BFH Beschluss v. - XI R 14/17

Zum Beweiswert eines „Freistempler"-Aufdrucks mit Datumsanzeige

Leitsatz

NV: Dem „Freistempler"-Aufdruck kommt eine geringere Beweis-kraft zu als dem Poststempel. Die Freistempelung des Briefes besagt lediglich, dass die Sendung versandfertig gemacht worden, nicht aber, dass es auch tatsächlich zur rechtzeitigen Versendung gekommen ist.

Gesetze: FGO §§ 56 Abs. 1 und Abs. 2, 120 Abs. 1 Satz 1, 126, 155 Satz 1; ZPO § 85

Instanzenzug: (EFG 2017, 703), ,

Verfahrensstand: Diese Entscheidung ist rechtskräftig

Tatbestand

1 I. Die Klage der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer GbR, wegen Umsatzsteuer 2013 war erfolglos (, abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2017, 703).

2 Das Urteil des FG ist den Beteiligten am durch Empfangsbekenntnis zugestellt worden. Die Revisionsbegründungsschrift ist am Freitag, den , beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen. Der Freistempel auf dem Briefumschlag der Revisionsbegründungsschrift weist als Datum den aus. Nachdem die Geschäftsstelle des XI. Senats des BFH den Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom auf die verspätet eingegangene Begründung der Revision hingewiesen hat (zugestellt mit Zustellungsurkunde am ), beantragte die Klägerin mit Schreiben vom (beim BFH eingegangen am ) die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Gründe

3 II. Die Revision ist unzulässig. Die Klägerin hat die Frist zur Begründung der Revision versäumt. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht zu gewähren.

4 1. Nach § 120 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision beim BFH innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich einzulegen und spätestens innerhalb eines weiteren Monats zu begründen.

5 Im Streitfall ist die Begründung der Revision verspätet beim BFH eingegangen. Das ist am per Empfangsbekenntnis zugestellt worden. Erst am reichte die Klägerin die Begründung der Revision beim BFH ein.

6 2. Die mit Schriftsatz vom beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden. Die Voraussetzungen sind nicht glaubhaft gemacht worden.

7 a) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 Abs. 1 FGO kann auf Antrag gewährt werden, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Hiernach schließt jedes Verschulden —also auch einfache Fahrlässigkeit— die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (ständige Rechtsprechung, s. z.B. BFH-Beschlüsse vom X B 156/01, BFH/NV 2002, 1461, unter II.1.; vom XI R 22/17, BFH/NV 2018, 961, Rz 15). Der Beteiligte muss sich ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der ZivilprozessordnungZPO—).

8 Wiedereinsetzung erfordert in formeller Hinsicht, dass innerhalb einer Frist von einem Monat (§ 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO) nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb dieser Frist vollständig (alle entscheidungserheblichen Umstände), substantiiert und in sich schlüssig darzulegen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom XI B 186/02, BFH/NV 2003, 1589, unter 2.a; vom II R 16/11, BFH/NV 2012, 593, unter II.1., m.w.N.; vom XI R 13/12, BFH/NV 2013, 60, Rz 13; , BFH/NV 2017, 885, Rz 21).

9 b) Dem Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lässt sich eine vollständige und substantiierte Darlegung der Tatsachen, aus denen sich die schuldlose Verhinderung der Fristeinhaltung ergibt, nicht entnehmen.

10 aa) Die Klägerin stützt sich mit ihrem Vortrag darauf, dass sie als Postkunde darauf vertrauen konnte, dass zur Fristeinhaltung gegenüber Behörden und Gerichten eine Zustellung am nächsten Werktag erfolge. Da sie die Revisionsbegründungsschrift am zur Post aufgegeben habe —dies belege der Stempel mit Datum auf dem Briefumschlag der Sendung—, hätte sie daher auf eine rechtzeitige Übermittlung der Revisionsbegründungsschrift vertrauen können.

11 bb) Der Steuerpflichtige darf zwar darauf vertrauen, dass die von der Post nach ihren organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen für den Normalfall festgelegten Postlaufzeiten eingehalten werden. Werden sie überschritten, darf dem Steuerpflichtigen dieser Umstand, da er darauf keinen Einfluss hat, im Rahmen der Wiedereinsetzung nicht als Verschulden zur Last gelegt werden (vgl. , BFH/NV 1989, 351; vom III R 5/01, BFH/NV 2002, 778; vom VIII R 10/05, BFHE 214, 18, BStBl II 2007, 96, jeweils m.w.N.; vom VIII R 36/04, BFHE 223, 166, BStBl II 2009, 190, unter B.I.2., Rz 31). Zwar kann man daher darauf vertrauen, dass werktags im Bundesgebiet aufgegebene Postsendungen unabhängig davon, ob sie bei der Deutschen Post AG oder bei privaten lizenzierten Postdienstleistungsunternehmen aufgegeben werden, am folgenden Werktag im Bundesgebiet ausgeliefert werden (vgl. BFH-Urteil in BFHE 223, 166, BStBl II 2009, 190, unter B.I.2., Rz 31, m.w.N.). Dies setzt aber voraus, dass der streitige Schriftsatz rechtzeitig zur Post aufgegeben worden ist. Dies hat die Klägerin nicht substantiiert und vollständig dargelegt.

12 cc) Soweit sich die Klägerin darauf bezieht, dass die rechtzeitige Aufgabe zur Post durch den Stempel auf dem Briefumschlag der Revisionsbegründungsschrift nachgewiesen wurde, kann dem nicht gefolgt werden. Dem „Freistempler"-Aufdruck (mit Datum „“ und Werbeteil des Prozessbevollmächtigten) kommt eine geringere Beweiskraft zu als dem Poststempel (vgl. BFH-Beschlüsse vom VIII R 261/84, BFH/NV 1986, 30, unter 2.; vom I B 22/97, juris, Rz 3; vom III B 134/01, juris, Rz 5; , BFH/NV 2002, 358, unter II.2.b aa). Die Freistempelung des Briefes besagt lediglich, dass die Sendung versandfertig gemacht worden ist, nicht aber, dass es auch tatsächlich zur rechtzeitigen Versendung gekommen ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom I B 40/04, juris, Rz 8; vom III B 134/01, juris, Rz 5).

13 dd) Im Rahmen eines Wiedereinsetzungsantrags nach § 56 Abs. 2 FGO bedarf es daher einer weiteren Darlegung und Glaubhaftmachung, wann ein Schriftstück zur Post gegeben worden ist. Insbesondere sind Angaben dazu erforderlich, wann (Tag, Uhrzeit) und von wem die Sendung in welcher Weise (Einwurf in einem bestimmten Briefkasten oder Abgabe bei einer bestimmten Postfiliale) zur Post gegeben wurde (vgl. BFH-Beschlüsse vom I R 13/96, BFH/NV 1997, 120; vom VIII R 53/93, BFH/NV 1994, 645; vom I B 22/97, juris, Rz 3; vom I B 40/04, juris, Rz 7; BFH-Urteile in BFH/NV 2002, 358, unter II.2.b aa; in BFH/NV 2017, 885, Rz 22). Solche Angaben sind anhand geeigneter (präsenter) Beweismittel, wie z.B. einer eidesstattlichen Versicherung, einem Postausgangsbuch und einem Fristenkontrollbuch glaubhaft zu machen (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 1986, 30, unter 2.; BFH-Urteil in BFH/NV 2017, 885, Rz 22, m.w.N.). Dies hat die Klägerin unterlassen.

14 Nach Ablauf der Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO können wesentliche Lücken in der Darstellung nicht mehr geschlossen, Widersprüche nicht mehr beseitigt, nachträglich vielmehr allenfalls Erläuterungen gegeben werden (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 358; BFH-Beschlüsse vom X R 95/93, BFH/NV 1997, 40, m.w.N.; vom VIII B 146/09, BFH/NV 2011, 1366, Rz 6; vom III B 36/14, BFH/NV 2015, 505, Rz 13; s.a. Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 56 FGO Rz 18, m.w.N.). Dieser Begründungspflicht sind die Prozessbevollmächtigten hier in mehrfacher Hinsicht nicht nachgekommen; dies muss sich die Klägerin gemäß § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen (s. BFH-Beschlüsse vom VI R 36/99, BFH/NV 2000, 470; vom I B 136/99, BFH/NV 2000, 1108; vom XI B 107/16, BFH/NV 2017, 1412, Rz 36). Die Prozessbevollmächtigten haben in diesem Sinne weder vorgetragen wer zu welcher Zeit und in welcher Weise das fristgebundene Revisionsbegründungsschreiben zur Post gegeben hat noch wurden präsente Beweismittel hierzu beigebracht.

15 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2019:B.150519.XIR14.17.0

Fundstelle(n):
BB 2020 S. 2267 Nr. 41
BFH/NV 2019 S. 923 Nr. 9
DStR 2019 S. 12 Nr. 30
StuB-Bilanzreport Nr. 16/2019 S. 646
XAAAH-23030