Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Anforderungen an die Beurteilung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit
Gesetze: § 20 StGB, § 63 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO
Instanzenzug: LG Rostock Az: 18 KLs 123/16 (3)
Gründe
1Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, weil er bei aufgehobener Einsichtsfähigkeit am einen fremden PKW und am einen mit Kleidung gefüllten Rollkoffer in einem von ihm genutzten Gebäude in Brand gesetzt hat. Die Revision des Beschuldigten hat mit der Sachrüge Erfolg.
21. Nach Überzeugung des sachverständig beratenen Landgerichts war der Beschuldigte aufgrund einer schizoaffektiven, gegenwärtig manischen Störung sowie einer Polytoxikomanie „seit September 2015 und auch zu den Tatzeiten akut psychotisch“, wodurch bei beiden Straftaten seine Einsichtsfähigkeit vollständig aufgehoben gewesen sei. Es ist ohne Weiteres der Auffassung des Sachverständigen gefolgt, wonach bei dem bis zur ersten Tat im September 2015 unauffälligen Beschuldigten „Auffassungs- und Konzentrationsstörungen“, „Zeitgitterstörungen“ und „Ideenflucht“, „Beziehungs- und Beeinträchtigungswahn“, der „systemische Züge“ aufweise, sowie „Größen- und Allmachtsideen“ bestünden. Die Affektivität des Beschuldigten sei „maniform und dysphorisch gereizt“, er selbst sei psychomotorisch unruhig und deutlich antriebsgesteigert; seine Zukunftsvorstellungen seien situativ verzehrt und wegen fehlender Wahrnehmung der eigenen Einschränkung besitze er „kein realistisches Lebens- und Zukunftskonzept.“
32. Die Voraussetzungen des § 63 StGB werden durch die Urteilsfeststellungen nicht hinreichend belegt.
4a) Die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit des Unterzubringenden zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, erfordert prinzipiell eine mehrstufige Prüfung (st. Rspr.; vgl. nur , NStZ-RR 2017, 165, 166 und Senat, Urteil vom - 2 StR 137/15, NJW 2015, 3319, 3320; vgl. auch Boetticher/Nedopil/Bosinski/Saß, NStZ 2005, 57 ff.). Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Täter eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Hierzu ist der Richter für die Tatsachenbewertung auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds wie bei der Prüfung einer aufgehobenen oder erheblich beeinträchtigten Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Täters zur Tatzeit um Rechtsfragen. Deren Beurteilung erfordert konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Täters in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; vgl. , NStZ-RR 2017, 165, 166; Beschluss vom - 3 StR 521/15, NStZ-RR 2016, 135).
5b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht.
6aa) Das angefochtene Urteil lässt bereits eine Auseinandersetzung mit dem Schweregrad der angenommenen psychischen Störung vermissen. Damit ist aber zu besorgen, dass das Landgericht in rechtsfehlerhafter Weise davon ausgegangen ist, bereits die Diagnose einer schizoaffektiven Störung führe ohne Weiteres zur Annahme einer schweren anderen seelischen Abartigkeit gemäß §§ 20, 21 StGB.
7bb) Das Urteil nimmt zudem keinerlei wertende Betrachtung zur Tatrelevanz der Störung vor. Dieses darf nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jedoch regelmäßig nicht offenbleiben (vgl. etwa , NJW 2016, 341, 342; Beschluss vom - 4 StR 136/08, NStZ-RR 2009, 46 f. und Senat, Beschluss vom - 2 StR 367/04, BGHSt 49, 347, 351 f.).
8Für die Frage eines Ausschlusses oder einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit kommt es maßgeblich darauf an, in welcher Weise sich die festgestellte und unter eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumierende psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Beschuldigten in der konkreten Tatsituation ausgewirkt hat. Die Beurteilung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit kann daher - von offenkundigen Ausnahmefällen abgesehen (vgl. , NStZ 1997, 485, 486) - nicht abstrakt, sondern nur in Bezug auf eine bestimmte Tat erfolgen (vgl. , NJW 2016, 728, 729; Urteil vom - 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 54). Beurteilungsgrundlage ist das konkrete Tatgeschehen, wobei neben der Art und Weise der Tatausführung auch die Vorgeschichte, der Anlass zur Tat, die Motivlage des Beschuldigten und sein Verhalten nach der Tat von Bedeutung sein können (vgl. aaO mwN; vom - 5 StR 122/91, BGHSt 37, 397, 402). An einer solchen spezifisch tatbezogenen Auseinandersetzung fehlt es hier.
9c) Die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Beschuldigten als Grundlage für die Anordnung nach § 63 StGB bedarf daher insgesamt neuer Prüfung durch den Tatrichter.
103. Sollte gemäß § 416 Abs. 2 StPO das Sicherungsverfahren in das Strafverfahren überzuleiten sein (zur Möglichkeit einer Überleitung nach Zurückverweisung der Sache durch das Revisionsgericht vgl. Meyer-Goßner, StPO, 60. Aufl., § 416 Rn. 5 mwN), wird auf § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO hingewiesen. Der neue Tatrichter wird zudem eingehender als bislang geschehen darzulegen haben, inwieweit der Beschuldigte zur schweren Brandstiftung unmittelbar angesetzt hat.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:010617B2STR57.17.0
Fundstelle(n):
JAAAH-11216