BAG Beschluss v. - 5 AZN 640/19

Nichtzulassungsbeschwerde - absoluter Revisionsgrund - nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts - gleiche Kammerbesetzung

Gesetze: § 39 ArbGG, § 72a ArbGG, § 547 Nr 1 ZPO

Instanzenzug: Az: 20 Ca 8699/16 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht München Az: 8 Sa 219/17 Urteil

Gründe

1I. Die Parteien streiten darüber, ob die beklagte Rechtsanwältin Forderungen gegen die Staatskasse aus einer Tätigkeit als Pflichtverteidigerin an die Klägerin, ihre vormalige Arbeitgeberin, abtreten muss.

2Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat in der Berufungsverhandlung am , zu der die ehrenamtlichen Richter M und H herangezogen worden waren, Beweis erhoben zum Zeitpunkt des Einwurfs der Berufungsbegründung in den Nachtbriefkasten des Gerichts durch Zeugeneinvernahme und sodann mit - inzwischen rechtskräftigem - Zwischenurteil vom entschieden, dass die Berufung der Beklagten zulässig ist. Nach einer weiteren Berufungsverhandlung am hat das Landesarbeitsgericht mit Urteil vom , das der Beklagten am zugestellt worden ist, deren Berufung zurückgewiesen. An dieser Entscheidung haben die ehrenamtlichen Richter F und P mitgewirkt. Das Landesarbeitsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Beschwerde der Beklagten, die am beim Bundesarbeitsgericht eingegangen und „vorsorglich“ zusätzlich zu einer am anhängig gemachten sofortigen Beschwerde nach § 72b ArbGG eingelegt ist. Die sofortige Beschwerde wegen verspäteter Absetzung des Berufungsurteils hat der Senat mit Beschluss vom heutigen Tag (- 5 AZB 20/19 -) zurückgewiesen.

3II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet, § 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 1, § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Alt. 1 ArbGG. Die anzufechtende Entscheidung beruht auf der von der Beklagten substantiiert dargelegten (zu den Anforderungen an die ordnungsgemäße Darlegung eines absoluten Revisionsgrundes sh.  - Rn. 3 mwN) nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Berufungsgerichts und damit auf dem absoluten Revisionsgrund des § 547 Nr. 1 ZPO. Die Achte Kammer des Landesarbeitsgerichts München war bei Erlass des anzufechtenden Urteils mit den ehrenamtlichen Richtern F und P nicht vorschriftsmäßig besetzt.

41. Ob das Gericht iSd. § 547 Nr. 1 ZPO ordnungsgemäß besetzt war, beurteilt sich nach dem Inhalt des Geschäftsverteilungsplans, der im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung galt ( - Rn. 27 mwN). Der Geschäftsverteilungsplan 2018 des Landesarbeitsgerichts München bestimmt unter dem Regelungspunkt „Gleiche Kammerbesetzung“ in Nr. 3.1 der Anlage 1 - wie schon wortgleich der Geschäftsverteilungsplan 2017 und nachfolgend derjenige für das Jahr 2019 - Folgendes: Wenn in einem Sa-Verfahren „nach Beginn einer Beweisaufnahme vor der Kammer durch Zeugen- oder Parteivernehmung, Augenschein oder mündliche Anhörung des Sachverständigen keine die Instanz vollständig beendende Entscheidung ergeht, (sind) für die weiteren Sitzungen diejenigen ehrenamtlichen Richterinnen/Richter heranzuziehen, die an der Beweisaufnahme mitgewirkt haben (gleiche Kammerbesetzung)“.

52. Danach hätte das Berufungsgericht bei der Fortsetzung der Berufungsverhandlung am in der Besetzung mit den ehrenamtlichen Richtern, die schon an der (ersten) Berufungsverhandlung am teilgenommen hatten, verhandeln und entscheiden müssen. Denn in dieser wurde ausweislich des Protokolls Zeugenbeweis erhoben und ist in deren Anschluss mit dem Zwischenurteil vom über die Zulässigkeit der Berufung keine die Instanz „vollständig beendende Entscheidung“ ergangen. Mit Rechtskraft des Zwischenurteils stand lediglich die Zulässigkeit der Berufung bindend fest (§ 318 ZPO). Eine die Instanz - noch dazu „vollständig“ - beendende Entscheidung war mit dem Zwischenurteil indes nicht ergangen.

63. Die Regelungen zur gleichen Kammerbesetzung im Geschäftsverteilungsplan 2018 des Landesarbeitsgerichts München, der von allen Kammervorsitzenden des Gerichts unterschrieben ist, sind wirksam. Sollen - wie beim Landesarbeitsgericht München gemäß Nr. 1 der Anlage 1 zum Geschäftsverteilungsplan 2018 - die allen Kammern zugewiesenen ehrenamtlichen Richter nicht nach einer vom Kammervorsitzenden aufgestellten Liste (§ 39 Satz 1 ArbGG), sondern nach einer vom Präsidium mit ausdrücklicher oder stillschweigender Billigung der Vorsitzenden für sämtliche Kammern angefertigten Liste (zur Statthaftigkeit vgl.  - Rn. 9 mwN, BAGE 128, 130; ErfK/Koch 19. Aufl. ArbGG § 31 Rn. 2) herangezogen werden, steht Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG einer „gleichen Kammerbesetzung“ dann entgegen, wenn sie von einer Ad-hoc-Entscheidung des Spruchkörpers abhängig gemacht wird, nicht jedoch, wenn sie - wie im Streitfall - durch eine abstrakt-generelle, zu Beginn des Geschäftsjahrs aufgestellte, jedes Ermessen ausschließende Regelung erfolgt (vgl.  - zu A II der Gründe, BAGE 84, 189; - 2 AZR 344/97 - zu II 5 c aa der Gründe, BAGE 88, 344 und - zu einer früheren Fassung des Geschäftsverteilungsplans des Berufungsgerichts - - 2 AZR 843/98 - zu II 2 der Gründe, BAGE 93, 55).

74. Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin lässt sich Nr. 3.1 der Anlage 1 des Geschäftsverteilungsplans 2018 des Landesarbeitsgerichts München nicht „nach Sinn und Zweck“ einschränkend dahingehend auslegen, in Fällen wie dem vorliegenden sei nicht die gleiche Kammerbesetzung heranzuziehen.

8a) Dabei kann dahinstehen, in welchem Umfang Geschäftsverteilungspläne eines Gerichts angesichts von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, dessen Zweck verlangt, dass die Regelungen, die der Bestimmung des gesetzlichen Richters dienen, im Voraus so eindeutig wie möglich festlegen müssen, welches Gericht, welcher Spruchkörper und welcher Richter zur Entscheidung des Einzelfalls berufen sind (, 2 BvR 2034/16 - Rn. 21 mwN), auslegbar sind (vgl. dazu etwa  - Rn. 9; Kissel/Mayer GVG 9. Aufl. § 16 Rn. 9 f. und § 21e Rn. 95; MüKoZPO/Zimmermann 5. Aufl. § 21e GVG Rn. 15, jeweils mwN). Denn die entsprechende Regelung im Geschäftsverteilungsplan des Landesarbeitsgerichts München ist eindeutig: Ergeht nach Beginn einer Beweisaufnahme ua. durch Zeugenvernehmung keine die Instanz vollständig beendende Entscheidung, ist für alle weiteren Berufungsverhandlungen die gleiche Kammerbesetzung heranziehen, und zwar solange, bis eine die Instanz vollständig beendende Entscheidung ergeht.

9b) Ob die gleiche Kammerbesetzung in einem Falle wie dem vorliegenden, in dem das Berufungsverfahren durch eine im Ermessen der Kammer liegende Entscheidung gleichsam in zwei Abschnitte „aufgespalten“ wird und die Beweisaufnahme nur für den ersten Verfahrensabschnitt Belang hat, zweckmäßig ist, obliegt allein der Beurteilung des Präsidiums bei der Aufstellung des Geschäftsverteilungsplans (zur Gestaltungsfreiheit des Präsidiums sh.  - Rn. 18 mwN). Es wäre zudem mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht vereinbar, die Anwendung der eindeutigen Regelung in Nr. 3.1 der Anlage 1 zum Geschäftsverteilungsplan 2018 des Landesarbeitsgerichts München davon abhängig zu machen, ob etwa der Kammervorsitzende oder die Geschäftsstelle zu der Auffassung gelangen, durch ein vorangegangenes Zwischen- oder Teilurteil sei die Instanz „insoweit“ vollständig beendet (vgl. , 2 BvR 2034/16 - Rn. 26).

105. Dass die ehrenamtlichen Richter aus der Berufungsverhandlung vom nicht an derjenigen vom teilgenommen haben (zur Teilnahme an der mündlichen Verhandlung als Voraussetzung für die Mitwirkung am Urteil sh.  - Rn. 7 mwN), ist durch das Protokoll belegt (§ 165 ZPO). Für die Annahme, dass sie - beide - verhindert gewesen wären (Nr. 3.4 der Anlage 1 zum Geschäftsverteilungsplan 2018 des Landesarbeitsgerichts München), ergeben sich aus der Berufungsakte keine Anhaltspunkte. Vielmehr wurden entgegen Nr. 3.1 der Anlage 1 zum Geschäftsverteilungsplan 2018 des Landesarbeitsgerichts München zur (weiteren) Berufungsverhandlung am die ehrenamtlichen Richter aus der gemeinsamen allgemeinen Beisitzerliste (Nr. 1.1 der Anlage 1 zum Geschäftsverteilungsplan 2018 des Landesarbeitsgerichts München) herangezogen. Ihr dahingehendes Vorbringen hat die Beschwerdeführerin durch eine ihr unter dem Briefkopf des Präsidenten des Landesarbeitsgerichts München erteilte Auskunft des Geschäftsleiters, die sich auch in der Berufungsakte findet, belegt. Damit im Einklang steht, dass nach Aktenlage die Terminsverfügung des Kammervorsitzenden keinen Hinweis auf das Erfordernis der Heranziehung der gleichen Kammerbesetzung enthält, obwohl ein solcher angesichts der seit Erlass des Zwischenurteils verstrichenen Zeitspanne als „Hilfestellung“ für die Geschäftsstelle durchaus nahegelegen hätte.

116. Weil bereits der absolute Revisionsgrund des § 547 Nr. 1 ZPO zur Zulassung der Revision führt, bedarf es keiner Entscheidung über die weitere Rüge, mit der die Beschwerdeführerin die Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend macht. Somit kann dahingestellt bleiben, ob die Beschwerdebegründung mit der seitenlangen wörtlichen Wiedergabe von in den Vorinstanzen eingereichten Schriftsätzen den gesetzlichen Anforderungen an die Darlegung eines entscheidungserheblichen Gehörsverstoßes (vgl.  - Rn. 9 f. mwN) genügt und ob die Beschwerdeführerin im Gewande der Gehörsrüge nicht lediglich eine - aus ihrer Sicht - fehlerhafte Rechtsanwendung des Landesarbeitsgerichts moniert.

12III. Zur Beschleunigung des Verfahrens und weil die Sache beim derzeitigen Verfahrensstand keine revisionsrechtlich bedeutsamen Rechtsfragen aufwirft, hat der Senat in analoger Anwendung des § 72a Abs. 7 ArbGG den Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen (zur analogen Anwendung des § 72a Abs. 7 ArbGG bei Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes ausführlich  - Rn. 35 ff., BAGE 148, 206, seither st. Rspr.).

13Im fortgesetzten Berufungsverfahren wird das Landesarbeitsgericht zu beachten haben, dass mit der Zurückverweisung kein „neues“ Berufungsverfahren beginnt, sondern die Berufungsinstanz lediglich wieder eröffnet und das Verfahren in die Lage zurückversetzt wird, in der es sich zu der Zeit befand, als die Verhandlung vor Erlass des aufgehobenen Urteils geschlossen wurde ( - Rn. 23 mwN, BAGE 148, 129;  -; GMP/Müller-Glöge ArbGG 9. Aufl. § 74 Rn. 141; vgl. auch MüKoZPO/Krüger 5. Aufl. § 563 Rn. 5 f.; Zöller/Heßler ZPO 32. Aufl. § 563 Rn. 2). Das aufgehobene Berufungsurteil stellt sich damit als keine die Instanz „endgültig“ beendende Entscheidung dar.

14IV. Die Entscheidung des Senats ist unter Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter ergangen (§ 72a Abs. 5 Satz 2 ArbGG).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2019:180919.B.5AZN640.19.0

Fundstelle(n):
EAAAH-32318