Der am in Kraft getretene Art. 240 § 7 EGBGB eröffnet für Mieter gewerblicher Räume die Möglichkeit, Verhandlungen über eine Herabsetzung der Miete zu führen. Sie werden in den Fällen zum Erfolg führen, in denen die Verwendbarkeit der Räume infolge staatlicher Maßnahmen während der Pandemie erheblich eingeschränkt war. Das wird auf die Mehrzahl der Gewerbetreibenden zutreffen. In vielen Fällen wird eine Reduktion auf die halbe Miete seit März 2020 erreichbar sein. Nun gilt es also für alle Gewerbemieter, geschickt zu verhandeln. Hoffentlich gut beraten.

Autor

Prof. Dr. Volker Römermann, CSP,
Rechtsanwalt und Insolvenzverwalter, ist Vorstand der Römermann Rechtsanwälte AG, Geschäftsführer der Römermann Insolvenzverwalter Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Fachanwalt für Arbeitsrecht, seit 1998 Vorsitzender des Vorstandes des Instituts für Insolvenzrecht e. V., Direktor des Forschungsinstituts für Anwaltsrecht der Humboldt-Universität zu Berlin, Präsident der German Speakers Association e. V. Der Autor unterrichtet an der Humboldt-Universität u. a. Vertragsmanagement (Verhandlung, Gestaltung und rechtliche Grundlagen).

Fundstelle(n):
NWB Sanieren 1/2021 Seite 20
MAAAH-71869

1Vgl. nur BGH, NZM 2011 S. 727 zum Rauchverbot; Sittner, NJW 2020 S. 1169, 1171 m. w. N.; gegen eine Übertragbarkeit der „Rauchverbots“-Rechtsprechung auf COVID-19 Häublein/Müller, NZM 2020 S. 481, 487; für eine Anwendung der Gewährleistung Hellmich, COVuR 2020 S. 189.

2LG München I, Endurteil v. - 3 O 4495/20, COVuR 2020 S. 868.

3LG Kempten, Urteil v. - 23 O 753/20.

4; LG Zweibrücken, Urteil v. - HK O 17/20; LG München I, Urteil v. - 3 O 4495/20; LG Frankfurt a. M., Urteil v. - 2-15 O 23/20; LG Mönchengladbach, Urteil v. - 12 O 154/20; ; ; ; LG Kempten, Urteil v. - 23 O 753/20.

5Antrag der Abgeordneten Claudia Müller u. a. und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Risikoverteilung bei Gewerbemieten klarstellen – Selbstständige, kleine und mittlere Unternehmen in der Corona-Krise unterstützen, BT-Drucks. 19/22898.

6Protokoll abrufbar unter http://go.nwb.de/zegds.

7Abrufbar unter http://go.nwb.de/g8bzz.

8Weidt/Schiewek, NJOZ 2020 S. 481, 484.

9Wagner, ZEuP 2020 S. 531, 540.

10Wie das in der Praxis geht, findet man hier: Römermann, Verträge (neu) verhandeln in Zeiten von Corona, München 2020.