Unterbringung in einer Entziehungsanstalt oder in der Sicherungsverwahrung: Indizien für einen Hang zum Betäubungsmittelkonsum; symptomatischer Zusammenhang zwischen Hang und Anlasstat; Absehen von einer Anordnung der Sicherungsverwahrung
Gesetze: § 64 StGB, § 66 StGB, § 72 StGB
Instanzenzug: LG Arnsberg Az: 2 KLs 12/18
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen schweren Raubes zu der Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I.
2Nach den Feststellungen konsumierte der Angeklagte, der im September 2016 nach vollständiger Verbüßung einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren aus der Strafhaft entlassen worden war, über Monate hinweg Heroin, das er in täglichen Mengen von ca. 0,2 bis 0,3 Gramm rauchte. Seinen Heroinkonsum finanzierte er unter anderem durch Ladendiebstähle. Am beging der Angeklagte unter Verwendung einer Luftdruckpistole, über deren Ladungszustand keine Feststellungen getroffen werden konnten, einen Überfall auf einen Lebensmittelmarkt, bei dem er 710 Euro erbeutete. Nach seiner Festnahme am wurde der Angeklagte in der Untersuchungshaft auf die Gabe von Methadon eingestellt, wobei die zunächst verabreichte tägliche Dosis während der Hauptverhandlung angehoben wurde.
II.
3Der Maßregelausspruch hat keinen Bestand, weil das Landgericht die Voraussetzungen einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB nicht mit tragfähiger Begründung verneint hat.
41. Für einen Hang gemäß § 64 StGB ausreichend ist eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer psychischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Konsum von Rauschmitteln ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betroffene aufgrund seiner Neigung sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 482/15, NStZ-RR 2016, 113; vom - 4 StR 311/12, RuP 2013, 34 f.). Letzteres ist der Fall bei der Begehung von zur Befriedigung des eigenen Drogenkonsums dienenden Beschaffungstaten (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 276/18, StV 2019, 261; vom - 3 StR 103/15 Rn. 5; Urteil vom - 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210). Dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum die Gesundheit sowie die Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betroffenen beeinträchtigt sind, kommt nur indizielle Bedeutung zu. Das Fehlen solcher Beeinträchtigungen schließt die Bejahung eines Hangs nicht aus (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 482/15 aaO; vom - 4 StR 311/12 aaO; vom - 5 StR 87/12, NStZ-RR 2012, 271). Ebenso wenig ist für einen Hang erforderlich, dass beim Täter bereits eine Persönlichkeitsdepravation eingetreten ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 408/16 Rn. 6; vom - 1 StR 482/15 aaO; vom - 4 StR 318/07, NStZ-RR 2008, 8).
52. Die beweiswürdigenden Erwägungen der Strafkammer, die der Ablehnung eines Hangs des Angeklagten zum übermäßigen Konsum von Heroin zugrunde liegen, halten unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. , BGHSt 29, 18, 20 f.; vgl. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 337 Rn. 26 ff. mwN) einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Sie sind unvollständig und weisen einen nicht auflösbaren Widerspruch auf.
6Das Landgericht hat dem psychiatrischen Sachverständigen folgend eine Heroinabhängigkeit sowie eine rauschmittelbedingte Depravation beim Angeklagten ausgeschlossen und auch einen Hang im Sinne einer eingewurzelten Neigung, Heroin im Übermaß zu konsumieren, verneint. Dabei hat es in seine Überlegungen weder einbezogen, dass der Angeklagte nach seiner Inhaftierung durchgängig bis zur Hauptverhandlung mit Methadon substituiert wurde, noch dass er seinen Heroinkonsum unter anderem durch Straftaten finanzierte. Sowohl die Substitutionsbehandlung über einen längeren Zeitraum als auch die Begehung von Beschaffungsdelikten stellen aber Umstände dar, die indiziell für einen Hang des Angeklagten zum Betäubungsmittelkonsum sprechen können. Des Weiteren ist die Strafkammer im Rahmen ihrer Begründung der Maßregelentscheidung davon ausgegangen, nicht feststellen zu können, dass der Raubüberfall am zumindest auch der Versorgung mit Suchtmitteln diente. Demgegenüber hat sie dem Angeklagten bei der Strafzumessung zugutegehalten, dass die Beschaffung von finanziellen Mitteln zum Betäubungsmittelerwerb Motiv der Tat war. Dieser Widerspruch bei der Bewertung der Motivation der Anlasstat wird durch die weiteren Urteilsausführungen nicht aufgelöst.
73. Der Senat kann auf der Grundlage der bisherigen Urteilsfeststellungen nicht ausschließen, dass die sonstigen Voraussetzungen einer Unterbringung nach § 64 StGB vorliegen. Insbesondere wird - entgegen der Ansicht der Strafkammer - der erforderliche symptomatische Zusammenhang zwischen dem Hang einerseits und Anlasstat sowie künftiger Gefährlichkeit des Täters andererseits grundsätzlich nicht dadurch in Frage gestellt, dass außer dem Hang noch weitere Persönlichkeitsmängel des Täters eine Disposition für die Begehung von Straftaten begründen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 132/18, NStZ-RR 2018, 273, 274; vom - 2 StR 28/07, NStZ-RR 2007, 171, 172; vom - 3 StR 393/99, BGHR StGB § 64 Zusammenhang, symptomatischer 2). Denn für einen solchen Zusammenhang reicht es aus, dass der Hang zum Drogenkonsum neben anderen Umständen mit dazu beigetragen hat, dass der Täter erhebliche rechtswidrige Taten begangen hat und dies bei unverändertem Konsumverhalten für die Zukunft zu besorgen ist (vgl. aaO). Von einer kriminalitätsfördernden Wirkung des Heroinkonsums des Angeklagten ist der Sache nach auch das Landgericht ausgegangen, indem es im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose nach § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB in Verbindung mit § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB den Betäubungsmittelmissbrauch als weiteren ernsthaften Risikofaktor angesehen hat, der prognostisch ungünstig zu Buche schlägt.
84. Die nicht tragfähig begründete Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt entzieht mit Blick auf die Vorschrift des § 72 Abs. 1 und 2 StGB der an sich rechtsfehlerfrei getroffenen Maßregelanordnung nach § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB die Grundlage (vgl. , NStZ 2014, 203, 206; Beschluss vom - 3 StR 374/11, NStZ-RR 2012, 106).
95. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
10Liegen die Voraussetzungen sowohl für eine Unterbringung nach § 64 StGB als auch nach § 66 StGB vor, ist nach § 72 Abs. 1 und 2 StGB zu prüfen, ob nur eine oder beide Maßregeln anzuordnen sind. Dabei setzt ein Absehen von der Anordnung der Sicherungsverwahrung mit Blick auf die Unterbringung gemäß § 64 StGB ein hohes Maß an prognostischer Sicherheit voraus, dass die vom Angeklagten ausgehende Gefahr auf diese Weise beseitigt werden kann (st. Rspr.; vgl. nur aaO; vom - 4 StR 210/10 Rn. 18). Nach den bisherigen Urteilsausführungen zur Verhältnismäßigkeit der angeordneten Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung liegt dies fern.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:110419B4STR69.19.0
Fundstelle(n):
HAAAH-15398