BSG Beschluss v. - B 13 R 59/19 B

Sozialgerichtliches Verfahren - Gegenstand des Klageverfahrens - weiterer Antrag auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung während des Klage- oder Berufungsverfahrens - erneute Rentenablehnung

Leitsatz

Ein Verwaltungsakt, der während eines Klage- oder Berufungsverfahrens erlassen wird und mit dem der Rentenversicherungsträger auf einen neuerlichen Antrag des Versicherten hin die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung jedenfalls für einen Teil des streitigen Zeitraums erneut ablehnt, wird Gegenstand des Klageverfahrens.

Gesetze: § 96 Abs 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 43 SGB 6

Instanzenzug: SG Neubrandenburg Az: S 10 R 361/15 Urteilvorgehend Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern Az: L 7 R 132/16 Beschluss

Gründe

1I. Der Kläger begehrt im zugrunde liegenden Rechtsstreit die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente.

2Der beklagte Rentenversicherungsträger lehnte mit Bescheid vom in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom einen ersten Rentenantrag des Klägers ab. Der Kläger erhob dagegen Klage vor dem SG Neubrandenburg. Während des Klageverfahrens beantragte er erneut die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente, was die Beklagte als unzulässig ablehnte (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ). Die dagegen erhobene weitere Klage des Klägers (S 10 R 361/15) hat das SG wegen mangelnden Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig abgewiesen (Urteil vom ). Das LSG Mecklenburg-Vorpommern hat die vom Kläger hiergegen eingelegte Berufung (L 7 R 132/16) zurückgewiesen. In Übereinstimmung mit dem SG hat es die Klage als unzulässig erachtet. Der angefochtene Bescheid sei zwar nicht gemäß § 96 Abs 1 SGG Gegenstand des ersten Klageverfahrens geworden. Es fehle jedoch am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis für eine zweite Klage. Über den geltend gemachten Anspruch werde im ersten Klageverfahren auch über das Datum des erneuten Rentenantrags hinaus entschieden, denn diesem komme keine Zäsurwirkung zu. Das LSG hat ergänzt, die zweite Klage sei selbst dann unzulässig, wenn man davon ausgehen wollte, der angefochtene Bescheid sei Gegenstand des ersten Klageverfahrens geworden. Dann stehe ihr die anderweitige Rechtshängigkeit entgegen (Beschluss vom ).

4Der Kläger bringt vor, die erste Frage sei bislang nicht höchstrichterlich geklärt. Das BSG habe lediglich für die - hier nicht gegebene - Fallkonstellation, in der auf einen während des Klageverfahrens gestellten weiteren Rentenantrag hin die begehrte Rente teilweise bewilligt und teilweise abgelehnt werde, entschieden, dass der neue Bescheid Gegenstand des laufenden Klageverfahrens werde. Dazu weist er auf eine Entscheidung vom hin ( - juris). Ungeklärt sei hingegen, ob das auch für einen Bescheid gelte, der während eines laufenden Klageverfahrens ergehe und mit dem wie hier auf einen erneuten Rentenantrag hin die begehrte Rente erneut vollständig abgelehnt werde. In der Rechtsprechung der Landessozialgerichte werde diese Frage unterschiedlich beantwortet. Der Kläger meint, insoweit liegt kein Fall des § 96 Abs 1 SGG vor. Bezüglich der weiteren Frage bejaht der Kläger ein Rechtsschutzbedürfnis für eine gesonderte Klage, denn er sei durch die erneute Rentenablehnung beschwert und mit einer zweiten Klage könne er sein Rechtsschutzziel zumindest für den Zeitraum ab der Stellung des neuerlichen Rentenantrags erreichen.

5Der Kläger macht zudem den Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) geltend. Insoweit bringt er vor, das SG habe statt eines Prozessurteils ein Sachurteil erlassen müssen, eben weil ein Rechtsschutzbedürfnis für seine zweite Klage vorgelegen habe. Dieser Fehler setze sich in der Berufungsentscheidung fort.

6II. 1. Der PKH-Antrag des Klägers ist abzulehnen. Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 114, 121 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Daran fehlt es hier. Der Kläger hat PKH für eine von einer beim BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten bereits eingelegte und bis zum Ablauf der Begründungsfrist bereits begründete Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Berufungsbeschluss beantragt. Hinreichende Erfolgsaussichten böte diese Nichtzulassungsbeschwerde nur, wenn die Revision zuzulassen wäre, weil einer der in § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG genannten Zulassungsgründe in der gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 SGG vorgeschriebenen Form dargelegt bzw bezeichnet und tatsächlich gegeben wäre. Das ist nicht der Fall, weil die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers jedenfalls unbegründet ist (dazu unter 2.).

7Mit der Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von PKH entfällt zugleich die Möglichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).

82. Die unbedingt eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Es kann dahin stehen, ob die Beschwerdebegründung des Klägers in jeder Hinsicht der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form genügt (vgl Senatsbeschluss vom - B 13 R 175/18 B - juris RdNr 8, zu der Möglichkeit, die Zulässigkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde offenzulassen). Sie ist jedenfalls unbegründet. Die behauptete oder tatsächliche inhaltliche Unrichtigkeit der Berufungsentscheidung kann nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN). Zudem liegt keiner der vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe vor.

9a) Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) ist nicht gegeben.

10Die Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt eine Rechtsfrage voraus, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (stRspr; vgl etwa Senatsbeschluss vom - B 13 R 9/16 B - juris RdNr 12 mwN). Regelmäßig nicht klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, die bereits höchstrichterlich entschieden ist (stRspr; zB - juris RdNr 6 mwN; zu den - hier nicht in Betracht kommenden - Ausnahmen vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160 RdNr 8b f). Als bereits höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl Senatsbeschluss vom - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17; Senatsbeschluss vom - B 13 R 294/16 B - juris RdNr 4).

11Die vom Kläger aufgeworfene erste Frage ist nicht mehr klärungsbedürftig. Vielmehr lässt sie sich anhand der höchstrichterlichen Rechtsprechung eindeutig beantworten. Nach der Rechtsprechung beider Rentensenate des BSG liegen, wenn während eines Klage- oder Berufungsverfahrens auf einen weiteren Antrag hin Rente wegen Erwerbsminderung - wie hier - erneut abgelehnt oder für einen Teil des streitigen Zeitraums bewilligt und im Übrigen weiter abgelehnt wird, iS von § 96 Abs 1 SGG die bisherige Ablehnung ersetzende Neuregelungen vor, über die in unmittelbarer Anwendung der Norm zu entscheiden ist ( - juris RdNr 9; BSG Senatsbeschluss vom - B 13 R 329/17 B - juris RdNr 8).

12Hinsichtlich der zweiten vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfrage fehlt es jedenfalls an der erforderlichen Klärungsfähigkeit. Die Frage nach dem Rechtsschutzbedürfnis für eine gesonderte Klage gegen die erneute Rentenablehnung stellt sich - auch nach dem Verständnis des Klägers - nur, wenn über die erneute Rentenablehnung nicht im ersten Klageverfahren zu entscheiden ist. Das ist aber wie ausgeführt gerade der Fall.

13b) Ebenso wenig liegt der geltend gemachte Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) vor.

14Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug, auf dem die Entscheidung beruhen kann (stRspr; vgl zB - BSGE 2, 81, 82; - BSGE 15, 169, 172 = SozR Nr 3 zu § 52 SGG; jüngst BSG Senatsbeschluss vom - B 13 R 340/18 B - juris RdNr 12).

15Der vom Kläger gerügte Erlass eines Prozessurteils begründet keinen solchen Verstoß. Zwar kann ein fortwirkender Verfahrensmangel vorliegen, wenn anstelle eines erstinstanzlichen Prozessurteils eine Sachentscheidung hätte ergehen müssen und das Berufungsgericht lediglich das erstinstanzliche Prozessurteil bestätigt ( BH - juris RdNr 10; Senatsbeschluss vom - B 13 R 140/17 B - juris RdNr 5). Die Klage des Klägers ist jedoch im Ergebnis zutreffend durch Prozessurteil abgewiesen worden. Sie ist wegen anderweitiger Rechtshängigkeit unzulässig und wäre einem Sachurteil nicht zugänglich gewesen, weil der angefochtene Bescheid bereits mit seinem Erlass gemäß § 96 Abs 1 SGG Gegenstand des zuvor vom Kläger angestrengten ersten Klageverfahrens geworden ist. Allein der Umstand, dass das SG und ihm folgend das LSG hier eine unzutreffende Begründung für den Erlass eines Prozessurteils herangezogen haben, begründet keinen Verfahrensmangel.

16c) Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

173. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2020:211020BB13R5919B0

Fundstelle(n):
UAAAH-69361