BGH Beschluss v. - III ZR 124/20

Nichtzulassungsbeschwerde: Beschwerdewert bei Streit über die Sperrung eines Nutzerkontos im sozialen Netzwerk

Gesetze: § 544 Abs 2 Nr 1 ZPO, § 48 Abs 2 S 1 GKG

Instanzenzug: Az: 18 U 2346/19 Prevorgehend LG Deggendorf Az: 32 O 51/18

Gründe

I.

1Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche aus einem zwischen den Parteien im Hinblick auf die von der Beklagten betriebene Social Media-Plattform "F.    " bestehenden Nutzungsverhältnis geltend.

2Er unterhält bei F.      ein Nutzerkonto und nimmt die hierzu von der Beklagten angebotenen Dienste in Anspruch. Anmeldung zur und Nutzung der Plattform erfolgen auf der Grundlage der Nutzungsbedingungen der Beklagten, bestehend aus der "Erklärung der Rechte und Pflichten" und den "Gemeinschaftsstandards" (Anlagen B 3 und B 5). Ziffer 5.2 der "Erklärung der Rechte und Pflichten" lautet:

"Wir können sämtliche Inhalte und Informationen, die du auf F.    postest, entfernen, wenn wir der Ansicht sind, dass sie gegen die Erklärung bzw. unsere Richtlinien verstoßen."

3Die "Gemeinschaftsstandards" enthalten einen Abschnitt betreffend sogenannter "Hassbotschaften". Dort ist unter anderem ausgeführt:

"F.     entfernt sämtliche Hassbotschaften, d.h. Inhalte, die Personen aufgrund der folgenden Eigenschaften direkt angreifen:

- Rasse,

- Ethnizität,

- Nationale Herkunft,

- Religiöse Zugehörigkeit,

- Sexuelle Orientierung,

- Geschlecht bzw. geschlechtliche Identität oder

- Schwere Behinderungen oder Krankheiten."

4Am löschte die Beklagte einen Beitrag, welchen der Kläger zuvor mit seinem Nutzerkonto auf der Plattform veröffentlicht hatte. Der Beitrag lautete: "Ist bei Euch noch ein Neger dabei?". Zusätzlich zur Löschung des Beitrags wurde das Nutzerkonto des Klägers für 30 Tage gesperrt. Es wurde in einen sogenannten "read only"-Modus versetzt.

5Der Kläger hält die Löschung seines Beitrags sowie die vorübergehende Sperrung seines Nutzerkontos für rechtswidrig. Er begehrt von der Beklagten die Wiederherstellung des von ihr gelöschten Beitrags (Berufungsantrag zu 2), die Feststellung, dass die Sperrung seines Profils wegen der Einstellung dieses Beitrags rechtswidrig gewesen sei (Berufungsantrag zu 3), Auskunft darüber, ob die Sperrung durch ein - gegebenenfalls zu benennendes - beauftragtes Unternehmen erfolgt sei (Berufungsantrag zu 4) und ob die Beklagte hinsichtlich der Löschung von Beiträgen oder der Sperrung von Nutzern - gegebenenfalls zu benennende - konkrete oder abstrakte Weisungen, Hinweise, Ratschläge oder sonst irgendwelche Vorschläge von der Bundesregierung oder - gegebenenfalls zu benennenden - nachgeordneten Dienststellen erhalten habe (Berufungsantrag zu 5), Schadensersatz i.H.v. 1.500 € (Berufungsantrag zu 6), Freistellung von der Verpflichtung zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten (Berufungsantrag zu 7) sowie die Berichtigung der über ihn gespeicherten Daten dahingehend, dass das Vorliegen eines Verstoßes gegen die Nutzungsbedingungen durch den streitgegenständlichen Beitrag gelöscht und der Zähler, der die Zahl der Verstöße erfasst, um einen Verstoß zurückgesetzt wird (Berufungsantrag zu 8).

6Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers mit Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde verfolgt der Kläger die vorgenannten Anträge weiter.

II.

7Die Beschwerde ist unzulässig, weil der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 € nicht übersteigt (§ 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

81. Es obliegt grundsätzlich dem Beschwerdeführer, darzulegen und glaubhaft zu machen, dass er mit der beabsichtigten Revision die Abänderung des Berufungsurteils in einem die Wertgrenze von 20.000 € übersteigenden Umfang erreichen will. Maßgebend für die Bewertung der Beschwer der Nichtzulassungsbeschwerde ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht (Senat, Beschlüsse vom - III ZR 580/16, BeckRS 2017, 128871 Rn. 5 und vom - III ZR 445/16, BeckRS 2017, 121625 Rn. 5; , BeckRS 2017, 100946 Rn. 5; jeweils mwN). Das Revisionsgericht ist dabei an die Streitwertfestsetzung des Berufungsgerichts nicht gebunden (z.B. Senat, Beschluss vom aaO; aaO; jeweils mwN).

92. Der Kläger ist durch den Zurückweisungsbeschluss des Berufungsgerichts in Höhe von 6.250 € beschwert.

10a) Hinsichtlich des Berufungsantrags zu 3 ist zu berücksichtigen, dass der Kläger nur für einen begrenzten Zeitraum von 30 Tagen und nur an einer aktiven Nutzung seines Kontos gehindert war. Die Kenntnisnahme von dessen Inhalten war ihm hingegen durchgehend möglich. Die mit der Teilsperrung des Kontos verbundene Einschränkung seiner Kommunikationsfreiheit war zudem auf die Plattform der Beklagten beschränkt (so zu einem ähnlichen Sachverhalt OLG Frankfurt a.M., ZUM-RD 2019, 6, 7 und OLG Koblenz, MMR 2019, 625 Rn. 18). Der Kläger konnte weiterhin über andere Internet-Plattformen, E-Mails und alle anderen Medienarten kommunizieren. Andererseits sind die Marktmacht, die Reichweite und der potenzielle Empfängerkreis von F.       erheblich (vgl. OLG Dresden, GRUR-RR 2019, 408 Rn. 4; Haertel/Thonke, GRUR-Prax 2020, 75, 76 f; BeckOK ZPO/Wendtland, § 3 Rn. 18 [Stand: ]). Das von der Beklagten betriebene Netzwerk kann daher nicht einschränkungslos durch andere Kommunikationsformen ersetzt werden.

11Unter Abwägung dieser Gesichtspunkte ist nach Auffassung des Senats ein Klageantrag, der sich gegen eine 30tägige Sperre eines F.      - Nutzerkontos richtet, mit einem Betrag von 2.500 € zu bewerten. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist zwar in Anlehnung an § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG bei einer nichtvermögensrechtlichen Streitigkeit und mangelnden genügenden Anhaltspunkten für ein höheres oder geringeres Interesse von einem Wert von 5.000 € auszugehen (, WM 2016, 96 Rn. 13). Die zeitliche und inhaltliche Begrenzung der Sperre ergeben jedoch deutliche Anhaltspunkte für eine geringere Beschwer des Klägers. Auch darf das Gesamtgefüge der Bewertung nichtvermögensrechtlicher Streitgegenstände nicht aus den Augen verloren werden (so zutreffend OLG Frankfurt a.M. aaO S. 8). In dieses sind die Anträge des Klägers unter Berücksichtigung aller Umstände des vorliegenden Einzelfalls (vgl. § 48 Abs. 2 Satz 1 GKG) einzuordnen. Daraus ergibt sich für eine 30tägige Kontosperre jedenfalls kein höherer Wert als 2.500 €.

12Die vorliegende Fallkonstellation kann nicht mit Unterlassungsansprüchen gegenüber einer ehrverletzenden Äußerung verglichen werden (so aber OLG Dresden aaO Rn. 3 f). Eine Ehrverletzung stellt einen wesentlich stärkeren Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen dar als die ihm (vorübergehend) genommene Kommunikationsmöglichkeit auf einer Internet-basierten Plattform. Dass auf dieser Plattform im Hinblick auf den Kläger ehrverletzende Äußerungen erfolgt sind, gegen die er sich während der Sperre nicht hat zur Wehr setzen können, ist nicht geltend gemacht.

13Im Ansatz ist somit bei der hier verhängten 30tägigen Sperre des F.      Nutzerkontos von einem Streitwert i.H.v. 2.500 € auszugehen. Hiervon ist - da es sich (nur) um einen Feststellungsantrag handelt - ein Abschlag von 20 % vorzunehmen (vgl. zu einem solchen Abschlag bei Feststellungsanträgen Senat, Beschluss vom - III ZR 394/17, juris Rn. 8 mwN). Denn es handelt sich nicht um die Untersagung einer gegenwärtigen oder künftigen Sperre, sondern lediglich um die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer in der Vergangenheit liegenden, beendeten Sperre. Auf diese Weise ergibt sich für den Antrag zu 3 eine Beschwer von 2.000 €.

14b) Hinsichtlich des Berufungsantrags zu 2 ist bei der Bemessung der Beschwer zwar zu berücksichtigen, dass der gelöschte Beitrag vom Schutzbereich der Meinungs- und Kommunikationsfreiheit erfasst wird (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG; vgl. BGH, Beschlüsse vom - VI ZB 69/14, juris Rn. 11 und vom - VI ZB 29/14, CR 2015, 250 Rn. 11). Indes betrifft die Löschung vorliegend nur eine einzige kurze und zudem in Frageform gefasste Äußerung auf einer Internet-Plattform (ähnlich OLG Frankfurt a.M. aaO S. 8 und OLG Koblenz aaO Rn. 18). Vor diesem Hintergrund ist der Eingriff in die Meinungsfreiheit des Klägers gering zu bewerten und erscheint - zumal neben dem separat angesetzten Wert für die Kontosperre - ein Betrag von 500 € angemessen. Anhaltspunkte für ein besonderes Interesse des Klägers an seiner Äußerung macht die Beschwerde nicht geltend. Sie beruft sich allein auf den Regelstreitwert von 5.000 € gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG. Dieser kann indes - wie ausgeführt - nur bei mangelnden Anhaltspunkten für ein höheres oder geringeres Interesse herangezogen werden. Solche Anhaltspunkte für ein - deutlich - geringeres Interesse sind mit den vorgenannten Umständen gegeben.

15c) Hinsichtlich des Berufungsantrags zu 4 bemisst der Senat die Beschwer des Klägers mit 500 €. Soweit der Kläger die Auskunft zur Vorbereitung von Ansprüchen gegen mit der Durchführung der Kontosperre beauftragte Unternehmen verlangt, bilden diese Ansprüche einen Anhaltspunkt für seine Beschwer (vgl. Senat, Beschluss vom - III ZR 75/13, juris Rn. 9 zum wirtschaftlichen Interesse an der Erteilung der Auskunft als maßgeblichem Kriterium für die Bemessung der Beschwer des - in den Vorinstanzen erfolglos - Auskunft Begehrenden). Der Wert des Auskunftsanspruchs ist allerdings nicht identisch mit dem Leistungsanspruch, sondern in der Regel nur mit einem Teilwert des Anspruchs zu bemessen, dessen Durchsetzung die verlangte Information dienen soll. Dabei werden üblicherweise 1/4 bis 1/10 angesetzt (Senat, Beschluss vom aaO mwN). Die Beschwerde zeigt keinen Vortrag des Klägers auf, nach dem dieser einen Betrag von 2.000 € übersteigende Ansprüche gegen ein mit der Kontosperre beauftragtes Unternehmen geltend zu machen beabsichtigt. Selbst bei Ansatz eines Viertels des Betrages solcher Ansprüche ergibt sich mithin für das vorliegend zu bewertende Auskunftsverlangen keine höhere Beschwer als 500 €.

16d) Hinsichtlich des Berufungsantrages zu 5 bemisst der Senat die Beschwer des Klägers ebenfalls mit 500 €. Für die Auffassung des Berufungsgerichts, das Interesse des Klägers an dieser Auskunft sei höher zu bewerten als die Auskunft über etwaige Erfüllungsgehilfen der Beklagten (Berufungsantrag zu 4), ergeben sich keine Anhaltspunkte. Die Beschwerde zeigt auch insofern keinen Vortrag des Klägers auf, nach dem dieser einen Betrag von 2.000 € übersteigende Ansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland geltend zu machen beabsichtigt.

17e) Soweit das Berufungsgericht den auf Zahlung von 1.500 € gerichteten Berufungsantrag zu 6 abgewiesen hat, ist die entsprechende Beschwer des Klägers mit diesem Betrag anzusetzen.

18f) Hinsichtlich des Berufungsantrages zu 8 bemisst der Senat die Beschwer des Klägers mit 1.250 €. Mit diesem Antrag will der Kläger verhindern, dass ein künftiger Verstoß seinerseits gegen die Nutzungsbedingungen der Beklagten als - strenger als ein Erstverstoß zu wertender - Folgeverstoß betrachtet wird und zu einer (erneuten) Sanktionierung führt. Da indes eine solche Sanktion noch nicht verhängt worden ist, sondern einen - aus Sicht der Beklagten: weiteren - Verstoß des Klägers gegen die "Gemeinschaftsstandards" voraussetzt, ist die Beschwer des Klägers niedriger anzusetzen als bei einem Antrag auf Untersagung oder Aufhebung einer bereits verhängten oder unmittelbar bevorstehenden Sperre (s.o. zu a aa: 2.500 €). Insofern erscheint ein - im Vergleich zu einer bereits verhängten Sperre - hälftiger Betrag von 1.250 € als angemessen.

19Damit berechnet sich die Beschwer des Klägers i.S.v. § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO wie folgt:

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:261120BIIIZR124.20.0

Fundstelle(n):
OAAAH-71689