Behandlung von Anträgen auf Terminsverlegung - Gewährleistungsfunktion der mündlichen Verhandlung - rechtliches Gehör
Gesetze: § 62 SGG, § 110 Abs 1 SGG, § 111 Abs 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 202 SGG, Art 103 Abs 1 GG, § 227 Abs 1 ZPO
Instanzenzug: Az: S 13 R 129/10 Gerichtsbescheidvorgehend Hessisches Landessozialgericht Az: L 5 R 536/11 Urteil
Gründe
1I. Die Beteiligten streiten in der Hauptsache um die Gewährung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach dem SGB VI.
2Mit Verfügung vom hat das LSG den zunächst für den bestimmten Termin zur mündlichen Verhandlung "wegen Verhinderung des Klägers" auf den verlegt, nachdem dieser zuvor mit Telefax vom mitgeteilt hatte, dass der Termin vom LSG mit Schreiben vom zu kurzfristig angesetzt worden sei. Er habe "unverschiebbare medizinische Kliniktermine".
3Mit Telefax vom hat der Kläger ausgeführt, dass er zur Zeit und bis arbeitsunfähig erkrankt sei. Den Termin am werde er kaum wahrnehmen können. Eine erneute, längerfristige Verlegung des Termins erscheine unausweichlich.
4Mit Schreiben vom hat das LSG dem Kläger mitgeteilt, dass sein persönliches Erscheinen zum Termin nicht angeordnet worden sei und er deshalb nicht zu erscheinen brauche. Ferner hat es den Kläger darüber unterrichtet, dass eine Verlegung des Termins nur möglich sei, wenn er seine Arbeitsunfähigkeit ärztlich nachweise.
5Unter Bezugnahme auf dieses Schreiben hat der Kläger mit Telefax vom eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Ausfertigung zur Vorlage bei der Krankenkasse) der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie I. L. vom mit verschlüsseltem Diagnosenachweis übersandt, nach der er noch voraussichtlich bis einschließlich arbeitsunfähig sei.
6Daraufhin hat das LSG unter dem Termin zur mündlichen Verhandlung auf den bestimmt und den Kläger um "Bestätigung" dieses Termins gebeten.
7Mit Telefax vom hat der Kläger "wunschgemäß" den Termin bestätigt. Zugleich hat er darauf hingewiesen, dass er aber nicht sagen könne, wie sich sein Gesundheitszustand bis zum neuen Termin entwickele. Dem Schreiben hat er eine am ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Ausfertigung zur Vorlage bei der Krankenkasse) der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie I. L. mit verschlüsseltem Diagnosenachweis beigefügt, nach der er voraussichtlich bis einschließlich arbeitsunfähig sei.
8Nach der am durch Niederlegung beim Amtsgericht Kassel nach § 63 Abs 2 SGG iVm § 181 ZPO zugestellten Ladung vom zum Termin zur mündlichen Verhandlung am hat der Kläger mit Telefax vom unter Vorlage einer weiteren Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Ausfertigung zur Vorlage bei der Krankenkasse) der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie I. L. mit verschlüsseltem Diagnosenachweis mitgeteilt, dass er an dem Termin nicht teilnehmen könne. Aus der vom Kläger übersandten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom ergibt sich, dass dieser voraussichtlich bis einschließlich arbeitsunfähig sei.
9Mit Schreiben vom hat die Senatsvorsitzende dem Kläger mitgeteilt, dass es bei dem Termin am verbleibe. Es bleibe ihm aber unbenommen, bis zum Ende der Sitzung noch vorzutragen. Daraufhin hat der Kläger mit Telefax vom geantwortet, dass er nicht zum Termin erscheinen werde, da er nachweislich ernstlich erkrankt sei. Das "Attest" sei bereits vor drei Wochen übersandt worden. Er bestehe auf Terminsverlegung.
10Zur mündlichen Verhandlung am ist der Kläger nicht erschienen. Das LSG hat mit Urteil vom selben Tage den geltend gemachten Anspruch auf Gewährung einer stationären Leistung zur medizinischen Rehabilitation mit ausschließlich einzeltherapeutischer Behandlung verneint. Ferner hat es ausgeführt, es habe trotz des Ausbleibens des Klägers aufgrund mündlicher Verhandlung entscheiden können, weil die Ladung einen entsprechenden Zusatz enthalten habe (§ 153 Abs 1 iVm § 110 Abs 1 SGG) und das persönliche Erscheinen des Klägers zur mündlichen Verhandlung nicht angeordnet gewesen sei (§ 153 Abs 1 iVm § 111 Abs 1 SGG). Erhebliche Gründe, die eine Terminsverlegung geboten hätten, seien vom Kläger nicht glaubhaft gemacht worden (§ 202 SGG iVm § 227 Abs 1 ZPO). Zum Nachweis einer zur Verhandlungs- und/oder Reiseunfähigkeit führenden Erkrankung sei die Vorlage eines Attests notwendig, aus dem sich entweder die Verhandlungs- bzw Reiseunfähigkeit ergebe oder das eine so genaue Schilderung der Erkrankung und ihres Schweregrades enthalte, die es dem Gericht ermögliche, selbst zu beurteilen, ob das Erscheinen im Termin erwartet werden könne oder nicht. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zur Vorlage bei einer Krankenkasse mit verschlüsseltem Diagnosenachweis genüge diesen Anforderungen nicht (Hinweis auf ).
11Mit der Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger eine Verletzung seines rechtlichen Gehörs. Vorliegend sei vom LSG mit der Ladung vom sein persönliches Erscheinen zur mündlichen Verhandlung am angeordnet worden. Er habe mit Telefax vom 26.10. und seine begründete Verhinderung durch Erkrankung mitgeteilt. Daher habe er darauf vertrauen dürfen, dass er vor einer Entscheidung des Gerichts Gelegenheit zu einer weiteren Äußerung erhalte, insbesondere da er ausdrücklich einen weiteren Verlegungsantrag wegen Erkrankung durch Nachweis einer entsprechenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erbracht habe.
12II. Auf die Beschwerde des Klägers war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
13Der Kläger hat formgerecht (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG) und auch in der Sache zutreffend die Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) gerügt (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
14Der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet, den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Wird aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, muss den Beteiligten unabhängig davon, ob sie die Möglichkeit zur schriftlichen Vorbereitung des Verfahrens genutzt haben, Gelegenheit gegeben werden, ihren Standpunkt in einer mündlichen Verhandlung darzulegen (BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 4 S 5). Dabei ist dem Anspruch auf rechtliches Gehör in der Regel dadurch genügt, dass das Gericht die mündliche Verhandlung anberaumt (§ 110 Abs 1 S 1 SGG), der Beteiligte ordnungsgemäß geladen und die mündliche Verhandlung zu dem festgesetzten Zeitpunkt eröffnet wird (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 33; - Juris RdNr 16).
15Grundsätzlich stellt zwar allein der Umstand, dass ein Beteiligter außer Stande ist, zur mündlichen Verhandlung zu erscheinen, und dies vorher mitteilt, noch keinen zwingenden Grund für eine Terminsverlegung dar (Senatsbeschluss vom - B 13 RJ 55/02 B - Juris RdNr 9; - Juris RdNr 11; Senatsbeschluss vom - B 13 R 277/08 B - Juris RdNr 14). Dies gilt insbesondere dann, wenn das Gericht auf die Möglichkeit hingewiesen hat, dass bei Fernbleiben eines Beteiligten nach Lage der Akten entschieden werden kann (vgl dazu § 110 Abs 1 S 2 SGG).
16Ein Termin zur mündlichen Verhandlung kann - und ggf muss - jedoch gemäß § 202 SGG iVm dem entsprechend anwendbaren § 227 Abs 1 S 1 ZPO bei Vorliegen erheblicher Gründe aufgehoben werden, selbst wenn das persönliche Erscheinen des Klägers nicht angeordnet worden ist (vgl B 11a/11 AL 261/04 B - Juris RdNr 10; Senatsbeschluss vom - B 13 R 277/08 B - Juris RdNr 15). Ein iS des § 227 Abs 1 S 1 ZPO ordnungsgemäß gestellter Verlegungsantrag mit einem hinreichend substantiiert geltend und ggf glaubhaft gemachten Terminsverlegungsgrund begründet grundsätzlich eine entsprechende Pflicht des Gerichts zur Terminsverlegung (BSG SozR 3-1750 § 227 Nr 1 S 2; - Juris RdNr 16 und vom - B 9 SB 5/02 R - Juris RdNr 11). Die Behandlung von Anträgen auf Terminsverlegung hat dabei der zentralen Gewährleistungsfunktion der mündlichen Verhandlung für den Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör zu genügen (vgl hierzu BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 33 S 58).
17Der Kläger hat in seinem Telefax vom darauf hingewiesen, dass er wegen Krankheit auch zum Termin am nicht erscheinen könne, er aber an der mündlichen Verhandlung teilnehmen wolle (zur Anerkennung von Krankheit als erheblichen Grund iS des § 227 Abs 1 S 1 ZPO: ; ; ; B 11a/11 AL 261/04 B; alle veröffentlicht in Juris; vgl auch BSG SozR 1750 § 227 Nr 2). Dieses Ansinnen hat er mit Telefax vom bekräftigt.
18Der Kläger hat mit Telefax vom eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Ausfertigung zur Vorlage bei der Krankenkasse) der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie I. L. mit verschlüsseltem Diagnosenachweis bis einschließlich übersandt. Zwar mag er mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, in der die Diagnosen nur verschlüsselt ausgewiesen werden, seine Erkrankung nicht in dem Maße belegt haben, dass das LSG in die Lage versetzt worden ist, selbst zu beurteilen, ob aufgrund der Schwere der Erkrankung ein erheblicher Grund vorliegt, der zur Verhandlungsunfähigkeit führt (vgl BSG SozR 4-1500 § 110 Nr 1 RdNr 12 bei kurzfristig gestellten Anträgen auf Terminsverlegung wegen Verhandlungsunfähigkeit; vgl auch - Juris RdNr 7; - Juris RdNr 8). Da er jedoch zuvor bereits eine entsprechende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt hatte und das LSG daraufhin seinem Antrag auf Verlegung des Termins vom nachgekommen war, hatte der nicht rechtskundig vertretene Kläger damit jedenfalls aus seiner Sicht alles getan, um das LSG von der Notwendigkeit zu überzeugen, auch den Termin am zu verlegen, um ihm eine Teilnahme zu ermöglichen.
19Sofern dennoch Zweifel bestanden, ob dem Kläger aufgrund einer Erkrankung eine Teilnahme an diesem Verhandlungstermin unmöglich sei, hätte das LSG bzw die Senatsvorsitzende entweder den Kläger zur (weiteren) Glaubhaftmachung seines Vortrags durch Vorlage eines detaillierten ärztlichen Attests auffordern (vgl § 202 S 1 SGG iVm § 227 Abs 2 ZPO) oder - mit Zustimmung des Klägers - selbst eine Stellungnahme der behandelnden Ärztin über das Ausmaß und die Umstände der Erkrankung des Klägers einholen müssen. Der erstmals in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils erfolgte Hinweis, dass eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zur Vorlage bei einer Krankenkasse mit verschlüsseltem Diagnosenachweis nicht (mehr) den Anforderungen an eine Glaubhaftmachung für das Vorliegen einer eine (erneute) Terminsverlegung rechtfertigenden Erkrankung genüge, reicht vorliegend jedenfalls nicht aus. Vielmehr hätte das Berufungsgericht bzw die Senatsvorsitzende den Kläger hierauf vor dem Termin hinweisen und diesen ggf um Substantiierung oder weiteren Nachweis bitten müssen. Dies gilt hier umso mehr, als dass der nicht rechtskundig vertretene Kläger mit Blick auf den Verfahrensablauf davon ausgehen durfte, dass - wie zuvor auch - eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit verschlüsseltem Diagnosenachweis zur Glaubhaftmachung eines Verlegungsantrags wegen Erkrankung ausreiche. Allein die Mitteilung der Senatsvorsitzenden vom , dass es bei dem Termin am verbleibe, dem Kläger aber unbenommen bleibe, bis zum Ende der Sitzung vorzutragen, genügt vor diesem Hintergrund nicht. Denn der Kläger hat nochmals mit Telefax vom auf sein krankheitsbedingtes Nichterscheinen zum Termin unter Bezugnahme auf die von ihm bereits mit Telefax vom übersandte Bescheinigung hingewiesen.
20Objektivierbare Umstände, die darauf hindeuten könnten, dass der Antrag des Klägers auf Terminsverlegung durch die Absicht der Prozessverschleppung getragen sein könnte (vgl hierzu - Juris RdNr 18; - Juris RdNr 6; - Juris RdNr 5), sind weder vom LSG festgestellt noch nach Aktenlage ersichtlich. Die Nichtverlegung des Termins stellt sich deshalb als Verstoß gegen die Verpflichtung des Berufungsgerichts zur Gewährung rechtlichen Gehörs dar.
21Die angefochtene Entscheidung kann auf diesem Verfahrensmangel beruhen. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger in der Tat am krankheitsbedingt verhandlungsunfähig war. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, die einen Verfahrensbeteiligten daran gehindert hat, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, die daraufhin ergangene Entscheidung beeinflusst hat; einer Angabe, welches Vorbringen durch das beanstandete Verfahren verhindert worden ist, bedarf es nicht (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 33 S 62; - Juris RdNr 13; Senatsbeschluss vom - B 13 R 277/08 B - Juris RdNr 18; Senatsbeschluss vom - B 13 R 561/09 B - Juris RdNr 15).
22Gemäß § 160a Abs 5 SGG kann das BSG in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen. Zur Vermeidung weiterer Verfahrensverzögerungen macht der Senat von dieser ihm eingeräumten Möglichkeit Gebrauch.
23Das Berufungsgericht wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2013:241013BB13R5913B0
Fundstelle(n):
LAAAH-26806