(Anforderungen an die Gefährlichkeitsprognose bei einer Unterbringungsentscheidung)
Gesetze: § 20 StGB, § 63 StGB, § 358 Abs 2 S 2 StPO
Instanzenzug: LG Bochum Az: II 16 KLs 15/18
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten von den Vorwürfen des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Körperverletzung, des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln, der Nötigung in zwei Fällen, der Beleidigung, der Sachbeschädigung und des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte und mit versuchter gefährlicher Körperverletzung freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg.
21. Nach den Feststellungen widersetzte sich der Angeklagte am Polizeibeamten, die ihn, nachdem er in verwirrtem Zustand durch fremde Gärten gelaufen war, zur Feststellung seiner Personalien zu einer Polizeiwache verbringen wollten (Tat II.1). Am widersetzte er sich erneut Polizeibeamten, die von Mitarbeitern seines Wohnheims wegen seines aggressiven Verhaltens zu Hilfe gerufen wurden, und stieß im Verlauf eines Handgemenges einen der Beamten mehrfach schmerzhaft gegen einen Handlauf (Tat II.2). Am bewahrte der Angeklagte 0,43 Gramm Marihuana und 0,1 Gramm Amphetamin zum Eigenkonsum in seinem Wohnheimzimmer auf (Tat II.3). Am veranlasste er einen Mitarbeiter seines Wohnheims durch die Drohung, ihn anderenfalls „kaputtzuschlagen“, ihm entgegen der Hausordnung ein nächtliches Kochen in der Wohnheimküche zu ermöglichen; anschließend beleidigte er den Mitarbeiter (Tat II.4). Am legte sich der Angeklagte auf die in ihrem Wohnheimzimmer auf ihrem Bett liegende Zeugin K. , in deren Gesicht er an diesem Tag den „Beelzebub“ erblickte, presste ihr mit den Worten, der Teufel komme gleich heraus, einen Finger auf die Stirn und hielt sie gegen ihren Willen auf dem Bett fest, um sie hierdurch zur Duldung des von ihm beabsichtigten Exorzismus zu veranlassen (Tat II.5). Am trat der Angeklagte gegen ein Fahrzeug, wodurch an diesem ein Sachschaden entstand, und widersetzte sich anschließend den herbeigerufenen Polizeibeamten, wobei er aus einer Entfernung von zwei bis drei Metern eine gefüllte Getränkedose auf die Polizeibeamten warf, sie jedoch verfehlte (Tat II.6).
3Sachverständig beraten ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Angeklagte an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie leidet. Aufgrund dieser Erkrankung sei seine Steuerungsfähigkeit bei sämtlichen Taten aufgehoben und der Angeklagte daher jeweils im Sinne des § 20 StGB schuldunfähig gewesen.
42. Die Unterbringungsentscheidung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
5a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstat(en) auf Grund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln; sie muss sich auch darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten von dem Angeklagten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist. Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist das Tatgericht auch verpflichtet, die wesentlichen Gesichtspunkte in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 535/16, StV 2017, 575, 576; vom - 4 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 74, 75; vom - 4 StR 419/14, NStZ 2015, 394, 395).
6b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Das Landgericht hat nicht rechtsfehlerfrei begründet, dass von dem Angeklagten in Zukunft mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.
7aa) Das Landgericht hat im Anschluss an den gehörten Sachverständigen zur Begründung seiner Gefährlichkeitsprognose ausgeführt, es sei damit zu rechnen, dass der Angeklagte infolge seiner paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie weitere erhebliche Taten begehen werde. Nicht nur seien Körperverletzungen ähnlich den Anlasstaten vom und vom zu erwarten, vielmehr sei es sehr wahrscheinlich, dass es auch wieder zu so schweren Taten wie der vom Angeklagten am begangenen Brandstiftung kommen werde.
8bb) Diese Begründung für die Annahme der Gefährlichkeit des Angeklagten hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Denn wenn das Tatgericht seine Gefährlichkeitsprognose auch auf frühere Taten stützt, müssen die im Urteil dazu getroffenen Feststellungen belegen, dass auch diese Taten auf der Erkrankung des Täters beruhten (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 185/16, StV 2016, 719, 720; vom - 2 StR 296/07, StraFo 2007, 468). Dies ist mit Blick auf die Brandstiftung vom nicht der Fall.
9Zwar teilt das angefochtene Urteil bei der Darstellung der strafrechtlichen Vorbelastungen des Angeklagten mit, dass er am durch eine Jugendkammer des Landgerichts Bochum wegen schwerer Brandstiftung zu einer Jugendstrafe verurteilt und gemäß § 64 StGB seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet wurde; auch werden die im damaligen Urteil getroffenen Feststellungen wiedergegeben.
10Gleichwohl wird hierdurch nicht belegt, dass diese Tat auf der Erkrankung des Täters beruhte. Denn aus den wiedergegebenen Feststellungen des Urteils vom ergibt sich, dass sich die Jugendkammer - trotz der Einlassung des Angeklagten, eine Stimme habe ihm die Tat befohlen - gerade nicht in der Lage sah, ein Motiv des Angeklagten für diese Tat festzustellen. Da die im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen auch im Übrigen nicht belegen, dass die Brandstiftung vom auf der Erkrankung des Täters beruhte, durfte das Landgericht seine Gefährlichkeitsprognose nicht auf diese Tat stützen.
113. Die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB kann daher nicht bestehen bleiben. Die Sache bedarf neuer Verhandlung und Entscheidung.
12Mit Blick auf die Vorschrift des § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO hebt der Senat auch den Freispruch des Angeklagten auf. Es ist nicht auszuschließen, dass die neue tatgerichtliche Verhandlung und die zur Erstellung einer aktuellen Gefährlichkeitsprognose erforderliche erneute Begutachtung des Angeklagten eine abweichende Beurteilung seiner Schuldfähigkeit bei Begehung der Anlasstaten ergeben könnte (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 2 StR 132/18, juris Rn. 10; vom - 5 StR 54/18, juris Rn. 7). Das neue Tatgericht bleibt jedoch gehindert, nach Aufhebung der isoliert angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erneut die Unterbringung anzuordnen und zugleich erstmals Strafe zu verhängen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 349/13, NStZ-RR 2014, 89 [Ls]; vom - 5 StR 229/10, StraFo 2011, 55).
13Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu den äußeren Tatgeschehen können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:260919B4STR24.19.0
Fundstelle(n):
OAAAH-39665