BGH Beschluss v. - VII ZR 303/16

Sachverständigenbeweis Gehörsverletzung bei Nichtberücksichtigung des Antrags auf mündliche Anhörung des Sachverständigend; eigene Sachkunde des Gerichts zur Feststellung der anerkannten Regeln der Technik

Gesetze: Art 103 Abs 1 GG, § 286 ZPO, § 397 ZPO, § 402 ZPO

Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 29 U 134/16vorgehend LG Frankfurt Az: 2-20 O 359/14

Gründe

I.

1Der Beklagte errichtete eine Wohnungseigentumsanlage mit Tiefgarage. Die klagende Wohnungseigentümergemeinschaft begehrt - soweit jetzt noch von Interesse - einen Kostenvorschuss für die Beseitigung eines Mangels des Tiefgaragenbodens sowie die Feststellung der Ersatzpflicht für weitere hieraus entstehende Kosten und Schäden.

2Die Klägerin behauptet, der Aufbau des Tiefgaragenbodens und seine Entwässerung entspreche nicht den anerkannten Regeln der Technik. Zur Beseitigung des Mangels müsse insbesondere ein Oberflächenschutzsystem auf den Boden der Tiefgarage aufgebracht werden. Die Kosten für die Beseitigung des Mangels beliefen sich auf insgesamt 96.985 € brutto.

3Die Klägerin hat gegen den Beklagten ein selbständiges Beweisverfahren durchgeführt, in dem der Sachverständige D. ein schriftliches Gutachten nebst drei schriftlichen Ergänzungen vorgelegt hat.

4Das Landgericht hat den Mangel auf der Grundlage des Gutachtens für bewiesen erachtet und dem Klageantrag stattgegeben. Die Berufung des Beklagten, mit der er das Urteil in weitergehendem Umfang angefochten hatte, hat insoweit keinen Erfolg gehabt. Gegen die Nichtzulassung der Revision im Berufungsurteil wendet sich die Beschwerde des Beklagten, der nach Zulassung der Revision die Aufhebung dieser Verurteilung und Klageabweisung erreichen möchte.

II.

5Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und insoweit zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

6Das Berufungsgericht hat, wie die Beschwerde zu Recht rügt, den Anspruch des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt, indem es den in der Berufungsbegründung gestellten Antrag des Beklagten auf mündliche Anhörung des Sachverständigen D. zur Erläuterung seines Gutachtens übergangen hat.

71. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Die Vorschrift verlangt auch die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Dazu gehört der Antrag einer Partei auf mündliche Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen, und zwar auch des Sachverständigen aus einem vorausgegangenen selbständigen Beweisverfahren. Denn dieses Recht ist den Parteien nicht nur einfach-rechtlich nach §§ 397, 402 ZPO gewährt, sondern Teil ihres Grundrechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Die Nichtberücksichtigung eines solchen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (st. Rspr.; vgl. etwa Rn. 6 m.w.N., DWW 2017, 230).

82. So liegt es hier. Der Beklagte hat mit seiner Berufungsbegründung vom unter Verweis auf seinen Schriftsatz in erster Instanz vom eine Verletzung rechtlichen Gehörs durch das Landgericht gerügt, weil dieses seinen Antrag auf mündliche Anhörung des Sachverständigen übergangen habe. Damit hat der Beklagte zugleich ersichtlich an diesem Antrag auch für die Berufungsinstanz festgehalten, was außerdem dadurch bekräftigt wird, dass er abschließend unter anderem auf seine Anträge im Schriftsatz vom verwiesen hat.

9Das Berufungsgericht hat diesen Antrag weder in der angefochtenen Entscheidung erwähnt noch ist ersichtlich, warum es den Sachverständigen nicht angehört hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für die Frage, ob die Ladung eines Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung des von ihm erstatteten Gutachtens geboten ist, nicht darauf an, ob das Gericht noch Erläuterungsbedarf sieht oder ob zu erwarten ist, dass der Gutachter seine Auffassung ändert. Weiter ist unerheblich, ob das schriftliche Gutachten Mängel aufweist. Die Parteien haben zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs nach §§ 397, 402 ZPO einen Anspruch darauf, dass sie dem Sachverständigen die Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für wesentlich erachten, in einer mündlichen Anhörung stellen können. Dieses Antragsrecht der Parteien besteht unabhängig von § 411 Abs. 3 ZPO (vgl. Rn. 8 m.w.N., NJW-RR 2015, 510). Es ist nichts dafür ersichtlich, dass ein Ausnahmefall (vgl. hierzu , NJW-RR 2003, 208, juris Rn. 7) in Betracht käme, in dem das Berufungsgericht von einer solchen Anhörung trotz Antrags einer Partei absehen könnte.

103. Auf diesem Verfahrensverstoß beruht die angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichts, soweit sie mit der Beschwerde angefochten worden ist. Das Berufungsgericht stützt seine Verurteilung auch auf das schriftliche Sachverständigengutachten. Es ist nicht auszuschließen, dass es nach einer Anhörung des Sachverständigen zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.

III.

11Die Zurückverweisung und erneute Verhandlung gibt dem Berufungsgericht die Gelegenheit, sich auch mit den weiteren Einwänden der Nichtzulassungsbeschwerde gegen seine Ausführungen, mit denen es die Abweichung von allgemein anerkannten Regeln der Technik begründet hat, auseinanderzusetzen. Der Senat weist daraufhin, dass die Feststellung, welches die allgemein anerkannten Regeln der Technik sind, vom Gericht regelmäßig nur aufgrund sachverständiger Beratung getroffen werden kann (vgl. hierzu etwa Kniffka in Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 4. Auflage, 6. Teil Rn. 33 f. m.w.N.).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:060319BVIIZR303.16.0

Fundstelle(n):
KAAAH-13965