BGH Beschluss v. - IV ZB 11/20

Kostenentscheidung nach übereinstimmender Erledigungserklärung: Klärung materieller Rechtsfragen zur Legalzession bei der Reiserücktrittsversicherung

Gesetze: § 86 VVG, § 91a ZPO

Instanzenzug: LG München I Az: 31 T 18460/19vorgehend Az: 113 C 6452/19

Gründe

1I. Die Klägerin hat die Beklagte auf Auskunft über die Höhe der Stornokosten und auf Rückzahlung desjenigen Betrages in Anspruch genommen, den die Beklagte wegen des Rücktritts der Reisenden von einem Reisevertrag dieser über den tatsächlichen Rücktrittsschaden hinaus in Rechnung gestellt hatte. Die Reisende hatte bei der Beklagten eine Pauschalreise vom 8. bis zum Preis von 5.336 € gebucht. Nachdem sie am von dem Vertrag zurückgetreten war, stellte die Beklagte ihr als Stornogebühr 4.268,80 € (80 % des Reisepreises gemäß den vereinbarten Reise- und Zahlungsbedingungen) in Rechnung, die sie mit der geleisteten Zahlung der Reisenden verrechnete und den Differenzbetrag erstattete. Die Reisende hatte ferner einen Vertrag mit einem Reiserücktrittsversicherer geschlossen. Dieser erstattete ihr abzüglich der vereinbarten Selbstbeteiligung von 300 € einen Betrag von 3.968,80 €. Der Reiserücktrittsversicherer trat den von ihm gegen die Beklagte im Wege der Legalzession nach § 86 VVG geltend gemachten Anspruch an die Klägerin ab.

2Nachdem die Beklagte die verlangte Auskunft im Rahmen ihrer Klageerwiderung erteilt und einen Betrag von 363,14 € an die Klägerin überwiesen hatte, haben die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt und wechselseitig Kostenanträge gestellt. Das Amtsgericht hat der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde hat das Landgericht (Einzelrichter) durch den angefochtenen Beschluss zurückgewiesen.

3Mit der vom Beschwerdegericht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsache zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Klägerin das Ziel, die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten aufzuerlegen.

4II. Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

51. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 ZPO statthaft. Ihre Zulassung ist nicht deshalb unwirksam, weil der Einzelrichter entgegen § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO anstelle des Kollegiums entschieden und damit gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) verstoßen hat. An eine dennoch erfolgte Zulassung ist das Rechtsbeschwerdegericht gemäß § 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO gebunden (BGH, Beschlüsse vom - VI ZB 17/13, NJW 2014, 3520 Rn. 4; vom - VI ZB 63/03, NJW-RR 2004, 1717 unter I 1 [juris Rn. 5]; vgl. auch Zöller/Althammer, ZPO 33. Aufl. § 91a Rn. 29; Zöller/Heßler aaO § 574 Rn. 9).

62. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die angefochtene Entscheidung unterliegt bereits deshalb der Aufhebung, weil sie unter Verletzung des Verfassungsgebots des gesetzlichen Richters ergangen ist. Der Einzelrichter durfte nicht selbst entscheiden, sondern hätte das Verfahren wegen der von ihm angenommenen grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO der mit drei Richtern besetzten Kammer übertragen müssen. Mit seiner Entscheidung hat er die Beurteilung der grundsätzlichen Bedeutung der Sache dem Kollegium als dem gesetzlich zuständigen Richter entzogen. Diesen Verstoß gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters hat der Senat von Amts wegen zu beachten (vgl. BGH, Beschlüsse vom - IX ZB 56/19, WM 2020, 1077 Rn. 3; vom aaO Rn. 5; vom aaO Rn. 6; vgl. auch Zöller/Heßler aaO § 574 Rn. 9).

7III. Nach Zurückverweisung wird der Einzelrichter die Sache der Kammer zu übertragen haben, wenn er der Rechtssache nach erneuter Prüfung weiterhin grundsätzliche Bedeutung beimisst. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass es nicht Zweck einer Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits nach § 91a ZPO ist, Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu klären, soweit es um Fragen des materiellen Rechts geht. Grundlage der Entscheidung ist lediglich eine summarische Prüfung, bei der das Gericht grundsätzlich davon absehen kann, in einer rechtlich schwierigen Sache nur wegen der Verurteilung der Kosten alle für den hypothetischen Ausgang bedeutsamen Rechtsfragen zu klären (, BGHZ 197, 147 Rn. 13; Beschlüsse vom - VII ZB 28/17 juris Rn. 10; vom - VIII ZB 28/08, NJW-RR 2009, 422 juris Rn. 5; Zöller/Althammer, ZPO 33. Aufl. § 91a Rn. 27).

8Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die Reiserücktrittsversicherung in den Anwendungsbereich des § 86 VVG fällt, stellt eine derartig schwierige Frage des materiellen Rechts dar. § 86 VVG findet, wie sich bereits aus seiner Stellung im Gesetz ergibt, auf die Schadenversicherung, nicht dagegen auf die Summenversicherung Anwendung (vgl. bereits Senatsurteil vom - IV ZR 307/00, VersR 2001, 1100 juris Rn. 22 - 25 zur Krankentagegeldversicherung unter der Geltung von § 67 Abs. 1 VVG a.F.).

9In Rechtsprechung und Schrifttum wird vielfach vertreten, dass die Reiserücktrittsversicherung eine Schadenversicherung oder dieser jedenfalls ähnlich ausgestaltet sei, so dass § 86 VVG entweder direkt oder zumindest analog Anwendung finde (, BeckRS 2016, 117240; juris Rn. 13 - 20; LG Coburg, Urteil vom - 14 O 298/13, juris Rn. 37 - 42; , BeckRS 2019, 31335 Rn. 15 - 17; Voit in Bruck/Möller, VVG 9. Aufl. § 86 Rn. 33; Armbrüster in Prölss/Martin, VVG 30. Aufl. § 86 Rn. 5; Brand in Bergmann/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht 3. Aufl. § 86 Rn. 5; unklar HK-VVG/Muschner, 4. Aufl. § 86 Rn. 2, 3). Demgegenüber lehnen andere eine direkte oder entsprechende Anwendung von § 86 VVG auf die Reiserücktrittsversicherung ab (LG München I, Urteil vom - 31 S 21056/05, BeckRS 2011, 12097; Jahnke in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht 26. Aufl. § 86 Rn. 13). Das Beschwerdegericht seinerseits will auf die konkrete Ausgestaltung des Versicherungsvertrages abstellen, der hier indessen einschließlich der maßgeblichen Versicherungsbedingungen nicht zur Akte gereicht wurde. Für die Klärung dieser Rechtsfrage im Rahmen einer Kostenentscheidung gemäß § 91a ZPO dürfte daher von vornherein kein Raum sein.

10IV. Von der Erhebung von Gerichtskosten wird gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG abgesehen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:150720BIVZB11.20.0

Fundstelle(n):
NJW-RR 2020 S. 983 Nr. 16
JAAAH-57533