BSG Beschluss v. - B 12 KR 65/20 B

Sozialgerichtliches Verfahren - Anforderungen an die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde - Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache - Rüge der inhaltlichen Unrichtigkeit der Entscheidung

Gesetze: § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG

Instanzenzug: Sozialgericht für das Saarland Az: S 1 KR 440/18 Gerichtsbescheidvorgehend Landessozialgericht für das Saarland Az: L 2 KR 51/19 Urteil

Gründe

1I. In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten darüber, ob eine zur Beendigung eines Rechtsstreits über die Höhe einer betrieblichen Altersrente vergleichsweise vereinbarte Einmalzahlung der Beitragspflicht in der gesetzlichen Kranken- (GKV) und sozialen Pflegeversicherung (sPV) unterliegt.

2Der Kläger ist in der Kranken- und Pflegeversicherung der Rentner bei der Beklagten pflichtversichert. Über die Höhe einer ihm aus einem Pensionsfonds seiner ehemaligen Arbeitgeberin zustehenden Betriebsrente kam es zu einem arbeitsgerichtlichen Rechtsstreit. In dessen Rahmen einigten sich der Kläger und seine ehemalige Arbeitgeberin vergleichsweise darauf, dass die Rente zutreffend berechnet und in unveränderter Höhe zu zahlen sei und die ehemalige Arbeitgeberin zudem 19 000 Euro brutto an den Kläger zahle, woraus aber zunächst lediglich der Nettobetrag zu leisten sei. Die Differenz zum Bruttobetrag solle nur an den Kläger gezahlt werden, wenn nach der Auskunft des Finanzamtes bzw der Krankenkasse keine Steuer- und Sozialversicherungsbeiträge auf die Einmalzahlung anfielen.

3Die Beklagten setzten sowohl auf die laufende Betriebsrente als auch auf 1/120 der Abfindung Beiträge zur GKV und sPV fest (Bescheide vom und vom , Widerspruchsbescheid vom ). Die dagegen gerichtete Klage (Gerichtsbescheid vom ) und Berufung sind erfolglos geblieben. Das LSG hat den arbeitsgerichtlichen Vergleich dahingehend ausgelegt, dass er zur Abfindung der geltend gemachten Ansprüche auf eine höhere Betriebsrente geschlossen worden sei. Die Voraussetzungen der Beitragspflicht auf einmalig gezahlte Versorgungsbezüge seien erfüllt, die Abfindung trete an die Stelle der eingeklagten höheren Versorgungsbezüge (Urteil vom ).

4Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde.

5II. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG). Der Kläger hat die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) und eines Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

61. Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (stRspr, vgl nur - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17; - juris RdNr 6 mwN). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31 S 48; - juris RdNr 6). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

7Der Kläger hat bereits keine Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts mit höherrangigem Recht (vgl - juris RdNr 11 mwN) formuliert. Die Bezeichnung einer hinreichend bestimmten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann ( B 10 ÜG 3/14 B - juris RdNr 11 mwN). Der Kläger wirft zwar eine Fülle von Fragen und Problemen auf, zB unter welchen Bedingungen § 229 SGB V oder § 228 SGB V anwendbar seien. Insoweit zielt sein Vortrag aber nicht auf eine bestimmte klärungsfähige Rechtsfrage, sondern letztlich auf das Ergebnis des Subsumtionsvorgangs in seinem Einzelfall ab ("ob es eine Nachzahlung ist …"). Mit der Behauptung, das Urteil des LSG sei inhaltlich rechtsfehlerhaft, lässt sich die Zulassung der Revision aber nicht erreichen (vgl - SozR 1500 § 160a Nr 7). Dies betrifft insbesondere auch den Vortrag des Klägers zu der nach seiner Auffassung fehlerhaften Rechtsanwendung des LSG bei der Auslegung des Vergleichs ("Verstoß gegen Denkgesetz"); insoweit räumt er im Übrigen selbst ein, dass zur Geltendmachung einer grundsätzlichen Bedeutung Klärungsbedarf zu einer revisiblen Vorschrift des Bundesrechts aufzuzeigen wäre.

8Der Kläger lässt offen, zu welchem Tatbestandsmerkmal welcher Norm er eine revisionsgerichtliche Entscheidung für erforderlich hält und beschränkt sich darauf, eine Vielzahl von Einzelaspekten aufzuführen, ohne ihre Begründung hinreichend zu systematisieren und zu strukturieren. Die Ausführungen zur Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde müssen aber ein Mindestmaß an Klarheit und Verständlichkeit aufweisen (vgl - juris RdNr 7 mwN). Es ist nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts aus einem Gemenge das herauszusuchen, was möglicherweise - bei wohlwollender Auslegung - zur Begründung der Beschwerde geeignet sein könnte (vgl - SozR 3-1500 § 160a Nr 26 mwN).

9Abgesehen von der Formulierung einer Rechtsfrage fehlt es auch an einer hinreichenden Darlegung der weiteren Voraussetzungen einer Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung. Der Kläger legt die Klärungsbedürftigkeit zu der aufgeworfenen Thematik nicht hinreichend dar. Eine Rechtsfrage ist dann höchstrichterlich geklärt und damit als nicht (mehr) klärungsbedürftig anzusehen, wenn diese bereits beantwortet ist. Ist sie noch nicht ausdrücklich entschieden, genügt es, dass schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben ( - SozR 4-1500 § 183 Nr 12 RdNr 7 mwN). Daher muss substantiiert aufgezeigt werden, dass und warum sich früheren Entscheidungen keine solchen Anhaltspunkte entnehmen lassen.

10Es fehlt aber an einer hinreichenden Auseinandersetzung sowohl mit der umfangreichen Rechtsprechung des BSG zur Beitragspflicht aus Versorgungsbezügen (vgl zuletzt - juris; - BSGE 127, 254 = SozR 4-2500 § 229 Nr 24 und - B 12 KR 13/18 R - SozR 4-2500 § 229 Nr 25 und - B 12 KR 12/18 R - BSGE 127, 249 = SozR 4-2500 § 229 Nr 26, jeweils mwN) und zur Einordnung von Abfindungen als Versorgungsbezüge ( - BSGE 124, 20 = SozR 4-2500 § 229 Nr 21; - SozR 4-2500 § 229 Nr 19 und - B 12 KR 18/14 R - juris; - SozR 4-2500 § 229 Nr 16) als auch mit den höchstrichterlichen Grundsätzen zur Auslegung von Vergleichen (zB - juris RdNr 20; - SozR 4-2600 § 96a Nr 19 RdNr 20). Der Kläger zitiert zwar eine Reihe von Urteilen des BSG, ordnet sie aber weder systematisch einem der angerissenen Themenkomplexe zu noch führt er aus, inwiefern noch eine Rechtsfrage offengeblieben sei. Die Behauptung, das LSG habe die Rechtsprechung des BSG nicht beachtet, kann nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung führen.

11Es fehlt ebenso an einer hinreichenden Darlegung der Bedeutung über den zu entscheidenden Sachverhalt hinaus. Der Kläger trägt insofern zwar vor, dass noch hunderte Verfahren vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht für das Saarland anhängig seien. Gleichzeitig stellt er jedoch die Unterschiede in den Sachverhalten heraus und betont die Notwendigkeit der Auslegung des arbeitsgerichtlichen Vergleichs anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls. Eine grundsätzliche Bedeutung wird daraus nicht hinreichend deutlich.

12Soweit der Kläger eine Frage zu § 228 Abs 2 SGB V (Nachzahlungen) aufwerfen möchte, ergibt sich aus seinem Vortrag nicht hinreichend klar, dass es darauf überhaupt ankommt. Der Kläger macht geltend, dass es bei der Abstandszahlung im arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht um die Höhe der Betriebsrente in der Vergangenheit gegangen sei. Warum es daher auf die Abgrenzung der §§ 228 Abs 2, 229 Abs 2 SGB V und § 229 Abs 1 Satz 3 SGB V ankommen soll, erklärt er nicht hinreichend deutlich.

132. Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass das angefochtene Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine solche Abweichung ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage zum Bundesrecht die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen Aussage des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht. Insoweit genügt es nicht darauf hinzuweisen, dass das LSG seiner Entscheidung nicht die höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde gelegt hätte. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Divergenz. Sie liegt daher nicht schon dann vor, wenn das angefochtene Urteil nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG, der GmSOGB oder das BVerfG entwickelt hat, sondern erst dann, wenn das LSG diesen Kriterien auch widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe bei seiner Entscheidung herangezogen hat (vgl - SozR 4-1500 § 160 Nr 6 RdNr 5 und - SozR 4-1500 § 160a Nr 4 RdNr 6, jeweils mwN).

14Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Der Kläger zeigt weder einen Rechtssatz des BSG noch hinreichend auf, dass das LSG diesem Rechtssatz im Grundsätzlichen widersprochen hätte. Sein Vortrag beschränkt sich vielmehr darauf, die vom - juris) aufgestellten Kriterien zu zitieren und das mit der Beschwerde angefochtene Urteil dahingehend zu kritisieren, dass es nicht zwischen der zu zahlenden Rente und dem Vergleichsbetrag unterscheide. Eine Abweichung von der genannten Entscheidung des BSG im Grundsätzlichen zeigt er dadurch nicht hinreichend auf. Sein Vorbringen geht nicht über eine im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unbeachtliche Subsumtionsrüge hinaus (vgl - juris RdNr 12).

153. Auch einen Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG hat der Kläger nicht hinreichend bezeichnet. Auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsprinzip) kann ein Verfahrensmangel gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Mit der Beschwerdebegründung wurde schon kein im Verfahren vor dem LSG prozessordnungsgemäß gestellter Beweisantrag aufgezeigt (stRspr, vgl B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN; - juris RdNr 10 mwN).

16Soweit der Kläger die unrichtige Auslegung des Vergleichs durch das LSG rügt, macht er im Kern die Unrichtigkeit der Beweiswürdigung durch das LSG und die inhaltliche Unrichtigkeit des Urteils geltend. Beides kann nicht zur Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels führen (§ 160 Abs 2 Nr 3, § 128 Abs 1 Satz 1 SGG; vgl - SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 18 = juris RdNr 9).

174. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

185. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2020:281020BB12KR6520B0

Fundstelle(n):
CAAAH-66091