BGH Beschluss v. - VI ZB 51/18

(Formgültige Unterschrift unter Schriftsatz bei hinreichend individuellen und charakteristischen Merkmalen)

Leitsatz

Zu den Anforderungen an die formgültige Unterschrift einer Berufungsbegründung.

Gesetze: § 130 Nr 6 ZPO, § 520 Abs 5 ZPO

Instanzenzug: Az: 1 U 45/18vorgehend LG Mannheim Az: 1 O 122/15

Gründe

I.

1Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Schadensersatz wegen eines von ihr behaupteten Unfallereignisses in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen das am zugestellte Urteil hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin rechtzeitig Berufung eingelegt. Nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zuletzt ging an diesem Tage ein als Berufungsbegründung bezeichneter Schriftsatz der Rechtsanwaltskanzlei "G./S." beim Berufungsgericht ein. Der Schriftsatz war über einer maschinenschriftlichen Namenswiedergabe "E.G. Rechtsanwalt" mit dem Zusatz "i.V." handschriftlich unterzeichnet. In der Berufungserwiderung äußerte die Beklagte zu 1 Zweifel an der Formgültigkeit der Unterzeichnung der Berufungsbegründungsschrift. Mit Schriftsatz vom erklärte die Klägerin hierzu, die Unterschrift der Berufungsbegründung stamme von Rechtsanwalt H., der - wie sich aus dem verwendeten Briefbogen ergebe - Mitglied der Bürogemeinschaft "G./S." sei und den Schriftsatz in Vertretung für Rechtsanwalt G. unterzeichnet habe. Rechtsanwalt H. sei bereits bei der Besprechung der Berufungsbegründung anwesend gewesen, wobei die Klägerin auch ihm vorsorglich Vollmacht erteilt habe.

2Nach vorangegangenem Hinweis hat das Berufungsgericht die Berufung der Klägerin durch Beschluss mangels fristgerechter Begründung als unzulässig verworfen, weil die Berufungsbegründungsschrift keine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Unterschrift aufgewiesen habe. Für das Berufungsgericht sei bei Eingang der Berufungsbegründung am letzten Tag der Begründungsfrist schon nicht erkennbar gewesen, ob überhaupt ein - sei es im Briefkopf aufgeführter oder anderer - zugelassener Rechtsanwalt die Berufungsbegründung unterzeichnet habe. Denn der unter dem Schriftsatz befindliche "Schriftzug" lasse eine Identifikation des Urhebers - auch unter Berücksichtigung der auf dem Briefkopf aufgeführten Namen - mangels auch nur ansatzweise erkennbarer Buchstaben nicht zu. Dass es sich nicht um den Rechtsanwalt der Bürogemeinschaft gehandelt habe, dessen Namenszug unter dem "Schriftzug" maschinenschriftlich wiedergegeben gewesen sei, ergebe sich schon daraus, dass sich vor dem - unleserlichen - "Schriftzug" der Zusatz "i.V." befunden habe. Soweit die Klägerin nach Ablauf der Begründungsfrist habe vorbringen lassen, dass der Unterzeichner des Schriftsatzes vom von Anfang an mit der Bearbeitung der Sache beauftragt worden sei, und nunmehr eine entsprechende schriftliche Vollmacht vom habe vorlegen lassen, komme dem, da auf den Zeitpunkt des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist abzustellen sei, keine Bedeutung zu.

3Gegen diesen Beschluss wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.

II.

4Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

51. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Die auf der unzutreffenden Annahme einer nicht ordnungsgemäß unterzeichneten Berufungsbegründungsschrift beruhende Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzt die Klägerin in ihrem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Dieses verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. Senatsbeschluss vom - VI ZB 16/16, VersR 2017, 506 Rn. 4; BVerfGE 69, 381, 385; BVerfG, NJW-RR 2002, 1004, jeweils mwN).

62. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

7Das Berufungsgericht durfte die Berufung der Klägerin nicht gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO mit der Begründung verwerfen, die Berufungsschrift sei nicht ordnungsgemäß unterzeichnet und die Berufung damit nicht form- und fristgerecht eingelegt.

8a) Die Berufungsbegründungsschrift muss als bestimmender Schriftsatz im Anwaltsprozess grundsätzlich von einem beim Berufungsgericht postulationsfähigen Rechtsanwalt eigenhändig unterschrieben sein (§ 130 Nr. 6, § 520 Abs. 5 ZPO). Die Unterschrift soll die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Prozesshandlung ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck bringen, die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen. Zugleich soll sichergestellt werden, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist (Senatsbeschlüsse vom - VI ZB 16/16, VersR 2017, 506 Rn. 8 und vom - VI ZB 71/14, VersR 2015, 1045 Rn. 7; BGH, Beschlüsse vom - VII ZB 36/10, NJW-RR 2012, 1140 Rn. 7 und vom - IV ZB 9/11, juris Rn. 6, jeweils mwN). Beides ist gewährleistet, wenn feststeht, dass die Unterschrift von dem Anwalt stammt (Senatsbeschluss vom - VI ZB 16/16, VersR 2017, 506 Rn. 8; BGH, Beschlüsse vom - VIII ZB 62/12, NJW-RR 2013, 1395 Rn. 12 und vom - VIII ZB 105/04, VersR 2006, 1661 Rn. 8).

9b) Bei Anwendung dieser Grundsätze, die auch das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, sind die Anforderungen an die Einreichung einer formgerechten Berufungsbegründung im vorliegenden Fall gewahrt.

10aa) Ob die Berufungsbegründungsschrift der Prozessordnung gemäß unterzeichnet ist, hat der Senat von Amts wegen zu prüfen. Die Zulässigkeit der Berufung ist eine Prozessvoraussetzung, von der das gesamte weitere Verfahren nach Einlegung der Berufung in seiner Gültigkeit und Rechtswirksamkeit abhängt (vgl. , BGHZ 6, 369, 370). Die hierfür erforderlichen Feststellungen trifft der Senat selbständig ohne Bindung an die Ausführungen des Berufungsgerichts (Senatsbeschlüsse vom - VI ZB 16/16, VersR 2017, 506 Rn. 10 und vom - VI ZB 71/14, VersR 2015, 1045 Rn. 10; BGH, Beschlüsse vom - V ZB 203/14, NJW 2015, 3104 Rn. 8 und vom - VII ZB 36/10, NJW-RR 2012, 1140 Rn. 9).

11bb) Die Berufungsbegründung ist - was auch das Berufungsgericht nicht in Frage stellt - handschriftlich mit einem Schriftzug unterzeichnet, der individuelle und entsprechend charakteristische Merkmale aufweist (vgl. Senatsbeschlüsse vom - VI ZB 16/16, VersR 2017, 506 Rn. 7 und vom - VI ZB 71/14, VersR 2015, 1045 Rn. 8 mwN; BGH, Beschlüsse vom - V ZB 203/14, NJW 2015, 3104 Rn. 7 und vom - VIII ZB 62/12, NJW-RR 2013, 1395 Rn. 11, jeweils mwN). Er ist zwar nicht lesbar. Für die Frage, ob eine formgültige Unterschrift vorliegt, ist aber nicht die Lesbarkeit oder die Ähnlichkeit des handschriftlichen Gebildes mit den Namensbuchstaben entscheidend, sondern es kommt darauf an, ob der Name vollständig, wenn auch nicht unbedingt lesbar, wiedergegeben wird (vgl. hierzu Senatsbeschlüsse vom - VI ZB 16/16, VersR 2017, 506, Rn. 12; vom - VI ZB 71/14, VersR 2015, 1045 Rn. 11; , juris Rn. 11; jeweils mwN). Dies ist hier entgegen der Ansicht der Beschwerdeerwiderung der Fall und wird auch vom Berufungsgericht nicht bezweifelt. Schon die Komplexität des Schriftzuges spricht für die Absicht einer vollen Unterschrift. Im Übrigen steht hier die Beifügung des Zusatzes "i.V." der Annahme einer - in dieser Kombination völlig unüblichen - bewussten und gewollten Namensabkürzung entgegen.

12cc) Zu Unrecht meint das Berufungsgericht unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des erkennenden Senats (Senatsbeschluss vom - VI ZB 75/04, VersR 2006, 387), die Berufungsbegründung sei gleichwohl nicht formgerecht, weil es im Zeitpunkt ihrer Einreichung nicht habe erkennen können, ob sie von einem zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet worden sei.

13(1) Richtig ist zwar der rechtliche Ausgangspunkt des Berufungsgerichts. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist bei der Beurteilung der Frage, ob die Berufungsbegründungsschrift eine Unterschrift im Sinne des § 130 Nr. 6 ZPO aufweist, grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Ablaufs der Begründungsfrist und die bis dahin bekannten Umstände abzustellen. Eine Klärung der Identität und Postulationsfähigkeit zu einem späteren Zeitpunkt ist nur zulässig, wenn bis zum Fristablauf klar ist, dass eine Unterschrift vorliegt, die von einem Rechtsanwalt stammt (vgl. BGH, Beschlüsse vom - KVZ 53/15, MDR 2017, 53 Rn. 6; vom - IV ZB 9/11, juris Rn. 6; vom - VII ZB 83/10, NJW-RR 2012, 1139 Rn. 9 und 11; vom - VIII ZB 22/12, NJW 2013, 237 Rn. 14; vgl. auch , MDR 2006, 283, juris Rn. 17 und 19)

14(2) Dies war hier jedoch entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts der Fall. Denn durch die Hinzufügung des Zusatzes "i.V." gibt der Unterzeichnende regelmäßig zu erkennen, dass er als Unterbevollmächtigter des Prozessvertreters der Partei die Verantwortung für den Inhalt der Berufungsbegründung übernimmt. Das setzt voraus, dass es sich beim Unterzeichnenden um einen postulationsfähigen Rechtsanwalt handelt. Nur in diesem Sinne ist die mit dem Zusatz "i.V." versehene Unterschrift zu verstehen (vgl. , MDR 2012, 796 Rn. 9 und 12; Urteil vom - XI ZR 398/04, juris Rn. 18). Sollte sich dem Beschluss des erkennenden Senats vom (VI ZB 75/04, VersR 2006, 387) etwas anderes entnehmen lassen, wird daran nicht festgehalten.

15(3) Der Schriftzug unter der Berufungsbegründung war auch geeignet, die Identifizierung von Rechtsanwalt H., an dessen Zulassung und Bevollmächtigung durch die Klägerin auch das Berufungsgericht keine Zweifel geäußert hat, als Urheber der schriftlichen Prozesshandlung zu ermöglichen. Dem Berufungsgericht kann insoweit schon nicht in seiner Annahme gefolgt werden, der am Ende der Berufungsbegründung befindliche Schriftzug lasse eine Identifikation des Urhebers - auch unter Berücksichtigung der auf dem Briefkopf aufgeführten Namen - mangels auch nur ansatzweise erkennbarer Buchstaben nicht zu. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts lässt sich am Anfang ein "H" erkennen (so auch die Beklagten in ihrem Schriftsatz vom ); ein "g" ist zumindest angedeutet. Damit ließ sich der Schriftzug unter Berücksichtigung des Zusatzes "i.V." bereits zum Zeitpunkt des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist dem im Briefkopf als Mitglied der Bürogemeinschaft aufgeführten Rechtsanwalt H., dessen Nachname mit einem "g" endet, zuordnen. Von den im Briefkopf aufgeführten Rechtsanwälten kam nur Rechtsanwalt H. als Urheber des Schriftzuges in Betracht, da die Namen der übrigen dort genannten Mitglieder der Bürogemeinschaft nicht mit einem "H" beginnen. Etwaige verbliebene Zweifel an der Identität des Unterzeichners hat die Klägerin jedenfalls mit ihrer Erklärung, die zwar nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist, aber noch vor dem Erlass des Verwerfungsbeschlusses erfolgte (vgl. , MDR 2012, 796 Rn. 11), ausgeräumt. Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die die Autorenschaft des Rechtsanwalt H. in Frage stellen würden.

163. Der Beschluss ist daher aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:221019BVIZB51.18.0

Fundstelle(n):
MAAAH-40210