BVerwG Beschluss v. - 4 B 12/20

Einbeziehung eines Änderungsbescheids in das gerichtliche Verfahren; Einverständnis nach § 101 Abs. 2 VwGO

Gesetze: § 79 Abs 1 VwGO, § 91 Abs 1 VwGO, § 101 Abs 2 VwGO

Instanzenzug: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Az: 9 B 12.940 Urteilvorgehend VG Würzburg Az: W 5 K 09.869 Urteil

Gründe

1Mit seiner Klage verlangte der Kläger die Aufhebung eines Bescheides des Landratsamts M. vom , der ihm insbesondere die Beseitigung baulicher Anlagen aufgab und die Nutzung bestimmter Grundstücke zur Hundehaltung untersagte. Das Verwaltungsgericht wies die Klage überwiegend als unbegründet ab. Nach einer mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht erließ das Landratsamt unter dem eine neue, in Teilen abweichende Beseitigungsverfügung und Nutzungsuntersagung. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung ohne erneute mündliche Verhandlung zurückgewiesen, weil für die Klage gegen den Bescheid vom das Rechtsschutzbedürfnis fehle (UA Rn. 20).

2Die der Sache nach auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

3I. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensmangels nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

41. Das Berufungsgericht musste nicht in der Sache über den Bescheid vom entscheiden.

5Anders als § 96 Abs. 1 SGG und § 68 Satz 1 FGO regelt die Verwaltungsgerichtsordnung nicht, ob und wie ein Verwaltungsakt Gegenstand des Klageverfahrens wird, der einen angefochtenen Verwaltungsakt ändert oder ersetzt. Der ändernde oder ersetzende Bescheid wird daher nicht ohne Weiteres Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (vgl. Brenner, in: Sodan/Ziekow, 5. Aufl. 2018, VwGO, § 79 Rn. 10; Pietzcker, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Januar 2020, § 79 Rn. 7; Happ, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 79 Rn. 31; Kothe, in: Redeker/von Oertzen, VwGO, 16. Aufl. 2014, § 79 Rn. 3a; W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 79 Rn. 4). Es obliegt vielmehr dem Kläger zu erklären, ob er einen solchen Bescheid im Wege der Klageänderung nach § 91 Abs. 1 VwGO zum Streitgegenstand des Prozesses machen will (Kraft, BayVBl. 1995, 519 <524>).

6Trotz Nachfrage des Berufungsgerichts vom hat der Kläger den Bescheid vom nicht im Wege der Klageänderung in das Verfahren einbezogen. Das Schreiben vom an das Landratsamt M. war keine derartige Erklärung. Dessen Adressat war nicht das Gericht, sondern die Behörde. Mit der Erhebung eines Widerspruchs leitete der Kläger zudem das behördliche Vorverfahren ein (§ 69 VwGO), stellte den Bescheid vom aber nicht zur gerichtlichen Kontrolle.

7Für die Änderung des Streitgegenstandes reichte auch die Annahme des Beklagten nicht aus, der spätere Bescheid enthalte nur Klarstellungen und Ergänzungen und werde daher ohne Weiteres Gegenstand des Berufungsverfahrens. Denn die Bestimmung des Streitgegenstandes obliegt dem Kläger. Ob mit einer Verfahrensrüge nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gerügt werden könnte, das Berufungsgericht habe das Verhältnis der Bescheide fehlerhaft bestimmt, mag offenbleiben. Denn die Beschwerde hat diese Rüge nicht erhoben, sondern dem Berufungsgericht insoweit zugestimmt.

82. Anders als die Beschwerde meint, durfte das Berufungsgericht über die Klage ohne (weitere) mündliche Verhandlung entscheiden.

9a) Die Beteiligten haben wirksam ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt. Das Einverständnis nach § 101 Abs. 2 VwGO ist eine einseitige gestaltende Prozesshandlung und muss daher klar, eindeutig und vorbehaltlos erklärt sein ( 7 C 78.80 - BVerwGE 62, 6 <9> und Beschluss vom - 8 B 91.12 - juris Rn. 3). Hiermit übereinstimmend haben sich die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht "mit einem Übergang ins schriftliche Verfahren" einverstanden erklärt und damit ihr Einverständnis nach § 101 Abs. 2 VwGO eindeutig zum Ausdruck gebracht (vgl. 6 BN 3.13 - Buchholz 310 § 101 VwGO Nr. 38 Rn. 6). Welchen anderen Inhalt diese Erklärung haben könnte, legt die Beschwerde nicht dar. Unabhängig davon war dem Kläger aus dem gerichtlichen Schreiben vom bekannt, dass das Berufungsgericht von einem Einverständnis nach § 101 Abs. 2 VwGO ausging. Es hätte ihm insoweit oblegen, ein etwaiges Missverständnis auszuräumen (BVerwG, Beschlüsse vom - 10 B 45.05 - juris Rn. 5 und vom - 8 B 91.12 - juris Rn. 5).

10b) Die Beschwerde legt nicht dar, dass es nach Erlass des Bescheides vom einer mündlichen Verhandlung bedurfte.

11Als grundsätzlich unwiderrufliche Prozesshandlung gilt das Einverständnis nach § 101 Abs. 2 VwGO bis zur nächsten Entscheidung des Gerichts und wird nicht bereits durch eine Änderung der Prozesslage verbraucht (vgl. 4 B 2.17 - BRS 85 Nr. 201 Rn. 4). Es steht indes im Ermessen des Gerichts, ob es trotz wirksamen Verzichts ohne mündliche Verhandlung entscheidet. Das Gericht hat in diesem Zusammenhang dafür einzustehen, dass trotz der unterbleibenden mündlichen Verhandlung das rechtliche Gehör der Beteiligten nicht verletzt wird ( 6 B 32.03 - NVwZ-RR 2004, 77). Das Berufungsgericht hat die Beteiligten mit Schreiben vom über seine Rechtsauffassung zum Verhältnis der Bescheide vom und vom in Kenntnis gesetzt, um Äußerung gebeten, ob der spätere Bescheid im Wege der Klageänderung in das Verfahren einbezogen werde, sowie angeregt, hinsichtlich des früheren Bescheides eine prozessbeendende Erklärung abzugeben. Damit war das rechtliche Gehör ausreichend gewahrt. Dass der Kläger in der Folge keine prozessualen Erklärungen abgegeben und sich auch im Übrigen nicht zum weiteren Vorgehen geäußert hat, führt nicht auf einen Gehörsverstoß des Gerichts.

123. Die Beschwerde beanstandet als verfahrensfehlerhaft, dass das Berufungsurteil den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom nicht erwähnt.

13Dies führt nicht zur Zulassung der Revision. Etwaige Unrichtigkeiten oder Lücken bei der Wiedergabe des tatsächlichen Vorbringens des Klägers können nicht als Verfahrensmangel geltend gemacht werden, sondern nur durch einen fristgebundenen Antrag auf Berichtigung oder Ergänzung des Urteils nach Maßgabe der §§ 119, 120 VwGO (vgl. 4 B 49.10 - juris Rn. 6 m.w.N.). Einen solchen Antrag hat der Kläger nicht gestellt. Die fehlende Erwähnung des Widerspruchs lässt auch nicht den Schluss auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs zu (vgl. 4 C 35.13 - NVwZ 2015, 656 Rn. 42 insoweit nicht abgedruckt in Buchholz 442.42 § 27a LuftVO Nr. 8). Denn der Bescheid vom war nicht in das Verfahren einbezogen worden, so dass ein dagegen eingelegter Widerspruch für die rechtliche Würdigung keine Rolle spielen konnte.

14II. Die Beschwerde legt keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO dar. Insoweit verfehlt sie die Anforderungen an die Begründung nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO (siehe hierzu etwa BVerwG, Beschlüsse vom - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>, vom - 4 B 27.19 - ZfBR 2020, 173 Rn. 4 und vom - 4 BN 3.20 - juris Rn. 3).

151. Die Beschwerde deutet mehrere Fragen zum Einverständnis nach § 101 Abs. 2 VwGO an. Sie legt indes nicht dar, inwieweit diese Fragen ungeachtet der auch von ihr angeführten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. 2 C 78.81 - Buchholz 310 § 101 VwGO Nr. 13 und Beschlüsse vom - 10 B 45.05 - juris Rn. 4 f., vom - 8 B 91.12 - juris Rn. 3, vom - 6 BN 3.13 - Buchholz 310 § 101 VwGO Nr. 38 Rn. 8 ff., 12, vom - 5 B 11.14 - NVwZ-RR 2014, 740 Rn. 11 und vom - 4 B 2.17 - BRS 85 Nr. 201 Rn. 4 f.) weiterer rechtsgrundsätzlicher Klärung bedürfen könnten.

162. Die Beschwerde möchte ferner klären lassen, inwieweit Verwaltungsakte, die zu Handlungen auffordern, die zu einer Verletzung der natürlichen Lebensgrundlagen und Vernichtung von Tieren führen, Bestand haben können, ohne dass die Behörde eine Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Berücksichtigung des Art. 20a GG vorgenommen hat. Diese Frage ist indes weder rechtsgrundsätzlich klärungsfähig noch legt die Beschwerde ihre Entscheidungserheblichkeit nachvollziehbar dar.

17Von einer weiteren Begründung sieht der Senat entsprechend § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ab.

18Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2020:010920B4B12.20.0

Fundstelle(n):
YAAAH-61247