BGH Beschluss v. - XII ZB 397/18

Betreuungssache: Voraussetzung eines Betreuungsbedarfs für einen bestimmten Aufgabenkreis; Vorliegen einer "Unbetreubarkeit"

Leitsatz

1. Für welchen Aufgabenkreis ein Betreuungsbedarf besteht, ist aufgrund der konkreten, gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen zu beurteilen. Dabei genügt es, wenn ein Handlungsbedarf in dem betreffenden Aufgabenkreis jederzeit auftreten kann (im Anschluss an Senatsbeschluss vom , XII ZB 330/17, FamRZ 2018, 54).

2. An der Erforderlichkeit einer Betreuung kann es im Einzelfall fehlen, wenn der Betroffene jeden Kontakt mit seinem Betreuer verweigert und der Betreuer dadurch handlungsunfähig ist, also eine "Unbetreubarkeit" vorliegt. Bei der Annahme einer solchen Unbetreubarkeit ist allerdings Zurückhaltung geboten (im Anschluss an Senatsbeschluss vom , XII ZB 330/17, FamRZ 2018, 54).

Gesetze: § 26 FamFG, § 1896 Abs 2 BGB

Instanzenzug: LG Freiburg (Breisgau) Az: 4 T 189/17vorgehend AG Breisach Az: XVII 36/14

Gründe

I.

1Der 52jährige Betroffene leidet an einer bipolaren affektiven Störung mit psychotischer Symptomatik. Für ihn wurde am eine Berufsbetreuung mit dem Aufgabenkreis der Gesundheitssorge, Vermögenssorge sowie Wohnungs- und Behördenangelegenheiten eingerichtet und mit weiterem Beschluss vom ein Einwilligungsvorbehalt für den Bereich der Vermögensangelegenheiten angeordnet. Am wurde - unter Beibehaltung der Berufsbetreuung im Übrigen - die Ehefrau des Betroffenen zur Betreuerin für den Aufgabenkreis Gesundheitssorge und Wohnungsangelegenheiten bestellt, am der Einwilligungsvorbehalt aufgehoben.

2Nach Scheidung der Ehe des Betroffenen und seinem Wegzug in die Wohnung seiner Tochter wurden die bisherigen Betreuer entlassen und mit Beschluss vom ein Berufsbetreuer am neuen Wohnort des Betroffenen für den gesamten bisherigen Aufgabenkreis bestellt.

3Am erteilte der Betroffene seiner Tochter Generalvollmacht, woraufhin das Amtsgericht die Gesundheitssorge aus dem Aufgabenkreis der Berufsbetreuung mit Beschluss vom herausnahm.

4Mit Schreiben vom widerrief der Betroffene die erteilte Generalvollmacht und legte nachfolgend Beschwerde gegen den Beschluss vom ein. Der Beschwerde half das ab, indem es die Tochter des Betroffenen zur Betreuerin für den Aufgabenkreis der Gesundheitssorge und einen neuen Berufsbetreuer für den Aufgabenkreis der Vermögenssorge sowie der Wohnungs- und Behördenangelegenheiten bestellte. Die hiergegen wiederum eingelegte Beschwerde des Betroffenen verwarf das Landgericht.

5Am teilte die Tochter des Betroffenen mit, dass sie sich wegen beruflicher und psychischer Belastung nicht mehr in der Lage sehe, den Betroffenen im Aufgabenbereich der Gesundheitssorge zu betreuen. Nach Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens und Anhörung des Betroffenen im Rahmen der ohnehin anstehenden Verlängerungsentscheidung hob das Amtsgericht die Betreuung mit Beschluss vom wegen "Unbetreubarkeit" auf. Hiergegen legte der Betroffene Beschwerde ein, mit der er die Bestellung seiner geschiedenen Ehefrau als Betreuerin für den Aufgabenkreis der Gesundheitssorge und Vermögenssorge verfolgte. Der Beschwerde half das ab, indem es die geschiedene Ehefrau des Betroffenen zur Betreuerin für den genannten Aufgabenkreis zuzüglich der Behörden- und Wohnungsangelegenheiten bestellte. Hiergegen legten der Betroffene und seine zur Betreuerin bestellte geschiedene Ehefrau Beschwerde ein, mit der sie eine Erweiterung der Betreuung auf alle Angelegenheiten verfolgten. Das Landgericht verwarf die Beschwerde.

6Mit Schreiben vom hat die geschiedene Ehefrau beantragt, für den Aufgabenkreis der Vermögenssorge, Behörden- und Wohnungsangelegenheiten einen anderen Betreuer zu bestellen, weil sie nicht mehr in der Lage sei, den Betroffenen gewissenhaft in den vorgenannten Bereichen im gebotenen Umfang zu vertreten.

7Das Amtsgericht hat daraufhin die Betreuung insgesamt aufgehoben. Das Landgericht hat die Beschwerde des Betroffenen zurückgewiesen; hiergegen richtet sich seine Rechtsbeschwerde.

II.

8Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

91. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, dass die Voraussetzungen für eine Betreuung entfallen seien. Zwar sei der Betroffene weiterhin krankheitsbedingt nicht in der Lage, seine Angelegenheiten selbst zu regeln. Gleichwohl sei ein Betreuungsbedarf aufgrund der konkreten gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen nicht mehr festzustellen. Denn trotz mehrfacher Nachfragen im Rahmen des Anhörungstermins sei der Betroffene nicht in der Lage gewesen, einen Betreuungsbedarf zu erklären; Gleiches gelte für die im Anhörungstermin anwesende Sachbearbeiterin der Betreuungsbehörde. Anstehende Veränderungen, die einer rechtlichen Regelung im Bereich der Wohnungsangelegenheiten bedürften, seien weder vom Betroffenen noch von der Betreuungsbehörde benannt worden. Im Gesundheitsbereich sei in den letzten Jahren offensichtlich keine rechtlich relevante Tätigkeit mehr für den Betroffenen, der sich in langjähriger kontinuierlicher psychiatrischer Behandlung befinde, notwendig gewesen. Auch im Bereich der Vermögenssorge sei ein Handlungsbedarf nicht zu erkennen, da der Betroffene alle notwendigen Schritte zur Erlangung von Sozialleistungen selbst ergreife. Zwar sei er nach Aktenlage überschuldet, jedoch stünden mangels pfändbaren Einkommens oder Vermögens keine Tätigkeiten in Form einer aktiven oder passiven Schuldenregulierung an.

10Auch sei der Betroffene als "unbetreubar" einzustufen. Zwar habe die Berufsbetreuung in den ersten zehn Jahren erfolgreich geführt werden können, jedoch sei es nach dem Umzug des Betroffen keinem Berufsbetreuer und keiner familiär vertrauten Person mehr gelungen, die Betreuung in sachgerechte Bahnen zu lenken. Mit beiden seit 2014 eingesetzten, erfahrenen Berufsbetreuern habe eine Kooperationsbereitschaft des Betroffenen nicht hergestellt werden können. Den Personen aus dem familiären Umfeld des Betroffenen fehle es sowohl an der Eignung, die notwendigen rechtlichen Schritte für den Betroffenen zu ergreifen, als auch an der unabdingbaren Fähigkeit, sich in Ausübung der Betreuungstätigkeit gegenüber seinem manischen und fordernden Wesen hinreichend abzugrenzen.

112. Die angefochtene Entscheidung hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Wie die Rechtsbeschwerde zutreffend rügt, beruhen sowohl die Verneinung eines konkreten Betreuungsbedarfs als auch die Annahme einer "Unbetreubarkeit" des Betroffenen durch das Landgericht nicht auf tragfähigen Feststellungen (§ 26 FamFG).

12a) Nach § 1908 d BGB ist die Betreuung aufzuheben, sobald die Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers entfallen. Hierfür genügt es, wenn eines der die Betreuung begründenden Tatbestandsmerkmale des § 1896 BGB weggefallen ist. Bei seiner Prüfung, ob dies hinsichtlich der für den Betroffenen angeordneten Betreuung zu bejahen ist, geht das Landgericht im Ausgangspunkt zutreffend davon aus, dass eine Betreuung für den angeordneten Aufgabenkreis gemäß § 1896 Abs. 2 BGB erforderlich sein muss. Für welche Aufgabenkreise ein Betreuungsbedarf besteht, ist aufgrund der konkreten, gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen zu beurteilen. Dabei genügt es, wenn ein Handlungsbedarf in dem betreffenden Aufgabenkreis jederzeit auftreten kann (Senatsbeschluss vom - XII ZB 330/17 - FamRZ 2018, 54 Rn. 12).

13b) Nach den Feststellungen des Landgerichts ist der Betroffene in erheblichem Umfang überschuldet. Daraus erwächst aus sich heraus der Bedarf einer Schuldenregulierung, gegebenenfalls im Rahmen eines Verbraucherinsolvenzverfahrens. Soweit der Betroffene zur Einleitung und Durchführung der notwendigen Entschuldungsmaßnahmen krankheitsbedingt nicht selbst in der Lage ist, bedarf es bereits deswegen der Betreuung (vgl. auch Senatsbeschluss vom - XII ZB 167/18 - FamRZ 2018, 1691 Rn. 17).

14Auch beruht die Annahme des Landgerichts, der Betroffene sei selbst in der Lage, alle notwendigen Schritte in Bezug auf seine Sozialleistungen zu veranlassen, nicht auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage. Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde die Zahlung von Erwerbsminderungsrente auf Wunsch des Betroffenen eingestellt, da er sich selbst als erwerbsfähig ansah. Tatsächlich konnte er jedoch krankheitsbedingt keiner Berufstätigkeit nachgehen. Infolgedessen lebt der Betroffene inzwischen von Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII. Diese Leistungen sind ihm, worauf die Rechtsbeschwerde zutreffend hinweist, nach dem Akteninhalt bereits einmal wegen fehlender Mitwirkung entzogenen worden. Danach liegt auch insoweit ein bestehender Betreuungsbedarf auf der Hand, zumal dafür nicht zwingend das Vorliegen eines aktuellen Handlungsbedarfs erforderlich ist, sondern es genügt, dass dieser Bedarf jederzeit auftreten kann und für diesen Fall die begründete Besorgnis besteht, dass ohne die Einrichtung einer Betreuung nicht das Notwendige veranlasst wird (Senatsbeschluss vom - XII ZB 324/14 - FamRZ 2015, 649 Rn. 9).

15c) Zu Unrecht hat das Landgericht außerdem eine "Unbetreubarkeit" des Betroffenen angenommen.

16aa) Allerdings kann es, wie das Landgericht im Ausgangspunkt zutreffend erkannt hat, an der Erforderlichkeit der Betreuung trotz bestehenden Handlungsbedarfs auch dann fehlen, wenn die Betreuung - aus welchem Grund auch immer - keinerlei Änderung der Situation des Betroffenen herbeizuführen geeignet ist. Daher kommt die Aufhebung einer Betreuung nach der Senatsrechtsprechung dann in Betracht, wenn sich herausstellt, dass der mit der Bestellung des Betreuers erstrebte Erfolg nicht zu erreichen ist, weil der Betreuer seine Aufgaben nicht wirksam wahrnehmen und zum Wohl des Betroffenen nichts bewirken kann. Davon kann im Einzelfall ausgegangen werden, wenn der Betroffene jeden Kontakt mit seinem Betreuer verweigert und der Betreuer dadurch handlungsunfähig ist, also eine "Unbetreubarkeit" vorliegt (Senatsbeschluss vom - XII ZB 330/17 - FamRZ 2018, 54 Rn. 13).

17Bei der Annahme einer solchen Unbetreubarkeit ist allerdings Zurückhaltung geboten, zumal die fehlende Bereitschaft, vertrauensvoll mit dem Betreuer zusammenzuarbeiten, Ausdruck der Erkrankung des Betroffenen sein kann. Gerade in diesem Fall kommt die Aufhebung einer Betreuung nur dann in Betracht, wenn es gegenüber den sich für den Betroffenen aus der Krankheit oder Behinderung ergebenden Nachteilen unverhältnismäßig erscheint, die Betreuung aufrechtzuerhalten. Besteht objektiv ein Betreuungsbedarf, ist daher bei fehlender Kooperationsbereitschaft des Betroffenen entscheidend, ob durch die Betreuung eine Verbesserung der Situation des Betroffenen erreicht werden kann. Dabei ist zu berücksichtigen, inwieweit ein Betreuer durch rechtliche Entscheidungen einen für den Betroffenen positiven Einfluss nehmen könnte (Senatsbeschluss vom - XII ZB 330/17 - FamRZ 2018, 54 Rn. 13 mwN).

18Es ist die Aufgabe des Betreuungsgerichts, auch bei schwierigen Betroffenenpersönlichkeiten durch den die Betreuung anordnenden Beschluss geeignete Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche rechtliche Betreuung zu schaffen. Deshalb muss das Betreuungsgericht bei der Betreuerauswahl Bedacht darauf nehmen, dass für Betroffene mit schwieriger Persönlichkeit ein Betreuer bestellt wird, der dieser Herausforderung mit Sachkunde und Erfahrung begegnen kann. Gegebenenfalls ist auch ein Betreuerwechsel erforderlich, um eine Person zu bestellen, die Zugang zum Betroffenen findet (Senatsbeschluss vom - XII ZB 330/17 - FamRZ 2018, 54 Rn. 14 mwN).

19bb) Nach diesen Maßstäben fehlt es an ausreichenden Feststellungen für die Annahme einer Unbetreubarkeit des Betroffenen. Das Landgericht geht selbst davon aus, dass die Berufsbetreuung in den ersten zehn Jahren bis zum Umzug des Betroffenen im Jahr 2014 erfolgreich geführt worden ist. Zwar ist eine Kooperation des Betroffenen mit den beiden am neuen Wohnort bestellten Berufsbetreuern nicht gelungen. Es fehlt jedoch an konkreten Feststellungen dazu, dass selbst bei fortwährender Kooperationsverweigerung des Betroffenen keine Verbesserung seiner Situation erreicht werden kann, indem der Betreuer durch rechtliche Entscheidungen einen für den Betroffenen positiven Einfluss nimmt.

203. Wegen der aufgezeigten Fehler kann der angefochtene Beschluss keinen Bestand haben. Der Senat kann nicht abschließend in der Sache entscheiden, da noch Feststellungen über den Betreuungsbedarf zu treffen sind.

21Die Zurückverweisung gibt dem Landgericht außerdem Gelegenheit, ergänzende Feststellungen über den Betreuungsbedarf in den über die Vermögenssorge hinausgehenden Bereichen zu treffen.

22Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:230119BXIIZB397.18.0

Fundstelle(n):
NJW 2019 S. 1153 Nr. 16
MAAAH-07882