BSG Beschluss v. - B 6 KA 49/18 B

Sozialgerichtliches Verfahren - Wirksamkeit einer Zustellung

Gesetze: § 180 S 1 ZPO, § 182 Abs 2 Nr 4 ZPO, § 418 ZPO

Instanzenzug: SG Marburg Az: S 12 KA 400/17 Gerichtsbescheidvorgehend Hessisches Landessozialgericht Az: L 4 KA 57/17 Urteil

Gründe

1I. Der Kläger, der als Zahnarzt für Kieferorthopädie zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen ist, wendet sich gegen eine Disziplinarmaßnahme.

2Die beklagte Kassenzahnärztliche Vereinigung (KZÄV) forderte ua auf Eingaben von Krankenkassen von dem Kläger in sechs Behandlungsfällen die Behandlungsdokumentationen an. Nach Übersendung und Auswertung verhängte der Vorstand der Beklagten eine Geldbuße in Höhe von 2500 Euro wegen Verletzung vertragszahnärztlicher Behandlungspflichten (Bescheid vom ). Der Kläger habe kieferorthopädische Leistungen entgegen der geltenden Rechtslage von einer Genehmigung der Krankenkasse abhängig gemacht. Nach Widerspruch des Klägers und mündlicher Verhandlung setzte die Beklagte durch den bei ihr gebildeten Disziplinarausschuss die Geldbuße auf 2000 Euro fest (Bescheid vom ).

3Klage und Berufung blieben erfolglos ( ). Zu dem Verhandlungstermin vor dem LSG ist der Kläger nicht erschienen. Das LSG hat ausgeführt, der Senat habe in Abwesenheit des Klägers entscheiden können, da dieser auf diese Möglichkeit in der Ladung hingewiesen worden sei. Die Ladung und die Umladung seien dem Kläger ordnungsgemäß zugestellt worden, wie sich aus den Postzustellungsurkunden vom (ursprüngliche Ladung zum Termin am ), vom (Umladung zum Termin am ) und vom (nochmalige Übersendung der Umladung) ergebe. Die Weigerung der Fortsetzung der kieferorthopädischen Behandlungen wegen fehlender Genehmigung durch die Krankenkassen, welche rechtlich gerade nicht vorgesehen sei, sei als sanktionswürdiger Pflichtverstoß zu werten. In einem Verfahren des Klägers habe das - juris RdNr 8) bereits klargestellt, dass der Kläger mit zahnmedizinisch notwendigen Reparaturen nicht warten dürfe, bis die Krankenkasse auf die Einleitung eines Prüfverfahrens verbindlich verzichtet habe.

4Mit Beschluss vom hat das LSG den Antrag des Klägers vom auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumens des Verhandlungstermins als unzulässig verworfen.

5Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht der Kläger Verfahrensmängel geltend (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG).

6II. 1. Die Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg. Der geltend gemachte Verfahrensmangel liegt nicht vor.

7Der Kläger rügt mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde die Verletzung des rechtlichen Gehörs, da keine ordnungsgemäße Ladung zu dem Verhandlungstermin am erfolgt sei. Sowohl der erste Umladungsversuch durch gerichtliche Verfügung vom (Postzustellungsurkunde vom ) als auch die erneute Mitteilung der Umladung durch gerichtliche Verfügung vom (Postzustellungsurkunde vom ) seien nicht wirksam gewesen. In der Postzustellungsurkunde vom sei angegeben, dass man ihn in den Geschäftsräumen seiner Praxis nicht habe erreichen können und die Ladung an einen Herrn S. zugestellt worden sei. Er beschäftige jedoch keinen Herrn S. Aus der Postzustellungsurkunde vom gehe hervor, dass der Postbedienstete das Schreiben in einen "zur Wohnung" gehörenden Briefkasten oder ähnliche Vorrichtung eingelegt habe. Bei der Ladungsanschrift handele es sich jedoch um die Anschrift seiner kieferorthopädischen Praxis.

8a. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Das Recht auf rechtliches Gehör gebietet es, den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern ( - BVerfGE 46, 185; - SozR 3-1500 § 62 Nr 5 S 8, juris RdNr 12; - SozR 3-1500 § 128 Nr 14 S 28, juris RdNr 13; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 62 RdNr 2). Grundsätzlich bedarf es keines weiteren Vortrags zum "Beruhen" der angegriffenen Entscheidung auf dem Verfahrensfehler, wenn ein Beschwerdeführer behauptet, um sein Recht auf eine mündliche Verhandlung gebracht worden zu sein (vgl - SozR 4-1500 § 158 Nr 2 RdNr 4; - juris RdNr 3; - SozR 3-1500 § 160 Nr 33 S 62). Wird einem Beteiligten ein vom Gericht anberaumter Verhandlungstermin nicht mitgeteilt, reicht es wegen der besonderen Wertigkeit der mündlichen Verhandlung als Kernstück des sozialgerichtlichen Verfahrens vielmehr aus, dass eine andere Entscheidung nicht auszuschließen ist, wenn der Betroffene Gelegenheit gehabt hätte, in der mündlichen Verhandlung vorzutragen ( - BSGE 44, 292, 295 = SozR 1500 § 124 Nr 2; - juris RdNr 5 mwN; - juris RdNr 5).

9b. Das LSG konnte ohne Verletzung rechtlichen Gehörs in Abwesenheit des Klägers verhandeln und entscheiden, da der Kläger ordnungsgemäß zum Termin unter Hinweis auf die Folgen seines Ausbleibens geladen worden war. Es kann dahinstehen, ob die Ladung bereits mit Postzustellungsurkunde vom ordnungsgemäß erfolgt ist. Jedenfalls die Zustellungsurkunde vom erbringt vorliegend den vollen Beweis, dass dem Kläger die Ladung zum Termin im Wege der Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten zugestellt worden ist.

10aa. Die am erfolgte Zustellung der Terminladung ist entgegen der Auffassung des Klägers wirksam. Die Zustellungsurkunde ist ordnungsgemäß erstellt worden. Sie enthält die nach § 182 Abs 2 ZPO erforderlichen Angaben über den Zustellungsvorgang und das Zustellungsdatum. Insbesondere ist der Grund angegeben, der die Ersatzzustellung nach § 180 ZPO rechtfertigte (§ 182 Abs 2 Nr 4 ZPO). Die Wirksamkeit der Zustellung wird nicht dadurch berührt, dass in der Zustellungsurkunde angegeben ist, dass das zuzustellende Schriftstück in den "zur Wohnung" (statt "zum Geschäftsraum") gehörenden Briefkasten eingelegt worden sei. Selbst wenn es sich bei dem Briefkasten an der Zustellungsadresse - wofür hier einiges spricht - um den geschäftlichen Praxisbriefkasten des Klägers gehandelt hat, so wäre hierdurch weder die Zustellung unwirksam noch der Beweiswert der Zustellungsurkunde aufgehoben. Vielmehr erbringt die Zustellungsurkunde den Beweis, dass die Einlegung in den einzigen an der Zustellungsadresse vorhandenen Briefkasten des Klägers erfolgt ist.

11Das Gesetz sieht in § 180 Satz 1 ZPO hinsichtlich der Einlegung in einen zur Wohnung oder zu einem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten keine Rangfolge oder unterschiedliche Rechtsfolgen vor. Das Schriftstück kann danach im Wege der Ersatzzustellung in den Briefkasten einer Wohnung, eines Geschäftsraums oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt werden, die der Adressat für den Postempfang eingerichtet hat.

12Eine fehlerhafte Bezeichnung des Briefkastens würde sich im vorliegenden Fall auch nicht auf den Beweiswert der Urkunde nach § 418 ZPO auswirken. Die Zuordnung des Briefkastens zu einem Geschäftsraum oder zu einer Wohnung gehört nicht zu den notwendigen Angaben einer Postzustellungsurkunde gemäß § 182 Abs 2 Nr 4 ZPO ( - juris RdNr 33; - juris RdNr 21 bis 23; Bayerischer 4 ZB 08.958 - juris RdNr 14; - juris RdNr 7). Die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen schreiben nicht vor, dass die über eine Ersatzzustellung nach § 180 ZPO zu errichtende Urkunde Angaben darüber enthalten muss, ob es sich bei dem Briefkasten, in den das zuzustellende Schriftstück eingelegt worden ist, um einen zur Wohnung oder um einen zum Geschäftsraum des Adressaten gehörenden Briefkasten handelt. Weder § 182 Abs 2 ZPO, der den notwendigen Inhalt der Zustellungsurkunde bezeichnet, macht eine dahingehende Vorgabe noch § 180 ZPO, da Satz 1 den "zu der Wohnung oder dem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten" unterschiedslos aufführt und vom Gesetz auch keine unterschiedlichen Rechtsfolgen für die Fälle des Einlegens der Sendung in den zur Wohnung oder zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten vorgesehen sind. Wenn es hiernach keiner Beschreibung bedarf, in welchen Briefkasten das Schriftstück eingelegt wurde (vgl - juris RdNr 13; - juris RdNr 9; s auch Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 77. Aufl 2019, § 180 RdNr 5; Marx in Prütting/Gehrlein, ZPO, 11. Aufl 2019, § 180 RdNr 2), ist es für die Beweiskraft der Zustellungsurkunde unerheblich, wenn eine gleichwohl aufgenommene Angabe den für die Einlegung der Sendung verwendeten Briefkasten unzutreffend als zur "Wohnung" (statt zum "Geschäftsraum") gehörend kennzeichnet. Es muss sich nur tatsächlich um die Geschäftsräume/Wohnung des Zustelladressaten handeln. Diesen Anforderungen genügt die Postzustellungsurkunde vom . Aus ihr gehen der Zustellungsadressat, der Zustellungsort, das Zustellungsdatum, die Voraussetzungen für die Ersatzzustellung und der Name des Zustellers hervor.

13Insbesondere aber befindet sich ausweislich des Vortrags des Klägers an der Zustellungsadresse B. Straße 2, nur ein einziger Briefkasten des Klägers als Zustellungsadressaten. Der Briefkasten war dem Kläger damit eindeutig zuzuordnen (vgl auch BT-Drucks 14/4554 S 21). Über diese Post- und Zustellungsadresse erfolgte der gesamte gerichtliche Schriftverkehr. Da mithin nur in einen Briefkasten des Klägers ersatzweise zugestellt werden konnte, ist der Kläger auch in Anbetracht des rechtlichen Gehörs und effektiven Rechtsschutzes nicht in dem ihm obliegenden Nachweis erschwert, die Ladung nicht erhalten zu haben (vgl - juris RdNr 14). Wenn der Zustellungsadressat - wie hier - nur über eine Vorrichtung zum Postempfang verfügt, kann er unschwer erkennen, welche Vorrichtung der Zusteller mit der Eintragung in die Urkunde gemeint hat, und seine Rechtsverfolgung und -verteidigung hierauf einrichten.

14bb. Aus der Beschwerdebegründung des Klägers ergibt sich kein Gegenbeweis. Gefordert wird nach § 418 Abs 2 ZPO der volle Gegenbeweis in der Weise, dass die Beweiswirkung der Zustellungsurkunde vollständig entkräftet und jede Möglichkeit der Richtigkeit der in ihr bezeugten Tatsachen ausgeschlossen wird ( B 7a/7 AL 194/04 B - juris RdNr 5). Dieser Gegenbeweis erfordert den Beweis eines anderen als des beurkundeten Geschehensablaufs, der damit ein Fehlverhalten des Zustellers und eine Falschbeurkundung in der Zustellungsurkunde belegt. Nicht ausreichend ist demgegenüber die bloße Behauptung, das betreffende Schriftstück nicht erhalten zu haben, weil es für die Wirksamkeit der Zustellung nicht darauf ankommt, ob und wann der Adressat das Schriftstück seinem Briefkasten entnommen und ob er es tatsächlich zur Kenntnis genommen hat ( - juris RdNr 10; B 7a/7 AL 194/04 B - juris RdNr 5). Es ist schon nicht hinreichend dargetan, dass es sich bei dem zum Zeitpunkt der Zustellung am unstreitig vorhandenen Briefkasten nicht um einen zum Geschäftsraum/zur Wohnung des Klägers gehörenden Briefkasten oder "eine ähnliche Vorrichtung" gehandelt hat, die der Kläger für den Empfang seiner Post eingerichtet hat.

15cc. Auch aus dem Beschwerdevorbringen des Klägers, der Briefkasten sei in der Vergangenheit wiederholt durch Vandalismus beschädigt oder sogar abgerissen worden, ergibt sich nichts anderes. Zwar hat sich der Zusteller grundsätzlich davon zu überzeugen, dass sich der Briefkasten in einem ordnungsgemäßen Zustand befindet (§ 180 Satz 1 ZPO; vgl auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 63 RdNr 14b). Allerdings trägt der Kläger nicht vor, dass der Briefkasten gerade zum Zeitpunkt der Zustellung am zur sicheren Aufbewahrung ungeeignet gewesen sein soll.

162. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach trägt der Kläger die Kosten des von ihm erfolglos geführten Rechtsmittels (§ 154 Abs 2 VwGO).

173. Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1, Abs 3 Satz 1, § 47 Abs 1 und 3 GKG. Sie entspricht der Festsetzung der Vorinstanzen. Bei Verfahren der Anfechtung von Disziplinarmaßnahmen legt der Senat zunächst den sog Regelwert zugrunde (vgl § 52 Abs 2 GKG) und erhöht diesen Betrag im Falle einer festgesetzten Geldbuße um deren Betrag (vgl - SozR 4-1935 § 33 Nr 1 RdNr 8; - juris RdNr 14).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2019:111219BB6KA4918B0

Fundstelle(n):
EAAAH-41160