BSG Beschluss v. - B 5 R 66/11 B

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Vertretungszwang vor dem Bundessozialgericht - kein Verstoß gegen Art 47 Abs 2 S 2 EUGrdRCh

Gesetze: § 73 Abs 4 SGG, § 166 SGG, Art 47 Abs 2 S 2 EUGrdRCh

Instanzenzug: Az: S 20 R 907/07vorgehend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Az: L 4 R 219/10 Urteil

Gründe

1Mit Urteil vom hat das LSG Berlin-Brandenburg die Versagung einer Erwerbsminderungsrente wegen fehlender Mitwirkung bestätigt.

2Dagegen hat die Klägerin mit Faxschreiben vom "unter Verweis auf Art. 47 der Charta der Europäischen Union" Nichtzulassungsbeschwerde zum BSG eingelegt und gleichzeitig gebeten zu berücksichtigen, "dass - ggf. Beiordnung eines Anwalts auch ohne ausdrücklichen Antrag erfolgen kann". Letzteres fasst der Senat als sinngemäßen Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) zum Zwecke der Beiordnung eines Rechtsanwalts für das Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision im og Urteil des LSG auf. Denn nach Art 47 Abs 3 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EUGrdRCh), auf die die Klägerin ausdrücklich hinweist, wird Personen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, PKH bewilligt, soweit diese Hilfe erforderlich ist, um den Zugang zu den Gerichten wirksam zu gewährleisten. Die angesprochene "Beiordnung eines Anwalts" setzt die Bewilligung von PKH voraus (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).

3Der Antrag auf PKH und Beiordnung eines Rechtsanwalts ist jedoch abzulehnen, weil es die Klägerin versäumt hat, die Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf dem hierfür vorgesehenen Vordruck (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG, § 117 Abs 3 ZPO iVm der Prozesskostenhilfevordruckverordnung vom <BGBl I 3001>) bis zum Ablauf der einmonatigen Beschwerdefrist (§ 160a Abs 1 Satz 2, § 64 Abs 2 SGG) am einzureichen (vgl zu diesem Erfordernis nur: BSG SozR 1750 § 117 Nr 1 und 3 sowie BVerfG SozR 1750 § 117 Nr 2 und 6). Hierüber ist sie in den zutreffenden Erläuterungen zur PKH im Urteil des LSG ausdrücklich belehrt worden.

4Die Beschwerde ist ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbs 2 iVm § 169 SGG), weil sie nicht formgerecht eingelegt worden ist. Die Klägerin konnte, worauf sie in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils ausdrücklich hingewiesen worden ist, die Beschwerde nur wirksam durch zugelassene Prozessbevollmächtigte einlegen lassen (§ 73 Abs 4 SGG). Dieser Vertretungszwang verstößt nicht gegen Art 47 Abs 2 Satz 2 EUGrdRCh, wonach sich jede Person vor Gericht beraten, verteidigen und vertreten lassen "kann". Denn diese Kann-Vorschrift versperrt den Mitgliedstaaten keinesfalls die Möglichkeit, vor ihren obersten Gerichtshöfen einen Vertretungszwang vorzuschreiben ( - BFH/NV 2010, 2095; Alber in Tettinger/Stern, Kölner Gemeinschaftskommentar zur Europäischen Grundrechte-Charta, 2006, Art 47 RdNr 72; Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Kommentar, 2010, Art 47 RdNr 46; auch vor dem EuGH besteht ein Vertretungszwang, vgl Art 19 Abs 3 Satzung EuGH sowie Art 58 Verfahrensordnung des Gerichtshofes).

5Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2011:050411BB5R6611B0

Fundstelle(n):
EAAAH-25229