BGH Beschluss v. - XII ZB 432/18

Stillschweigender Antrag auf Wiedereinsetzung

Leitsatz

Ein Wiedereinsetzungsantrag braucht nicht ausdrücklich gestellt zu werden; er kann auch stillschweigend in einem Schriftsatz enthalten sein, wobei es ausreicht, dass in diesem Schriftsatz konkludent zum Ausdruck gebracht wird, das Verfahren trotz verspäteter Einreichung der Rechtsmitteleinlegungs- oder Rechtsmittelbegründungsschrift fortsetzen zu wollen (im Anschluss an , BGHZ 63, 389 = NJW 1975, 928).

Gesetze: § 139 ZPO, § 236 Abs 2 S 1 ZPO

Instanzenzug: Az: 26 UF 261/18vorgehend AG Passau Az: 5 F 216/17

Gründe

I.

1Die Antragsgegnerin wendet sich gegen die Verwerfung ihrer Beschwerde wegen Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist.

2Die Antragsgegnerin betreibt gegen den Antragsteller - ihren geschiedenen Ehemann - die Teilungsversteigerung eines gemeinschaftlichen Hofguts. Das Amtsgericht hat die Teilungsversteigerung auf Antrag des Antragstellers für unzulässig erklärt.

3Gegen den ihr am zugestellten Beschluss des Amtsgerichts hat die Antragsgegnerin am Beschwerde eingelegt. Das Oberlandesgericht hat die Frist zur Begründung der Beschwerde antragsgemäß bis zum verlängert. Mit Schriftsatz vom hat die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin eine weitere Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist beantragt, weil die Angelegenheit noch ausführlich mit ihrer Mandantin besprochen werden müsse. Dies sei aufgrund ihres Gesundheitszustands noch nicht möglich gewesen, weil sich die Antragsgegnerin seit dem in einer stationären Rehabilitationsmaßnahme befinde, die voraussichtlich vier Wochen andauern werde. Dem Schriftsatz beigefügt waren eine Stellungnahme des Gesundheitsamts zur Erforderlichkeit einer stationären Rehabilitationsmaßnahme und eine Bescheinigung über den Beginn der stationären Heilbehandlung am . Mit Verfügung vom hat das Oberlandesgericht die Antragsgegnerin darauf hingewiesen, dass die Beschwerdebegründungsfrist mangels Zustimmung des Antragstellers nicht nochmals verlängert werden könne und deshalb versäumt sei. Mit einem vom datierten und am gleichen Tag eingegangenem Schriftsatz hat die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin die Beschwerde begründet und in diesem Schriftsatz einleitend das Folgende ausgeführt:

"1. Zur ‚Fristversäumnis‘

Es wird ausdrücklich nochmals mitgeteilt, dass die Antragsgegnerin an MS leidet. Es bestand der Verdacht auf einen MS Schub, weshalb im Rahmen einer amtsärztlichen Untersuchung durch amtsärztliches Attest empfohlen wurde eine Reha Maßnahme, und zwar unverzüglich für vier Wochen, durchzuführen.

Diese Reha Maßnahme endete am , sodass eine Besprechung mit der Antragsgegnerin aufgrund der Feiertage erst am heutigen Tage möglich war. Die Antragsgegnerin war daher aus gesundheitlichen Gründen gehindert die Frist zu wahren. Auf die bereits vorgelegten Nachweise wird Bezug genommen."

4Nach einem weiteren Hinweis des Oberlandesgerichts hat die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin am ausdrücklich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdebegründungfrist beantragt und weitere Unterlagen vorgelegt, unter anderem eine eidesstattliche Versicherung der Antragsgegnerin, wonach ihr "von allen Ärzten dringend empfohlen" worden sei, sich während des Aufenthalts in der Rehabilitationsklinik nicht mit Prozessen oder prozessualen Entscheidungen zu belasten.

5Das Oberlandesgericht hat sowohl den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als auch die Beschwerde der Antragsgegnerin verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin.

II.

6Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG iVm § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO sowie § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG iVm § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO). Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Das Beschwerdegericht hat durch seine Entscheidung das Verfahrensgrundrecht der Antragstellerin auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt, welches es den Gerichten verbietet, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 51/11 - FamRZ 2011, 881 Rn. 7 und vom - XII ZB 189/07 - FamRZ 2008, 1338 Rn. 8 mwN).

71. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, dass die Antragsgegnerin die Frist zur Beantragung einer Wiedereinsetzung versäumt habe. Diese müsse innerhalb einer einmonatigen Frist beantragt werden, wobei die Frist an dem Tag beginne, an dem das Hindernis zur Begründung der Beschwerde behoben worden sei. Das Hindernis, das nach Auffassung der Antragsgegnerin einer rechtzeitigen Begründung ihrer Beschwerde entgegengestanden habe, sei spätestens mit ihrer Entlassung aus der Reha-Maßnahme am behoben gewesen. Die Pfingstfeiertage stellten kein Hindernis dar. Die Frist zur Beantragung einer Wiedereinsetzung sei folglich am Ende des (Montag) abgelaufen. Der am eingegangene Antrag sei verspätet. Auf die Frage, ob die Reha-Maßnahme tatsächlich ein Verschulden der Antragsgegnerin an der Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist ausgeschlossen habe, komme es nicht entscheidend an.

82. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

9Das Beschwerdegericht konnte der Antragsgegnerin die begehrte Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdebegründungsfrist nicht mit der Begründung versagen, ihr Wiedereinsetzungsantrag vom sei verspätet angebracht worden. Denn bereits der Beschwerdebegründungsschriftsatz vom enthielt einen konkludent gestellten Wiedereinsetzungsantrag.

10a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss ein Wiedereinsetzungsantrag nicht ausdrücklich gestellt werden, er kann auch stillschweigend in einem Schriftsatz enthalten sein (vgl. BGH Beschlüsse vom - VIII ZB 61/17 - NJW 2018, 1022 Rn. 17 und vom - VIII ZB 81/10 - NJW 2011, 1601 Rn. 13; vgl. bereits BGHZ 63, 389, 392 f. = NJW 1975, 928). Hierzu reicht aus, dass in diesem Schriftsatz konkludent zum Ausdruck gebracht wird, das Verfahren trotz verspäteter Einreichung der Rechtsmittel- oder Begründungsschrift fortsetzen zu wollen.

11b) Diese Voraussetzung erfüllt der am eingegangene Begründungsschriftsatz. Die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin hat darin ausgeführt, ihre Mandantin sei aus gesundheitlichen Gründen gehindert gewesen, die Frist zu wahren. Ihr war also erkennbar bewusst, dass die Beschwerdebegründungsfrist bereits abgelaufen war. Gleichwohl erstrebte sie - wie sich aus der nachfolgenden Begründung der Beschwerde erschließt - eine Fortsetzung des Verfahrens mit dem Ziel der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.

12Auf die am angetretene vierwöchige Rehabilitationsmaßnahme als Hinderungsgrund für eine rechtzeitige Fertigstellung der Beschwerdebegründung hat sich die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin bereits in ihrem Fristverlängerungsantrag vom berufen und entsprechende Belege beigefügt. Hierauf nahm sie in der Beschwerdebegründung vom Bezug und ergänzte, dass die stationäre Maßnahme am geendet habe. Dies genügt den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe, aus denen sich die Gründe für die Fristversäumnis ergeben (vgl. - NJW 2011, 1601 Rn. 14 mwN).

13c) Nach § 236 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 ZPO sind alle Tatsachen, die für die Gewährung der Wiedereinsetzung von Bedeutung sein können, innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist vorzutragen. Jedoch dürfen erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten gewesen wäre, noch nach Fristablauf erläutert oder vervollständigt werden (vgl. - NJW 2011, 1601 Rn. 15 mwN). In ihrem Schriftsatz vom hat die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin vorgetragen, dass ihre Mandantin ärztlichen Ratschlägen Folge geleistet habe, nichts Unangenehmes an sich heranzulassen und deshalb während des Klinikaufenthalts für die Kanzlei der Verfahrensbevollmächtigten nicht erreichbar gewesen sei. Mit diesen lediglich ergänzenden Angaben ist ein unzulässiges Nachschieben neuer Tatsachen nicht verbunden.

143. Die angefochtene Entscheidung kann deshalb mit der gegebenen Begründung nicht bestehen bleiben.

15Das Beschwerdegericht hat - aus seiner Sicht folgerichtig - bislang offengelassen, ob die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit Blick auf den Klinikaufenthalt der Antragsgegnerin zwischen dem und dem vorliegen. Dabei kann die Erkrankung eines Beteiligten im Ausgangspunkt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen, wenn er krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage ist, den Rat seines Rechtsanwalts einzuholen und diesen sachgemäß zu unterrichten (vgl. BGH Beschlüsse vom - XI ZR 90/12 - juris Rn. 6 und vom - X ZB 24/93 - NJW-RR 1994, 957 mwN). Dies setzt allerdings voraus, dass selbst eine telefonische Verständigung über eine fristgerecht einzureichende Beschwerdebegründung mit dem Verfahrensbevollmächtigten nicht möglich war (vgl. - juris Rn. 14).

16Insoweit hat die Antragsgegnerin geltend gemacht, dass sie sich auf dringenden ärztlichen Rat während des Klinikaufenthalts nicht mit "prozessualen Entscheidungen belasten" sollte und zur Glaubhaftmachung eine eigene eidesstattliche Versicherung vorgelegt. Das Beschwerdegericht wird nunmehr in tatrichterlicher Verantwortung darüber zu befinden haben, ob dies bereits zur Glaubhaftmachung ausreicht oder ob von der Antragsgegnerin weitere aussagekräftige Nachweise - insbesondere ärztliche Bescheinigungen - beizubringen sind.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:120619BXIIZB432.18.0

Fundstelle(n):
NJW 2019 S. 9 Nr. 36
NJW-RR 2019 S. 1394 Nr. 22
UAAAH-27169