Verfahrensrecht | Keine Berichtigung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids bei fehlender Erfassung der vom Steuerpflichtigen ordnungsgemäß erklärten Einkünfte (BFH)
Sind vom Steuerpflichtigen in seiner Steuererklärung angegebene Einkünfte im Einkommensteuerbescheid nicht berücksichtigt worden, weil die Anlage S zur Einkommensteuererklärung versehentlich nicht eingescannt und die angegebenen Einkünfte somit nicht in das elektronische System übernommen wurden, liegt ein mechanisches Versehen und somit grundsätzlich eine offenbare Unrichtigkeit i. S. des § 129 Satz 1 AO vor. Ein mechanisches Versehen ist nicht mehr gegeben, sondern es liegt ein Fehler im Bereich der Sachverhaltsermittlung nach § 88 AO vor, wenn der Sachbearbeiter eine weitere Sachverhaltsermittlung unterlässt, obwohl sich ihm aufgrund der im Rahmen des Risikomanagementsystems ergangenen Prüf- und Risikohinweise eine weitere Prüfung des Falles hätte aufdrängen müssen. (; veröffentlicht am ).
Hintergrund: Nach § 129 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass des Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen.
Sachverhalt: Der Kläger hatte in seiner auf dem amtlichen Vordruck eingereichten Einkommensteuererklärung u. a. Einkünfte aus selbständiger Arbeit i. H. von 128.641 € erklärt. Beim Einscannen der Unterlagen im Veranlagungsbezirk des FA wurde die Anlage S zur Einkommensteuererklärung versehentlich übersehen, so dass eine Erfassung der Einkünfte aus selbständiger Arbeit des Klägers unterblieb. Nach maschineller Überprüfung der eingescannten Daten durch ein Risikomanagementsystem gingen im Veranlagungsbezirk mehrere Prüf- und Risikohinweise ein, die u. a. auf Einkünfte „des Ehemanns/der Ehefrau von weniger als 4.200 €“ hinwiesen und eine „personelle Prüfung“ des als „risikobehaftet“ eingestuften Falls vorsahen.
Die zuständige Sachbearbeiterin bearbeitete diese Prüf- und Risikohinweise, prüfte jedoch nicht, ob die Einkünfte aus selbständiger Arbeit des Klägers zutreffend im Einkommensteuerbescheid übernommen worden waren. Erst im Folgejahr wurde der Fehler erkannt und der Einkommensteuerbescheid nach § 129 Satz 1 AO berichtigt. Das FG vertrat die Auffassung, dass das FA zur Berichtigung des Einkommensteuerbescheids berechtigt gewesen war ().
Der BFH folgte dem nicht und entschied zugunsten des Steuerpflichtigen:
§ 129 Satz 1 AO erlaubt nur die Berichtigung von Schreibfehlern, Rechenfehlern und ähnlichen offenbaren Unrichtigkeiten (sog. mechanische Versehen), die beim Erlass des Verwaltungsakts unterlaufen sind.
§ 129 AO ist dagegen nicht anwendbar, wenn dem Sachbearbeiter des FA ein Tatsachen- oder Rechtsirrtum unterlaufen ist oder er den Sachverhalt mangelhaft aufgeklärt hat. Im vorliegenden Fall beruhte der fehlerhafte Einkommensteuerbescheid darauf, dass die zutreffende Höhe der im Bescheid angesetzten Einkünfte nicht aufgeklärt wurde, obwohl aufgrund der Risiko- und Prüfhinweise Zweifel an der Richtigkeit dieser Einkünfte bestanden und deshalb eine weitere Sachaufklärung geboten war.
Das schließt das Vorliegen eines bloß mechanischen Versehens und damit die Anwendung der Berichtigungsnorm des § 129 AO aus.
Quelle: BFH, Pressemitteilung Nr. 24/2020 v. und ; NWB Datenbank (RD)
Fundstelle(n):
GAAAH-49609