Abweisung einer Deckungsklage gegen die Krankentagegeldversicherung: Inhaltliche Anforderungen an eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung
Gesetze: § 520 Abs 3 S 2 Nr 2 ZPO, § 520 Abs 3 S 2 Nr 3 ZPO
Instanzenzug: Az: 8 U 456/19vorgehend LG Nürnberg-Fürth Az: 2 O 3935/16
Gründe
1I. Der Kläger wendet sich gegen die Verwerfung seiner Berufung als unzulässig. Er nimmt die Beklagte aus einer Krankentagegeldversicherung in Anspruch. Der Vertrag sieht für den Fall, dass der Kläger seine berufliche Tätigkeit nach medizinischem Befund vorübergehend in keiner Weise ausüben kann, sie auch nicht ausübt und auch keiner anderweitigen Erwerbstätigkeit nachgeht (§ 1 Abs. 3 der einbezogenen Versicherungsbedingungen, nachfolgend: AVB), nach 182 Karenztagen die Zahlung eines Krankentagegeldes von 127,82 € je Kalendertag vor. Sollte bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit eintreten, der Kläger mithin nach medizinischem Befund im bisher ausgeübten Beruf auf nicht absehbare Zeit mehr als 50% erwerbsunfähig sein, sollte das Versicherungsverhältnis nach Ablauf von drei Monaten enden (§ 15 Buchst. b AVB).
2Nachdem der Kläger am einen Hirnschaden erlitten hatte, zahlte die Beklagte Krankentagegeld. Unter Berufung auf bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit stellte sie ihre Leistungen zum ein. Erstinstanzlich hat der Kläger zuletzt 49.338,52 € Krankentagegeld für die Zeit vom bis zum begehrt. Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 8.691,76 € für die Zeit bis zum stattgegeben. Einen weitergehenden Anspruch hat es abgelehnt, weil zum Berufsunfähigkeit eingetreten sei. Mit der Berufung hat der Kläger die Zahlung weiteren Krankentagegeldes in Höhe von 40.646,77 € begehrt. Zur Begründung hat er ausgeführt, das Landgericht habe zu Unrecht Berufsunfähigkeit angenommen.
3Mit dem hier angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen. Es fehle an einem ausreichenden Berufungsangriff, mit dem die Erheblichkeit des behaupteten Rechtsfehlers dargestellt werde. Der Kläger hätte auch zu den Voraussetzungen von § 1 Abs. 3 AVB vortragen müssen, dass er in dem von der Berufung betroffenen Zeitraum vom bis zum vollständig arbeitsunfähig gewesen und keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen sei. Dies habe er nicht getan. Sein Vortrag sei sogar unschlüssig, soweit er behaupte, bereits in den Jahren 2016 und 2017 wieder eine berufliche Tätigkeit ausgeübt und diese gesteigert zu haben.
4II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
51. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig, da die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).
62. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzt den Kläger in seinem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Das Berufungsgericht hat die in § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3 ZPO beschriebenen Anforderungen an den Inhalt der Berufungsbegründung überspannt und hierdurch dem Kläger den Zugang zur Berufungsinstanz in unzulässiger Weise verwehrt.
7a) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben; nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO muss sie konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Besondere formale Anforderungen bestehen zwar nicht. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen erster Instanz zu verweisen (st. Rspr., vgl. Senatsbeschluss vom - IV ZB 39/15, r+s 2016, 557 Rn. 10; , NJW-RR 2020, 503 Rn. 5; jeweils m.w.N.).
8b) Diesen Anforderungen genügt die Begründung der Berufung des Klägers. Sie richtet sich gegen die das Urteil des Landgerichts tragende Feststellung, der Kläger sei seit bedingungsgemäß berufsunfähig. Wie das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend annimmt, unterliegt der Deckungsanspruch des Klägers zwar nach § 1 Abs. 3 AVB weiteren Voraussetzungen. Auf diese musste die Berufungsbegründung aber nicht eingehen. Das Landgericht hat sein Urteil, soweit es zulasten des Klägers entschieden hat, auf § 15 Buchst. b AVB und die Frage der Berufsunfähigkeit gestützt, nicht aber auf § 1 Abs. 3 AVB und die Fragen, ob der Kläger in dem von der Berufung betroffenen Zeitraum vollständig arbeitsunfähig war und keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen ist. Zu Umständen, die eine abweisende Entscheidung möglicherweise auch stützen würden, die in der Begründung des angefochtenen Urteils aber nicht angeführt werden, muss die Berufungsbegründung nicht - entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerdeerwiderung auch nicht zur Darlegung der Erheblichkeit des behaupteten Rechtsfehlers - Stellung nehmen (vgl. , NJW-RR 2013, 509 Rn. 14; Versäumnisurteil vom - II ZR 16/04, NJW-RR 2006, 499 unter II 2 [juris Rn. 9]; Urteil vom - VI ZR 183/74, NJW 1975, 1032 unter II 2 [juris Rn. 13]). Ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind, ist für die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung (st. Rspr., vgl. Senatsbeschluss vom aaO; aaO; jeweils m.w.N.).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:200520BIVZB19.19.0
Fundstelle(n):
NJW-RR 2020 S. 1114 Nr. 18
MAAAH-60198