Nichtzulassungsbeschwerde - Verletzung rechtlichen Gehörs
Gesetze: § 139 Abs 1 ZPO, Art 103 Abs 1 GG, § 297 BGB
Instanzenzug: Az: 21 Ca 2613/17 Urteilvorgehend LArbG Berlin-Brandenburg Az: 3 Sa 778/18 Urteil
Gründe
1I. Die Parteien streiten - soweit für die Beschwerde von Belang - über Vergütung wegen Annahmeverzugs für den Zeitraum Dezember 2016 bis Mai 2017 und dabei insbesondere darüber, ob der Kläger - ein schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 50 - für die arbeitsvertraglich vereinbarte Vollzeittätigkeit als „Angestellter in der Datenverarbeitung“ krankheitsbedingt (dauerhaft) leistungsunfähig und deshalb Annahmeverzug nach § 297 BGB ausgeschlossen ist.
2Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat angenommen, drei vertrauensärztliche Stellungnahmen aus der Zeit vor, während und nach dem Streitzeitraum, auf die sich das beklagte Land zur Begründung der Leistungsunfähigkeit des Klägers berufen hat, indizierten das Unvermögen des Klägers iSd. § 297 BGB. Dem sei dieser nicht ausreichend entgegengetreten, so dass die Kammer überzeugt sei, dass er im Streitzeitraum außer Stande war, die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung zu bewirken.
3Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Es hat angenommen, den vom beklagten Land vorgelegten drei vertrauensärztlichen Stellungnahmen komme keine „ausreichende Indizwirkung“ für eine Leistungsunfähigkeit des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum zu. Das Landesarbeitsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Beschwerde des beklagten Landes.
4II. Die Beschwerde ist begründet. Die Revision ist nach § 72 Abs. 2 Nr. 3 ArbGG zuzulassen. Das Landesarbeitsgericht hat den Anspruch des beklagten Landes auf rechtliches Gehör verletzt, indem es einen nach § 139 Abs. 1 ZPO gebotenen rechtlichen Hinweis nicht rechtzeitig gegeben und damit dem beklagten Land die Möglichkeit abgeschnitten hat, mit erläuterndem oder ergänzendem Sachvortrag oder Rechtsausführungen zu reagieren.
51. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt ua. vor, wenn das Gericht einen Sachverhalt oder ein Vorbringen in einer Weise würdigt, mit der ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem vorherigen Verfahrensverlauf nicht rechnen konnte. Dann verstößt ein der Zivilprozessordnung unterworfenes Gericht elementar gegen seine aus § 139 Abs. 1 ZPO folgende Pflicht, darauf hinzuwirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen können. Deshalb darf ein Berufungsbeklagter grundsätzlich darauf vertrauen, dass ihm das Berufungsgericht, wenn es in der Beweiswürdigung dem Erstrichter nicht folgen will, einen Hinweis gemäß § 139 ZPO erteilt, und zwar so rechtzeitig, dass darauf noch vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung reagiert werden kann (zum Ganzen - Rn. 51 f. mwN).
62. Gemessen daran hat das Landesarbeitsgericht den Anspruch des beklagten Landes auf rechtliches Gehör verletzt. Für die Würdigung des Tatsachengerichts, ob vom Arbeitgeber sich zu eigen gemachte ärztliche Stellungnahmen ausreichen, Annahmeverzug ausschließendes Unvermögen des Arbeitnehmers iSd. § 297 BGB zu indizieren, gilt im Rahmen des Art. 103 Abs. 1 GG kein anderer Maßstab als für eine Beweiswürdigung.
7a) Beruft sich der Arbeitgeber gegenüber einem Anspruch des Arbeitnehmers aus Annahmeverzug auf dessen Leistungsunfähigkeit iSd. § 297 BGB, erhebt er eine Einwendung, für deren Voraussetzung er als Gläubiger der Arbeitsleistung die Darlegungs- und Beweislast trägt ( - Rn. 27). Weil der Arbeitgeber über den Gesundheitszustand des Arbeitnehmers regelmäßig keine näheren Kenntnisse hat, genügt er seiner primären Darlegungslast regelmäßig schon dadurch, dass er Indizien vorträgt, aus denen auf eine Leistungsunfähigkeit im Annahmeverzugszeitraum geschlossen werden kann. Dazu kann es grundsätzlich genügen, dass er eine gutachterliche ärztliche Stellungnahme - etwa des Betriebsarztes - vorlegt und sich die ärztliche Einschätzung zu eigen macht ( - Rn. 25, 27).
8b) Die Würdigung, ob eine vom Arbeitgeber vorgelegte, als Privatgutachten zu qualifizierende (sh. - Rn. 27) ärztliche Stellungnahme die Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers iSd. § 297 BGB indiziert, ist eine der Beweiswürdigung - etwa bei einem medizinischen Sachverständigengutachten (dazu -) - vergleichbare tatrichterliche Wertung. Es geht darum, wie die schriftliche „Aussage“ des Arztes zu verstehen und zu bewerten ist, insbesondere ob sie einen hinreichenden Anhaltspunkt dafür bietet, dass der klagende Arbeitnehmer im Streitzeitraum für die zu bewirkende Arbeitsleistung nicht (uneingeschränkt) leistungsfähig war (vgl. - Rn. 30). Deshalb darf ein Berufungsbeklagter grundsätzlich darauf vertrauen, dass ihm das Berufungsgericht, will es der Würdigung des Erstgerichts nicht folgen und die ärztliche Stellungnahme „anders verstehen oder werten“, gemäß § 139 Abs. 1 ZPO rechtzeitig vor der Berufungsverhandlung einen entsprechenden rechtlichen Hinweis erteilt und ihm die Gründe für seine vom Erstgericht abweichende Würdigung mitteilt.
9c) Dies hat das Landesarbeitsgericht unterlassen. Das Protokoll der Berufungsverhandlung und die Ausführungen im Berufungsurteil unter B III der Entscheidungsgründe bestätigen das Vorbringen des Beschwerdeführers, ihm sei erst in der Berufungsverhandlung der Hinweis erteilt worden, die vom beklagten Land vorgelegten drei vertrauensärztlichen Stellungnahmen begründeten kein Indiz für die behauptete Leistungsunfähigkeit des Klägers. Damit hat das Landesarbeitsgericht dem Beschwerdeführer die Möglichkeit genommen, in einer Kernfrage des Rechtsstreits, die das Erstgericht zu seinen Gunsten beantwortet hatte, der abweichenden Würdigung des Berufungsgerichts entgegenzutreten. Nachdem sich das beklagte Land ausweislich des Protokolls der Berufungsverhandlung auf den rechtlichen Hinweis eine Schriftsatzfrist erbat, durfte das Landesarbeitsgericht auch nicht davon ausgehen, das beklagte Land wolle zu der Würdigung des Landesarbeitsgerichts nicht mit Rechtsausführungen (zum Recht auf Rechtsausführungen als Bestandteil des Anspruchs auf rechtliches Gehör vgl. - Rn. 15 mwN) oder erläuterndem bzw. ergänzenden Sachvortrag Stellung nehmen.
103. Die angegriffene Entscheidung des Landesarbeitsgerichts beruht auch auf diesem Gehörsverstoß. Für die Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG reicht es aus, dass nicht ausgeschlossen werden kann, ein rechtzeitig erteilter rechtlicher Hinweis hätte zu einer dem Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung geführt (vgl. - Rn. 7 mwN). Das beklagte Land hat in der Beschwerdebegründung im Einzelnen dargelegt, mit welchem Vorbringen es auf einen rechtzeitig erteilten Hinweis reagiert und versucht hätte, „Bedenken“ des Landesarbeitsgerichts an der Geeignetheit der ärztlichen Stellungnahmen, Leistungsunfähigkeit des Klägers im Streitzeitraum zu indizieren, zu zerstreuen. Es ist nicht auszuschließen, dass das Landesarbeitsgericht danach zu einer anderen Würdigung gekommen und mit dem Arbeitsgericht angenommen hätte, das beklagte Land habe im Rahmen des § 297 BGB seiner primären Darlegungslast zunächst genügt. In diesem Falle hätte das Landesarbeitsgericht weiter prüfen müssen, ob der Kläger den Indizien für seine Leistungsunfähigkeit hinreichend substantiiert entgegengetreten ist und - falls ja - ggf. nach Beweisaufnahme feststellen müssen, ob im Streitzeitraum tatsächlich Leistungsunfähigkeit vorlag oder nicht (vgl. - Rn. 31 ff.).
11III. Der Senat hat von der Möglichkeit des § 72a Abs. 7 ArbGG Gebrauch gemacht. Die Sache wirft beim derzeitigen Stand des Verfahrens keine revisionsrechtlich bedeutsamen Rechtsfragen auf.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2019:280819.B.5AZN381.19.0
Fundstelle(n):
BB 2019 S. 2419 Nr. 41
VAAAH-30082