Gesamtzusage - ablösende Betriebsvereinbarung
Gesetze: BetrAVG
Instanzenzug: ArbG Essen Az: 4 Ca 1860/16 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf Az: 12 Sa 162/17 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger ein kostenloses Ticket zur Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs zur Verfügung zu stellen sowie über Erstattungsansprüche.
2Der im Februar 1953 geborene Kläger wurde zum bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin, der Essener Verkehrs-Aktiengesellschaft (im Folgenden EVAG), als Omnibusfahrer eingestellt. Laut Handelsregistereintragung übernahm die EVAG im Wege der am wirksam gewordenen Umwandlung durch Ausgliederung den Betriebsteil „ÖPNV Mülheim“ der Mülheimer VerkehrsGesellschaft (im Folgenden MVG) und wurde sodann in die Beklagte umgewandelt. Diese betreibt, wie zuvor die EVAG bzw. die MVG, für die Städte Essen und Mülheim an der Ruhr den öffentlichen Personennahverkehr (im Folgenden ÖPNV) und ist Teil des Verkehrsverbunds Rhein-Ruhr (im Folgenden VRR).
3Der Arbeitsvertrag des Klägers vom enthält ua. folgende Regelung:
4Die EVAG stellte ihren Beschäftigten und in der Vergangenheit auch deren Ehepartnern auf Antrag unentgeltliche Fahrausweise zur Nutzung der Verkehrsmittel im ÖPNV zur Verfügung. Im Zeitpunkt der Einstellung des Klägers warb sie auf Fahrzeugen mit der Aufschrift: „Als Mitarbeiter der EVAG haben Sie und Ihre Frauen immer freie Fahrt.“
5Die Voraussetzungen für die Bereitstellung von Fahrausweisen waren ursprünglich in sog. „Bestimmungen über die Gewährung von Dienstausweisen, Frei-Fahrkarten, Familien-Fahrkarten, Lehrlings- und Schülerkarten“ vom (im Folgenden Bestimmungen 1958) wie folgt geregelt:
6Der Betrag von 150,00 DM wurde später auf 200,00 DM geändert.
7Durch „Verfügung“ vom wurden die Bestimmungen 1958 für die Zeit ab Januar 1985 wie folgt geändert:
8In einer weiteren „Verfügung“ vom heißt es zur „Gewährung von Freifahrt-Ausweisen“:
9Unter dem schlossen die EVAG und ihr Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung (im Folgenden BV 1991) über die Gewährung eines Tickets 2000, „Firmenservice“. Diese enthält folgende Regelungen:
10Ungeachtet dieser Vereinbarungen gab die EVAG an ihre Mitarbeiter weiterhin höherwertige Tickets nach deren Wahl ohne Zuzahlung aus. Auch die Ehepartner der Arbeitnehmer konnten auf Antrag weiterhin kostenfrei Familienfahrkarten beziehen. Spätestens seit Mitte der 2000er-Jahre erhielten auch die Betriebsrentner für sich und ihre Ehegatten Tickets ihrer Wahl, ohne dass eine Zuzahlung verlangt wurde. Soweit erforderlich, erfolgte eine Versteuerung des geldwerten Vorteils. Bei den zur Wahl gestellten Tickets handelte es sich zuletzt um sog. Tickets 1000. Ein solches Ticket war personenbezogen, galt für beliebig viele Fahrten in seinem Geltungsbereich und konnte durch ein sog. Zusatzticket hinsichtlich des Geltungsbereichs erweitert werden, wenn es nicht ohnehin bereits für die höchste Preisstufe galt. Derartige Tickets bietet die Beklagte nach wie vor ihren Kunden im Abonnement an. Die Abonnementpreise im Jahr 2017 beliefen sich in den Preisstufen A 1, A 2, A 3 auf 65,32 Euro, in der Preisstufe B auf 94,43 Euro, in der Preisstufe C auf 125,11 Euro und in der Preisstufe D auf 159,40 Euro monatlich. Die Preisstufe A 3 ermöglicht die Fahrt mit den Verkehrsmitteln der im VRR zusammengeschlossenen Verkehrsunternehmen in einem größeren Stadtgebiet, ua. im Stadtgebiet Essen. Die Preisstufe D beinhaltet die Fahrt im gesamten Geltungsbereich des VRR. Nicht den eigenen Mitarbeitern und Betriebsrentnern bzw. ihren Ehepartnern zur Verfügung gestellt wurden die ebenfalls im VRR angebotenen sog. Firmentickets, welche anderen Unternehmen für deren Arbeitnehmer zu vergünstigten Konditionen ab einer bestimmten Abnahmemenge angeboten werden.
11Die Beklagte wendet seit Herbst 2005 den zum in Kraft getretenen Spartentarifvertrag Nahverkehrsbetriebe (TV-N NW) vom an. Dieser regelt ua. Folgendes:
12Die Parteien schlossen am einen Altersteilzeitarbeitsvertrag. Dieser sieht in § 3 eine Arbeitsphase vom bis zum und eine Freistellungsphase vom bis zum vor. Im Übrigen lautet er auszugsweise:
13Mit Vereinbarung vom änderten die Parteien den Altersteilzeitvertrag vom und verkürzten diesen um zwei Jahre. Die Arbeitsphase dauerte danach vom bis zum und die Freistellungsphase vom bis zum .
14Der Kläger bezieht seit dem von der Beklagten eine Betriebsrente nach Maßgabe des Tarifvertrags vom über die betriebliche Altersversorgung der Arbeitnehmer und Auszubildenden der Essener Verkehrs-Aktiengesellschaft (im Folgenden ATV EVAG).
15Am schlossen die EVAG und ihr Betriebsrat die zum in Kraft getretene „Betriebsvereinbarung FirmenTicket“ (im Folgenden BV 2015). Dort heißt es:
16Ab stellte die Rechtsvorgängerin der Beklagten ihren Beschäftigten nur noch Tickets 1000 der Preisstufe A kostenlos zur Verfügung. Betriebsrentnern gewährte sie entsprechende Fahrscheine nur bei monatlicher Zuzahlung iHv. 12,00 Euro. An die Ehegatten der Beschäftigten und der Betriebsrentner reichte sie keine unentgeltlichen Fahrausweise mehr aus. Mit Schreiben vom unterbreitete sie ihren Betriebsrentnern und deren Ehepartnern vergleichsweise das Angebot, jeweils wohnortbezogen ein - im Gegensatz zum Ticket 1000 - nicht personalisiertes, sondern übertragbares Ticket 2000 der Preisstufe A zum monatlichen Preis des aktuellen Umsatzsteueranteils lebenslang zu beziehen.
17Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte müsse ihm lebenslang unentgeltlich ein Ticket 1000 der Preisstufe D zur Verfügung stellen. Die Ansprüche folgten aus einer bei der Einstellung getroffenen individuellen Vereinbarung, jedenfalls aus einer Gesamtzusage oder einer betrieblichen Übung. Sie seien durch die BV 2015 nicht abgelöst worden. Die bis bestehenden Vereinbarungen gingen mangels „Betriebsvereinbarungsoffenheit“ den Regelungen in der BV 2015 aufgrund des Günstigkeitsprinzips vor. Unabhängig davon seien die mit der BV 2015 verbundenen Verschlechterungen zumindest für die Zeit nach Eintritt in den Ruhestand unverhältnismäßig. Auch hätten die Betriebsparteien Übergangsregelungen für rentennahe Arbeitnehmer wie ihn vorsehen müssen. Die Ansprüche ergäben sich ferner aus einem Verstoß gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz, weil Mitarbeitern der MVG, die nach der „Fusion“ mit der EVAG bei dieser weiterbeschäftigt worden seien, keine Einbußen beim Bezug kostenfreier Tickets abverlangt worden seien. Im Hinblick auf den Hilfsantrag zu 1. hat sich der Kläger ebenfalls auf den Gleichbehandlungsgrundsatz berufen und insoweit auf das an die Betriebsrentner gerichtete Vergleichsangebot der Beklagten vom verwiesen.
18Der Kläger hat zuletzt - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - sinngemäß beantragt,
19Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
20Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung der klageabweisenden Entscheidung des Arbeitsgerichts. Der Kläger begehrt die Zurückweisung der Revision.
21Im Revisionsverfahren hat die Beklagte eine zwischen ihr, dem Betriebsrat am Standort Essen, dem Betriebsrat am Standort Mülheim an der Ruhr und dem bei ihr gebildeten Gesamtbetriebsrat geschlossene „Betriebsvereinbarung über die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen hinsichtlich der Zurverfügungstellung von Fahrausweisen zur Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs im Raum des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr“ vom (im Folgenden BV 2017) vorgelegt. Diese Betriebsvereinbarung regelt in ihren §§ 6 und 8 vergünstigte Fahrausweise für Lebenspartner oder Ehepartner von aktiven Arbeitnehmern und Auszubildenden und von Betriebsrentnern. Nach § 11 Abs. 3 tritt die BV 2017 zum in Kraft. Weiter ist dort bestimmt, dass durch diese Betriebsvereinbarung die BV 2015 und alle sonstigen kollektiven und individualrechtlichen Regelungen (insbesondere auch Gesamtzusagen und Ansprüche aus betrieblicher Übung) bezüglich des Erhalts von Fahrausweisen, Tickets, Familienkarten oder sonstigen Fahrscheinen, die zur Nutzung des ÖPNV berechtigen, für alle Arbeitnehmer, Auszubildenden, Rentner und Pensionäre sowie deren Lebens-/Ehepartner abgelöst werden.
Gründe
22I. Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, die Beklagte sei verpflichtet, dem Kläger ab Rechtskraft des Urteils ein kostenloses Ticket 1000 der Preisstufe D zur Verfügung zu stellen. Der dem Senat deshalb zur Entscheidung angefallene Hilfsantrag zu 1. ist ebenso wie der Antrag zu 2. unbegründet.
231. Die Klage ist - soweit entscheidungserheblich - zulässig.
24a) Der Hauptantrag zu 1. und der Hilfsantrag zu 1. sind zulässig. Sie zielen bei gebotener Auslegung auf die Vornahme aller Handlungen, die seitens der Beklagten erforderlich sind, um ihm - wie bis Ende 2015 geschehen - den Besitz von Tickets der bezeichneten Art zu verschaffen, ohne die dafür im normalen Verkauf anfallenden Kosten aufwenden zu müssen. Mit diesem Inhalt sind die Anträge hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO (ausführlich - Rn. 29 f.).
25b) Der Hauptantrag zu 1. und der Hilfsantrag zu 1. sind nach § 258 ZPO zulässig.
26aa) Bei der begehrten „Gewährung“ eines Tickets 1000 der Preisstufe D bzw. eines Tickets 2000 der Preisstufe A handelt es sich um eine „wiederkehrende Leistung“ iSv. § 258 ZPO. Die Beklagte soll die Fahrausweise fortlaufend und damit für jeden Monat, frühestens ab Rechtskraft des Urteils, zur Verfügung stellen. Die Klage nach § 258 ZPO setzt voraus, dass der Anspruch auf die wiederkehrende Leistung bereits entstanden ist und die Verpflichtung des Schuldners als Folge eines Rechtsverhältnisses nur vom Zeitablauf, dh. nicht von einer Gegenleistung abhängig ist ( - Rn. 33 mwN).
27bb) Die danach maßgeblichen Voraussetzungen liegen für die ausschließlich streitgegenständliche Zeit nach dem Eintritt des Versorgungsfalls am vor.
28Nach den Behauptungen des Klägers sind die Ansprüche auf Ticketgewährung für die Zeit ab Eintritt eines Versorgungsfalls bereits entstanden und nur noch vom Zeitablauf abhängig. Es wird nicht an eine aufschiebende Bedingung - wie den Eintritt des Versorgungsfalls bzw. die Erfüllung der in der maßgeblichen Versorgungszusage bestimmten Voraussetzungen - angeknüpft (vgl. - Rn. 34).
29c) Der Klageantrag zu 2. ist ebenfalls zulässig.
30aa) Der Kläger verlangt - wie die Auslegung ergibt - den Ersatz der Anschaffungskosten für die von ihm im Streitzeitraum erworbenen Fahrscheine, deren Kauf erforderlich war, weil ihm lediglich ein Ticket 1000 der Preisstufe A 3 und kein Ticket 1000 der Preisstufe D zur Verfügung stand. Zudem geht es dem Kläger offensichtlich darum, eine zeitliche „Überlappung“ der Zeiträume, auf die sich die Anträge beziehen, auszuschließen (ausführlich - Rn. 44).
31bb) In dieser Auslegung ist der Antrag zu 2. hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Satz 2 ZPO und nach § 256 Abs. 1 ZPO zulässig (ausführlich - Rn. 45 mwN).
322. Der zu 1. erhobene Klageantrag ist - entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts - unbegründet.
33a) Die Rechtsvorgängerin der Beklagten hat sich dem Kläger gegenüber zunächst im Wege einer Gesamtzusage verpflichtet, ihm kostenfreie Fahrausweise gemäß den jeweils bei ihr geltenden Bestimmungen zur Verfügung zu stellen (ausführlich - Rn. 49 bis 54 mwN).
34b) Die Gesamtzusage der Rechtsvorgängerin der Beklagten ist nicht wegen eines Verstoßes gegen ein Schriftformerfordernis unwirksam.
35aa) Die Gesamtzusage der Rechtsvorgängerin der Beklagten war zwar nach § 125 BGB nichtig, weil sie gegen das konstitutive Schriftformerfordernis aus § 4 Abs. 2 Satz 1 BMT-G II verstoßen hat. Nach Wegfall dieses Formerfordernisses ist sie jedoch bestätigt worden (§ 141 Abs. 1 BGB), indem die Beklagte die Fahrscheine weiterhin kostenfrei zur Verfügung stellte (ausführlich - Rn. 55 bis 58 mwN).
36bb) Die Gesamtzusage verstößt auch nicht gegen das Schriftformgebot in § 13 Abs. 1 Satz 2 Altersteilzeitarbeitsvertrag. Ungeachtet dessen, ob diese Bestimmung wirksam ist, gilt sie nur für Änderungen und Ergänzungen „dieses“ Vertrags. Damit betrifft sie ausschließlich solche Vereinbarungen, die sich auf das Altersteilzeitarbeitsverhältnis beziehen. Die Bestimmung soll lediglich sicherstellen, dass sich gegenteilige Rechte und Pflichten, die die Besonderheiten der Altersteilzeit betreffen, nur nach dem Altersteilzeitarbeitsvertrag und im Übrigen nach dem ATZ-TV bestimmen. Hierfür spricht auch der systematische Zusammenhang zu den sonstigen Bestimmungen des Altersteilzeitarbeitsvertrags. Diese enthalten nur Regelungen, die durch die Besonderheiten der Altersteilzeit bedingt sind.
37c) Die BV 2015 hat die bis zum bestehende, von der Rechtsvorgängerin der Beklagten bestätigte Gesamtzusage abgelöst. Diese Betriebsvereinbarung regelt abschließend, an wen und unter welchen Voraussetzungen die Beklagte unentgeltlich oder vergünstigt Fahrausweise zur Verfügung zu stellen hat. Danach sind Betriebsrentner der Beklagten für die Zeit ab Inkrafttreten der BV vom Bezug kostenfreier Tickets ausgeschlossen. Der Kläger hat deshalb keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte ihm die begehrten Tickets 1000 der Preisstufe D nach den im Antrag zu 1. ausformulierten Maßgaben zur Verfügung stellt. Das ergibt die Auslegung der Betriebsvereinbarung (vgl. ausführlich - Rn. 59 bis 62 mwN).
38d) Der sich ursprünglich aus der Gesamtzusage der Rechtsvorgängerin der Beklagten ergebende Anspruch war betriebsvereinbarungsoffen ausgestaltet. Die Betriebsparteien konnten durch die BV 2015 die vormals zugesagten kostenlosen Beförderungsleistungen mit Wirkung vom beseitigen bzw. einschränken (vgl. - Rn. 63 bis 73 mwN).
39e) Die Ablösung künftiger, vormals auf Grundlage der Gesamtzusage beruhender Ansprüche durch die BV 2015 ist mit höherrangigem Recht vereinbar (ausführlich - Rn. 70 bis 77 mwN).
40Entgegen der Ansicht des Klägers erfordert das Gebot des Vertrauensschutzes auch keine Übergangsregelungen für rentennahe Jahrgänge durch die BV 2015 (vgl. zum Erfordernis von Übergangsregelungen für rentennahe Arbeitnehmer bei Einführung von Altersgrenzen - Rn. 19, BAGE 158, 142; siehe auch - Rn. 105 f., BVerfGE 116, 96). Die besondere Situation rentennaher Jahrgänge kann zwar eine Sonderregelung erfordern, wenn diese von einer Leistungseinschränkung besonders hart und nachhaltiger als andere Arbeitnehmer betroffen werden (vgl. - Rn. 41 mwN) und die rentennahen Arbeitnehmer etwa ein schutzwürdiges Bedürfnis haben, sich in einer angemessenen Zeit auf die veränderte rechtliche Lage einzustellen und ihre Lebensführung oder -planung gegebenenfalls an diese anzupassen ( - aaO).
41Derartige Umstände liegen hier aber nicht vor. Der Kläger ist von der durch die BV 2015 erfolgten Leistungseinschränkung nicht übermäßig hart und nachhaltiger als andere Arbeitnehmer betroffen. In dem teilweisen Leistungsausschluss für Betriebsrentner liegt noch keine übermäßige Verschlechterung der Rechtslage. Der Leistungsausschluss betrifft nur das kostenlose Ticket 1000 der Preisstufe D. Der Kläger erhält jedoch ein personalisiertes Ticket 1000 der Preisstufe A unter Zuzahlung von 12,00 Euro und kann damit den ÖPNV im Stadtgebiet Essen ansonsten kostenfrei nutzen. Dem Kläger ist zumutbar, seine Lebensführung hieran anzupassen. Dass er auf ein kostenfreies Ticket 1000 der Preisstufe D für sich aus persönlichen Gründen angewiesen ist, hat er nicht dargetan.
42f) Es kann im vorliegenden Verfahren dahinstehen, ob die Betriebsparteien, soweit die BV 2015 nach § 1 Nr. 1.2, § 2 Nr. 2 verschlechternde Regelungen für den Bezug von Tickets durch bereits ausgeschiedene und im Ruhestand befindliche Arbeitnehmer trifft, regelungsbefugt waren. Selbst wenn dies zu verneinen wäre, wäre die BV 2015 nicht insgesamt nichtig, sondern nach § 139 BGB nur teilnichtig (ausführlich - Rn. 88).
43g) Ebenso kann vorliegend dahinstehen, ob die Betriebsparteien für betriebsangehörige Arbeitnehmer, die sich - wie der Kläger - im Zeitpunkt des Inkrafttretens einer Betriebsvereinbarung, die eine bisherige Regelung verschlechternd ablöst, bereits in der Freistellungsphase der Altersteilzeit befanden, regelungsbefugt sind. Da § 2 des Arbeitsvertrags des Klägers dynamisch auf die jeweils bei der Beklagten geltenden betrieblichen Vereinbarungen verweist, ist der Abschluss der BV 2015 auch von der Regelungsmacht der Betriebsparteien in Bezug auf den Kläger gedeckt.
44h) Der Hauptantrag zu 1. ist auch unter dem Gesichtspunkt der betrieblichen Übung nicht begründet. Ein Anspruch aus betrieblicher Übung kommt nicht in Betracht, wenn der Arbeitgeber zu den zu ihrer Begründung angeführten Verhaltensweisen durch andere Rechtsgrundlagen verpflichtet war oder sich auch nur zur Leistungserbringung verpflichtet glaubte. So liegt es hier. Die EVAG hat den Arbeitnehmern für die Zeit des Arbeitsverhältnisses und nach Rentenbeginn eine dynamisch ausgestaltete Gesamtzusage erteilt, die sich auch auf die Gewährung kostenfreier Tickets für Betriebsrentner bezog. Das spricht ohne Weiteres dafür, dass sie mit der Ausstellung solcher Fahrscheine den Zweck verfolgte, im Wege der Gesamtzusage begründete arbeitsvertragliche Ansprüche zu erfüllen. Soweit die Gesamtzusage bis zu ihrer Bestätigung (§ 141 Abs. 1 BGB) im Jahre 2001 wegen Verstoßes gegen das tarifliche Schriftformerfordernis nichtig war, konnte auch keine betriebliche Übung entstehen. Denn die betriebliche Übung hätte gleichfalls gegen dieses Schriftformerfordernis verstoßen und wäre deshalb nach § 125 BGB nichtig gewesen ( - Rn. 96 mwN).
45i) Der Hauptantrag zu 1. ist ferner nicht unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung begründet. Der Kläger hat seinen Anspruch auch auf eine Gleichbehandlung mit den Mitarbeitern der - ehemaligen - MVG gestützt. Hierauf kann sich der Kläger nicht mit Erfolg berufen. Schon aus seinem Hinweis, die Mitarbeiter der MVG erhielten weiterhin kostenlose Tickets, ergibt sich, dass der Grund hierfür in einer bei der MVG vormals bestehenden Regelung liegt, die offensichtlich - im Gegensatz zur Situation bei der Beklagten - vor der Fusion nicht abgelöst wurde. Zudem hat die Beklagte darauf hingewiesen - ohne dass der Kläger dem entgegengetreten ist -, dass unterschiedliche individual- und kollektivrechtliche Regelungen im Fall eines Betriebsübergangs eine ungleiche Behandlung rechtfertigen können. Eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung des Klägers hat er damit schon nicht dargelegt; sie ist aber auch nicht ersichtlich.
46j) Der Hauptantrag zu 1. ist schließlich auch nicht begründet, soweit der Kläger seinen Anspruch auf § 611 BGB iVm. einer individuellen vertraglichen Zusage gestützt hat. Der Kläger hat nicht hinreichend dargelegt, dass mit ihm eine Individualvereinbarung getroffen worden ist.
47Ihm war vielmehr erkennbar, dass es sich bei der Gewährung kostenfreier Tickets um eine vertragliche Einheitsregelung - in Form der Gesamtzusage - handelte, die sich an alle Mitarbeiter des angesprochenen Empfängerkreises richtete. Das wird schon daraus deutlich, dass die Zusage bei Einstellung nicht individuell gegenüber dem Kläger erfolgte, sondern gegenüber allen etwa 30 Mitarbeitern, mit denen - auch nach dem Vortrag des Klägers - das Einstellungsgespräch gemeinsam in Anwesenheit eines Betriebsratsmitglieds geführt wurde. Außerdem war die Gewährung der kostenlosen Tickets auf einen längeren, unbestimmten Zeitraum angelegt und daher von vornherein erkennbar einem möglichen künftigen Änderungsbedarf ausgesetzt. Soll sich die Gewährung einer Sozialleistung dagegen ausschließlich nach den bei Erteilung der einheitlichen Versorgungszusage mit kollektivem Bezug geltenden Bedingungen richten, muss der Arbeitgeber dies deutlich zum Ausdruck bringen (für den Bereich der betrieblichen Altersversorgung vgl. - Rn. 66 mwN). Das ist vorliegend nicht der Fall.
48Anderes folgt auch nicht aus dem Sachvortrag des Klägers zum Gespräch über den Altersteilzeitarbeitsvertrag. Eine ausdrückliche individuelle Zusage - unabhängig von den allgemein im Betrieb gültigen Regelungen - ist hieraus nicht erkennbar.
493. Der Hilfsantrag zu 1. ist ebenfalls nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte ihm ein Ticket 2000 der Preisstufe A - unter Zuzahlung des Umsatzsteueranteils - ab Rechtskraft des Urteils lebenslang gewährt.
50Der Kläger hat sich insoweit auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz gestützt und gemeint, er sei mit den Ruheständlern gleichzubehandeln, denen im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten der BV 2015 von der Beklagten ein entsprechendes Vergleichsangebot gemacht worden war. Ein Anspruch auf Gleichbehandlung (zu Inhalt und Voraussetzungen des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes vgl. etwa - Rn. 18 ff. mwN) besteht jedoch schon deshalb nicht, weil der Kläger mit den Ruheständlern, die von der Beklagten dieses Angebot erhalten haben, nicht vergleichbar ist. Er war zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der BV 2015 noch Arbeitnehmer und gerade nicht Betriebsrentner. Zudem könnte ein Verstoß ohnehin nur zur Folge haben, dass ihm ein entsprechendes Vergleichsangebot unterbreitet werden müsste. Das macht der Kläger jedoch nicht geltend. Er verfolgt vielmehr einen seiner Ansicht nach bestehenden unbedingten Anspruch.
514. Die Klage hat mit dem Antrag zu 2. ebenfalls keinen Erfolg. Der für den Streitzeitraum erhobene Ersatzanspruch besteht nicht (ausführlich - Rn. 97 bis 99 mwN).
52II. Der Kläger hat nach § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2019:250619.U.3AZR431.17.0
Fundstelle(n):
WAAAH-33926