BGH Beschluss v. - 3 StR 613/19

Hauptverhandlung in Strafsachen: Ausschluss der Öffentlichkeit während der Schlussvorträge von Mitangeklagten

Gesetze: § 169 Abs 1 S 1 GVG, § 171b Abs 2 GVG, § 171b Abs 3 S 2 GVG, § 338 Nr 6 StPO, § 180 Abs 2 StGB

Instanzenzug: LG Kleve Az: 170 KLs 5/18

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Raubes und vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt sowie deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Zudem hat es bestimmt, dass ein Monat der Strafe als verbüßt gilt. Der Angeklagte beanstandet mit seiner Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.

2Näherer Erörterung bedarf lediglich die Verfahrensrüge, die eine Verletzung der Vorschriften über die Öffentlichkeit durch deren Ausschluss während der Schlussanträge geltend macht (§ 338 Nr. 6 StPO, § 169 Abs. 1 Satz 1, § 171b GVG).

31. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

4Die Hauptverhandlung wurde nicht allein gegen den Angeklagten, sondern auch gegen einen Nichtrevidenten wegen Taten geführt, an denen der Angeklagte nicht beteiligt war. Zur Aufklärung des Vorwurfs der Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger (§ 180 Abs. 2 StGB), der dem Nichtrevidenten zur Last lag, wurde eine Zeugin vernommen, auf deren Antrag die Öffentlichkeit während ihrer Vernehmung nach § 171b "Abs. 2" GVG ausgeschlossen wurde. Zudem wurde für die Dauer der Vernehmung einer anderen Zeugin, die für die Taten des Angeklagten von Bedeutung war, die Öffentlichkeit "gem. § 171 b Abs. 1" GVG ausgeschlossen. Ferner schloss die Strafkammer die Öffentlichkeit insgesamt "gem. 171 b Abs. 3 GVG für die Dauer der Schlussvorträge" aus.

52. Die Verfahrensweise des Landgerichts, die in der gegebenen Konstellation der Prüfung durch das Revisionsgericht unterliegt, ist rechtsfehlerfrei.

6a) Die Verfahrensrüge ist nicht nach § 171b Abs. 5 GVG, § 336 Satz 2 StPO ausgeschlossen, da es nicht um die Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Ausschluss der Öffentlichkeit im Einzelfall gemäß § 171b Abs. 1 bis 4 GVG, sondern um die Frage geht, ob eine generelle Befugnis bestand, die Öffentlichkeit während eines bestimmten Verfahrensabschnitts auszuschließen (, BGHSt 63, 23 Rn. 6 mwN).

7b) Die Rüge ist unbegründet. Die Öffentlichkeit war während der Schlussanträge nach § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG auszuschließen, weil das Verfahren - auch - wegen in § 171b Abs. 2 GVG genannter Straftaten geführt wurde und nach dieser Vorschrift zum Teil unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand.

8Hierfür kommt es nicht darauf an, ob das Verfahren gegen den einzelnen Angeklagten ein in § 171b Abs. 2 GVG aufgeführtes Delikt zum Gegenstand hatte. Denn die Vorschrift des § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG geht von einem einheitlichen und unteilbaren Verfahrensbegriff aus. Eine Differenzierung nach dem Inhalt und dem prozessualen Bezug der Schlussvorträge sowie nach der prozessualen Stellung des jeweiligen Verfahrensbeteiligten sieht sie nicht vor (, BGHSt 63, 23 Rn. 12; s. auch , BGHSt 64, 64 Rn. 13). Der Bundesgerichtshof hat dies bereits ausdrücklich für unterschiedliche Straftaten mit Blick auf mehrere Nebenklägerinnen entschieden (s. aaO); aus den dort dargelegten allgemeinen Erwägungen gilt nichts anderes für verschiedene Angeklagte (vgl. auch Kissel/Mayer, GVG, 9. Aufl., § 171b Rn. 15 aE; KK-StPO/Diemer, 8. Aufl., § 171b GVG Rn. 2b).

9Bereits der Gesetzeswortlaut stellt allein auf das Verfahren ab. Eine Aufspaltung der Schlussanträge innerhalb einer einheitlich geführten Hauptverhandlung liegt daher nicht nahe. Hiergegen vorgebrachte Bedenken (vgl. Eisenberg, JR 2018, 297, 299) überzeugen nicht, da der Grundsatz der Einheit der Hauptverhandlung (s. etwa , NStZ 2019, 353 Rn. 12 mwN; Urteil vom - 2 StR 252/56, BGHSt 9, 243, 244) zu beachten ist. Auch wenn dem Angeklagten daraus keine Einwirkungsbefugnisse auf diejenigen Teile der Hauptverhandlung zustehen, die ausschließlich Mitangeklagte betreffen und bei denen ausgeschlossen werden kann, dass durch sie seine eigenen Verfahrensinteressen in irgendeiner Weise berührt werden, wird der Inbegriff der gesamten Hauptverhandlung zur einheitlichen Entscheidungsgrundlage und kann für die eigene Interessenvertretung genutzt werden (vgl. LR/Becker, StPO, 27. Aufl., Vor § 226 Rn. 52). Es ist mithin möglich, dass trotz unterschiedlicher Tatvorwürfe Inhalte zum Gegenstand der Schlussvorträge gemacht werden, die Straftaten nach § 171b Abs. 2 GVG und Erkenntnisse aus nicht öffentlicher Verhandlung betreffen. Eine etwaige Differenzierung des Öffentlichkeitsausschlusses je nach Inhalt des Plädoyers ist im Gesetzgebungsverfahren erwogen, aber als praktisch nicht durchführbar abgelehnt worden (s. BT-Drucks. 17/12735 S. 18; zudem bereits , BGHSt 63, 23 Rn. 21).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:070420B3STR613.19.0

Fundstelle(n):
JAAAH-53113