Instanzenzug: Az: 28 Ca 18056/15 Urteilvorgehend LArbG Berlin-Brandenburg Az: 8 Sa 1212/16 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten noch über Weihnachtsgeld.
2Die Beklagte ist ein Einzelhandelsunternehmen mit Sitz in Hamburg. In deren Berliner Vertriebsfiliale ist der Kläger als Verkäufer beschäftigt.
3Bis April 2008 war die Beklagte tarifgebundenes Mitglied im Landesverband des Hamburger Einzelhandels e.V., welcher mit der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di (bzw. vor deren Gründung mit der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft und der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen - HBV -) Tarifverträge mit einem Geltungsbereich für Einzelhandelsbetriebe auf dem Gebiet der Freien und Hansestadt Hamburg geschlossen hat. Sie ist - und war - nicht Mitglied des Handelsverbands Berlin-Brandenburg e.V. bzw. seines Rechtsvorgängers, der mit ver.di neben dem Manteltarifvertrag für den Berliner Einzelhandel (MTV Berlin) ua. den Tarifvertrag über Gehälter, Löhne und Ausbildungsvergütungen für den Berliner Einzelhandel (TV-GLA Berlin) vereinbart hat. Nach § 1 A. und B. MTV Berlin und dem gleich lautenden § 1 A. und B. TV-GLA Berlin (in ihren jeweils ab gültigen Fassungen) umfassen die Geltungsbereiche dieser Tarifverträge räumlich das Land Berlin und fachlich „alle Betriebe des Einzelhandels aller Branchen und Betriebsformen einschließlich Dach- bzw. Holdinggesellschaften von Einzelhandelsunternehmen sowie Hilfs- und Nebenbetriebe.“
4Die Vergütung der in der Filiale Berlin beschäftigten Arbeitnehmer - so auch die des Klägers - richtete sich nach der von der Beklagten mit dem dort errichteten Betriebsrat mit Wirkung zum geschlossenen „G Betriebsvereinbarung“ (BV 97). Diese lautet auszugsweise:
5Des Weiteren sind in § 15 BV 97 mehrere Gehaltsgruppen festgelegt, denen allgemeine Tätigkeitsmerkmale und die Aufzählung bestimmter beruflicher Funktionen vorangestellt sind. Jede Gehaltsgruppe enthält eine Tabelle, in der ausgehend vom „Tarif … laut HBV“ Nominalbeträge als Entgelte angeführt sind.
6Die Beklagte kündigte die BV 97 gegenüber dem Betriebsrat zum und stellte die an die Erhöhung der Tarifentgelte des Hamburger Einzelhandels anknüpfenden Entgeltsteigerungen ebenso wie die Weihnachts- und Urlaubsgeldzahlung ein. Mit seiner Klage hat der Kläger - soweit für die Revision noch von Bedeutung - die Zahlung des Weihnachtsgeldes 2015 verlangt und dies auf betriebsverfassungsrechtliche sowie individualvertragliche Erwägungen gestützt.
7Der Kläger hat - soweit in der Revision noch von Interesse - beantragt,
8Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
9Das Arbeitsgericht hat der - bei ihm noch andere Zahlungsbegehren umfassenden - Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen. Mit der vom Senat - beschränkt auf die Weihnachtsgeldzahlung - zugelassenen Revision begehrt der Kläger die teilweise Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Gründe
10Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage - soweit sie Gegenstand der Revision ist - zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf das Weihnachtsgeld 2015.
11I. Ein solcher Anspruch besteht nicht nach § 8 Unterabs. 2 der gekündigten BV 97. Diese Regelung entfaltet nach Beendigung der BV 97 keine Nachwirkung. Sie ist unwirksam. Das folgt daraus, dass sie sich auf die Gehaltstarifregelung des § 15 BV 97 bezieht, die ihrerseits - insoweit vom Kläger auch nicht mehr angegriffen - wegen Verstoßes gegen die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG unwirksam ist (vgl. dazu ausf. - Rn. 13 ff.). Die Unwirksamkeit der Gehaltstarifbestimmungen erfasst auch die Weihnachtsgeldfestlegung des § 8 Unterabs. 2 BV 97. Diese stellt ohne die Gehaltstarifregelung in § 15 BV 97 keine sinnvolle und in sich geschlossene, praktikable Bestimmung mehr dar. Das Weihnachtsgeld ist mit einem auf das Gehalt bezogenen prozentualen Anteil definiert („62,5 % des Gehaltes“). Mit „Gehalt“ haben die Betriebsparteien nicht an die individuelle Vergütung, sondern an das von ihnen in § 15 BV 97 ausgestaltete Gehalt angeknüpft. Für einen anderen Regelungswillen fehlt es an Anhaltspunkten. Ist aber § 15 BV 97 als Bezugspunkt der Weihnachtsgeldregelung unwirksam, betrifft dies zwangsläufig auch die Bezug nehmende Regelung. Damit kommt es nicht darauf an, ob § 8 Unterabs. 2 BV 97 seinerseits - wie der Kläger argumentiert - im Hinblick auf eine „Sonderzuwendungen“ betreffende Öffnungsklausel im MTV Berlin nicht gegen die Regelungssperre verstoßen würde (§ 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG).
12II. Ein Anspruch folgt gleichfalls nicht aus vertraglichen Gesichtspunkten.
131. Einen Anspruch aus seinem schriftlich niedergelegten Arbeitsvertrag macht der Kläger in der Revision nicht mehr geltend.
142. Sein Zahlungsbegehren ist nicht wegen einer im Zusammenhang mit der BV 97 einschließlich ihrer Regelungen der § 15, § 8 Unterabs. 1 und Unterabs. 2 - ggf. im Wege der Umdeutung nach § 140 BGB - anzunehmenden Gesamtzusage begründet. Dafür geben die Festlegungen der Präambel der BV 97 ebenso wenig her (vgl. ausf. - Rn. 25 ff., BAGE 161, 305) wie andere vom Kläger angeführte Umstände. Es handelt sich nicht um außerhalb der Betriebsvereinbarung liegende Umstände, die auf einen Verpflichtungswillen der Beklagten losgelöst von der normativen Geltung der BV 97 schließen lassen könnten.
153. Der Kläger vermag die noch streitbefangene Forderung nicht auf eine betriebliche Übung zu stützen. Die Entgeltzahlungen der Beklagten erfolgten - für den Kläger erkennbar - in Erfüllung einer vermeintlichen Verpflichtung aus der BV 97. Der Kläger konnte nicht berechtigterweise annehmen, dass sich die Beklagte zu einem entsprechenden Verhalten unabhängig vom Schicksal der BV 97 auf unbegrenzte Zeit verpflichten wollte.
164. Schließlich besteht kein Anspruch nach § 611 BGB iVm. den im Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsätzen. Zwar kann ein Arbeitnehmer nach der Rechtsprechung des Senats in Fortführung der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung bei einer unter Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG vorgenommenen Änderung der im Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsätze eine Vergütung auf der Grundlage der zuletzt mitbestimmungsgemäß eingeführten Entlohnungsgrundsätze fordern. Denn die im Arbeitsvertrag getroffene Vereinbarung über die Vergütung wird von Gesetzes wegen ergänzt durch die Verpflichtung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer nach den im Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsätzen zu vergüten (zB - Rn. 13). Vorliegend ist aber der Anwendungsbereich der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung nicht eröffnet. Ebenso wenig, wie diese Theorie Ansprüche auf der Grundlage eines mitbestimmungswidrig eingeführten Entgeltsystems vermittelt (dazu - Rn. 46 mwN, BAGE 158, 44), vermag sie Ansprüche auf ein vom Betriebsrat kompetenzwidrig (mit-)gestaltetes Entgelt zu begründen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2019:150119.U.1AZR291.17.0
Fundstelle(n):
XAAAH-11298