Beweiswürdigung der Jugendkammer: Notwendige Urteilsfeststellungen zum Heranwachsendenstatus eines Angeklagten; Anwendung des Zweifelssatzes
Gesetze: § 1 JGG, §§ 1ff JGG, § 261 StPO, § 267 StPO, § 349 Abs 4 StPO
Instanzenzug: LG Konstanz Az: 62 Js 10407/18 - 2 KLs
Gründe
1Das Landgericht - Jugendkammer - hat den Angeklagten I. wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen, wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 16 Fällen und wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in acht Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt. Gegen den Angeklagten A. hat es wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen und wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in elf Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Erwerb von Betäubungsmitteln, eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten verhängt. Zudem hat es bezüglich beider Angeklagter Einziehungsentscheidungen getroffen. Die gegen seine Verurteilung gerichtete, auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten I. hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); sein weitergehendes Rechtsmittel ist ebenso wie dasjenige des Angeklagten A. unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
21. Der Rechtsfolgenausspruch bezüglich der Verurteilung des Angeklagten I. hält der sachlichrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Denn das Landgericht hat nicht rechtsfehlerfrei dargelegt, dass dieser Angeklagte im Tatzeitraum von Februar 2018 bis August 2018 bereits Erwachsener und nicht mehr Heranwachsender war.
3a) Das Tatgericht hat in Fällen, in denen es dem Gutachten eines Sachverständigen folgt, grundsätzlich dessen wesentliche Anknüpfungstatsachen und Schlussfolgerungen so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die Ergebnisse nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind (st. Rspr.; Rn. 20; Beschlüsse vom - 4 StR 496/19 Rn. 4; vom - 1 StR 79/19 Rn. 5 und vom - 1 StR 564/18 Rn. 7). Nur wenn dem Gutachten ein allgemein anerkanntes und weithin standardisiertes Verfahren zugrundeliegt, wie dies etwa bei daktyloskopischen Gutachten, der Blutalkoholanalyse oder der Bestimmung des Wirkstoffgehalts von Betäubungsmitteln der Fall ist, genügt das Mitteilen des erzielten Ergebnisses (BGH aaO).
4b) Diesen Darlegungsanforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht gerecht. Es hat lediglich das Ergebnis des rechtsmedizinischen Sachverständigengutachtens mitgeteilt, wonach der Angeklagte bei Begehung der Taten "wahrscheinlich über 25,03 Jahre gewesen sei" (UA S. 40). Weder die Anknüpfungstatsachen hierfür noch die angewandte wissenschaftliche Methode (denkbar etwa eine körperliche Untersuchung, Röntgenaufnahme des Gebisses oder der linken Hand sowie Untersuchung der Schlüsselbeine) werden dargestellt. Vielmehr wird eine zusätzliche Unklarheit dadurch geschaffen, dass "statistisch" zum Untersuchungszeitpunkt am "ein Alter von 21,6 Jahren" nicht auszuschließen sei. Ist aber der Heranwachsendenstatus eines Angeklagten zum Zeitpunkt der Tat nicht sicher auszuschließen, so ist nach dem Grundsatz in dubio pro reo davon auszugehen, dass er bei Begehung der Tat noch Heranwachsender war ( Rn. 8, BGHSt 47, 311, 313 und vom - 1 StR 723/53, BGHSt 5, 366, 370).
52. Die Sache bedarf daher im Rechtsfolgenausspruch bezüglich des Angeklagten I. der neuen Verhandlung und Entscheidung.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:020420B1STR28.20.0
Fundstelle(n):
TAAAH-54420