Kostenentscheidung bei übereinstimmenden Erledigungserklärungen nach Entscheidung des BVerfG
Leitsatz
Hat das BVerfG entschieden, dass eine Steuerrechtsnorm mit Bestimmungen des GG unvereinbar ist und die Fortgeltung der Vorschrift bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber angeordnet, und wird deshalb ein Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, entspricht es billigem Ermessen, der Finanzbehörde die Verfahrenskosten aufzuerlegen.
Gesetze: FGO § 143 Abs. 1; FGO § 138 Abs. 1;
Instanzenzug:
Tatbestand
I.
1 Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt eine Privatbrauerei, deren Gesamtjahreserzeugung im Jahr 2004 bei . hl lag. Auf die in der Steuererklärung nach § 8 Abs. 1 des Biersteuergesetzes (BierStG) 1993 für den Monat Januar 2004 von ihr angegebenen Biermengen wandte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt —HZA—) die ermäßigten Steuersätze gemäß § 2 Abs. 2 BierStG 1993 i.d.F. von Art. 15 des Haushaltsbegleitgesetzes (HBeglG) 2004 vom (BGBl I 2003, 3076) an. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies das HZA zurück. Auch die Klage blieb erfolglos. Mit der vom Finanzgericht zugelassenen Revision, mit der geltend gemacht wurde, § 2 Abs. 2 BierStG 1993 i.d.F. des Art. 15 HBeglG 2004 verstoße gegen formelles und materielles Verfassungsrecht, verfolgte die Klägerin ihr Begehren zunächst weiter. Unter Annahme der Verfassungswidrigkeit des § 2 Abs. 2 BierStG 1993 in der von der Klägerin beanstandeten Fassung und unter Bezugnahme auf den (BGBl I 2010, 68, Deutsches Verwaltungsblatt 2010, 308) hat der Bundesfinanzhof (BFH) das Revisionsverfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über das (BFH/NV 2011, 1114) ausgesetzt und eine Entscheidung des BVerfG eingeholt.
2 Mit Beschluss vom - 2 BvL 4/11, 2 BvL 5/11, 2 BvL 4/13 (BGBl I 2019, 194, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2019, 313) hat das BVerfG entschieden, dass § 2 Abs. 2 Sätze 1 und 4 BierStG 1993 i.d.F. des Art. 15 HBeglG 2004 mit Art. 20 Abs. 2, Art. 38 Abs. 1 Satz 2, Art. 42 Abs. 1 Satz 1 und Art. 76 Abs. 1 GG unvereinbar sind. Zugleich hat es angeordnet, dass die Vorschrift bis zum Inkrafttreten von § 2 Abs. 2 Sätze 1 und 4 BierStG i.d.F. des Art. 4 des Vierten Gesetzes zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen vom (BGBl I 2009, 1870) zum anwendbar ist.
3 Daraufhin hat der BFH das ausgesetzte Verfahren wieder aufgenommen und den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Mit Fax vom hat die Klägerin den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Mit Fax vom hat das HZA der Erledigung zunächst widersprochen und sodann mit Schriftsatz vom mitgeteilt, dass es nun der Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache zustimme.
Gründe
II.
4 Nachdem beide Beteiligte übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist das erstinstanzliche Urteil gegenstandslos. Gemäß § 143 Abs. 1 i.V.m. § 138 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) war nur noch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Da die Klägerin nach der Entscheidung des BVerfG einen verfassungswidrigen Rechtszustand für die Vergangenheit hinnehmen muss und ihr insoweit ein Sonderopfer auferlegt wird, entspricht es billigem Ermessen, dem HZA die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
5 Nach der Rechtsprechung des BFH muss sich die nach billigem Ermessen zu treffende Kostenentscheidung nicht ausschließlich am Gedanken des materiellen Kostenrechts orientieren, also daran, wer bei einer Entscheidung über die Hauptsache die Kosten zu tragen hätte. Dem Gericht ist vielmehr ein weiter Spielraum eingeräumt, innerhalb dessen eine Ausrichtung am allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden maßgebend ist (, BFHE 104, 39, BStBl II 1972, 222), wobei auch der Frage Bedeutung zukommt, welcher der Beteiligten Veranlassung zum gerichtlichen Verfahren gegeben hat. Im Streitfall steht fest, dass der Klägerin dadurch ein Sonderopfer auferlegt worden ist, dass der Gesetzgeber vom BVerfG verpflichtet wurde, nur für die Zukunft einen verfassungskonformen Rechtszustand herzustellen. Es würde jedoch dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden widersprechen, von der Klägerin zu verlangen, einen verfassungswidrigen Biersteuerbetrag zu entrichten, und sie auch noch mit den Kosten des Gerichtsverfahrens zu belasten, obwohl dieses bestätigt hat, dass die verfassungsrechtlichen Zweifel der Klägerin berechtigt waren, sie somit mit ihrer Klage Erfolg gehabt hätte, wenn das BVerfG die Unvereinbarkeit der angegriffenen Vorschrift des BierStG 1993 mit der Verfassung nicht nur für die Zukunft ausgesprochen hätte. Unter diesen Umständen entspricht es billigem Ermessen, dem HZA die Kosten des gesamten Verfahrens aufzuerlegen (BFH-Beschlüsse vom - VI R 123/94, BFHE 210, 214, BStBl II 2006, 39, und vom - VI R 14/99, BFH/NV 2006, 100).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2019:B.180719.VIIR9.19.0
Fundstelle(n):
HFR 2019 S. 983 Nr. 11
NAAAH-29137