BSG Beschluss v. - B 6 KA 14/19 B

Vertragszahnarzt - Zulassungsentziehung - Beleidigung von Vorstandsmitgliedern und Beschäftigten seiner Kassenzahnärztlichen Vereinigung - gröbliche Pflichtverletzung

Leitsatz

Ein Vertragszahnarzt, der über Jahre hinweg Vorstandsmitglieder und Beschäftigte seiner Kassenzahnärztlichen Vereinigung durch Vergleiche ihrer Tätigkeit mit Maßnahmen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gegenüber Juden beleidigt und davon entgegen einer in einem gerichtlichen Vergleich abgegebenen Unterlassungsverpflichtung nicht ablässt, verletzt seine vertragszahnärztlichen Pflichten gröblich (Fortführung von = BSGE 93, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr 9).

Gesetze: § 95 Abs 6 S 1 SGB 5

Instanzenzug: SG Mainz Az: S 2 KA 126/17 Urteilvorgehend Landessozialgericht Rheinland-Pfalz Az: L 5 KA 24/18 Urteil

Gründe

1I. Der seit 1983 im Bezirk der zu 1. beigeladenen KZÄV als Vertragszahnarzt zugelassene Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Zulassung zur vertragszahnärztlichen Versorgung.

2Die Erbringung und Abrechnung der Leistungen des Klägers sind seit Jahren Gegenstand von Verwaltungsverfahren und gerichtlichen Streitverfahren, die die Sozialgerichte aller drei Instanzen und das OLG Koblenz sowie den BGH in Zivilsachen mehrfach beschäftigt haben. Im Zentrum der Kontroversen stehen dabei die Rechtsfolgen mehrerer Honorarabtretungen, zunächst 1992 durch den Kläger an seine damalige Ehefrau, spätere Rückabtretungen sowie erneute Abtretungen der Honoraransprüche gegen die zu 1. beigeladene KZÄV an den im Mai 2019 verstorbenen Vater des Klägers. Diese teilweise einander überschneidenden Abtretungen sowie zusätzlich Pfändungen seitens der Finanzverwaltung haben in der Phase der Insolvenz des Klägers zahlreiche Verfahren ausgelöst. Zuletzt hat der Senat am - B 6 KA 38/17 R - dazu entschieden; das jüngste Urteil des für das Insolvenzrecht zuständigen IX. Zivilsenats des BGH ist am ergangen (IX ZR 272/17).

3Im Vorfeld und im Verlauf der oben angesprochenen zahlreichen Streitverfahren hat der Kläger immer wieder insbesondere in Schriftsätzen Funktionsträger und Bevollmächtigte der zu 1. beigeladenen KZÄV beleidigt, als Antisemiten bezeichnet und die KZÄV wiederholt mit einem Konzentrationslager gleichgesetzt ("KZ").

4Auf Antrag der zu 1. beigeladenen KZÄV vom entzog der Zulassungsausschuss dem Kläger mit Bescheid vom aus der Sitzung vom die Zulassung und begründete dies damit, durch die fortwährenden beleidigenden und diffamierenden Äußerungen gegenüber den Mitgliedern, Organen und Bediensteten der KZÄV habe der Kläger seine vertragszahnärztlichen Pflichten gröblich verletzt.

5Der beklagte Berufungsausschuss hat den Widerspruch des Klägers zurückgewiesen. Klage und Berufung sind erfolglos geblieben. Das LSG hat unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerfG und des BSG ausgeführt, dass die Beleidigungen und Diffamierungen, die der Kläger in der Vergangenheit und bis in die jüngste Zeit hinein fortwährend gegenüber den Funktionsträgern und Bediensteten der KZÄV ausspreche, jedes Maß verloren hätten und deutlich machten, dass der Kläger zu einer kooperativen Zusammenarbeit mit den Institutionen der vertragszahnärztlichen Versorgung nicht mehr bereit sei. Ungeachtet der dem Kläger zukommenden Meinungsfreiheit und seines Rechts, sich scharf, kritisch und auch polemisch mit dem Verhalten der KZÄV als Institution und ihrer Organe auseinanderzusetzen, stellten die vom Kläger regelmäßig ausgesprochenen Beleidigungen einen Missbrauch seiner Rechte dar. Der KZÄV könne nicht mehr zugemutet werden, mit dem Kläger zusammenzuarbeiten (Urteil vom ).

6Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil macht der Kläger geltend, im Rechtsstreit seien Fragen von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG).

7II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Im Rechtsstreit sind keine Fragen von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden. Die maßgeblichen Rechtsfragen sind durch die Rechtsprechung des Senats geklärt.

8Der Kläger verkennt nicht, dass mit dem Senatsurteil vom (B 6 KA 67/03 R - BSGE 93, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr 9) eine grundsätzliche Klärung der Voraussetzungen erfolgt ist, unter denen beleidigende Äußerungen eines Vertrags(zahn)arztes gegenüber Mitarbeitern und Funktionsträgern der K(Z)ÄV und der Krankenkassen zur Zulassungsentziehung wegen gröblicher Pflichtverletzung (§ 95 Abs 6 Satz 1 SGB V) führen können. Er ist jedoch der Auffassung, unter zwei Aspekten sei aus Anlass des hier zu entscheidenden Falles eine Weiterentwicklung der Rechtsprechung erforderlich bzw seien die für die Entscheidung dieses konkreten Rechtsstreits erheblichen Fragen noch nicht abschließend geklärt. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.

91. Zunächst ist der Kläger der Auffassung, es sei noch nicht hinreichend geklärt, wie bei - auch von ihm so gesehen - diffamierenden und grob beleidigenden Äußerungen eines Vertrags(zahn)arztes im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu beurteilen sei, dass sich die Institutionen der vertragszahnärztlichen Versorgung, insbesondere die hier zu 1. beigeladene KZÄV selbst grob rechtswidrig gegenüber dem betroffenen Zahnarzt verhalten haben. Diese Frage könnte im von der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren indes nicht geklärt werden, weil sie sich nur stellt, wenn sich insbesondere die zu 1. beigeladene KZÄV grob rechtswidrig und diskriminierend gegenüber dem Kläger verhalten hätte. Dass steht jedoch auf der Grundlage der Feststelllungen des LSG (§ 163 SGG) gerade nicht fest und trifft auch im Übrigen nicht zu.

10a. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang auf das Senatsurteil vom - B 6 KA 38/17 R - (SozR 4-2500 § 79 Nr 2, zur Veröffentlichung auch in BSGE vorgesehen) zur Unwirksamkeit des Abtretungsverbots nach § 8 Satz 2 der Abrechnungsordnung der Beklagten verweist, führt das nicht weiter. Die Frage, ob und in welchem Umfang eine K(Z)ÄV die Abtretbarkeit von Honoraransprüchen in ihrer Satzung bzw in einer speziellen Abrechnungsordnung ausschließen kann, ist bis zum Erlass dieses Senatsurteils in Rechtsprechung und Schrifttum kontrovers beurteilt worden. Das mit drei Berufsrichtern besetzte LSG Rheinland-Pfalz als Vorinstanz des Verfahrens B 6 KA 38/17 R hatte die Auffassung vertreten, dieser Abrechnungsausschluss sei, soweit Banken und andere Kreditinstitute ausgenommen bleiben, zur Wahrung berechtigter Belange der KZÄV zulässig. Der Senat hat das in einer bewusst grundsätzlich gehaltenen Entscheidung anders gesehen, der 9. Zivilsenat des BGH hat in seinem jüngsten Urteil vom (IX ZR 272/17 - NJW 2019, 2156, zur Veröffentlichung auch in BGHZ vorgesehen) wiederum Zweifel an dieser Rechtsauffassung des Senats geäußert, ohne die Frage zu entscheiden. Schon das macht deutlich, dass es hier um eine offene Rechtsfrage gegangen ist, deren Beantwortung in beide Richtungen möglich war. Die Position der KZÄV dazu hatte nicht im Ansatz etwas mit einer Diskriminierung des Klägers zu tun.

11b. Dass die Beigeladene zu 1. die Regelung in § 8 Abs 2 ihrer Abrechnungsordnung möglicherweise auch eingeführt hat, um sich zukunftsbezogen den Umgang mit der Vielzahl der nacheinander erfolgten Abtretungen der Honoraransprüche des Klägers verwaltungsmäßig zu erleichtern, enthält ebenfalls keine solche Tendenz. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am , in dem der Kläger und sein jetziger Bevollmächtigter anwesend waren, hat der Bevollmächtigte der zu 1. beigeladenen KZÄV dem Senat erläutert, dass zur Bewältigung der Abrechnungsprobleme des Klägers - insbesondere auch während der Insolvenz - in den Räumlichkeiten der KZÄV ein eigener Raum vorgehalten werden musste und ein Mitarbeiter ausschließlich damit beschäftigt sei, die entsprechenden Vorgänge zu bearbeiten. Das zeigt die Komplexität schon der rein verwaltungsmäßigen Kooperation mit dem Kläger, den Zedenten und den Gläubigern und macht verständlich, dass die Beigeladene zu 1., die zu einem sparsamen Einsatz der allein durch die Verwaltungskostenbeiträge ihrer Mitglieder finanzierten Aufwendungen verpflichtet ist, hier im Jahr 2005 zumindest für die Zukunft nach einem Ausweg gesucht hat. Dass die gewählte Lösung über ein begrenztes Abrechnungsverbot bundesrechtlich nicht umsetzbar war, rechtfertigt die fortwährenden Beleidigungen des Klägers in keiner Weise.

12c. Soweit der Kläger zum Beleg seiner Auffassung, die Beigeladene zu 1. habe ihn diskriminiert, auch auf die Auseinandersetzung um die Wirksamkeit der Freigabe seiner Praxis durch den Insolvenzverwalter abhebt, kann ihm ebenfalls nicht gefolgt werden. Mit Urteil vom hat der Senat entschieden, dass der Beschluss des Insolvenzgerichts, mit dem die Freigabe der Praxis für unwirksam erklärt wird, keine Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Freigabe hat (B 6 KA 45/13 R - BSGE 118, 30 = SozR 4-2500 § 85 Nr 81). Auch diese Frage war in Rechtsprechung und Literatur generell für Praxen von Freiberuflern umstritten (vgl die Anmerkung von Kayser zum Urteil des BSG in ZIP 2015, 1083). Im Übrigen ist dieses Verfahren vom damals beigeladenen Insolvenzverwalter des Klägers und nicht von der (damals) beklagten KZÄV in die Revisionsinstanz getragen worden.

132. Weiterhin hält der Kläger für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob in der hier vorliegenden Konstellation die KZÄV das Recht verwirkt hat, die Zulassungsentziehung zu beantragen. Unabhängig davon, ob ein solcher Rechtsgedanke zur Rechtswidrigkeit der von dem paritätisch besetzten Berufungsausschuss getroffenen Entscheidung führen könnte, liegt Verwirkung hier fern. Der Kläger beruft sich darauf, dass die zu 1. beigeladene KZÄV unterlassen habe, zunächst mit disziplinarischen Mitteln auf ihn einzuwirken, um ihn zur Einstellung der Beleidigungen und Diffamierungen ihrer Funktionsträger und Mitarbeiter zu bewegen. In diesem Sinne besteht jedoch, wie in der Rechtsprechung des Senats geklärt ist, kein strikter Vorrang einer disziplinarischen Ahndung vor der Beantragung der Entziehung der Zulassung (zuletzt - RdNr 37). Den zuständigen Organen der zu 1. beigeladenen KZÄV durfte sich im Frühjahr 2016 der Eindruck aufdrängen, dass jeder Versuch einer disziplinarischen Ahndung des Klägers erfolglos bleiben würde. Eine disziplinarische Ahndung macht nur Sinn, wenn davon auszugehen ist, dass sich der Betroffene die Maßnahme zur Warnung dienen lässt und sein Verhalten danach ausrichtet. Angesichts der seit nunmehr über mehr als 20 Jahre immer weiter fortgesetzten, sich immer weiter steigernden Beleidigungen durch den Kläger spricht nichts gegen die Einschätzung der KZÄV, dass der Kläger sein Verhalten ihr gegenüber nicht ändern wolle oder möglicherweise auch nicht ändern könne.

14Der Kläger korrespondiert seit Jahren mit der KZÄV und anderen Institutionen vorwiegend unter Verwendung eindeutiger Konnotationen aus der NS-Zeit und erweckt den Eindruck, die Reaktion der KZÄV auf die wirtschaftlichen Probleme seiner Praxisführung stünde in einer Linie mit der Verfolgung der Juden während der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Obwohl sich der Kläger in einem gerichtlichen Vergleich vor dem OLG Koblenz am verpflichtet hat, Vergleiche zwischen der Tätigkeit der KZÄV und dem NS-Regime zu unterlassen, hat er sein Vorgehen bis in die Gegenwart hinein nicht wirklich geändert. Eine strafrechtliche Verfolgung des Klägers wegen möglicher Beleidigungen und Verleumdungen ist nicht in Gang gesetzt worden; die zuständigen Organe der Beigeladenen zu 1. haben sich darauf beschränkt, über den Antrag auf Entziehung der Zulassung zu erreichen, dass die KZÄV mit dem Kläger, der sein Verhalten nicht ändern kann oder will, nicht weiter zusammenarbeiten muss.

153. Die Richtigkeit der Einschätzung, dass ein Disziplinarverfahren hier nichts hätte bewirken können, wird schließlich dadurch bestätigt, dass der Kläger noch im Berufungsverfahren betreffend seine eigene Zulassungsentziehung seine Diffamierungen der Funktionsträger der KZÄV fortgesetzt und diese erneut - unter dem Eindruck des für ihn teilweise positiven Senatsurteils vom - wiederum in die Nähe von Verbrechern aus der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gebracht hat. Es darf nicht außer Betracht bleiben, dass vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte und insbesondere des historisch belasteten Verhältnisses zwischen Deutschland und Bürgern jüdischer Religionszugehörigkeit alle Vergleiche mit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und insbesondere dem Verhalten des nationalsozialistischen Regimes gegenüber den Juden in der Zeit von 1933 bis 1945 extrem verletzenden Charakter haben können. Bei jedem Vergleich heutiger Verwaltungstätigkeit mit nationalsozialistischen Gewaltmaßnahmen gegenüber den jüdischen Bürgern schwingt der Vorwurf mit, es gehe am Ende (erneut) um die Vernichtung der Juden. Diesen Zusammenhang hat der Kläger immer wieder unter dem Hinweis auf KZ-ähnliche Bedingungen seiner Behandlung durch die zu 1. beigeladene KZÄV und auf die von dieser angestrebten Vernichtung seiner Existenz angeführt, ohne dafür einen - auch bei Anlegung großzügiger Maßstäbe - nachvollziehbaren Grund zu haben.

16Dem Senat haben in den vergangenen Jahren zahlreiche Gerichts- und Verwaltungsakten des Klägers vorgelegen; auch nur eine Andeutung in der Richtung, dass zwischen dem Verhalten des Klägers als Vertragszahnarzt und Mitglied der KZÄV und seinem Bekenntnis zum Judentum ein Zusammenhang bestehen könnte, hat der Senat nicht gefunden. Allein der Kläger stellte und stellt immer wieder diesen Zusammenhang her. Wie die Sache zu beurteilen wäre, wenn aus dem Bereich der Funktionsträger der KZÄV gegenüber dem Kläger antisemitisch argumentiert worden wäre, bedarf hier keiner Entscheidung. Dafür gibt es keinen Beleg, das LSG hat in dieser Richtung nichts festgestellt und auch der Kläger bringt in seiner Nichtzulassungsbeschwerde dazu nichts vor.

174. Die hier zu beurteilende Konstellation unterscheidet sich im Übrigen grundlegend von derjenigen, die Gegenstand des - war. Abgesehen davon, dass offenbleiben muss, ob die vom BVerfG zur Auswirkung der Meinungsäußerungsfreiheit (Art 5 Abs 1 GG) im Zusammenhang mit der Beleidigung einer Richterin entwickelten Grundsätze uneingeschränkt auch im Rahmen von Pflichtverletzungen nach § 95 Abs 6 SGB V Geltung beanspruchen, sind die tatsächlichen Umstände der Fälle nicht vergleichbar. In dem vom BVerfG entschiedenen Fall hatte der Beschwerdeführer eine von ihm als einseitig gerügte Zeugenvernehmung durch eine Amtsrichterin ua mit der Formulierung kommentiert, sie erinnere ihn an die Praxis der Sondergerichte während der NS-Zeit. Eine ähnliche, konfliktbezogen zugespitzte und einmalige Situation lag und liegt dem seit Jahren praktizierten Verhalten des Klägers nicht zu Grunde.

18Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO. Der Kläger hat die Kosten des von ihm ohne Erfolg geführten Rechtsmittels zu tragen.

19Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 und 3 GKG und entspricht der Festsetzung des LSG, gegen die die Beteiligten keine Einwendungen erhoben haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2019:110919BB6KA1419B2

Fundstelle(n):
DAAAH-33030