Instanzenzug: Az: 24 Ca 1201/18 Urteilvorgehend LArbG Berlin-Brandenburg Az: 21 Sa 1534/18 Urteilnachgehend Az: 1 BvR 1771/20 Nichtannahmebeschlussnachgehend Az: 1 BvR 1940/20 Beschluss
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung.
2Der Kläger war seit dem bei der Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG (Schuldnerin) als Co-Pilot beschäftigt. Sein Einsatzort war zuletzt die Station der Schuldnerin in Köln.
3Die Schuldnerin war eine Fluggesellschaft und bediente mit mehr als 6.000 Beschäftigten im Linienflugverkehr inner- und außereuropäische Ziele. Hierfür unterhielt sie ua. Stationen an den Flughäfen Berlin-Tegel, Düsseldorf und Köln. In Berlin war der Leiter des Flugbetriebs („Head of Flight Operations“) ansässig. Diesem oblag die Leitung und Führung des Cockpitpersonals im operativen Geschäft. Die Umlauf- und Dienstplanung erfolgte für den gesamten Flugbetrieb zentral von Berlin aus. Für das Cockpitpersonal waren vier Area Manager tätig, die jeweils für mehrere Stationen zuständig und dem Flottenmanagement unterstellt waren. Das Kabinenpersonal wurde ua. durch zwei Regional Manager betreut.
4Für das Cockpitpersonal war gemäß § 117 Abs. 2 BetrVG durch Abschluss des „Tarifvertrags Personalvertretung (TVPV) für das Cockpitpersonal der Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG“ eine Personalvertretung (PV Cockpit) gebildet. Für das Kabinenpersonal wurde durch den „Tarifvertrag Personalvertretung (TVPV) für das Kabinenpersonal der Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG“ die Personalvertretung Kabine (PV Kabine) errichtet. Beide Gremien hatten ihren Sitz in Berlin. Das Bodenpersonal vertraten die regional zuständigen Betriebsräte (Boden Nord, West und Süd) und der Gesamtbetriebsrat.
5Am beantragte die Schuldnerin beim zuständigen Insolvenzgericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen bei Eigenverwaltung. Das Gericht ordnete zunächst die vorläufige Eigenverwaltung an und bestellte den Beklagten am zum vorläufigen Sachwalter. Danach leitete die Schuldnerin eine Investorensuche ein, die eine Fortführung des Geschäftsbetriebs im Rahmen einer übertragenden Sanierung ermöglichen sollte. Nach Ablauf der Angebotsfrist am lag kein annahmefähiges Angebot vor.
6Am unterzeichneten der Executive Director der persönlich haftenden Gesellschafterin der Schuldnerin, der Generalbevollmächtigte der Schuldnerin und der Beklagte für die Schuldnerin eine Erklärung. Demnach war beabsichtigt, den Betrieb bis spätestens stillzulegen.
7Mit Schreiben vom wandte sich die Schuldnerin an die PV Cockpit. Es sei beabsichtigt, die durch die Betriebsstilllegung bedingten Kündigungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Laufe des Monats Oktober 2017, voraussichtlich ab , unter Wahrung der ggf. durch § 113 InsO begrenzten Kündigungsfrist zu erklären. Wegen der Beendigung aller Arbeitsverhältnisse sei eine Sozialauswahl nicht erforderlich. Da es sich um eine anzeigepflichtige Massenentlassung iSd. § 17 Abs. 1 KSchG handle, werde hiermit das Konsultationsverfahren gemäß § 17 Abs. 2 KSchG eingeleitet.
8Mit Beschluss vom eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin. Es ordnete Eigenverwaltung an und bestellte den Beklagten zum Sachwalter. Dieser zeigte noch am gleichen Tage gegenüber dem Insolvenzgericht eine drohende Masseunzulänglichkeit an.
9Mit Formular und Begleitschreiben vom erstattete die Schuldnerin bei der Agentur für Arbeit Berlin Nord eine Massenentlassungsanzeige bzgl. des Cockpitpersonals. In dem hierfür vorgesehenen Formularfeld wurde angegeben, die Anzeige beziehe sich auf den „Hauptsitz der Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG“. Dort seien in der Regel 1.301 Arbeitnehmer/innen beschäftigt, welche voraussichtlich alle im Zeitraum vom bis zum entlassen werden sollten. Hinsichtlich der in der Regel Beschäftigten wird auf Anlagen verwiesen. In diesen wird bei den „Angaben zu Entlassungen Cockpit“ die Zahl von 1.301 Beschäftigten des Cockpitpersonals nach Stationen und Berufsgruppen aufgeschlüsselt. Das Begleitschreiben erläutert den Kündigungsgrund bzgl. dieser Beschäftigtengruppe. Die Personalleitung für diese Beschäftigten erfolge in sämtlichen Angelegenheiten von Berlin aus. Dort habe auch die auf tariflicher Grundlage gebildete PV Cockpit ihren Sitz. Das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG sei mit Schreiben vom eingeleitet und ausweislich des der Massenentlassungsanzeige beigefügten Interessenausgleichs vom abgeschlossen worden.
10Mit Schreiben vom kündigte die Schuldnerin mit Zustimmung des Beklagten gegenüber dem Kläger das Arbeitsverhältnis zum .
11Mit Beschluss vom hob das Insolvenzgericht die Eigenverwaltung auf und bestellte den Beklagten zum Insolvenzverwalter.
12Mit seiner fristgerecht erhobenen Klage hat sich der Kläger gegen die Kündigung vom gewandt. Sie sei unwirksam. Eine Betriebsstilllegung sei zum Zeitpunkt ihres Zugangs nicht beschlossen gewesen, die Schuldnerin habe vielmehr noch mit möglichen Betriebserwerbern verhandelt. Die PV Cockpit sei nicht ordnungsgemäß beteiligt worden. Die Massenentlassungsanzeige sei fehlerhaft.
13Der Kläger hat zuletzt noch beantragt
14Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Ansicht vertreten, die Kündigung sei wegen der beabsichtigten und tatsächlich erfolgten Stilllegung des Flugbetriebs sozial gerechtfertigt. Ein Betriebs(teil)übergang sei nicht geplant gewesen und habe auch nicht stattgefunden. Die Rechte der PV Cockpit seien gewahrt. Die Massenentlassung sei ordnungsgemäß gegenüber der zuständigen Agentur für Arbeit angezeigt worden.
15Die Vorinstanzen haben neben dem Kündigungsschutzantrag auch die weiteren, vom Kläger ursprünglich gestellten Auskunftsanträge abgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger entsprechend der beschränkten Revisionszulassung durch das Landesarbeitsgericht ausschließlich den Kündigungsschutzantrag weiter.
Gründe
16Die zulässige Revision ist begründet. Der Kündigungsschutzantrag ist zulässig und begründet. Insoweit war das Berufungsurteil aufzuheben und antragsgemäß zu entscheiden.
17I. Die streitgegenständliche Kündigung ist wegen einer fehlerhaften Massenentlassungsanzeige gemäß § 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchG iVm. § 134 BGB unwirksam. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts erstattete die Schuldnerin die nach § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG erforderliche Massenentlassungsanzeige wegen Verkennung des unionsrechtlich determinierten Betriebsbegriffs nicht ordnungsgemäß iSd. § 17 Abs. 3 KSchG. Dies hat der Senat in einem Parallelverfahren bereits entschieden und nimmt auf die Begründung dieses Urteils Bezug ( - Rn. 70 ff.). Es wurde eine inhaltlich nicht ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige bei der unzuständigen Agentur für Arbeit Berlin Nord erstattet. Eine Anzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit Köln erfolgte hingegen vor Zugang der Kündigung beim Kläger nicht.
18II. Die Kosten der Vorinstanzen sind zwischen den Parteien gemäß § 92 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1 ZPO zu verteilen, denn die Auskunftsanträge wurden mit dem Berufungsurteil rechtskräftig abgewiesen. Die Kosten des auf den Kündigungsschutzantrag beschränkten Revisionsverfahrens hat der Beklagte gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu tragen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2020:130220.U.6AZR270.19.0
Fundstelle(n):
TAAAH-53756