BSG Beschluss v. - B 3 P 5/14 B

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Fehlen von Entscheidungsgründen - Überschreiten der Fünf-Monats-Frist zur Urteilsabsetzung - Verfahrensmangel - Zurückverweisung

Gesetze: § 136 Abs 1 Nr 6 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 5 SGG, § 202 SGG, § 547 Nr 6 ZPO

Instanzenzug: SG Osnabrück Az: S 14 P 30/10 Urteilvorgehend Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Az: L 15 P 86/11 Urteil

Gründe

1I. Die 1999 geborene Klägerin leidet an insulinpflichtigem Diabetes mellitus Typ I. Seit dem bezog sie Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I. Mit Wirkung zum hob die beklagte Pflegekasse die Leistungsbewilligung nach § 48 SGB X auf, weil der Grundpflegebedarf der Klägerin entwicklungsbedingt nicht mehr den für die Pflegestufe I erforderlichen Mindestwert von "mehr als 45 Minuten" (§ 15 Abs 2 und Abs 3 S 1 Nr 1 SGB XI) erreiche (Bescheid vom , Widerspruchsbescheid vom ). Sie berief sich dazu auf zwei Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom und . Das SG hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen (Urteil vom ). Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom ). Das nach der mündlichen Verhandlung am ergangene Urteil ist nach Unterzeichnung durch die beteiligten Richter am zur Geschäftsstelle des Landessozialgerichts (LSG) gelangt und der Klägerin am zugestellt worden.

2Die Klägerin wendet sich gegen die Nichtzulassung der Revision mit der Rüge eines Verfahrensfehlers (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Das Berufungsurteil sei nicht innerhalb der am endenden Fünf-Monats-Frist in unterschriebener Form zur Geschäftsstelle gelangt und verfüge damit - fiktiv - nicht über die erforderlichen Entscheidungsgründe, was einen Verstoß gegen § 136 Abs 1 Nr 6 SGG sowie § 202 SGG iVm § 547 Nr 6 ZPO darstelle.

3II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Der Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass die Beschwerde schon am , also eine Woche vor der Zustellung des Berufungsurteils, eingelegt worden ist, weil die Nichtzulassung der Revision als Bestandteil des am verkündeten Urteilstenors seit diesem Zeitpunkt feststand (vgl Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 160a RdNr 7). Das angefochtene beruht auf einem Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG. Daher ist die Entscheidung aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen (§ 160a Abs 5 SGG).

4Nach § 547 Nr 6 ZPO, der über § 202 SGG auch in sozialgerichtlichen Verfahren gilt, iVm § 136 Abs 1 Nr 6 SGG ist eine Entscheidung stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen, wenn sie nicht mit Gründen versehen ist. Das Fehlen von Entscheidungsgründen liegt nach der Rechtsprechung vor, wenn ein Urteil nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt, von den beteiligten Berufsrichtern unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden ist ( GmS-OGB 1/92 - SozR 3-1750 § 551 Nr 4; BSG SozR 4-1500 § 120 Nr 1 RdNr 4 mwN).

5Die Überschreitung der Fünf-Monats-Frist hat die Klägerin ordnungsgemäß gerügt. Ein solcher Verfahrensmangel ist dann hinreichend bezeichnet, wenn das Datum der Niederlegung konkret benannt und dargelegt wird, dass diese Datumsangabe sich auf eigene Nachforschungen stützt (BSG, aaO, RdNr 6 mwN). Die Klägerin hat in ihrer Beschwerdebegründung ausgeführt, dass die Fünf-Monats-Frist am geendet habe und die Übergabe der angefochtenen Entscheidung zu einem späteren Zeitpunkt außerhalb der Frist liege. Eine telefonische Nachfrage bei der zuständigen Geschäftsstelle am habe ergeben, dass das Urteil noch nicht vorliege. Damit ist den Darlegungserfordernissen Genüge getan.

6Das LSG hat die Fünf-Monats-Frist nicht eingehalten. Das angefochtene Urteil ist am verkündet und erst am der Geschäftsstelle übergeben worden. Die Fünf-Monats-Frist endete hingegen am . Dieser Tag war ein Sonntag. Ob dies in Analogie zu § 64 Abs 3 SGG, § 222 Abs 2 ZPO oder § 222 Abs 1 ZPO iVm § 193 BGB zu einer Fristverlängerung bis zum (Montag) führt (ablehnend der 2. Senat des - SozR 4-1750 § 547 Nr 2, ebenso BAGE 93, 360), kann im vorliegenden Fall offenbleiben, weil das Urteil ohnehin erst am (Dienstag) zur Geschäftsstelle gelangt ist.

7Der Senat macht von der Möglichkeit des § 160a Abs 5 SGG Gebrauch, auf die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil wegen des festgestellten Verfahrensfehlers aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Der Ausgang des Verfahrens hängt unter anderem von einer Beweiswürdigung ab, die dem LSG obliegt.

8Über die Frage der Kostenentscheidung im Beschwerdeverfahren wird das LSG im Rahmen der erneuten Berufungsentscheidung zu befinden haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2014:180614BB3P514B0

Fundstelle(n):
QAAAH-25507