BGH Beschluss v. - VI ZB 25/19

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Kontrollpflicht des Rechtsanwalts über einer Eintragung in Fristenkalender zumindest anhand der Handakte; vorausschauende Anweisungen für den Fall einer unvorhergesehenen Erkrankung

Leitsatz

1. Wird dem Rechtsanwalt die Sache im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung zur Bearbeitung vorgelegt, hat er die Einhaltung seiner Anweisungen zur Berechnung und Notierung laufender Rechtsmittelfristen einschließlich deren Eintragung in den Fristenkalender eigenverantwortlich zu prüfen, wobei er sich grundsätzlich auf die Prüfung der Vermerke in der Handakte beschränken darf.

2. Ein Rechtsanwalt muss allgemeine vorausschauende Vorkehrungen dafür treffen, dass das zur Wahrung von Fristen Erforderliche auch dann unternommen wird, wenn er unvorhergesehen ausfällt; er muss seinem Personal die notwendigen allgemeinen Anweisungen für einen solchen Fall geben. Darüber hinaus muss der Rechtsanwalt, wenn er unvorhergesehen krank wird, alles zur Fristwahrung unternehmen, was ihm in der konkreten Situation möglich und zumutbar ist.

Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 520 ZPO

Instanzenzug: Az: 7 U 154/18vorgehend Az: 2 O 7/18

Gründe

I.

1Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens aus einem Sportunfall in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage mit Versäumnisurteil vom abgewiesen. Mit Urteil vom hat es das Versäumnisurteil aufrechterhalten. Gegen dieses ihrer Prozessbevollmächtigten am zugestellte Urteil hat die Klägerin fristgerecht Berufung eingelegt. Die Frist zur Begründung der Berufung ist am Montag, dem abgelaufen. Mit Schriftsatz vom hat die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung beantragt. Sie hat ausgeführt, ihre Prozessbevollmächtigte sei am mit akuten Schmerzen nach einem Sturz in stationäre Behandlung in einem Krankenhaus aufgenommen worden. Im Anschluss an diesen Aufenthalt sei sie in ein anderes Krankenhaus verlegt und bis einschließlich stationär behandelt worden. Am sei sie erstmals wieder im Büro gewesen. Die Fristenkontrolle hätte sie ihrer bis dahin stets sorgfältig arbeitenden Rechtsanwaltsfachangestellten übertragen. Erst am sei dieser im Zuge der Aktenbearbeitung aufgefallen, dass die Frist zur Berufungsbegründung nicht in den Fristenkalender eingetragen worden sei. Die Angestellte sei geschult und zuverlässig und führe, was regelmäßige Kontrollen durch die Prozessbevollmächtigte ergeben hätten, den Kalender seit ihrer Einstellung sorgfältig.

2Mit Beschluss vom hat das Kammergericht darauf hingewiesen, dass dem Wiedereinsetzungsgesuch nicht stattgegeben werden könne, weil die Klägerin nicht glaubhaft gemacht habe, ohne Verschulden an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist gehindert gewesen zu sein. Dem Antrag lasse sich nicht entnehmen, warum ihre Prozessbevollmächtigte im Zusammenhang mit der Aktenvorlage zwecks Fertigung der Berufungsschrift nicht die ordnungsgemäße Notierung der Berufungsbegründungsfrist überprüft habe. Mit am eingegangenem Schriftsatz hat die Klägerin ihre Berufung begründet. Mit Schriftsatz vom hat die Klägerin ausgeführt, ihre Prozessbevollmächtigte erfasse Fristen wie die Berufungsbegründungsfrist in ihrem eigenen Kalender. Sie habe darauf vertraut, dass auch ihre Rechtsanwaltsfachangestellte die Frist im Fristenkalender notiert habe. Die Prozessbevollmächtigte habe beabsichtigt, die Berufungsbegründung am Wochenende vom 27./ zu fertigen und sie innerhalb der am Montag, dem ablaufenden Frist an das Kammergericht weiterzuleiten. In der Nacht vom 25. auf den habe sie sich aber bei einem Sturz einen Wadenbeinbruch rechts zugezogen, weshalb es ihr nicht möglich gewesen sei, am im Büro zu erscheinen.

3Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Kammergericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.

II.

4Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Insbesondere verletzt der angefochtene Beschluss die Klägerin weder in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) noch in ihrem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Der Klägerin wird nicht der Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert.

51. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Klägerin habe keinen Sachverhalt glaubhaft gemacht, nach dem die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nicht auf einem Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten beruhe. Soweit die Klägerin geltend mache, ihre Prozessbevollmächtigte habe die Fristenkontrolle ihrer bis dahin stets sorgfältig arbeitenden Rechtsanwaltsfachangestellten übertragen, fehle es an jedem Vortrag, warum die Prozessbevollmächtigte im Zusammenhang mit der Aktenvorlage zwecks Fertigung der Berufungsschrift nicht die ordnungsgemäße Notierung der Berufungsbegründungsfrist überprüft habe. Die weiteren Ausführungen der Klägerin in ihrem Schriftsatz vom seien nicht berücksichtigungsfähig, weil sie nicht innerhalb der einmonatigen Antragsfrist vorgebracht worden seien (§ 234 Abs. 1 Satz 2, § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Der Vortrag sei aber auch nicht geeignet, die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu entschuldigen. Die Klägerin habe nicht dargelegt, dass ihrer Prozessbevollmächtigten die Einschaltung eines Vertreters oder die Beantragung einer Fristverlängerung nicht möglich gewesen sei. Es sei nicht nachvollziehbar, warum die Prozessbevollmächtigte daran gehindert gewesen sei, am Freitag, den einen Vertreter zu erreichen, der für sie einen Fristverlängerungsantrag hätte stellen können. Soweit die Klägerin durch den Hinweis, ihre Prozessbevollmächtigte habe am nicht im Büro erscheinen können, möglicherweise konkludent zum Ausdruck habe bringen wollen, ihre Prozessbevollmächtigte habe deshalb auch den drohenden Fristablauf nicht bemerken können, übersehe sie, dass es zu den Sorgfaltspflichten ihrer Prozessbevollmächtigten gehört habe, ihre Büroangestellte um Überprüfung der von ihr selbst notierten Fristen zu bitten.

62. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung stand. Das Berufungsgericht hat der Klägerin die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Recht versagt, weil die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung auf einem Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten beruht, das ihr gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist.

7a) Die Klägerin hat weder dargetan noch glaubhaft gemacht, dass ihre Prozessbevollmächtigte durch eine ordnungsgemäße Organisation der Fristenkontrolle in ihrer Kanzlei dafür Sorge getragen hat, dass Rechtsmittelfristen nicht versäumt werden.

8aa) Die Sorgfaltspflicht in Fristsachen verlangt von einem Rechtsanwalt, alles ihm Zumutbare zu tun, um die Wahrung von Rechtsmittelfristen zu gewährleisten. Dabei kann er die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft übertragen. Tut er dies, so hat er allerdings durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Zu den zur Ermöglichung einer Gegenkontrolle erforderlichen Vorkehrungen im Rahmen der Fristenkontrolle gehört insbesondere, dass die Rechtsmittelfristen in der Handakte notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auch in sonstiger Weise erkennen lässt, dass die Fristen in alle geführten Fristenkalender eingetragen worden sind. Wird dem Rechtsanwalt die Sache im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung zur Bearbeitung vorgelegt, hat er die Einhaltung seiner Anweisungen zur Berechnung und Notierung laufender Rechtsmittelfristen einschließlich deren Eintragung in den Fristenkalender eigenverantwortlich zu prüfen, wobei er sich grundsätzlich auf die Prüfung der Vermerke in der Handakte beschränken darf. Diese anwaltliche Prüfungspflicht besteht auch dann, wenn die Handakte nicht zugleich zur Bearbeitung mit vorgelegt worden ist, so dass der Rechtsanwalt in diesen Fällen die Vorlage der Handakte zur Fristenkontrolle zu veranlassen hat (vgl. Senatsbeschluss vom - VI ZB 63/19, z.V.b.; , NJW 2014, 3102 Rn. 12 mwN).

9bb) Die nach dieser Rechtsprechung geforderten Sorgfaltspflichten hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin nicht erfüllt. Hätte sie bei Vorlage der Handakte zur Fertigung der am bei Gericht eingegangenen Berufungsschrift geprüft, ob die Berufungsbegründungsfrist richtig notiert worden ist, so hätte ihr auffallen müssen, dass die Frist zur Berufungsbegründung nicht eingetragen worden war.

10b) Die Nichteinhaltung der unter a) dargestellten Sorgfaltspflichten ist entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht deshalb bedeutungslos, weil die Prozessbevollmächtigte der Klägerin - wie letztere mit Schriftsatz vom geltend gemacht hat - die Fristen selbst in ihrem Kalender notierte und überwachte. Dabei kann offenbleiben, ob dieser erst nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO) gehaltene Vortrag prozessual berücksichtigungsfähig ist. Denn ihm lässt sich bereits nicht entnehmen, dass die Prozessbevollmächtigte der Klägerin an der Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung kein Verschulden trifft.

11aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss ein Rechtsanwalt allgemeine vorausschauende Vorkehrungen dafür treffen, dass das zur Wahrung von Fristen Erforderliche auch dann unternommen wird, wenn er unvorhergesehen ausfällt; er muss seinem Personal die notwendigen allgemeinen Anweisungen für einen solchen Fall geben. Darüber hinaus muss der Rechtsanwalt, wenn er unvorhergesehen krank wird, alles zur Fristwahrung unternehmen, was ihm in der konkreten Situation möglich und zumutbar ist. Die höchstrichterliche Rechtsprechung sieht mithin differenzierte Anforderungen einerseits für allgemeine vorausschauende Vorkehrungen für den Krankheitsfall und andererseits für konkrete Maßnahmen im bereits eingetretenen Krankheitsfall vor. Dabei sollen die allgemeinen Vorkehrungen und die konkreten Maßnahmen im Verhinderungsfall ineinandergreifen (vgl. Senatsbeschluss vom - VI ZB 44/18, NJW-RR 2019, 1207 Rn. 11; , z.V.b., Rn. 10 ff. mwN).

12bb) Die Klägerin hat nicht dargetan und glaubhaft gemacht, dass ihre Prozessbevollmächtigte diesen Sorgfaltsanforderungen genügt hat.

13(1) Dem Vorbringen der Klägerin ist bereits nicht zu entnehmen, dass ihre Prozessbevollmächtigte die gebotenen allgemeinen Vorkehrungen für einen unvorhergesehenen Krankheitsfall getroffen hätte. Sah die Prozessbevollmächtigte davon ab, die Einhaltung ihrer Anweisungen zur Berechnung und Notierung laufender Rechtsmittelfristen im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung wie unter a) dargestellt eigenverantwortlich zu überprüfen, und übernahm sie stattdessen selbst die Fristenkontrolle, so hätte sie ihre Büroangestellte im Vorfeld allgemein anweisen müssen, auch den von ihr selbst geführten Fristenkalender zu kontrollieren und sie auf einen drohenden Fristablauf hinzuweisen, sollte sie unvorhergesehen ausfallen.

14(2) Abgesehen davon fehlt es an ausreichenden Darlegungen zu den von der Prozessbevollmächtigten der Klägerin in dem dann eingetretenen Krankheitsfall getroffenen Maßnahmen. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist es nicht erkennbar, warum die Prozessbevollmächtigte nicht in der Lage war, ihre Rechtsanwaltsfachangestellte am Freitag, dem 26. Oktober, oder am Montag, dem , telefonisch zu kontaktieren und um Überprüfung der von ihr in ihrem eigenen Fristenkalender notierten Fristen zu bitten sowie gegebenenfalls auf einen Fristverlängerungsantrag durch ihren Vertreter hinzuwirken. Der Hinweis darauf, dass sie wegen des Wadenbeinbruchs in der Nacht vom 25. auf den nicht mehr gehfähig war, ärztlicher Versorgung bedurfte und am stationär im Krankenhaus aufgenommen wurde, genügt nicht, um die Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit eines solchen Vorgehens darzutun.

15cc) Der Verstoß gegen die unter bb) dargestellten Sorgfaltsanforderungen war auch kausal für die Fristversäumung. Hätte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin in der geschilderten Weise auf einen Fristverlängerungsantrag hingewirkt, so hätte sie die Berufungsbegründungsfrist nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge bei ansonsten pflichtgemäßem Verhalten gewahrt. Es handelte sich um die erste Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist (vgl. § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:210720BVIZB25.19.0

Fundstelle(n):
BB 2020 S. 2241 Nr. 41
DB 2020 S. 2184 Nr. 41
DStR 2020 S. 16 Nr. 43
NJW 2020 S. 8 Nr. 42
EAAAH-59587