Beitragspflichten zu dem Sozialkassensystem der Bauwirtschaft -SokaSiG
Gesetze: § 7 Abs 3 SokaSiG, Anl 28 SokaSiG, § 1 Abs 2 Abschn V Nr 6 VTV-Bau, § 5 TVG, Art 9 Abs 3 GG, Art 20 Abs 2 S 2 GG, Art 20 Abs 3 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 3 Abs 1 GG, Art 19 Abs 1 GG
Instanzenzug: ArbG Wiesbaden Az: 11 Ca 1840/16 Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 10 Sa 210/17 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über Beiträge nach dem Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom idF vom (VTV 2013 II).
2Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien in der Rechtsform eines Vereins mit eigener Rechtspersönlichkeit kraft staatlicher Verleihung. Er ist tarifvertraglich zum Einzug der Beiträge zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft verpflichtet. Die im streitgegenständlichen Zeitraum im niedersächsischen L ansässige Beklagte ist nicht Mitglied eines der den VTV 2013 II schließenden Verbände. Sie ist im Bereich der Horizontalbohrungen tätig. Auf der Grundlage des VTV 2013 II begehrt der Kläger von der Beklagten Beiträge für gewerbliche Arbeitnehmer in unstreitiger Höhe von insgesamt 11.328,34 Euro für die Monate Januar bis Dezember 2014. Der Senat hat festgestellt, dass die Allgemeinverbindlicherklärung des VTV 2013 II unwirksam ist ( - BAGE 156, 289).
3Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte schulde die geforderten Beiträge. Erstinstanzlich hat sich der Kläger zunächst auf die Allgemeinverbindlicherklärung des VTV 2013 II berufen. Später hat er sich auch auf materiell-rechtliche Tarifverträge gestützt: § 8 Nr. 15 des Bundesrahmentarifvertrags für das Baugewerbe (BRTV-Bau) vom idF vom , § 32 Abs. 1 des Tarifvertrags über die Berufsbildung im Baugewerbe (BBTV) vom idF vom sowie § 13 des Tarifvertrags über Rentenbeihilfen im Baugewerbe (TVR) vom , zuletzt geändert durch Tarifvertrag vom . Außerdem hat sich der Kläger auf einen aus seiner Sicht nachwirkenden VTV berufen. Er hat sich in der Berufungsinstanz auch auf das Gesetz zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom (SokaSiG) gestützt. In der Revisionsinstanz hat der Kläger mitgeteilt, sich nur noch auf das SokaSiG zu berufen.
4In einem zunächst getrennt geführten Rechtsstreit hat der Kläger einen Vollstreckungsbescheid über 2.888,24 Euro erwirkt, gegen den die Beklagte Einspruch eingelegt hat. Das Arbeitsgericht hat die ursprünglich vier das Jahr 2014 betreffenden Verfahren verbunden. Es hat den Vollstreckungsbescheid durch Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage insgesamt abgewiesen. Auf den Einspruch des Klägers hat das Arbeitsgericht das klageabweisende Versäumnisurteil aufrechterhalten.
5Der Kläger hat vor dem Landesarbeitsgericht zuletzt beantragt,
6Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie sei nicht an den VTV 2013 II gebunden. Als Geltungsgrund komme insbesondere nicht das SokaSiG in Betracht. Indem sich der Kläger auf das SokaSiG berufe, habe er die Klage unzulässig geändert. Das SokaSiG sei jedenfalls verfassungswidrig. Es verstoße gegen das Verbot rückwirkender Gesetze und sei weder mit der Koalitionsfreiheit noch mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar. Zudem stelle es ein unzulässiges Einzelfallgesetz dar, das den Grundsatz der Gewaltenteilung verletze.
7Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert, das klageabweisende Versäumnisurteil aufgehoben, den Vollstreckungsbescheid über 2.888,24 Euro aufrechterhalten und die Beklagte verurteilt, an den Kläger weitere 8.440,10 Euro zu zahlen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte das Ziel, dass das klageabweisende Urteil erster Instanz wiederhergestellt wird.
Gründe
8I. Die Revision ist unbegründet.
91. Die Berufung ist zulässig. Das Landesarbeitsgericht ist mit zutreffender Begründung davon ausgegangen, dass der Kläger die Berufung ausreichend iSv. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO begründet hat (vgl. zu den Anforderungen die st. Rspr., zB - Rn. 14; - 10 AZR 275/16 - Rn. 13).
102. Der Kläger hat die Klage nicht geändert, indem er sich in der Berufungsinstanz erstmals auch auf das SokaSiG als Geltungsgrund für den Verfahrenstarifvertrag berufen hat. Unabhängig von anderen Anspruchsgrundlagen hat er erstinstanzlich an der Allgemeinverbindlicherklärung vom als Geltungsgrund festgehalten (BAnz. AT B1). Es handelt sich um eine Anspruchskonkurrenz innerhalb desselben Streitgegenstands. Beitragsansprüche nach den Verfahrenstarifverträgen, für deren Geltungserstreckung sowohl eine Allgemeinverbindlicherklärung als auch § 7 SokaSiG in Betracht kommen, werden von demselben den Streitgegenstand umgrenzenden Lebenssachverhalt erfasst ( - Rn. 14; - 10 AZR 498/17 - Rn. 27; - 10 AZR 559/17 - Rn. 12; - 10 AZR 318/17 - Rn. 15; - 10 AZR 121/18 - Rn. 18 ff., BAGE 164, 201).
113. Die Klage ist zulässig. Sie ist hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger die Klage sowohl auf das SokaSiG als auch auf § 8 Nr. 15 BRTV-Bau, § 32 Abs. 1 BBTV und § 13 TVR sowie auf einen aus seiner Sicht nachwirkenden VTV gestützt hat. Der Senat muss nicht darüber entscheiden, ob die vom Kläger herangezogenen unterschiedlichen Anspruchsgrundlagen verschiedene Streitgegenstände darstellen. Es handelt sich jedenfalls nicht um eine mit § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO unvereinbare alternative Klagehäufung (vgl. dazu - Rn. 40; - 6 AZR 437/17 - Rn. 18 mwN, BAGE 163, 205; - Rn. 8 f.). Der Kläger hat - entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts - bereits in der Berufungsbegründung klargestellt, dass er seinen Beitragsanspruch vorrangig auf das SokaSiG und nur hilfsweise auf andere Klagegründe stützt. Er hat ausgeführt, auf eine mögliche Nachwirkung und die materiellen Tarifverträge werde es nicht mehr ankommen, weil das in Kürze in Kraft tretende SokaSiG eine ausreichende Anspruchsgrundlage darstelle. Damit hat er bereits in der Berufungsinstanz hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er die Klageforderung seit dem Inkrafttreten des Gesetzes vorrangig auf das SokaSiG stützt. In der Revisionsinstanz hat er sich allein auf das SokaSiG berufen.
124. Die Klage ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Kläger Anspruch auf die geltend gemachten Beiträge für Januar bis Dezember 2014 hat.
13a) Dem Kläger stehen die in der Höhe nicht streitigen Beiträge für diesen Zeitraum nach § 7 Abs. 3 iVm. der Anlage 28 SokaSiG zu. Die Anlage 28 SokaSiG enthält den vollständigen Text des VTV in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (vgl. den Anlageband zum BGBl. I Nr. 29 vom S. 283 bis 295). Die in § 7 Abs. 3 SokaSiG angeordnete Geltungserstreckung des VTV 2013 II auf nicht Tarifgebundene ist aus Sicht des Senats verfassungsgemäß. Die Beitragspflicht der Beklagten folgt aus § 1 Abs. 1 und Abs. 2 Abschn. V Nr. 6 iVm. § 15 Abs. 2 Satz 1, § 18 Abs. 1 Satz 1 VTV 2013 II.
14aa) Der in Niedersachsen gelegene Betrieb der Beklagten unterfällt dem räumlichen Geltungsbereich des VTV 2013 II (§ 1 Abs. 1 VTV 2013 II). Die bei ihr beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer werden vom persönlichen Geltungsbereich des VTV 2013 II erfasst (§ 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VTV 2013 II).
15bb) Das Landesarbeitsgericht hat für den Senat nach § 559 ZPO bindend festgestellt, dass die Beklagte Horizontalbohrungen durchführt. Die Beklagte hat hiergegen keine Verfahrensrügen erhoben. Damit steht für den Senat fest, dass die Beklagte „Bohrarbeiten“ durchführt, für die der betriebliche Geltungsbereich des § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 6 VTV 2013 II eröffnet ist.
16b) Der VTV 2013 II kommt auf der Grundlage von § 7 Abs. 3 iVm. der Anlage 28 SokaSiG zur Anwendung. Das SokaSiG ist als Geltungsgrund für die Verfahrenstarifverträge nach Auffassung des Senats verfassungsgemäß ( - Rn. 20 ff.; - 10 AZR 549/18 - Rn. 84 ff.; - 10 AZR 550/18 - Rn. 23 ff.; - 10 AZR 498/17 - Rn. 39 ff.; - 10 AZR 499/17 - Rn. 81 ff.; - 10 AZR 559/17 - Rn. 29 ff.; - 10 AZR 318/17 - Rn. 47 ff.; - 10 AZR 512/17 - Rn. 32 ff.; - 10 AZR 121/18 - Rn. 42 ff., BAGE 164, 201). Die Angriffe der Revision führen zu keiner anderen Beurteilung.
17aa) § 7 SokaSiG ist entgegen der Auffassung der Beklagten formell verfassungsgemäß.
18(1) Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes ergibt sich aus Art. 70 Abs. 2, Art. 72 Abs. 1, Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG. Der Kompetenztitel „Arbeitsrecht“ begründet eine umfassende Zuständigkeit des Bundes für privatrechtliche und auch öffentlich-rechtliche Bestimmungen über die Rechtsbeziehungen im Arbeitsverhältnis (, 1 BvR 1375/14 - Rn. 36, BVerfGE 149, 126). Er umfasst neben dem Recht der Individualarbeitsverträge auch das Tarifvertragsrecht, ohne dem Vorbehalt der Erforderlichkeit des Art. 72 Abs. 2 GG zu unterliegen (, 1 BvR 1588/15, 1 BvR 2883/15, 1 BvR 1043/16, 1 BvR 1477/16 - Rn. 126, BVerfGE 146, 71; - Rn. 44, BAGE 164, 201).
19(2) Aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber den Tarifvertragsparteien in § 5 TVG die Möglichkeit eingeräumt hat, die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen zu beantragen, ergibt sich keine wie auch immer geartete „Selbstbindung“ des Gesetzgebers. Insbesondere war er nicht wegen § 5 TVG daran gehindert, das SokaSiG zu erlassen.
20(a) Die Geltungserstreckung von Tarifverträgen auf nicht originär Tarifgebundene war bereits mit Blick auf § 7 AEntG schon vor Inkrafttreten des SokaSiG nicht auf die Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG beschränkt.
21(b) Der Gesetzgeber ist dazu befugt, die Funktionsfähigkeit des Systems der Tarifautonomie durch gesetzliche Regelungen herzustellen und zu sichern. Er kann auch bereits bestehende gesetzliche Rahmenbedingungen für das Handeln der Koalitionen ändern oder ergänzen, um dem Handeln der Koalitionen und insbesondere der Tarifautonomie Geltung zu verschaffen (vgl. , 1 BvR 1588/15, 1 BvR 2883/15, 1 BvR 1043/16, 1 BvR 1477/16 - Rn. 144, 147, BVerfGE 146, 71). Daher ist es ihm unbenommen, sich für eine andere Rechtsform als die in § 5 TVG geregelte Allgemeinverbindlicherklärung zu entscheiden ( - zu II 2 der Gründe).
22bb) § 7 SokaSiG verstößt nicht gegen Art. 9 Abs. 3 GG ( - Rn. 85 ff.; - 10 AZR 498/17 - Rn. 41; - 10 AZR 559/17 - Rn. 30 ff.; - 10 AZR 121/18 - Rn. 45 ff., BAGE 164, 201).
23(1) Nach Auffassung des Senats verletzt das SokaSiG nicht die negative Koalitionsfreiheit. Soweit die gesetzliche Geltungserstreckung der Verfahrenstarifverträge einen mittelbaren Druck erzeugen sollte, um der größeren Einflussmöglichkeit willen Mitglied einer der tarifvertragsschließenden Parteien zu werden, ist dieser Druck jedenfalls nicht so erheblich, dass die negative Koalitionsfreiheit verletzt würde ( - Rn. 21; - 10 AZR 559/17 - Rn. 34; - 10 AZR 318/17 - Rn. 48; - 10 AZR 121/18 - Rn. 52, BAGE 164, 201).
24(2) Ein Eingriff in die Koalitionsfreiheit kann entgegen der Auffassung der Revision nicht darin gesehen werden, dass der Gesetzgeber „erstmals derart in gesetzlich privatautonom geregelte Regelungsbereiche der Tarifvertragsparteien vordringt“ und es wegen des unterschiedlichen Grads der Grundrechtsbindung „einen erheblichen Unterschied macht, ob der Gesetzgeber eine Regelung trifft oder die Tarifvertragsparteien“. Die Tarifvertragsparteien hatten für alle von § 7 SokaSiG in Bezug genommenen Verfahrenstarifverträge einen Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung gestellt. Beim Erlass einer Allgemeinverbindlicherklärung unterliegt der Normgeber der Grundrechtsbindung (vgl. zur Grundrechtsbindung ausführlich - Rn. 43 ff.).
25(3) Ein etwaiger Eingriff in die Tarifautonomie durch die gesetzliche Geltungserstreckung ist jedenfalls im Interesse der Sicherung der Funktionsfähigkeit des Systems der Tarifautonomie gerechtfertigt. Das SokaSiG dient einem legitimen Zweck, weil es den Fortbestand der Sozialkassenverfahren in der Bauwirtschaft sichern und Bedingungen für einen fairen Wettbewerb schaffen soll. Indem § 7 SokaSiG nicht nur Rückforderungsansprüche ausschließt, sondern auch den zukünftigen Beitragseinzug sicherstellt, kann dieser Zweck erreicht werden. Eine auf Rückforderungsansprüche beschränkte Regelung wäre zwar milder gewesen, aber nicht gleich wirksam ( - Rn. 35 ff.; - 10 AZR 318/17 - Rn. 48 ff.). Die mit § 7 SokaSiG verbundenen Belastungen für nicht tarifgebundene Arbeitgeber hält der Senat angesichts der mit der Norm verfolgten Ziele für zumutbar ( - Rn. 87; - 10 AZR 559/17 - Rn. 43 mwN).
26cc) § 7 SokaSiG „annulliert“ nicht unter Verstoß gegen Art. 20 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG entgegenstehende höchstrichterliche Rechtsprechung. Mit der gesetzlichen Erstreckungsanordnung sollte - letztlich mit Rücksicht auf die Forderungen der Rechtsstaatlichkeit und der Rechtssicherheit - statt anfechtbaren Rechts unanfechtbares Recht gesetzt werden. Der Gesetzgeber hat dabei weder die Rechtsprechung des Senats „kassiert“ noch hat er „neues“ Recht geschaffen oder in die allein dem Bundesverfassungsgericht zukommende Kompetenz zur Aufhebung von Akten der Judikative eingegriffen. Vielmehr hat er lediglich eine aus formellen Gründen unwirksame Erstreckung der Normwirkung der Verfahrenstarifverträge durch eine wirksame - gesetzliche - Erstreckungsanordnung ersetzt, um auf diese Weise den weitreichenden Folgen der Beschlüsse des Senats vom entgegenzuwirken ( - Rn. 89; - 10 AZR 499/17 - Rn. 95; - 10 AZR 121/18 - Rn. 92 f., BAGE 164, 201).
27dd) § 7 SokaSiG verletzt nicht das durch Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 20 Abs. 3 GG geschützte Vertrauen tariffreier Arbeitgeber, von rückwirkenden Gesetzen nicht in unzulässiger Weise belastet zu werden ( - Rn. 23 ff.; - 10 AZR 549/18 - Rn. 90 ff.; - 10 AZR 499/17 - Rn. 90 ff.; - 10 AZR 559/17 - Rn. 46 ff.; - 10 AZR 318/17 - Rn. 58 ff.; - 10 AZR 121/18 - Rn. 68 ff., BAGE 164, 201). Es kommt allein darauf an, ob die betroffene Personengruppe bei objektiver Betrachtung auf den Fortbestand der bisherigen Regelung vertrauen konnte ( - Rn. 91; - 10 AZR 559/17 - Rn. 47 mwN). Das ist nicht der Fall.
28(1) Mit Blick auf den von § 7 Abs. 3 SokaSiG erfassten Zeitraum konnte sich bei der Beklagten aufgrund der Entscheidung des Senats vom (- 10 ABR 48/15 - BAGE 156, 289) kein hinreichend gefestigtes und damit schutzwürdiges Vertrauen darauf bilden, nicht zu Sozialkassenbeiträgen herangezogen zu werden. Vielmehr musste sie nach der rechtlichen Situation in dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der Rechtsfolge von § 7 Abs. 3 SokaSiG zurückbezogen wird, damit rechnen, dass die tariflichen Rechtsnormen durch Gesetz rückwirkend wieder auf nicht originär tarifgebundene Arbeitgeber erstreckt werden würden. Der Gesetzgeber brauchte auf zwischenzeitlich dennoch getätigte gegenläufige Vermögensdispositionen keine Rücksicht zu nehmen (vgl. - Rn. 82 ff., BAGE 164, 201). Der Hinweis der Revision auf § 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG verfängt schon deshalb nicht, weil die Norm nur das Vertrauen in die Wirksamkeit, nicht aber in die Unwirksamkeit eines Verwaltungsakts schützt. Selbst mit der von der Beklagten für möglich gehaltenen analogen Anwendung der Vorschrift auf Allgemeinverbindlicherklärungen kann das von ihr erstrebte Ziel nicht erreicht werden.
29(2) Soweit die Revision anführt, die Beklagte habe seit jeher an der Wirksamkeit der im Streitfall einschlägigen Allgemeinverbindlicherklärung gezweifelt, war ein - etwa - dadurch bei ihr entstandenes Vertrauen auf die letztlich höchstrichterlich bestätigte Unwirksamkeit dieser Allgemeinverbindlicherklärung jedenfalls nicht schützenswert. Entscheidend ist eine objektive Betrachtung ( - Rn. 64, BVerfGE 135, 1). Objektiv durfte niemand auf die Unwirksamkeit dieser Allgemeinverbindlicherklärung vertrauen, weil die weit überwiegende Rechtsansicht sie jedenfalls bis zu den Entscheidungen des Senats vom für wirksam gehalten hatte ( - Rn. 26; - 10 AZR 549/18 - Rn. 92; - 10 AZR 498/17 - Rn. 46; - 10 AZR 559/17 - Rn. 49; - 10 AZR 121/18 - Rn. 76 ff., BAGE 164, 201).
30(3) Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sie aufgrund der Entscheidungen des Senats vom trotz der in der Folgezeit zu beobachtenden gesetzgeberischen Aktivitäten auf den Fortbestand des tariflosen Zustands vertraut habe. Der Bildung von Vertrauen auf den Bestand dieser Rechtslage steht entgegen, dass die gesetzliche Wiederherstellung der Normerstreckung auf tariffreie Arbeitgeber bereits vor der Veröffentlichung der Entscheidungsformel im Bundesanzeiger absehbar war ( - Rn. 27; - 10 AZR 318/17 - Rn. 62; - 10 AZR 121/18 - Rn. 82 ff. mwN, BAGE 164, 201). Nach der Einbringung eines Gesetzentwurfs in den Deutschen Bundestag war ein entstandenes Vertrauen der Betroffenen auf den Fortbestand der bisherigen Rechtslage jedenfalls wieder zerstört ( - Rn. 151, BVerfGE 148, 217; - Rn. 90, aaO).
31ee) Das SokaSiG verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG ( - Rn. 57; - 10 AZR 121/18 - Rn. 63 ff., BAGE 164, 201).
32(1) § 7 SokaSiG führt entgegen der Auffassung der Beklagten nicht zu einer Ungleichbehandlung, sondern zu einer Gleichbehandlung aller Baubetriebe, die unter den räumlichen und fachlichen Geltungsbereich der dort genannten Verfahrenstarifverträge fallen, unabhängig von einer bestehenden Verbandsmitgliedschaft. Die tarifgebundenen Unternehmen müssen dieselben Beiträge leisten wie die Nichtmitglieder. Sie genießen ihnen gegenüber auch keine sonstigen Privilegien ( - Rn. 57; - 10 AZR 121/18 - Rn. 65, BAGE 164, 201).
33(2) Ob die entgegen der Auffassung der Revision nicht vom Gesetzgeber, sondern von den Tarifvertragsparteien vorgenommene Differenzierung zwischen den Tarifgebieten West und Ost mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, kann dahinstehen. Eine sich als materiell unwirksam erweisende tarifliche Regelung wird durch § 7 SokaSiG nicht „geheilt“. Nach § 11 SokaSiG gelten die tarifvertraglichen Rechtsnormen, auf die in § 7 SokaSiG verwiesen wird, lediglich unabhängig davon, ob die Tarifverträge wirksam abgeschlossen wurden. Damit gelten die jeweils statisch in Bezug genommenen Verfahrenstarifverträge nur in verfassungskonformem Zustand. Ihre Normen unterliegen ebenso wie für allgemeinverbindlich erklärte Tarifnormen der Bindung an die Grundrechte nach Art. 1 Abs. 3 GG ( - Rn. 67, BAGE 164, 201).
34(3) Inwieweit ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG darin zu erkennen sein könnte, dass sich der Gesetzgeber nicht auf den Ausschluss bereicherungsrechtlicher Rückabwicklungsansprüche beschränkt hat, erschließt sich aus dem Vortrag der Revision nicht. Sollte eine Verletzung von Art. 14 Abs. 1 GG gemeint sein, verstößt § 7 SokaSiG aus Sicht des Senats auch hinsichtlich der Beitragspflicht nicht gegen die Eigentumsgarantie. Ein möglicher Eingriff wäre jedenfalls gerechtfertigt (zB - Rn. 42; - 10 AZR 318/17 - Rn. 54 ff. mwN; - 10 AZR 121/18 - Rn. 56 ff., BAGE 164, 201).
35ff) Bei dem SokaSiG handelt es sich nicht um ein nach Art. 19 Abs. 1 GG unzulässiges Einzelfallgesetz. Die Bestimmung greift nicht aus einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle einen einzelnen Fall oder eine bestimmte Gruppe heraus ( - Rn. 64; - 10 AZR 121/18 - Rn. 105 ff., BAGE 164, 201).
36II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2019:301019.U.10AZR523.17.0
Fundstelle(n):
QAAAH-41866