BGH Beschluss v. - 4 StR 170/20

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt: Absehen von einer Entscheidung über den Vorwegvollzug der Strafe

Gesetze: § 64 StGB, § 67 Abs 2 S 2 StGB, § 67f StGB

Instanzenzug: Az: 34 KLs 38/17

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und „Einbruchdiebstahls“ in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt und eine Kompensationsentscheidung getroffen. Außerdem hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass ein Jahr und drei Monate der Gesamtfreiheitsstrafe vor der Unterbringung zu vollziehen sind. Hiergegen richtet sich die auf mehrere Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten.

21. Hinsichtlich des Schuld- und Strafausspruchs, der Kompensationsentscheidung und der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

32. Die Entscheidung über den Vorwegvollzug kann nicht bestehen bleiben, weil das Gericht nicht erkennbar in seine Ermessensentscheidung einbezogen hat, dass sich der Angeklagte aufgrund des im Vollzug einer Maßregel nach § 64 StGB befindet, die nach den hierzu getroffenen Feststellungen fortdauert und positiv verläuft.

4Nach § 67 Abs. 2 Satz 1 StGB bestimmt das Gericht die Vorwegvollziehung der Strafe oder eines Teils der Strafe, wenn der Zweck der Maßregel dadurch leichter erreicht wird. Ob diese Voraussetzung gegeben ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (vgl. , NStZ-RR 2019, 208, 209 mwN). Der angeordnete Vorwegvollzug von einem Jahr und drei Monaten der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe entspricht bei einer - hier festgestellten - voraussichtlichen Therapiedauer von zwei Jahren zwar dem Regelfall des § 67 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Satz 3 StGB. Mit Rücksicht auf die besondere Vollzugssituation (positiv verlaufende Unterbringung nach § 64 StGB in anderer Sache) hätte die Strafkammer hier aber prüfen müssen, ob ausnahmsweise von der Sollvorschrift des § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB abzuweichen und von der Anordnung des Vorwegvollzugs abzusehen war. Denn die nunmehr erneut angeordnete Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hätte nach § 67f StGB im Fall ihrer Rechtskraft die Erledigung der bereits vollzogenen Unterbringung zur Folge. Die in deren Rahmen erfolgversprechend begonnene Therapie könnte gemäß § 67 Abs. 1 StGB dann nur fortgesetzt werden, wenn sie nicht zum Zwecke eines Vorwegvollzugs unterbrochen wird. In einem solchen Fall kann von der Entscheidung über den Vorwegvollzug abgesehen werden (vgl. , NStZ-RR 2019, 208, 209; weitere Nachweise bei Fischer, StGB, 67. Aufl., § 67 Rn. 12).

5Über die Anordnung eines Vorwegvollzugs ist daher erneut zu entscheiden. Dem Senat ist es verwehrt, in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO selbst darüber zu befinden, weil die Entscheidung Wertungen und Beurteilungen erfordert, die dem Tatgericht vorbehalten sind.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:050520B4STR170.20.1

Fundstelle(n):
QAAAH-52853