Rundfunk - Arbeitnehmerstatus einer Grafikdesignerin
Gesetze: Art 5 Abs 1 S 2 GG, Art 5 Abs 2 GG
Instanzenzug: Az: 15 Ca 8378/16 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Az: 1 Sa 1/18 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin für die Beklagte im Rahmen eines freien Dienstverhältnisses oder im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses tätig ist.
2Die Klägerin, eine Diplom-Designerin der Fachrichtung Gestaltung, erbringt seit 1998 für die Beklagte, eine Rundfunkanstalt des öffentlichen Rechts, tageweise Dienste im Bereich „Grafik und Design“. Einen schriftlichen Vertrag haben die Parteien nicht geschlossen. Auf der Grundlage entsprechender „Honorarabrechnungen“ berechnet die Klägerin für ihre Dienste eine Tagesgage iHv. zuletzt 241,00 Euro.
3Im Bereich „Grafik und Design Stuttgart“ beschäftigt die Beklagte 24 Grafikdesigner, von denen acht auf der Grundlage von Arbeitsverträgen und 16 auf der Grundlage freier Dienstverträge tätig sind. Die Klägerin, die wie die übrigen Grafikdesigner zusammen mit der Redaktion Bildideen entwickelt und diese umsetzt, übt ihre Tätigkeit unter Einsatz von der Beklagten gestellter Arbeitsmittel in deren Fernsehstudiogebäude aus. Ihr Arbeitsplatz befindet sich in einem Büro mit sechs Funktionsarbeitsplätzen.
4Die Klägerin erbringt Grafikleistungen ungefähr zur Hälfte für die Sendung „Landesschau aktuell“, zu etwa einem Fünftel für das Verbrauchermagazin „Marktcheck“ und im Übrigen für andere Sendungen. Für die „Landesschau“ erstellt sie sogenannte Hintergrundbilder, die während der Moderation eingeblendet werden. Bei diesen Gestaltungselementen kann es sich um ein Foto, eine Grafik oder um eine Kombination verschiedener Elemente handeln. Die letzte Entscheidung, welches Gestaltungselement gewählt wird, liegt beim Regisseur bzw. Redakteur. Für das Verbrauchermagazin „Marktcheck“ erstellt die Klägerin vorwiegend Infografiken und sogenannte Erklärstücke, über die letztverantwortlich der zuständige Redakteur befindet. Unter einem „Erklärstück“ versteht man einen kurzen Text, der einen Begriff definiert, erklärt oder historisch herleitet. Die Kernaussage des Textes wird durch eine Illustration unterstützt. Eine Infografik ist eine eigenständige journalistische Darstellungsform, um Informationen visuell aufzubereiten. Während die Redaktion den in der jeweiligen Infografik darzustellenden Sachverhalt vorgibt, obliegt die visuelle Darstellung der Klägerin. Die erstellte Grafik hat die Klägerin dem zuständigen Redakteur zur Abnahme vorzulegen.
5Die Klägerin ist mit einem durchschnittlichen zeitlichen Umfang von 80 vH eines in Vollzeitkraft beschäftigten Arbeitnehmers für die Beklagte tätig. Sie ist in vier bis fünf Schichten pro Woche eingeteilt. Die Beklagte erwartet, dass die Klägerin regelmäßig an den montäglich stattfindenden Sitzungen im Bereich „Grafik und Design“ und an den täglichen Redaktionssitzungen teilnimmt. Zur Organisation der Arbeitsabläufe erstellt die Beklagte Dienstpläne, in die sowohl die von ihr beschäftigten Arbeitnehmer als auch die für sie tätigen freien Mitarbeiter eingetragen sind.
6Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Parteien verbinde ein Arbeitsverhältnis, weil sie nicht nur örtlich und zeitlich in die Arbeitsorganisation der Beklagten eingebunden sei, sondern auch fachlich weisungsgebunden arbeite.
Die Klägerin hat - soweit für die Revision von Bedeutung - beantragt
7Die Beklagte hat die Abweisung der Klage mit der Begründung beantragt, als Trägerin des in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleisteten Grundrechts der Rundfunkfreiheit stehe es ihr frei, die als Grafikdesignerin programmgestaltend tätige Klägerin im Rahmen eines freien Dienstverhältnisses zu beschäftigen. Im Übrigen hat sie den Standpunkt eingenommen, die Voraussetzungen eines Arbeitsverhältnisses seien nicht erfüllt, weil die Klägerin weisungsfrei tätig sei.
8Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageziel, die Abweisung der Klage, weiter.
Gründe
9Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten gegen das klagestattgebende Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, das Rechtsverhältnis der Parteien seit dem Jahr 1998 stelle ein Arbeitsverhältnis dar.
10I. Die von der Klägerin erhobene Klage ist zulässig.
111. Der von der Klägerin zur Entscheidung gestellte Antrag genügt den gesetzlichen Anforderungen an eine Feststellungsklage iSd. § 256 Abs. 1 ZPO. Davon ist das Landesarbeitsgericht zu Recht ausgegangen.
12a) Die Klägerin will gerichtlich geklärt wissen, dass zwischen den Parteien seit dem ein Arbeitsverhältnis besteht. Ein solches Klagebegehren ist mit einer allgemeinen Feststellungsklage gemäß § 256 Abs. 1 ZPO geltend zu machen (vgl. - Rn. 15).
13b) In der gebotenen rechtsschutzgewährenden Auslegung (vgl. - Rn. 16, BAGE 153, 271) ist der Feststellungsantrag hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Zwar benennt die Klägerin weder die Art der von ihr geschuldeten Arbeitsleistung noch weitere Arbeitsbedingungen. Diese ergeben sich jedoch aus der Klagebegründung, die zur Ermittlung des Inhalts auslegungsbedürftiger Klageanträge herangezogen werden kann (vgl. - Rn. 18). Die Klägerin begehrt danach die gerichtliche Feststellung eines Arbeitsverhältnisses, das seit dem mit einem durchschnittlichen zeitlichen Umfang von 80 vH eines in Vollzeitkraft beschäftigten angestellten Grafikdesigners zu den bei der Beklagten hierfür üblichen Bedingungen besteht.
14c) Die Klägerin hat ein rechtliches Interesse daran, dass das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten alsbald festgestellt wird. Zwar begehrt sie die Feststellung auch für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum, obwohl eine Feststellungsklage gemäß § 256 Abs. 1 ZPO grundsätzlich den gegenwärtigen Bestand eines Rechtsverhältnisses betreffen muss. Trotz des Vergangenheitsbezugs des Antrags (vgl. hierzu - Rn. 13) besteht das besondere Feststellungsinteresse jedoch auch dann, wenn sich - wie im Streitfall - aus ihm Rechtsfolgen für die Gegenwart und Zukunft, insbesondere mögliche Ansprüche auf Vergütung ergeben können (vgl. - Rn. 18).
152. Die Klägerin hat das Recht, den Bestand eines Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten klageweise geltend zu machen, nicht nach den für die Prozessverwirkung geltenden Grundsätzen verwirkt.
16a) Das Recht, eine Klage zu erheben, kann verwirkt werden mit der Folge, dass eine dennoch angebrachte Klage unzulässig ist. Dies kommt jedoch nur unter besonderen Voraussetzungen in Betracht. Das Klagerecht kann ausnahmsweise verwirkt sein, wenn der Anspruchsteller die Klage erst nach Ablauf eines längeren Zeitraums erhebt und zusätzlich ein Vertrauenstatbestand beim Anspruchsgegner geschaffen worden ist, er werde gerichtlich nicht mehr belangt werden. Hierbei muss das Erfordernis des Vertrauensschutzes das Interesse des Berechtigten an der sachlichen Prüfung des von ihm behaupteten Anspruchs derart überwiegen, dass dem Gegner die Einlassung auf die nicht innerhalb angemessener Frist erhobene Klage nicht mehr zumutbar ist. Durch die Annahme einer prozessualen Verwirkung darf der Weg zu den Gerichten nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise erschwert werden. Dies ist im Zusammenhang mit den an das Zeit- und Umstandsmoment zu stellenden Anforderungen zu berücksichtigen ( - Rn. 20).
17b) Die Voraussetzungen der Prozessverwirkung liegen im Streitfall nicht vor. Es kann dahinstehen, ob der Umstand, dass sich die Klägerin erstmals mehr als 18 Jahre nach Aufnahme ihrer Tätigkeit im Jahr 1998 darauf berufen hat, die Parteien verbinde ein Arbeitsverhältnis, die Annahme des Zeitmoments rechtfertigt. Jedenfalls fehlt es an dem für die Prozessverwirkung erforderlichen Umstandsmoment. Die Beklagte, die sich im Übrigen nicht auf Verwirkung beruft, hat keine besonderen Umstände vorgetragen, aufgrund deren es ihr aus Vertrauensgesichtspunkten nicht zugemutet werden könnte, sich im Rahmen eines Rechtsstreits auf das Klagebegehren einzulassen und sich hiergegen zu verteidigen. Sie hat insbesondere nicht geltend gemacht, sie habe aufgrund eines bei ihr entstandenen Vertrauens, die Klägerin werde keine Klage erheben, Beweismittel nicht gesichert oder habe sonstige Schwierigkeiten bei der Verteidigung ihrer Rechtsposition im Prozess, die ihr bei früherer Klageerhebung nicht entstanden wären. Soweit sie sich darauf berufen hat, durch den Zeitablauf sei ihr ein Vortrag zu „den tatsächlichen Ablehnungen von Diensten durch die Klägerin“ erschwert, ergibt sich daraus nicht, ob und welche Aufzeichnungen sie bezüglich der zeitlichen Einteilung ihrer Mitarbeiter unter welchen Umständen über welchen Zeitraum üblicherweise aufbewahrt und aus welchen Gründen zu welchem Zeitpunkt es ihr nicht mehr möglich ist, die die Klägerin betreffenden Angaben zu recherchieren.
18II. Die Klage ist begründet. Die Einordnung des Rechtsverhältnisses mit der als Grafikdesignerin beschäftigten Klägerin als unbefristetes Arbeitsverhältnis ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
191. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend von den rechtlichen Grundsätzen ausgegangen, die das Bundesarbeitsgericht zur Abgrenzung eines Arbeitsverhältnisses von dem Rechtsverhältnis eines selbstständigen Unternehmers aufgestellt hat.
20a) Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Dementsprechend ist ein Arbeitsverhältnis anzunehmen, wenn die Leistung von Diensten nach Weisung des Dienstberechtigten und gegen Zahlung von Entgelt Schwerpunkt des durch privatrechtlichen Vertrag begründeten Rechtsverhältnisses ist ( - Rn. 17). Ein Arbeitsverhältnis unterscheidet sich demnach von dem Rechtsverhältnis eines selbstständig Tätigen durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit, in der sich der Verpflichtete befindet. Das für ein Arbeitsverhältnis konstitutive Weisungsrecht des Arbeitgebers kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen. Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Letztlich kommt es für die Beantwortung der Frage, welches Rechtsverhältnis im konkreten Fall vorliegt, auf eine Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls an (vgl. - Rn. 13).
21b) Diese für die Abgrenzung eines freien Dienstvertrags von einem Arbeitsverhältnis maßgebenden Grundsätze haben die Gerichte für Arbeitssachen im Bereich Funk und Fernsehen unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Gewährleistungen des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG anzuwenden.
22aa) Die Rundfunkfreiheit erstreckt sich auf das Recht der Rundfunkanstalten, dem Gebot der Vielfalt der zu vermittelnden Programminhalte auch bei der Auswahl, Einstellung und Beschäftigung derjenigen Mitarbeiter Rechnung zu tragen, die bei der Gestaltung der Programme mitwirken sollen. Der Schutz der Rundfunkfreiheit verlangt neben der Auswahl der an der inhaltlichen Gestaltung der Sendungen mitwirkenden Mitarbeiter die Entscheidung darüber, ob solche Mitarbeiter fest angestellt werden oder ob ihre Beschäftigung aus Gründen der Programmplanung auf eine gewisse Dauer oder ein gewisses Projekt zu beschränken ist und wann, wie oft oder wie lange ein Mitarbeiter benötigt wird. Dies schließt die Befugnis ein, bei der Begründung von Mitarbeiterverhältnissen den insoweit jeweils geeigneten Vertragstyp zu wählen ( ua. - Rn. 12). Die Rundfunkfreiheit ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährt. Sie findet nach Art. 5 Abs. 2 GG ihre Schranken unter anderem in den allgemeinen Gesetzen. Dazu gehören die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über den Dienstvertrag und die besonderen Bestimmungen des Arbeitsrechts. Im Hinblick auf die in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützte Rundfunkfreiheit wird danach in der Regel eine fallbezogene Abwägung zwischen der Bedeutung der Rundfunkfreiheit auf der einen und dem Rang der von den Normen des Arbeitsrechts geschützten Rechtsgüter auf der anderen Seite verlangt ( ua. - Rn. 14).
23bb) Diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben trägt das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung durch die grundsätzliche Unterscheidung zwischen programmgestaltenden und nicht programmgestaltenden Mitarbeitern Rechnung. Das durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützte Recht der Rundfunkanstalten, weitgehend frei von fremder Einflussnahme über die Auswahl, Einstellung und Beschäftigung über die Vertragsgestaltung entscheiden zu können, ist dabei auf programmgestaltende Mitarbeiter beschränkt. Die Sicherung der Aktualität und Flexibilität der Berichterstattung erfordert diese Freiheit nicht auch bezogen auf nicht programmgestaltende Mitarbeiter (vgl. - Rn. 16 ff. mwN, BAGE 145, 26).
24(1) Als „programmgestaltend“ ist der Kreis derjenigen Rundfunkmitarbeiter anzusehen, „die an Hörfunk- und Fernsehsendungen inhaltlich gestaltend mitwirken“. Das gilt namentlich, wenn sie typischerweise ihre eigene Auffassung zu politischen, wirtschaftlichen, künstlerischen oder anderen Sachfragen, ihre Fachkenntnisse und Informationen, ihre individuelle künstlerische Befähigung und Aussagekraft in die Sendung einbringen, wie dies bei Redakteuren (vgl. hierzu -; - 5 AZR 31/08 - und - 7 AZR 69/16 - Rn. 12), Regisseuren, Moderatoren (vgl. - BAGE 93, 218), Reportern (vgl. -), Berichterstatter (vgl. -), Kommentatoren, Wissenschaftlern und Künstlern der Fall ist. Auch bei diesen Mitarbeitern kann ein Arbeitsverhältnis vorliegen, wenn sie weitgehenden inhaltlichen Weisungen unterliegen, ihnen also nur ein geringes Maß an Gestaltungsfreiheit, Eigeninitiative und Selbstständigkeit verbleibt, und der Sender innerhalb eines zeitlichen Rahmens über ihre Arbeitsleistung verfügen kann. Letzteres ist dann der Fall, wenn ständige Dienstbereitschaft erwartet wird oder wenn der Mitarbeiter in nicht unerheblichem Umfang auch ohne entsprechende Vereinbarung durch Dienstpläne herangezogen wird, ihm also die Arbeiten letztlich zugewiesen werden ( - Rn. 17 f., BAGE 145, 26).
25(2) Nicht zu den programmgestaltenden Mitarbeitern gehören das betriebstechnische und das Verwaltungspersonal sowie diejenigen, die zwar bei der Verwirklichung des Programms mitwirken, aber keinen inhaltlichen Einfluss darauf haben. In diese Kategorie hat die Rechtsprechung zB Sprecher und Übersetzer von Nachrichten- und Kommentartexten (vgl. -), Musikarchivare (vgl. - BAGE 120, 104) und Cutter (vgl. - BAGE 145, 26) eingeordnet und deshalb die Arbeitnehmereigenschaft anhand der allgemeinen Kriterien geprüft. Nicht programmgestaltende Mitarbeiter werden im Regelfall häufiger die Kriterien eines Arbeitnehmers erfüllen, als es bei programmgestaltenden Mitarbeitern zu erwarten ist (vgl. - Rn. 17 und 19, aaO).
262. Die Tatsacheninstanzen verfügen bei der Prüfung des Arbeitnehmerstatus über einen weiten Beurteilungsspielraum. Ihre Würdigung ist in der Revisionsinstanz nur daraufhin zu überprüfen, ob sie den Rechtsbegriff des Arbeitnehmers selbst verkannt, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt, bei der Subsumtion den Rechtsbegriff wieder aufgegeben oder wesentliche Umstände außer Betracht gelassen haben (vgl. - Rn. 14). Dieser Beurteilungsspielraum bezieht sich auch auf die Abgrenzung zwischen programmgestaltenden und nicht programmgestaltenden Mitarbeitern im Bereich der Rundfunkanstalten.
273. Das Landesarbeitsgericht hat unter Berücksichtigung dieses Maßstabs die Art des Rechtsverhältnisses unter Rückgriff auf die allgemeinen Kriterien des Arbeitnehmerbegriffs bestimmt und bei der Würdigung die maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte widerspruchsfrei und vollständig berücksichtigt.
28a) Für die Annahme eines Vertragsschlusses zwischen den Parteien ist es rechtlich nicht von Bedeutung, dass sich weder den tatbestandlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts, die für den Senat bindend sind (§ 559 ZPO), noch dem Vortrag der Parteien entnehmen lässt, dass die Parteien vor, am oder nach dem Willenserklärungen abgaben, die auf die Begründung eines Vertragsverhältnisses abzielten. Ein Vertrag kann - wovon das Landesarbeitsgericht unausgesprochen ausgegangen ist - durch übereinstimmendes schlüssiges Verhalten (Realofferte und deren konkludente Annahme) zustande kommen (vgl. - Rn. 26). Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die Parteien - wie im Streitfall - über einen Zeitraum von mehreren Jahren einvernehmlich Dienstleistung und Vergütung austauschen (vgl. - BAGE 145, 26). Die Klägerin ist für die Beklagte seit dem Jahr 1998 als Grafikdesignerin tätig, und die Beklagte hat ihr dafür Vergütung gezahlt sowie weitere vertragliche Leistungen erbracht.
29b) Die Feststellung des Landesarbeitsgerichts, die programmgestaltenden Elemente der Tätigkeit als Grafikdesignerin seien nicht als so wesentlich anzusehen, dass sie dazu berechtigten, die Klägerin in einem freien Mitarbeiterverhältnis zu beschäftigen, lässt keinen Rechtsfehler erkennen (vgl. zur Einordnung einer Grafikdesignerin auch -). Das Landesarbeitsgericht geht von den Grundsätzen aus, die nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts für die Abgrenzung einer programmgestaltenden Tätigkeit von anderen Tätigkeiten maßgebend sind. So berücksichtigt es den Einfluss, den die Klägerin auf den Inhalt der ausgestrahlten Beiträge hat, bewertet die Vergütung, die die Klägerin im Verhältnis zu von der Beklagten beschäftigten Redakteuren erhielt, und stellt in die Abwägung ein, dass sich die Zusammenarbeit der Parteien von Anfang an nicht auf einzelne Produktionen beschränkte, sondern auf wiederkehrende Nachrichten- und Informationssendungen bezog. Unter Gewichtung dieser Gesichtspunkte gelangt das Landesarbeitsgericht zu dem Ergebnis, ein Einfluss der Klägerin auf die Programmgestaltung sei zwar vorhanden, erreiche aber nicht die Intensität, die die Tätigkeit eines Redakteurs oder Regisseurs habe. So gebe die Klägerin weder das Thema noch den Inhalt der jeweiligen Beiträge vor. Die Klägerin sei zwar ein unentbehrliches, für den Inhalt des Programms aber letztlich nicht ausschlaggebendes „Rädchen“ im Produktionsprozess der jeweiligen Fernsehsendung.
30c) Nach den getroffenen Feststellungen durfte das Landesarbeitsgericht unter Berücksichtigung des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums annehmen, dass die Klägerin die als Grafikdesignerin geschuldete Leistung nicht als freie Mitarbeiterin, sondern weisungsgebunden als Arbeitnehmerin erbringt.
31aa) Die Klägerin, die im Rahmen ihrer Tätigkeit auf die Nutzung der ihr von der Beklagten zur Verfügung gestellten technischen Gerätschaften angewiesen ist, arbeitet ausschließlich in deren Räumlichkeiten. Der arbeitsteilige Produktionsprozess erfordert die Einbindung der Klägerin in die Arbeitsorganisation der Beklagten. Ausdruck dessen ist die regelmäßige Teilnahme der Klägerin an den montäglich stattfindenden Sitzungen im Bereich „Grafik und Design“ ebenso wie die Erwartung der Beklagten, die Klägerin möge während der täglichen Redaktionssitzungen anwesend sein. Die Redaktion gibt der Klägerin den in der jeweiligen Infografik darzustellenden Sachverhalt vor. Auch wenn diese bei der Erstellung der Hintergrundbilder, Infografiken und Erklärstücke eine ihr zustehende Gestaltungsfreiheit nutzt, besteht das Arbeitsergebnis lediglich in einem Vorschlag, über dessen Annahme und Umsetzung nicht sie, sondern die ihr vorgesetzten Regisseure und Redakteure verbindlich entscheiden.
32bb) In zeitlicher Hinsicht verfügt die Klägerin zwar über mehr Souveränität als in der Mehrzahl von Arbeitsverhältnissen üblich. So teilte die Klägerin der Beklagten bei verschiedenen Gelegenheiten mit, bestimmte Dienste nicht übernehmen zu wollen. In den Jahren 2006 und 2008 sah sie von einer Tätigkeit für die Beklagte in Zeiträumen ab, die mehr Tage umfassten, als ihr nach den Urlaubsregelungen in Nr. 8 TVaäP zustanden. Wenn das Landesarbeitsgericht im Wege der Gesamtwürdigung aller Umstände zu der Einschätzung gelangt, die zeitliche Bindung der Klägerin komme dennoch derjenigen eines Arbeitnehmers „weitestgehend nahe“, so liegt dies innerhalb des ihm als Tatsachengericht zustehenden Beurteilungsspielraums.
33d) Die Revision rügt demgegenüber ohne Erfolg, das Landesarbeitsgericht habe nicht ohne Beweisaufnahme davon ausgehen dürfen, die Klägerin sei nicht ohne vorherige Vereinbarung zu Diensten herangezogen worden.
34aa) Das Landesarbeitsgericht hat den diesbezüglichen Vortrag der Klägerin im streitigen Tatbestand seines Urteils aufgeführt. Auch im Rahmen der anschließenden rechtlichen Würdigung unterstellt das Landesarbeitsgericht nicht, die Klägerin sei in zeitlicher Hinsicht an Weisungen der Beklagten gebunden. Es geht vielmehr davon aus, die zeitliche Bindung der Klägerin komme derjenigen in einem Arbeitsverhältnis „weitestgehend nahe“. Das ist etwas anderes.
35bb) Soweit das Landesarbeitsgericht in den Gründen der Entscheidung auf das Verhalten der Disponenten G und R bei der Gestaltung der Dienstpläne eingeht, hat die Beklagte diese tatsächlichen Feststellungen nicht mit einem Tatbestandsberichtigungsantrag angegriffen.
36(1) Tatbestandliche Feststellungen des Berufungsgerichts, die auch in den Entscheidungsgründen enthalten sein können (vgl. - Rn. 22), lassen sich nicht mit Verfahrensrügen, sondern allein mit einem Antrag auf Tatbestandsberichtigung nach § 320 ZPO beseitigen (vgl. - Rn. 64, BAGE 147, 172).
37(2) Die Beklagte hat zwar mit Schriftsatz vom die Berichtigung des Tatbestands beantragt. Ihr Berichtigungsbegehren bezog sich aber allein auf Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zu der Honorargestaltung bei Vertragsverhältnissen mit freien Mitarbeitern, nicht aber auf die Rolle der für die Beklagte tätigen Disponenten. Dementsprechend hat das Landesarbeitsgericht den Antrag mit Beschluss vom zurückgewiesen, ohne auf seine Feststellungen bezüglich der Dienstplangestaltung einzugehen.
38e) Soweit die Beklagte geltend macht, die festgestellten Tatsachen ließen nicht darauf schließen, dass bereits am ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien begründet worden sei, weil sich die Verhältnisse seither geändert hätten, verhilft dies der Revision ebenfalls nicht zum Erfolg.
39aa) Die mit der zunehmenden Digitalisierung der Arbeitswelt einhergehende Weiterentwicklung der Arbeitsmittel und Anpassung der Arbeitsabläufe bei der Beklagten ändert nichts an dem Umstand, dass das arbeitsteilige Zuarbeiten der Klägerin für den Produktionsprozess, in den sie von Beginn an eingebunden war, seit dem Jahr 1998 kennzeichnend ist. Nach den getroffenen Feststellungen erbrachte die Klägerin die geschuldete Leistung in den Räumen der Beklagten unter Einsatz von Arbeitsmitteln, die die Beklagte zur Verfügung stellte, mit im Wesentlichen gleichen Arbeitsaufgaben in den weitgehend unveränderten Strukturen der Abteilung „Grafik und Design“. Diese erlaubten es der Klägerin zu keinem Zeitpunkt, ihre Grafikvorstellungen ohne vorherige Absprache und nachträgliche Genehmigung der jeweils Verantwortung tragenden Personen wie Regisseur und Redakteur umzusetzen.
40bb) Die Rüge der Beklagten, sie habe bestritten, dass sich an den tatsächlichen Bedingungen des Produktionsprozesses seit 1998 nichts Wesentliches geändert habe, greift nicht durch. Die Beklagte hat die - auch in den Entscheidungsgründen möglichen - diesbezüglichen tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht fristgerecht mit einem Tatbestandsberichtigungsantrag nach § 320 ZPO angegriffen. Dass die Beklagte in der Revisionsbegründung erneut pauschal behauptet, die Umstände, unter denen die Klägerin zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht die von ihr geschuldeten Leistung erbringe, seien andere als im Jahr 1998, ist daher gemäß § 559 Abs. 1 ZPO unbeachtlich.
414. Die Klägerin hat ihr Recht, sich auf den Bestand eines Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien zu berufen, nicht materiell verwirkt (§ 242 BGB). Es bedarf im Streitfall keiner Entscheidung, ob das Recht, sich auf den Bestand eines Arbeitsverhältnisses zu berufen, überhaupt verwirken kann (so - zu II 1 der Gründe; zweifelnd - zu B II 2 a der Gründe, BAGE 105, 59; offengelassen von - Rn. 47; - 9 AZR 508/17 - Rn. 25). Selbst wenn man zugunsten der Beklagten davon ausginge, eine Verwirkung wäre möglich, lägen deren Voraussetzungen im Streitfall nicht vor. Es ist der Beklagten nicht unzumutbar, den Bestand des Arbeitsverhältnisses seit dem gegen sich gelten zu lassen.
42a) Die Verwirkung ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung und soll dem Bedürfnis nach Rechtsklarheit dienen. Sie verfolgt nicht den Zweck, Schuldner, denen gegenüber Gläubiger ihre Rechte längere Zeit nicht geltend gemacht haben, von ihrer Pflicht zur Leistung vorzeitig zu befreien. Deshalb kann allein der Zeitablauf die Verwirkung eines Rechts nicht rechtfertigen (Zeitmoment). Es müssen vielmehr besondere Umstände sowohl im Verhalten des Berechtigten als auch des Verpflichteten hinzutreten (Umstandsmoment), die es rechtfertigen, die spätere Geltendmachung des Rechts als mit Treu und Glauben unvereinbar anzusehen. Der Berechtigte muss unter solchen Umständen untätig geblieben sein, die den Eindruck erweckt haben, dass er sein Recht nicht mehr wahrnehmen wolle, sodass sich der Verpflichtete darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden ( - Rn. 48).
43b) Die Beurteilung der Frage, ob ein Recht verwirkt ist, obliegt grundsätzlich dem Gericht der Tatsacheninstanz. Der revisionsrechtlichen Überprüfung unterliegt allein, ob es alle erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt hat und die Bewertung dieser Gesichtspunkte von den getroffenen tatsächlichen Feststellungen getragen wird ( - Rn. 27). Hat das Landesarbeitsgericht eine Verwirkung nicht geprüft, kann das Revisionsgericht die Prüfung nachholen, wenn die dafür maßgeblichen Tatsachen feststehen und ein weiterer Sachvortrag der Parteien nicht zu erwarten ist (vgl. zur Auslegung nichttypischer Willenserklärungen - Rn. 14, BAGE 148, 349).
44c) Es kann offenbleiben, ob im Streitfall das Zeitmoment gegeben wäre. Weder hat das Landesarbeitsgericht das erforderliche Umstandsmoment festgestellt noch hat die Beklagte ein solches dargelegt. Die langjährige Tätigkeit der Klägerin für die Beklagte reicht für sich genommen nicht aus. Ohne Hinzutreten besonderer Umstände durfte die Beklagte nicht darauf vertrauen, die Klägerin werde den Bestand eines Arbeitsverhältnisses mit ihr nicht geltend machen. Dass die Klägerin ihre Tätigkeit gegenüber der Beklagten abrechnete, konnte bei der Beklagten nicht die begründete Erwartung hervorrufen, sie werde nicht auf das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses in Anspruch genommen. Weder aus den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts noch aus dem Vorbringen der Beklagten ergibt sich, dass die Beklagte es auch nur in Erwägung gezogen hat, es könne ein Arbeitsverhältnis zwischen ihr und der Klägerin bestehen. Wer überhaupt keine Kenntnis von einer möglichen Rechtsposition eines Dritten hat, kann auf das Ausbleiben einer entsprechenden Forderung allenfalls allgemein, nicht aber konkret hinsichtlich einer bestimmten Rechtsposition vertrauen (vgl. - Rn. 31 unter Bezugnahme auf - Rn. 27).
45III. Die Beklagte hat die Kosten der erfolglosen Revision zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2020:250820.U.9AZR373.19.0
Fundstelle(n):
BB 2020 S. 2612 Nr. 46
BB 2021 S. 187 Nr. 3
NJW 2020 S. 3802 Nr. 52
OAAAH-62633