Instanzenzug: Az: 11 L 207/19.A Beschluss
Gründe
I
1Das Verwaltungsgericht Potsdam hat mit Beschluss vom das Bundesverwaltungsgericht zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts angerufen. Für die Anträge der in Griechenland aufhältigen Antragsteller zu 1 sowie 3 bis 6, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Ersuchen der Hellenischen Republik (Griechenland) auf Übernahme ihrer Asylverfahren stattzugeben und bei ihrer Überstellung zu dem in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Antragsteller zu 2 mitzuwirken, sei das Verwaltungsgericht Ansbach gemäß § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 2, Nr. 3 Satz 3, Nr. 5 VwGO zuständig. Für den entsprechenden Antrag des Antragstellers zu 2, der seinen Aufenthalt zur Durchführung des Asylverfahrens in der Außenstelle Wünsdorf der Erstaufnahmeeinrichtung für Asylsuchende des Landes Brandenburg, welche sich im Gerichtssprengel des Verwaltungsgerichts Potsdam befindet, zu nehmen habe bzw. hier wohnhaft sei, sei das Verwaltungsgericht Potsdam gemäß § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 1 VwGO zuständig. Da die Annahme einer Streitgenossenschaft nicht fernliegend sei, bedürfe es einer Zuständigkeitsbestimmung nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO.
II
21. Das Bundesverwaltungsgericht ist für die Zuständigkeitsbestimmung nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 3 VwGO als nächsthöheres Gericht zuständig, weil Gerichtsstände verschiedener Länder in Betracht kommen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 7 ER 420.62 - Buchholz 310 § 52 VwGO Nr. 2 S. 2, vom - 7 ER 401.77 - Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 11 S. 6 und vom - 3 AV 3.16 - juris Rn. 5).
3a) Für die Anträge der Antragsteller zu 1 und 3 bis 6 ist das Verwaltungsgericht Ansbach als das Gericht der Hauptsache (§ 123 Abs. 2 Satz 1 VwGO) gemäß § 52 Nr. 2 Satz 3 i.V.m. Nr. 3 Satz 2, 3 und Nr. 5 VwGO örtlich zuständig.
4Gemäß § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO ist in Streitigkeiten nach dem Asylgesetz das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Ausländer nach dem Asylgesetz seinen Aufenthalt zu nehmen hat; ist eine örtliche Zuständigkeit danach nicht gegeben, bestimmt sie sich - auch für die vorliegend begehrte Mitwirkung des Bundesamtes im sogenannten Dublin-Verfahren - nach § 52 Nr. 3 VwGO und - soweit auch danach keine örtliche Zuständigkeit bestimmt werden kann - nach der Auffangregelung in § 52 Nr. 5 VwGO.
5Bei den von den Antragstellern begehrten Handlungen der Antragsgegnerin, die sich nach den Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 S. 31) - Dublin III-VO - richten, handelt es sich um "Streitigkeiten nach dem Asylgesetz". Der mit der Schaffung von § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO verfolgte Zweck einer asylrechtlichen Zuständigkeitsdezentralisierung zur Entlastung des Verwaltungsgerichts Ansbach und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in München (BT-Drs. 8/1836 S. 4, 8/1935 S. 5 sowie 8/1936 S. 5 f.), ohne dabei unterschiedliche Verfahrensabschnitte unterschiedlichen Gerichten zuzuweisen (BT-Drs. 9/875 S. 27), streitet für eine weite Auslegung dieser Bestimmung. Maßgeblich ist, ob das Asylanerkennungsverfahren im weiteren Sinne betroffen ist ( 9 A 1.84 - Buchholz 310 § 50 VwGO Nr. 11 S. 2 f.). Die Abgabe von Erklärungen in einem Überstellungsverfahren ist genauso wie die Überstellung selbst zwar nicht im Asylgesetz, sondern in der Dublin III-VO geregelt. Das unionsrechtliche Verfahren zur Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats und eine daran anknüpfende Überstellung stehen als denknotwendige Vorstufe aber in einem engen Zusammenhang mit dem im Asylgesetz geregelten Asylanerkennungsverfahren. Zudem enthält das Asylgesetz eine Verordnungsermächtigung zur (innerstaatlichen) Bestimmung der zuständigen Behörden in Dublin-Verfahren (§ 88 Abs. 1 AsylG). Nach der hiernach erlassenen Asylzuständigkeitsbestimmungsverordnung ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) u.a. auch für Entscheidungen über Auf- und Wiederaufnahmeersuchen anderer Mitgliedstaaten zuständig (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 1 Nr. 2 AsylZBV).
6Da die in Griechenland aufhältigen Antragsteller zu 1 und 3 bis 6 (derzeit) ihren Aufenthalt nicht nach den Vorschriften des deutschen Asylgesetzes zu nehmen haben (§ 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO) und im Bundesgebiet auch nicht über einen Wohnsitz verfügen (§ 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO), kommt für die örtliche Zuständigkeit wegen der Rechtsfolgenverweisung in § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 2 VwGO hier nur die Auffangregelung in § 52 Nr. 5 VwGO in Betracht. Danach ist das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Antragsgegnerin ihren Sitz hat. Wird der Antrag gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet, ist auf den Sitz der Behörde abzustellen, die gehandelt hat oder handeln soll ( 3 C 34.84 - BVerwGE 71, 183 <188> und Beschluss vom - 1 AV 2.00 - juris Rn. 2). Dies ist hier das Bundesamt, das seinen Sitz in Nürnberg und damit im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Verwaltungsgerichts Ansbach hat.
7b) Für den Eilantrag des Antragstellers zu 2 ist hingegen das Verwaltungsgericht Potsdam gemäß § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 1 VwGO örtlich zuständig, weil er - im insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der Antragseinreichung - seinen Aufenthalt in dessen Gerichtssprengel zu nehmen hatte.
8c) Die Annahme einer (notwendigen) Streitgenossenschaft der Antragsteller liegt jedenfalls nicht fern, sodass eine Zuständigkeitsbestimmung auch erforderlich ist ( 1 AV 2.19 - juris Rn. 8 ff.).
9Zwar ist im Regelfall einer subjektiven Klagehäufung kein Raum für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 53 VwGO. Denn gemäß § 64 VwGO i.V.m. §§ 59 f. ZPO ist u.a. Voraussetzung für die Zulässigkeit der Verbindung mehrerer prozessualer Ansprüche in einem Verfahren, dass für die Verfahren dasselbe Gericht örtlich zuständig ist (BVerwG, Beschlüsse vom - 7 ER 400.75 - Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 9 S. 2 und vom - 8 ER 400.88 - juris Rn. 2); ist dies nicht der Fall, ist dem durch Abtrennung und teilweise Verweisung zu begegnen. Anderes gilt bei einer notwendigen Streitgenossenschaft (§ 64 VwGO i.V.m. § 62 Abs. 1 ZPO) auf Antragsgegnerseite (hierzu BVerwG, Beschlüsse vom - 8 ER 400.88 - juris Rn. 2, vom - 11 AV 2.99 - Buchholz 310 § 53 Nr. 27 S. 2, vom - 7 AV 2.02 - Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 28 S. 3 und vom - 2 AV 1.10 - juris Rn. 6) oder Antragstellerseite (BVerwG, Beschlüsse vom - 2 AV 1.95 - NVwZ 1996, 998 und vom - 2 AV 1.10 - juris Rn. 6 f.). § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO lässt genügen, dass verschiedene Gerichte "in Betracht kommen", dass ein solcher Fall zumindest nicht fernliegt. (vgl. 7 ER 401.77 - Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 11 S. 6); es ist nicht Sinn eines Verfahrens zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit, schwierige Rechtsfragen, die im eigentlichen Verfahren vom zuständigen Gericht zu klären sind, abschließend zu entscheiden (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 4 ER 403.91 - Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 18 S. 9 und vom - 2 AV 1.95 - NVwZ 1996, 998).
10Die Annahme einer (unechten) notwendigen Streitgenossenschaft gemäß § 64 VwGO i.V.m. § 62 Abs. 1 ZPO liegt hier jedenfalls nicht fern. Sie liegt vor, wenn mehrere Kläger bzw. Antragsteller derart miteinander verbunden sind, dass einerseits zwar ein gesondertes Verfahren Einzelner möglich ist, andererseits aber, wenn sie gemeinschaftlich um Rechtsschutz nachsuchen, die Sachentscheidung für oder gegen alle identisch sein muss (Bier, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Februar 2019, § 64 Rn. 13). Die Anträge der Antragsteller zu 1 und 3 bis 6 und jener des Antragstellers zu 2 sind auf das gleiche Ziel gerichtet und gründen auf einem identischen Lebenssachverhalt. Sollte der geltend gemachte Anspruch sowohl den Antragstellern zu 1 und 3 bis 6 als auch dem Antragsteller zu 2 zustehen, liegt es zudem nahe, dass eine Sachentscheidung einheitlich ergehen müsste.
11Für die Zuständigkeitsbestimmung nach § 53 VwGO ist ein Anspruch und die sich daraus ableitende Antragsbefugnis des in der Bundesrepublik Deutschland aufhältigen Antragstellers zu 2 für den auf Familienzusammenführung mit den Antragstellern zu 1 und 3 bis 6 im Dublin-Verfahren gerichteten Rechtsschutzantrag jedenfalls nicht - offenkundig - ausgeschlossen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist der Ehegatte eines Ausländers gegen einen Bescheid, der diesem die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis versagt, selbst dann klagebefugt, wenn dieser den Bescheid hat bestandskräftig werden lassen, soweit er einen Eingriff in seine von Art. 6 GG geschützte Sphäre geltend macht ( 1 C 8.94 - BVerwGE 102, 12: s.a. VGH Mannheim, Beschluss vom - 11 S 1854/98 - InfAuslR 1999, 419 <Antragsbefugnis gegen die Wirkungen einer an den Ehegatten gerichteten Ausweisungsverfügung>; 8 B 26.02 - juris <Verpflichtungsbegehren auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an den Ehegatten>; VG Saarlouis, Beschluss vom - 6 L 186/16 - juris; a.A. - mit Blick auf § 81 Abs. 1 AufenthG - für die Antrags- und Klagebefugnis einer Tochter für den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an den Vater - VGH Mannheim, Urteil vom - 11 S 164/15 - InfAuslR 2015, 433).
12Eine - offenkundige - Unzulässigkeit des Rechtsschutzbegehrens des Antragstellers zu 2 mangels Antragsbefugnis folgt auch nicht aus Unionsrecht. Die Regelungen der Dublin III-VO schließen eine Antragsbefugnis sowohl des im zuständigen Mitgliedstaat ansässigen Familienangehörigen als auch derjenigen, die aus einem anderen Mitgliedstaat in den zuständigen Staat überstellt werden wollen, jedenfalls nicht ausdrücklich aus. Vielmehr kommt auch nach Unionsrecht - vorbehaltlich einer etwaigen abschließenden Klärung durch den Gerichtshof der Europäischen Union - ein subjektives Recht nicht nur der Antragsteller zu 1 und 3 bis 6, sondern auch des Antragstellers zu 2 auf die gerichtliche Durchsetzung der Einhaltung der Art. 9 ff. Dublin III-VO und der daran anknüpfenden Überstellungsregelungen (Art. 18, 29 ff. Dublin III-VO) in Betracht. Dies legen die Erwägungsgründe 13, 14 und 15 der Dublin III-VO, Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) sowie Art. 6 GG nahe. Der EuGH hat für Vorschriften der Dublin III-VO verschiedentlich dahin erkannt, dass sich eine Person, die internationalen Schutz beantragt, im gerichtlichen Verfahren auf eine Einhaltung dieser Regelungen berufen kann (vgl. nur [ECLI:EU:C:2017:587], Mengesteab - Rn. 62 und vom - C-201/16 [ECLI:EU:C:2017:805], Shiri - Rn. 44). Ob diese Rechtsprechung auf die vorliegende Fallkonstellation zu übertragen ist, ist zumindest nicht - offenkundig - ausgeschlossen und wird das nach der Zuständigkeitsbestimmung zuständige Gericht zu entscheiden haben.
132. Die - hier dem Bundesverwaltungsgericht als nächsthöherem Gericht vorbehaltene - Entscheidung nach § 53 Abs. 1 VwGO hat sich an den Wertungen der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung sowie dem Gebot einer effektiven und sachgerechten Verfahrensdurchführung zu orientieren (BVerwG, Beschlüsse vom - 7 AV 1.09 - juris Rn. 3, vom - 8 AV 1.12 - Buchholz 310 § 52 VwGO Nr. 40 und vom - 2 AV 1.19 - juris Rn. 20). Der Senat hält es hiernach für zweckmäßig, das Verwaltungsgericht Potsdam als zuständiges Gericht zu bestimmen.
14Der Antragsteller zu 2 wohnt in Zossen (Ortsteil Wünsdorf) im Land Brandenburg, und die Antragsgegnerin verfügt in diesem Land über eine (unselbständige) Außenstelle, die bereits mit dessen Asylverfahren betraut ist. Sowohl für die Antragsteller als auch für die Antragsgegnerin erweist sich daher eine Prozessführung in Potsdam als effektiv und sachgerecht; dies gilt auch dann, wenn sich die für das im Inland aufhältige Familienmitglied zuständige Außenstelle nicht in dessen Gerichtssprengel befindet, sondern sie ihren Sitz in dem Gerichtssprengel eines anderen Verwaltungsgerichts des Landes Brandenburg hat. Für die Bestimmung des Verwaltungsgerichts Potsdam als zuständiges Gericht spricht zudem, dass - sollte eine Familienzusammenführung erfolgen und die Antragsteller zu 1 und 3 bis 6 ihren Aufenthalt bei dem Antragsteller zu 2 in Zossen begründen - das Verwaltungsgericht Potsdam für alle weiteren asylrechtlichen Streitigkeiten gemäß § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO örtlich zuständig wäre. Damit wird zugleich dem Anliegen entsprochen, einzelne Verfahrensabschnitte nicht unterschiedlichen Gerichten zuzuweisen. Demgegenüber hat ein etwaiges Interesse der Antragsgegnerin an einer Konzentration der Rechtsschutzverfahren im Zusammenhang mit Überstellungsbegehren bei dem für den Behördensitz zuständigen Verwaltungsgericht zurückzutreten. Unabhängig davon hat sich die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom dahin eingelassen, dass nahe liege, als örtlich zuständig das Verwaltungsgericht Potsdam zu bestimmen; dem haben sich die Antragsteller mit Schriftsatz vom angeschlossen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2019:160919B1AV4.19.0
Fundstelle(n):
IAAAH-33828