BSG Beschluss v. - B 2 U 15/18 BH, B 2 U 1/18 RH

Instanzenzug: SG Freiburg (Breisgau) Az: S 17 U 3009/17vorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg Az: L 9 U 2865/18 Urteil

Gründe

I

1Mit vorbezeichnetem Urteil vom hat das LSG Baden-Württemberg die Berufung des Klägers gegen den erstinstanzlichen Gerichtsbescheid vom zurückgewiesen, mit dem das SG Freiburg die Klage auf Gewährung von Verletztenrente aufgrund des Arbeitsunfalls vom wegen entgegenstehender Rechtshängigkeit der Klage (SG Freiburg - S 13 U 1765/17 -, LSG Baden-Württemberg - L 6 U 3980/17 - und BSG - B 2 U 42/18 B) abgewiesen hatte. Nach Zustellung am hat der Kläger mit Schriftsatz vom am "für die Nichtzulassungsbeschwerde/NZB und Revision" gegen das vorgenannte Urteil des LSG "PKH und Beiordnung des Rechtsanwalts M. T., B. Rechtsanwälte, B." beantragt und ua ausgeführt, ihm sei als Strafgefangener zur Teilnahme an der mündlichen Verhandlung "notwendiger Sonderausgang verweigert" worden. Später hat er Rechtsanwalt Dr. E. aus F. "Prozessvollmacht" erteilt und dessen Beiordnung als besonderen Vertreter (§ 72 SGG) sowie im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 121 ZPO) beantragt.

II

21. Ein besonderer Vertreter war nicht zu bestellen. Gemäß § 72 Abs 1 SGG kann für einen nicht prozessfähigen Beteiligten ohne gesetzlichen Vertreter der Vorsitzende bis zum Eintritt eines Vormundes, Betreuers oder Pflegers für das Verfahren einen besonderen Vertreter bestellen, dem alle Rechte, außer dem Empfang von Zahlungen, zustehen. Weder die aktenkundigen medizinischen Unterlagen noch das Prozessverhalten des Klägers rechtfertigen die Annahme, dass er prozessunfähig ist. Prozessunfähig sind gemäß § 71 Abs 1 SGG Personen, die sich nicht durch Verträge verpflichten können, die also nicht geschäftsfähig iS des § 104 BGB sind (BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 32 S 64). Das ist nach § 104 Nr 2 BGB der Fall, wenn sich eine Person in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist. Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn ein Betroffener nicht mehr in der Lage ist, seine Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen. Diese sehr strengen Voraussetzungen für die Annahme von Geschäfts- und damit Prozessunfähigkeit sind anhand der aktenkundigen medizinischen Unterlagen zu verneinen. Demzufolge haben verschiedene Senate des BSG (Beschlüsse vom - B 2 U 11/13 C und B 2 U 12/13 C; vom - B 11 AL 4/14 S und vom - B 11 AL 3/14 C und B 11 AL 9/14 BH sowie vom - B 10 ÜG 8/14 B) und des LSG Baden-Württemberg (vom - L 2 SF 3694/12 EK; vom - L 11 SF 293/14 EK und L 11 R 2518/12 sowie vom - L 3 AL 527/14) den Kläger für prozessfähig gehalten. Es liegen keine Anhaltspunkte vor, dass sich daran etwas geändert haben könnte.

32. Folglich liegt auch kein von Amts wegen (§ 71 Abs 6 SGG iVm § 56 Abs 1 ZPO) zu beachtendes Verfahrenshindernis für die Anträge auf PKH und Beiordnung eines Rechtsanwalts vor. Sie sind gleichwohl abzulehnen, weil weder die Revision (a) noch die Nichtzulassungsbeschwerde (b) hinreichende Aussicht auf Erfolg bieten (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 114 Abs 1 S 1, § 121 Abs 1 ZPO).

4a) Ein nach § 73 Abs 4 SGG zugelassener Prozessbevollmächtigter wäre von vornherein nicht in der Lage, das Revisionsverfahren gegen das angefochtene Urteil erfolgreich durchzuführen, weil die Revision gemäß § 160 Abs 1 SGG zulassungsbedürftig ist. Es liegt jedoch weder ein die Revision zulassender Beschluss des BSG (§ 160a Abs 4 S 2 SGG) vor noch hat das LSG die Revision im angefochtenen Urteil zugelassen.

5b) Auch die insofern statthafte Nichtzulassungsbeschwerde bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Nach § 160 Abs 2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), das angefochtene Urteil von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Ein solcher Zulassungsgrund ist weder aufgezeigt worden noch nach Durchsicht der Akten aufgrund der im PKH-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung des Streitstoffs zu erblicken. Dagegen ist eine allgemeine Überprüfung des vorinstanzlichen Urteils in dem Sinne, ob das LSG unter Würdigung der Angaben des Klägers richtig entschieden hat, im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde nicht statthaft. Es ist nicht erkennbar, dass ein nach § 73 Abs 4 SGG zugelassener Prozessbevollmächtigter in der Lage wäre, eine Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers erfolgreich zu begründen.

6aa) Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat. Die Frage muss außerdem klärungsbedürftig sein. Das ist grundsätzlich nicht der Fall, wenn die Antwort darauf von vornherein praktisch außer Zweifel steht oder die Frage bereits höchstrichterlich entschieden ist (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70). Rechtsfragen, die in diesem Sinne grundsätzliche Bedeutung haben könnten, sind nicht erkennbar.

7bb) Der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) könnte ebenfalls nicht mit Erfolg geltend gemacht werden. Divergenz (Abweichung) bedeutet Widerspruch im Rechtssatz oder - anders ausgedrückt - das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die den miteinander zu vergleichenden Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat (BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 mwN). Davon kann vorliegend nicht ausgegangen werden.

8cc) Schließlich lässt sich auch kein Verfahrensmangel feststellen, der gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zur Zulassung der Revision führen könnte. Einen besonderen Vertreter ("Pfleger") musste das LSG nicht bestellen, weil der Kläger weder prozessunfähig war (§ 72 Abs 1 SGG) noch sein Aufenthaltsort in der JVA O. "weit entfernt" außerhalb des Gerichtsbezirks des LSG lag (§ 72 Abs 2 SGG). Mit Blick auf den geltend gemachten Anspruch auf Verletztenrente hat das LSG im Ergebnis zu Recht das erstinstanzliche Prozessurteil bestätigt. Zwar entfiel die doppelte Rechtshängigkeit, als der Senat mit Beschluss vom in dem Verfahren B 2 U 42/18 B die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers verwarf (§ 160a Abs 4 S 3 SGG). Gleichzeitig wurde aber der Verletztenrente ablehnende Verwaltungsakt in dem Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom bestandskräftig, sodass im Hinblick auf die Verletztenrentengewährung im Zeitraum vom (Tag nach Abschluss des Berufungsverfahrens L 6 U 3980/17) und dem (Tag der mündlichen Verhandlung im hiesigen Verfahren) keine gerichtlich überprüfbare Verwaltungsentscheidung mehr vorlag. Ohne vorherige Verwaltungsentscheidung ist die (isolierte) Leistungsklage auf Rentengewährung aber unzulässig ( - SozR 4-2700 § 8 Nr 16 RdNr 10, vom - B 2 U 46/03 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 3 RdNr 11 f und vom - B 2 U 2/14 R - SozR 4-2400 § 27 Nr 7 RdNr 11 sowie B 2 U 17/14 R - SozR 4-1500 § 54 Nr 41 RdNr 13).

9Weder die PKH-Beschlüsse vom 10. und noch der ausführliche Beschluss vom über das Ablehnungsgesuch vom selben Tage beruhen auf Willkür (Art 3 Abs 1 GG) oder verkennen Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantien des gesetzlichen Richters (Art 101 Abs 1 S 2 GG) oder der Rechtsschutzgleichheit (Art 3 Abs 1 iVm Art 20 Abs 3 GG) von Bemittelten und Unbemittelten, sodass das Revisionsgericht an diese unanfechtbaren (Vor-)Entscheidungen (§ 177 SGG) gebunden wäre (§ 557 Abs 2 ZPO iVm § 202 S 1 SGG).

10Entgegen den Ausführungen des Klägers hatten die Strafvollzugsbehörden hinreichende Vorkehrungen getroffen, um ihm den Zugang zum Gericht zu ermöglichen (vgl dazu BVerfG <Kammer> vom - 2 BvR 1605/92 - NJW 1994, 3087 mwN), und sein Recht auf Teilnahme an der mündlichen Verhandlung nicht behindert. Denn der damals inhaftierte Kläger sollte am Nachmittag des von der JVA O. mit Sammeltransport zur JVA S. und von dort am Sitzungstag zum LSG gebracht werden. Diese Überstellung in die JVA S. hat der Kläger jedoch verweigert und damit nicht alles Zumutbare getan, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen. In dieser Situation konnte das Berufungsgericht trotz Abwesenheit des Klägers verhandeln und entscheiden, weil er auf diese Möglichkeit in der Terminsmitteilung hingewiesen worden ist (vgl zum Ganzen - SozR 4-1500 § 160a Nr 38 - Juris RdNr 5, vom - B 5 R 10/11 BH - BeckRS 2011, 73754 RdNr 7; vom - B 7a AL 14/05 B - Juris und vom - 4 RJ 3/83 - VdKMitt 1983, 12, 46 mwN).

11Da dem Kläger somit keine PKH zu bewilligen ist, hat er nach § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO auch keinen Anspruch auf Beiordnung eines Rechtsanwalts.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2019:250419BB2U118RH0

Fundstelle(n):
OAAAH-31749