Voraussetzungen der Musterfeststellungsklage eines Verbraucherschutzverbandes: Berechnung der Mitgliederzahl; Vorlage von anonymisierten Mitgliederlisten; Wahrnehmung von Verbraucherinteressen weitgehend durch nicht gewerbsmäßige aufklärende oder beratende Tätigkeit
Leitsatz
Zu den Anforderungen, die nach § 607 Abs. 2 i.V.m. § 606 Abs. 2 Satz 1 ZPO für die öffentliche Bekanntmachung einer Musterfeststellungsklage erfüllt sein müssen.
Gesetze: § 606 Abs 1 S 2 Nr 1 ZPO, § 606 Abs 1 S 2 Nr 3 ZPO, § 606 Abs 2 S 1 Nr 1 ZPO, § 607 Abs 2 ZPO, § 4 UKlaG
Instanzenzug: OLG Braunschweig Az: 4 MK 2/18 Beschluss
Gründe
I.
1Der Musterkläger, ein seit dem Jahr 2004 als qualifizierte Einrichtung in die Liste nach § 4 UKlaG eingetragener Verbraucherschutzverband, begehrt die öffentliche Bekanntmachung einer Musterfeststellungsklage im Klageregister mit dem Ziel, festzustellen, dass Pflichtangaben in Verbraucherdarlehensverträgen, die die Musterbeklagte mit Verbrauchern zum Zweck der Finanzierung von Kraftfahrzeug-Kaufverträgen abgeschlossen hat, den gesetzlichen Anforderungen nicht entsprächen, dass aus diesem Grund die Widerrufsfrist nicht zu laufen begonnen habe und dass im Fall eines wirksamen Widerrufs bei der Rückabwicklung des Darlehensvertrages kein Ersatz für Wertverluste des Kraftfahrzeugs zu leisten sei. In der Satzung des Musterklägers heißt es u.a.:
2Nach § 6 der Satzung kann beim Musterkläger eine Vollmitgliedschaft oder eine sogenannte Internetmitgliedschaft beantragt werden. Internetmitglieder des Musterklägers sind nicht stimmberechtigt.
3Der Musterkläger hat mit der Klageschrift eine mit "Mitgliederliste komplett" überschriebene Liste mit den Spalten "Vorname", "Nachname", "PLZ" und "Ort" vorgelegt, die 377 Eintragungen enthält. In einer ebenfalls mit der Klageschrift vorgelegten eidesstattlichen Versicherung des 1. Vorsitzenden des Musterklägers heißt es, dass in der Mitgliederliste sämtliche Mitglieder zum angegeben seien.
4Auf Hinweis des Oberlandesgerichts hat der Musterkläger vorgetragen, er habe derzeit 180 Vollmitglieder und 206 nicht stimmberechtigte Internetmitglieder. Zu zwei weiter vorgelegten anonymisierten Mitgliederlisten hat er erklärt, dass er keine Erlaubnis erteile, diese Listen der Musterbeklagten oder ihren Prozessbevollmächtigten zugänglich zu machen.
5Das Oberlandesgericht hat die öffentliche Bekanntmachung der Musterfeststellungsklage mit Beschluss vom abgelehnt. Der Musterkläger verfolgt mit seiner vom Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde sein Begehren weiter, die Musterfeststellungsklage im Klageregister öffentlich bekannt zu machen.
II.
6Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
71. Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung (OLG Braunschweig, BKR 2019, 294) Folgendes ausgeführt:
8Der Musterkläger habe nicht gemäß § 606 Abs. 2 Satz 1 ZPO dargelegt und nachgewiesen, dass er die Voraussetzungen einer qualifizierten Einrichtung im Sinne des § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO erfülle, so dass die Musterfeststellungsklage nicht gemäß § 607 Abs. 2 ZPO öffentlich bekannt zu machen sei.
9Der Musterkläger habe nicht nachgewiesen, dass er über die nach § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO erforderliche Mitgliederzahl von mindestens 350 natürlichen Personen verfüge. Die vorgelegte eidesstattliche Versicherung des Vereinsvorsitzenden und die Tabelle mit 377 Eintragungen ließen eine Identifikation der Mitglieder nicht zu. In der Liste fehlten teilweise Eintragungen in den Spalten "PLZ" und "Ort", in der Spalte "Nachname" sei jeweils lediglich ein Großbuchstabe angegeben und bei drei Eintragungen passe die angegebene Postleitzahl nicht zum angegebenen Ort. Die vom Musterkläger vorgelegten anonymisierten weiteren zwei Listen wiesen 357 bzw. 358 Mitglieder aus und nicht wie vom Musterkläger schriftsätzlich vorgetragen 386 Mitglieder. Vor dem Hintergrund dieser Widersprüche und Unzulänglichkeiten müsse die Identität der Mitglieder des Musterklägers und deren tatsächliche Mitgliedschaft überprüft werden können, was anhand von anonymisierten Mitgliederlisten nicht möglich sei. Die beiden nachgereichten anonymisierten Listen könnten ohne Verletzung des rechtlichen Gehörs der Musterbeklagten nicht als Nachweis verwendet werden, weil der Musterkläger einer Zugänglichmachung dieser Listen an die Musterbeklagte widersprochen habe. Die vom Musterkläger weiter zum Beleg der erforderlichen Mitgliederzahl angebotenen Nachweise seien ungeeignet.
10Der Musterkläger habe außerdem nicht belegt, dass er gemäß § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZPO in Erfüllung seiner satzungsmäßigen Aufgaben Verbraucherinteressen weitgehend durch nicht gewerbsmäßige aufklärende oder beratende Tätigkeiten wahrnehme. Die gerichtliche Geltendmachung von Verbraucherinteressen, zu der auch Abmahnungen und Klagen nach dem Unterlassungsklagengesetz gehörten, dürfe nicht den Schwerpunkt der Tätigkeit ausmachen. Auf der Grundlage des Vortrags des Musterklägers könne nicht festgestellt werden, dass seine aufklärende und beratende Tätigkeit die mit der gerichtlichen Geltendmachung von Verbraucherinteressen verbundene Tätigkeit überwiege. Konkreter Vortrag zum Umfang und dem Aufwand dieser Tätigkeiten fehle. Angesichts der Einnahmen des Musterklägers im Jahr 2017 (540.687,53 €) und dem ersten Halbjahr 2018 (584.908,15 €) erscheine es jedenfalls nicht fernliegend, dass die gerichtlichen Tätigkeiten des Musterklägers nicht von untergeordneter Bedeutung seien.
112. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand, so dass die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen ist.
12a) Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 119 Abs. 3 Satz 1 GVG, § 607 Abs. 1 und 2, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 ZPO; vgl. , WM 2019, 1900 Rn. 7; Röthemeyer, Musterfeststellungsklage, 2. Aufl., § 607 Rn. 12) und auch im Übrigen zulässig (§ 575 ZPO).
13b) Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet, weil das Oberlandesgericht die öffentliche Bekanntmachung der Musterfeststellungsklage im Klageregister im Ergebnis zu Recht abgelehnt hat.
14Die öffentliche Bekanntmachung einer Musterfeststellungsklage ist durch Beschluss abzulehnen, wenn die Klageschrift die nach § 607 Abs. 2 i.V.m. § 606 Abs. 2 Satz 1 ZPO vorgeschriebenen Anforderungen nicht erfüllt (zur Ablehnung der öffentlichen Bekanntmachung einzelner Feststellungsziele durch Beschluss BGH, Beschluss vom - VI ZB 59/18, WM 2019, 1900; vgl. auch Röthemeyer, Musterfeststellungsklage, 2. Aufl., § 607 Rn. 10; BeckOK ZPO/Lutz, 38. Edition, Stand , § 607 Rn. 14; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 17. Aufl., § 607 Rn. 4). Nach § 606 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO muss die Klageschrift Angaben und Nachweise dazu enthalten, dass die in Absatz 1 Satz 2 dieser Vorschrift genannten Voraussetzungen vorliegen. Danach muss der Musterkläger unter anderem mindestens zehn Verbände, die im gleichen Aufgabenbereich tätig sind, oder mindestens 350 natürliche Personen als Mitglieder haben (§ 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO) und in Erfüllung seiner satzungsmäßigen Aufgaben Verbraucherinteressen weitgehend durch nicht gewerbsmäßige aufklärende oder beratende Tätigkeiten wahrnehmen (§ 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZPO). Zu diesen beiden Punkten hat der Musterkläger nicht schlüssig vorgetragen.
15Nach § 606 Abs. 2 Satz 1 ZPO muss die Klageschrift Angaben und Nachweise "enthalten". Das heißt im Kontext mit der nach § 607 Abs. 2 ZPO zu treffenden Entscheidung über die öffentliche Bekanntmachung der Klage, dass der Klageschrift Angaben und Nachweise zu den Voraussetzungen nach § 606 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 1 Satz 2 ZPO und zu der Glaubhaftmachung der Betroffenheit von mindestens zehn Verbrauchern nach § 606 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2 ZPO (vgl. hierzu , WM 2019, 1900 Rn. 8, 11 ff.) beigefügt sein müssen (BT-Drucks. 19/2439, S. 24; BT-Drucks. 19/2710, S. 10; Röthemeyer, Musterfeststellungsklage, 2. Aufl., § 607 Rn. 7; Boese/Bleckwenn in Nordholtz/Mekat, Musterfeststellungsklage, § 4 Rn. 32), die geeignet sind, das Vorliegen dieser Voraussetzungen auszufüllen (vgl. Boese/Bleckwenn aaO; Felgentreu/Gängel, VuR 2019, 323, 328). Diesen Anforderungen genügen die vom Musterkläger gemachten Angaben nicht.
16aa) Der Musterkläger hat nicht schlüssig vorgetragen, dass er mindestens 350 natürliche Personen als Mitglieder hat (§ 606 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO).
17Auf den Hinweis des Oberlandesgerichts hat der Musterkläger zuletzt vorgetragen, er habe derzeit "180 Vollmitglieder" und 206 nicht stimmberechtigte "Internetmitglieder". Auf der Grundlage dieses Vortrags verfügt der Musterkläger nur über 180 Mitglieder im Sinne des § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO, weil die weiteren, nach seinem Vortrag bestehenden 206 Internetmitglieder wegen ihres fehlenden Stimmrechts nicht mitzuzählen sind.
18Zu den Mitgliedern nach § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO gehören nur solche Verbände und natürliche Personen, die kraft der ihnen organschaftlich zustehenden Rechte in relevanter Weise auf das Verhalten und die Geschicke des Vereins Einfluss nehmen können (vgl. OLG Stuttgart, WM 2019, 1055 Rn. 49, bestätigt durch Senatsurteil vom - XI ZR 171/19, n.n.v.; MünchKommZPO/Menges, 6. Aufl., § 606 Rn. 6; Riesner, ZIP 2019, 1507, 1514). Die Möglichkeit, in dieser Weise Einfluss zu nehmen, setzt ein Stimmrecht auf den Versammlungen des Vereins voraus. Da die Internetmitglieder des Musterklägers kein Stimmrecht haben, sind sie bei der Berechnung der Mitgliederzahl nach § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO nicht mitzuzählen (vgl. OLG Stuttgart aaO Rn. 47; aA Röthemeyer, Musterfeststellungsklage, 2. Aufl., § 606 Rn. 35; ders., BKR 2019, 301, 302; Rotter, VuR 2019, 283, 294; Felgentreu/Gängel, VuR 2019, 323, 324; BeckOK ZPO/Lutz, 38. Edition, Stand , § 606 Rn. 33; Stadler in Musielak/Voit, ZPO, 17. Aufl., § 606 Rn. 7). Das den Internetmitgliedern nach der Satzung des Musterklägers (vgl. § 7 Nr. 1 und § 10 Nr. 3) zustehende Recht auf Teilnahme an Mitgliederversammlungen und das Recht zur Mitwirkung an der Einberufung von Mitgliederversammlungen reicht - entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde - nicht aus, um auf das Verhalten und die Geschicke des Vereins in relevanter Weise Einfluss nehmen zu können.
19Ein solches Verständnis des Mitgliedschaftsbegriffs weicht zwar vom vereinsrechtlichen Begriff der Mitgliedschaft ab, nach dem die Satzung abgestufte Mitgliedschaften bestimmen kann, die mit unterschiedlichen Rechten und Pflichten ausgestaltet sind (vgl. BAG, NJW 1996, 143, 151), und für deren Vorliegen das Recht auf Teilnahme an Mitgliederversammlungen und das Recht zur Mitwirkung an der Einberufung solcher nach § 37 BGB grundsätzlich ausreicht (vgl. BAG aaO; Palandt/Ellenberger, BGB, 79. Aufl., § 38 Rn. 2). An den Begriff des Mitglieds im Sinne des § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO sind wegen des vom Gesetzgeber mit den besonderen Tatbestandsmerkmalen der Klagebefugnis bei Musterfeststellungsverfahren verbundenen Zwecks aber höhere Anforderungen zu stellen. Durch die Beschränkung der Klagebefugnis auf besonders qualifizierte Einrichtungen soll sichergestellt werden, dass Musterfeststellungsklagen nur im Interesse betroffener Verbraucher und von Organisationen erhoben werden können, welche aufgrund ihrer bisherigen Tätigkeit die Gewähr für eine sachgerechte Aufgabenerfüllung und keine Anhaltspunkte für Missbrauch bieten (BT-Drucks. 19/2439, S. 23). Außerdem soll verhindert werden, dass sich Einrichtungen aus verbraucherschutzfremden Motiven gründen, nur um für einen bestimmten Einzelfall kurzfristig die Klagebefugnis zu erlangen (BT-Drucks. aaO). Vor diesem Hintergrund müssen Mitglieder im Sinne des § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO die Möglichkeit haben, dafür zu sorgen, dass Musterfeststellungsklagen nicht aus verbraucherschutzfremden Motiven erhoben werden und dass der Verband in zeitlicher Hinsicht eine gewisse Stabilität aufweist (vgl. OLG Stuttgart, WM 2019, 1055 Rn. 50). Das setzt wiederum eine gewisse Anzahl - die mit mindestens 350 gesetzlich vorgegeben ist - an Vereinsmitgliedern voraus, deren Willensbildung in den Versammlungen für eine fortlaufend sachgerechte an Verbraucherinteressen orientierte Aufgabenerfüllung des Vereins Sorge trägt. Eine solche vom Vereinszweck getragene Willensbildung ist nach Sinn und Zweck des § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO nur möglich, wenn die nach Nr. 1 dieser Vorschrift vorgeschriebenen 350 Mitgliedschaften mit einem Stimmrecht ausgestaltet sind. Das ist beim Musterkläger nach seinem zuletzt gehaltenen Vortrag nur bei 180 und nicht bei mindestens 350 Vereinsmitgliedern der Fall.
20bb) Darüber hinaus hat der Musterkläger durch die Vorlage von anonymisierten Mitgliederlisten die Voraussetzungen des § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO grundsätzlich nicht dargetan.
21Wie der Bundesgerichtshof (vgl. Urteil vom - I ZR 126/93, BGHZ 131, 90, 92 ff.) zu der Voraussetzung der Klagebefugnis zu § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG in der bis zum geltenden Fassung (nachfolgend: aF) bereits entschieden hat, genügt ein klagender Verband mit der auf eine anonymisierte Mitgliederliste gestützten Behauptung, er verfüge über die gesetzlich vorgeschriebene Mitgliederanzahl, nicht den an eine ordnungsgemäße Darlegung gestellten Anforderungen. Das gilt - wie das Oberlandesgericht zutreffend annimmt - auch für die in § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO geregelte Voraussetzung der Klagebefugnis für Musterfeststellungsklagen (vgl. Stadler in Musielak/Voit, ZPO, 17. Aufl., § 606 Rn. 7; BeckOK ZPO/Lutz, 38. Edition, Stand , § 606 Rn. 46a; aA Felgentreu/Gängel, VuR 2019, 323, 329), die als Prozessvoraussetzung vom Gericht von Amts wegen zu prüfen ist (vgl. Röthemeyer, Musterfeststellungsklage, 2. Aufl., § 606 Rn. 48; Boese/Bleckwenn in Nordholtz/Mekat, Musterfeststellungsklage, § 4 Rn. 33; Felgentreu/Gängel, aaO, 328).
22Eine solche Prüfung ist dem Gericht, wenn der Musterkläger die Identität seiner Mitglieder nicht offenlegt, nicht möglich. Das Gericht kann anhand einer anonymisierten Mitgliederliste nicht überprüfen, ob die in der Liste nicht identifizierbaren Personen tatsächlich Mitglieder des Vereins sind, so dass es auch die Anzahl der tatsächlichen Vereinsmitglieder nicht feststellen kann.
23Zudem ist es der beklagten Partei, welche die Darstellung der Angaben eines Verbandes zu seiner Mitgliederstruktur, wie hier, als nicht überprüfbar in Zweifel zieht, nicht zuzumuten, ohne die Bekanntgabe der Namen der Mitglieder des klagenden Verbandes von der Richtigkeit der Darstellung der Klagepartei auszugehen (vgl. , BGHZ 131, 90, 93 mwN). Es ist ein das rechtsstaatliche Verfahren beherrschender Grundsatz, dass der Prozessgegner die Möglichkeit haben muss, Kenntnis von allen entscheidungserheblichen Tatsachen zu nehmen und die Angaben der darlegungs- und beweisbelasteten Partei selbst nachzuprüfen. Dieses Recht gründet sich auf Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. BVerfG NJW 1995, 40) und auf den verfassungsrechtlichen Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG; BGH aaO). Die Grundsätze des deutschen Zivilverfahrensrechts lassen es in der Regel nicht zu, die von einer Partei geheim gehaltenen Tatsachen zu deren Gunsten zu verwerten (BVerfG aaO; BGH aaO). Eine davon abweichende Beurteilung kann zwar ausnahmsweise gerechtfertigt sein, wenn die darlegungs- und beweisbelastete Partei ein erhebliches rechtliches Interesse an der Geheimhaltung bestimmter innerbetrieblicher Informationen hat und dem Prozessgegner aus der Verwertung der geheim gehaltenen Tatsachen keine unzumutbaren Nachteile erwachsen. Anhaltspunkte für eine solche Ausnahme sind bei der Beurteilung der Verbandsklagebefugnis gemäß § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO, soweit es um die Bekanntgabe der Namen der Mitglieder des Verbandes geht, aber regelmäßig nicht festzustellen (vgl. zu § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG aF: BGH aaO, 93 f. mwN). Die Annahme der Rechtsbeschwerde, die Beklagte und andere Banken könnten die Mitglieder des Musterklägers als kritische Kunden einstufen und daher nicht mehr bereit sein, Geschäftsbeziehungen zu diesen zu unterhalten, ist durch nichts belegt.
24cc) Schließlich lässt die Klageschrift schlüssige Angaben nach § 606 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZPO dazu vermissen, dass der Musterkläger in Erfüllung seiner satzungsmäßigen Aufgaben Verbraucherinteressen weitgehend durch nicht gewerbsmäßige aufklärende oder beratende Tätigkeiten wahrnimmt.
25(1) Die Überprüfung dieser Voraussetzung obliegt uneingeschränkt dem zur Entscheidung nach § 607 Abs. 2 ZPO berufenen Gericht. Der gerichtlichen Prüfungskompetenz steht insbesondere nicht entgegen, dass § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZPO Überschneidungen mit den vom Bundesamt für Justiz in einem Verwaltungsverfahren zu prüfenden Eintragungsvoraussetzungen aufweist (vgl. Beckmann/Waßmuth, WM 2019, 45, 47), die für die Aufnahme des Musterklägers in die Liste der qualifizierten Einrichtungen nach § 4 UKlaG erfüllt sein müssen (vgl. BeckOK ZPO/Lutz, 38. Edition, Stand , § 606 Rn. 36; Felgentreu/Gängel, VuR 2019, 323, 324).
26(2) Um das Vorliegen der Voraussetzungen des § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZPO überprüfen zu können, muss der Musterkläger sowohl zu seinen nicht gewerbsmäßigen aufklärenden und beratenden Tätigkeiten als auch zu seinen sonstigen Tätigkeiten so vortragen, dass das Gericht eine Gewichtung vornehmen kann (vgl. Stadler in Musielak/Voit, ZPO, 17. Aufl., § 606 Rn. 8; BeckOK ZPO/Lutz, 38. Edition, Stand , § 606 Rn. 36; Felgentreu/Gängel, VuR 2019, 323, 329). Maßgebend hierfür ist nach dem Wortlaut des § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZPO nicht der Satzungsinhalt, sondern die (tatsächliche) Erfüllung der satzungsmäßigen Aufgabe, Verbraucherinteressen weitgehend durch nicht gewerbsmäßige aufklärende oder beratende Tätigkeiten wahrzunehmen. Entgegen der Meinung der Rechtsbeschwerde ist daher anders als nach § 13 Abs. 5 UWG in der bis zum gültigen Fassung (vgl. hierzu , NJW 2001, 896) nicht von einer "Vermutung der satzungsgemäßen Tätigkeit" auszugehen (aA Felgentreu/Gängel aaO). Der Musterkläger muss vielmehr hinreichende Angaben zu den von ihm tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten machen. Ein solches Verständnis wird durch die Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 19/2439, S. 23) unterstützt, in denen ausgeführt wird, dass die gerichtliche Geltendmachung von Verbraucherinteressen auch "in der gelebten Praxis der Einrichtung nur eine untergeordnete Rolle spielen" darf, was "durch geeignete Nachweise über die tatsächliche Tätigkeit zu belegen" ist.
27Entscheidend für die Erfüllung der Anforderungen nach § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZPO ist danach, dass der Verbraucherschutz, der durch die von der qualifizierten Einrichtung tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten erzielt wird, bei einer wertenden Gesamtbetrachtung ganz maßgebend auf eine nicht gewerbsmäßige Aufklärung oder Beratung zurückzuführen ist und der (außer)gerichtlichen Geltendmachung von Verbraucherinteressen nur eine untergeordnete Rolle daneben zukommt (vgl. OLG Stuttgart, WM 2019, 1055 Rn. 58 ff.). Bei der anzustellenden Gesamtbetrachtung ist dem mit den verschiedenen Tätigkeiten verbundenen Personal- und Zeitaufwand indizielle Bedeutung beizumessen (vgl. BeckOK ZPO/Lutz, 38. Edition, Stand , § 606 Rn. 36 aE; PG/Halfmeier, ZPO, 12. Aufl., § 606 Rn. 7; aA Felgentreu/Gängel, VuR 2019, 323, 326), wobei auch der im Zusammenhang mit dem Betreiben von gerichtlichen Verfahren entstehende externe Aufwand zu berücksichtigen ist (vgl. Röthemeyer, Musterfeststellungsklage, 2. Aufl., § 606 Rn. 37). Darüber hinaus ist das Verhältnis der Einnahmen aus den Mitgliedsbeiträgen einerseits und der Einnahmen aus der (außer)gerichtlichen Geltendmachung von Verbraucherinteressen in Form von Abmahnpauschalen und Vertragsstrafen andererseits als Indiz heranzuziehen (vgl. BeckOK ZPO/Lutz, aaO; vgl. auch , juris Rn. 8 zum Begriff "Abmahnverein"). Übersteigen die durch Abmahnpauschalen und Vertragsstrafen erzielten Einnahmen die eingenommenen Mitgliedsbeiträge um ein Vielfaches, spricht dies im Rahmen der wertenden Gesamtbetrachtung dafür, dass die (außer)gerichtliche Geltendmachung von Verbraucherinteressen beim Schutz der Verbraucher vor unredlichen Geschäftspraktiken keine nur untergeordnete Rolle spielt.
28(3) Gemessen hieran hat das Oberlandesgericht zu Recht angenommen, dass der Musterkläger nicht dargelegt hat, er nehme Verbraucherinteressen weitgehend durch nicht gewerbsmäßige Aufklärung oder Beratung wahr.
29Der Musterkläger hat vorgetragen, dass er in den 14 Jahren seines Bestehens 429 Unterlassungsklagen nach dem Unterlassungsklagengesetz erhoben habe, von denen "ca. ein Dutzend" vom Bundesgerichtshof entschieden worden seien. Im Jahr 2017 habe er Vertragsstrafen in Höhe von 343.712,46 € und in der ersten Hälfte des Jahres 2018 in Höhe von 302.526,40 € eingenommen. Weitere Beträge habe er aus Abmahnpauschalen vereinnahmt. Darüber hinaus hat der Musterkläger Presseartikel vorgelegt, die darauf schließen lassen, dass er sich in gewichtigem Umfang mit der gerichtlichen und außergerichtlichen Durchsetzung von Verbraucherinteressen befasst. So heißt es in der Wirtschaftswoche vom "Ein kleiner Verein kämpft gegen die Großbanken", "Gegen all diese Banken hat die Schutzgemeinschaft Verfahren vor den Landgerichten eingeleitet" und "Wenn wir eine Klage einreichen, zeigen sich die Banken meist einsichtig", in der Zeitschrift der Stiftung Warentest vom heißt es "Kreditbearbeitungsgebühren: Banken in der Schuld", "In hunderten von Fällen hat Schutzgemeinschafts-Anwalt B. Klage erhoben und schon jetzt Dutzende von Verurteilungen erreicht" und im Handelsblatt vom heißt es "Banken auf Gebührenjagd", "In den vergangenen Jahren hat [der Vorsitzende des Musterklägers] in knapp 3.400 Fällen Gebühren abgemahnt, die nach der aktuellen Rechtsprechung unlauter oder zumindest zweifelhaft sind". In der weiter vorgelegten Stellungnahme des Musterklägers zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der zivilrechtlichen Durchsetzung von verbraucherschützenden Vorschriften des Datenschutzes aus dem Jahr 2014 findet sich unter anderem die Aussage des Musterklägers, dass dieser in den 10 Jahren seines Bestehens mehr als 5.000 missbräuchliche Klauseln deutscher Bankinstitute erfolgreich bekämpft und eine Vielzahl verbraucherschützender gerichtlicher Entscheidungen erstritten habe, so dass er über die erforderliche praktische und forensische Erfahrung verfüge, um zu dem Gesetzesvorhaben Stellung zu nehmen.
30Auf der Grundlage dieses Vorbringens ist die Tätigkeit des Musterklägers im Bereich der gerichtlichen und außergerichtlichen Anspruchsdurchsetzung sowohl hinsichtlich der Einnahmen als auch in seiner Außendarstellung für den Musterkläger nicht nur von untergeordneter Bedeutung. Wie das Oberlandesgericht zutreffend festgestellt hat, stammen zwischen 97% und 99% der Einnahmen des Musterklägers in den angegebenen Zeiträumen aus diesem Tätigkeitsfeld, so dass diese Einnahmen die Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen um ein Vielfaches übersteigen müssen. Dieser Befund korrespondiert mit der klägerischen Satzung, nach der drei der fünf Tätigkeitsfelder des Musterklägers die gerichtliche und außergerichtliche Durchsetzung von Verbraucherinteressen zum Gegenstand haben (§ 5 Nr. 3 bis 5 der Satzung). Bei wertender Gesamtbetrachtung ist danach auch unter Berücksichtigung der vom Musterkläger gemachten Angaben zu seinen beratenden und aufklärenden Tätigkeiten nicht davon auszugehen, dass die (außer)gerichtliche Geltendmachung von Verbraucherinteressen beim Schutz der Verbraucher vor unredlichen Geschäftspraktiken nur eine untergeordnete Rolle spielt.
III.
31Dem Musterkläger sind mit der kostenpflichtigen Zurückweisung seiner Rechtsbeschwerde zugleich die Kosten für die erste Instanz aufzuerlegen.
32In einem verfahrensabschließenden Beschluss ist - wie bei Urteilen nach § 308 Abs. 2 ZPO - von Amts wegen ein Ausspruch über die Kostenpflicht zu treffen, sofern der Beschluss einen dem Endurteil vergleichbaren abschließenden Charakter aufweist (vgl. Stein/Jonas/Muthorst, ZPO, 23. Aufl., § 91 Rn. 10; OLG Düsseldorf, Rpfleger 1950, 237). So liegt es hier, da der die Bekanntmachung der Musterfeststellungsklage ablehnende Beschluss des Oberlandesgerichts wie ein die Musterfeststellungsklage als unzulässig abweisendes Prozessurteil das Musterfeststellungsverfahren abschließt. Die im angefochtenen Beschluss unterbliebene Kostenentscheidung ist in der Rechtsmittelinstanz und damit vom Senat gemäß § 308 Abs. 2 ZPO nachzuholen (BeckOK ZPO/Elzer, 38. Edition, Stand , § 321 Rn. 12). Das Verbot, die angefochtene Entscheidung zu Lasten des Rechtsmittelführers abzuändern (reformatio in peius), steht dem nicht entgegen (vgl. zur Korrektur einer Kostenentscheidung in der Rechtsmittelinstanz: , MDR 1981, 928; Senatsurteil vom - XI ZR 183/15, WM 2017, 766 Rn. 35).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:171120BXIZB1.19.0
Fundstelle(n):
NJW 2021 S. 1018 Nr. 14
NJW 2021 S. 9 Nr. 8
WM 2021 S. 231 Nr. 5
ZIP 2021 S. 1065 Nr. 20
XAAAH-69817