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Niedersächsisches Finanzgericht  Urteil v. - 9 K 209/18 EFG 2020 S. 262 Nr. 4

Gesetze: EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 S. 3

Doppelte Haushaltsführung von Ledigen bei Innehaben einer Wohnung und ausreichender finanzieller Beteiligung an den Kosten der Lebensführung eines Mehrgenerationenhaushaltes

Leitsatz

1. Seit dem Veranlagungszeitraum - VZ - 2014 setzt das Vorliegen eines eigenen Haushalts außerhalb des Ortes der ersten Tätigkeitsstätte nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 3 EStG das ”Innehaben einer Wohnung“ und eine ”finanzielle Beteiligung an den Kosten der Lebensführung“ (des Haupthaushaltes) voraus.

2. Das Tatbestandsmerkmal ”Innehaben einer Wohnung“ bewirkt keine substantielle verschärfende Wirkung gegenüber der alten Rechtslage. Erforderlich ist insoweit, dass der Arbeitnehmer die Wohnung aus eigenem Recht nutzt (etwa Eigentum, Miete, sonstige Nutzungsgestattung). Entgeltliche, fremdübliche Nutzungsverhältnisse werden nicht gefordert (insoweit missverständlich: BT-Drucks. 17/10774, S. 13, 14: nicht ausreichend, wenn Wohnung oder Zimmer im Haushalt der Eltern unentgeltlich überlassen werden). Ausreichend sind abgeleitete Nutzungsbefugnisse.

3. Ein wesentliches Mitbestimmen der Haushaltsführung – in Abgrenzung zu einer schädlichen Eingliederung in einem fremden Haushalt – ist bei Arbeitnehmern, die wirtschaftlich selbstständig und berufstätig sind, zu unterstellen (sog. Regelvermutung).

4. Neben einer – nicht zwingenden – Beteiligung an den Wohnungs- und Hauskosten ist auch eine alleinige Beteiligung an den übrigen Lebensführungskosten ausreichend.

5. Unter Lebensführungskosten im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 3 EStG sind (nur) diejenigen Aufwendungen zur Gestaltung des privaten Lebens zu verstehen, die einen Haushaltsbezug aufweisen (im Wesentlichen: Miet- und Hauskosten, Verbrauchs- und sonstige Nebenkosten, Aufwendungen für die Anschaffung und Reparatur von Haushaltsgeräten und Haushaltsgegenständen, Kosten für Lebensmittel und Telekommunikation). Mangels Haushaltsbezugs zählen Kosten für Urlaub, Pkw, Freizeitgestaltung, Gesundheitsförderung sowie Kleidung u.Ä. nicht hierzu.

6. Der Arbeitnehmer hat in jedem Jahr diese Kosten der Lebensführung dem Finanzamt gegenüber darzulegen. Ihn trifft insoweit zwar grds. die Darlegungs- und Beweislast. Wegen einer im Regelfall jedoch anzunehmenden Unzumutbarkeit – Kosten sind zum Großteil außerhalb seiner Einflusssphäre – ist aber regelmäßig eine Schätzung geboten.

7. Es ist nicht zu beanstanden, wenn eine solche Schätzung der Lebensführungskosten des Haupthaushaltes anhand der jährlichen Angaben des Statistischen Bundesamtes für den jeweiligen Haushaltstypus (etwa Mehrgenerationenhaushalt) erfolgt.

8. Eine finanzielle Beteiligung an den Lebensführungskosten des Haupthaushaltes kann in direkter Form (etwa bare und unbare Leistungen von Geldbeträgen an die Eltern), aber auch indirekt erfolgen (etwa durch Anschaffung von Haushaltsgegenständen, Tragen von Reparatur- oder Renovierungskosten, Beteiligung an den Erwerbs- oder Baukosten). Ideelle Beträge oder Dienstleistungen (im Streitfall: Übernahme von Arbeiten rund ums Haus, Mithilfe bei Umbau oder Renovierung) fallen nicht unter den Begriff der ”finanziellen Beteiligung“.

9. Eine regelmäßige Beteiligung an den laufenden Wohnungs- und Verbrauchskosten fordert die gesetzliche Neuregelung nicht, da weder der Gesetzeswortlaut noch die Gesetzesmaterialien hierauf hindeuten (entgegen IV C 5 – S 2353/13/10004, BStBl. I 2013, 1279. Rz. 94; ebenso in der ergänzten Fassung vom , IV C 5 – S 2353/14/10002. BStBl. I 2014, 1412, Rz. 100). Auch unregelmäßige Zahlungen oder nur Einmalzahlungen können als finanzielle Beteiligung angesehen werden.

10. Auf den Zeitpunkt der Zahlung – Anfang, Mitte oder Ende des jeweiligen Jahres – kommt es insoweit nicht an. Auch am Ende des Jahres geleistete finanzielle Beträge können ausreichend sein (im Streitfall: am Ende des VZ. Geleistete – rückbezogene – Überweisungen für laufende Kosten ab Beginn des Jahres und als Beteiligung an den Kosten einer Fenstererneuerung). Entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung steht die Rechtsprechung des BFH zu Unterhaltszahlungen als außergewöhnliche Belastung im Sinne des § 33a Abs. 1 EStG (etwa Urteil vom VI R 35/16, BFHE 261, 319, BStBl. II 2018, 643: In solchen Fällen Zwölftelung) dem nicht entgegen (so bereits , BStBl. II 1984, 521).

11. Selbst eine Einbeziehung von Zahlungen außerhalb des Streitjahres hält der Senat für denkbar, sofern die Zahlungen ihre wirtschaftliche Verursachung im jeweiligen Streitjahr haben (etwa Beteiligung an den Nebenkosten nach Vorlage der Nebenkostenabrechnung im Folgejahr). Das Abflussprinzip des § 11 Abs. 2 EStG gilt hier nicht.

12. Die finanzielle Beteiligung an den Lebensführungskosten (siehe unter 5.) des Haupthaushaltes darf nicht erkennbar unzureichend sein. Das Erfordernis des Überschreitens einer Geringfügigkeitsgrenze von 10 v.H., wie sie die Finanzverwaltung fordert ( IV C 5 – S 2353/13/10004, BStBl. I 2013, 1279, Rz. 94; ebenso in der ergänzenden Fassung vom , IV C 5 – S 2353/14/10002. BStBl. I 2014, 1412, Rz. 100) und die auch im übrigen Ertragsteuerrecht anerkannt ist, erscheint sachgerecht. Ansonsten wäre die gesetzliche Neuregelung weder praktikabel handhabbar noch justiziabel.

13. Wohnt ein lediger Arbeitnehmer, der in der Woche in einer angemieteten Wohnung am Arbeitsort lebt, an den Wochenenden und in seiner übrigen Freizeit zusammen mit seinem Bruder und seinen Eltern in einem Mehrgenerationenhaushalt, so sind die Aufwendungen für die wöchentlichen Familienheimfahrten sowie die Mietaufwendungen der Zweitwohnung als Kosten einer doppelten Haushaltsführung anzuerkennen, wenn er sich an den haushaltsbezogenen Lebensführungskosten dieses Haupthaushaltes mehr als nur unwesentlich, d.h. oberhalb einer Geringfügigkeitsgrenze von 10 v.H., finanziell beteiligt.

Fundstelle(n):
DStR 2020 S. 6 Nr. 8
DStRE 2020 S. 538 Nr. 9
EFG 2020 S. 262 Nr. 4
EStB 2020 S. 186 Nr. 5
GStB 2020 S. 172 Nr. 5
GStB 2020 S. 52 Nr. 2
KÖSDI 2020 S. 21636 Nr. 3
NWB-Eilnachricht Nr. 9/2020 S. 607
XAAAH-40186

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Niedersächsisches Finanzgericht , Urteil v. 18.09.2019 - 9 K 209/18

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