Tateinheit bei Verletzung mehrerer Personen durch eine Handlung
Gesetze: § 52 Abs 1 StGB, § 53 StGB, § 211 StGB, § 222 StGB, § 224 StGB
Instanzenzug: Az: 3610 Js 7942/17 - 6 Ks
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes und wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Dagegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit der Sachbeschwerde. Das Rechtsmittel führt zu einer Änderung des Schuldspruchs und zur Verhängung einer Freiheitsstrafe von elf Jahren; im Übrigen ist die Revision unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
I.
2Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
31. Am gegen 16 Uhr suchte die Zeugin E. den Angeklagten an seiner Wohnung im Erdgeschoss eines Mehrparteienhauses auf, um mit ihm über Forderungen des Vermieters auf Nachzahlung von Mietnebenkosten zu sprechen. Die Eheleute J. und T. F. , die von einem Einkauf zurückkehrten, traten hinzu. Dies missfiel dem Angeklagten, zumal er die Eheleute F. für die Nachforderung des Vermieters verantwortlich machte. Er erklärte: „Nur damit ihr einen warmen Arsch habt, muss ich dafür zahlen.“ T. F. fühlte sich dadurch beleidigt und begann eine Rangelei, worauf der Angeklagte zu Boden ging. T. F. versetzte ihm dort mehrere Faustschläge gegen den Kopf, wodurch der Angeklagte zwei Vorderzähne verlor. T. und J. F. gingen dann zur Treppe, um in ihre Wohnung im ersten Obergeschoss zu gehen, während der Angeklagte zunächst reglos liegen blieb. Die Eheleute F. rechneten deshalb nicht mit einem Angriff. Der Angeklagte beschloss aber, T. F. zu töten, um sich an ihm zu rächen. Er holte von den Eheleuten F. unbemerkt eine Pistole im Kaliber 6,35 mm aus seiner Wohnung. Damit gab er vor seiner Wohnungstür einen Schuss auf T. F. ab, der sich gerade auf einer der letzten Treppenstufen vor seiner Wohnung befand und keine Ausweich- oder Abwehrmöglichkeit hatte. T. F. wurde in die Brust getroffen, setzte aber seinen Weg fort, weshalb der Angeklagte einen zweiten Pistolenschuss auf ihn abgab. Die Kugel traf eine Metallstrebe zwischen Treppenpodest und Treppengeländer, wurde dadurch abgelenkt und streifte J. F. an der Hüfte.
4Die Geschädigten begaben sich in ihre Wohnung, wo T. F. schrie, dass er getroffen sei und keine Luft mehr bekomme. J. F. half ihm dabei, Rucksack und Jacke abzulegen. Dann wählte sie den Notruf der Feuerwehr. Sie rechnete in dieser Situation nicht mit einem weiteren Angriff durch den Angeklagten in ihrer Wohnung; sie hatte aber vergessen, deren Tür zu schließen. Der Angeklagte holte inzwischen aus seiner Wohnung eine mit zwei Patronen geladene Schrotflinte, da er eine Waffe mit größerer Durchschlagskraft gegen T. F. einsetzen wollte. Er drang durch die offene Tür in die Wohnung der Eheleute F. ein, stand sodann vor dem Wohnzimmer und sah durcheinen Türspalt hindurch T. F. am Boden liegen, während J. F. neben ihm kniete und mit dem Rettungsdienst telefonierte. Aus dieser Position heraus gab er, für die Geschädigten überraschend, einen Schuss aus der Schrotflinte ab, um T. F. zu töten. Dabei hielt er es auch für möglich, dass J. F. tödlich getroffen werden könnte, was er billigend in Kauf nahm. Der Schuss ging fehl; die Schrotkugeln trafen zwischen den Eheleuten auf den Boden auf. J. F. lief daraufhin zur Wohnzimmertür und stemmte sich mit dem Rücken dagegen. Außerdem stellte sie einen Fuß davor und hielt sich mit einer Hand an der Lehne eines Sofas fest. Der Angeklagte versuchte vergeblich, die Wohnzimmertür aufzustoßen und gab schließlich durch die Glasscheibe einen weiteren Schrotschuss ab, um T. F. zu töten, wobei er wiederum tödliche Folgen für J. F. für möglich hielt und in Kauf nahm. Diese wurde von Schrotkugeln am rechten Oberarm, am rechten Ellbogen und am Bauch getroffen. Da der Angeklagte keine weiteren Schrotpatronen mitführte und die Pistole in seiner Wohnung gelassen hatte, sah er keine Möglichkeit zur Fortsetzung der Tatausführung und zog sich zurück. T. F. starb kurz darauf durch Verbluten.
52. Das Landgericht, das dem Angeklagten eine erhebliche Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit zugebilligt hat, hat alle Schüsse als einheitliche Tat zum Nachteil von T. F. angesehen und sie als heimtückisch begangenen Mord bewertet. Die Verletzung von J. F. durch den fehlgegangenen zweiten Pistolenschuss hat es als rechtlich selbständige fahrlässige Körperverletzung, die beiden Schrotschüsse als tatmehrheitlich gegenüber den vorgenannten Handlungen mit bedingtem Tötungsvorsatz begangenen Mordversuch in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil von J. F. beurteilt.
II.
61. Die Revision führt zu einer Änderung des Schuldspruchs.
7a) Entgegen der Auffassung des Landgerichts liegt nicht Tatmehrheit der Handlungen zum Nachteil von T. F. und J. F. vor, sondern Tateinheit.
8aa) Ohne Rechtsfehler ist das Landgericht davon ausgegangen, dass alle Schüsse des Angeklagten in der Absicht, T. F. zu töten, eine Tat im Sinne von § 52 Abs. 1 StGB zu dessen Nachteil darstellen.
9Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt eine natürliche Handlungseinheit vor, wenn mehrere im wesentlichen gleichartige Handlungen von einem einheitlichen Willen getragen werden und aufgrund ihres engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs so miteinander verbunden sind, dass sich das gesamte Tätigwerden auch für einen Dritten als einheitliches Geschehen darstellt. Dabei begründet auch der Wechsel eines Angriffsmittels jedenfalls nicht ohne weiteres die Annahme von Handlungsmehrheit (vgl. , NStZ 2017, 459, 460).
10Nach diesem Maßstab liegt bei den vier Schüssen des Angeklagten, die er jeweils abgegeben hat, um T. F. zu töten, eine Tat im Sinne von § 52 Abs. 1 StGB vor. Den Teilakten lag eine einheitliche Tötungsabsicht zugrunde und sie sind in einem engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang erfolgt. An der natürlichen Handlungseinheit ändert es nichts, dass der Angeklagte nach den beiden ersten Schüssen mit der kleinkalibrigen Pistole noch die Schrotflinte aus seiner Wohnung holte und in der Wohnung der Eheleute F. einsetzte. Ein Vorsatzwechsel erfolgte dadurch nicht, die zeitliche Unterbrechung des Handlungsablaufs war unwesentlich und die Verlagerung des Tatgeschehens vom Flur über das Treppenhaus in die Wohnung der Eheleute F. stellte keine derart wesentliche Änderung des Tatorts dar, dass die Annahme von Handlungsmehrheit geboten wäre.
11bb) Der zweite bis vierte Schuss in der Absicht, T. F. zu töten, waren zugleich Handlungen zum Nachteil von J. F. . Der Angeklagte verletzte J. F. mit dem zweiten Schuss fahrlässig (§ 229 StGB), er handelte mit dem dritten und vierten Schuss mit bedingtem Tötungsvorsatz (§§ 211, 22 StGB) und mit dem letzten Schuss zugleich vorsätzlich im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5 StGB. Das Zusammentreffen der auch J. F. betreffenden Teilakte beim zweiten bis vierten Schuss des Angeklagten mit der insgesamt als natürliche Handlungseinheit zu bewertenden Tat zum Nachteil von T. F. durch einheitliche Körperbewegungen führt dazu, dass auch insoweit Tateinheit vorliegt.
12Den Begriff „dieselbe Handlung“ in § 52 Abs. 1 StGB definiert das Gesetz nicht ausdrücklich. Er knüpft an den Vollzug eines Verhaltens im natürlichen Sinne und damit letztlich an eine Körperbewegung an (vgl. ). Wird durch eine Körperbewegung ein Mensch mit direktem Vorsatz angegriffen, durch dieselbe Bewegung aber auch ein anderer fahrlässig verletzt oder mit bedingtem Vorsatz angegriffen, liegt demnach eine Tat im Sinne von § 52 Abs. 1 StGB vor.
13Allein die Tatsache, dass verschiedene Personen betroffen waren, rechtfertigt danach nicht die Annahme von Tatmehrheit. Nur wenn mehrere Personen nacheinander durch unterscheidbare Handlungen angegriffen werden, geht der Bundesgerichtshof mit Blick auf die Verschiedenheit der betroffenen Rechtsgutsträger im Allgemeinen von Tatmehrheit aus (vgl. , StV 1994, 537 f.; Urteil vom - 1 StR 195/05, NStZ 2006, 284, 285 f.). Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor.
14Die konkurrenzrechtliche Zusammenfassung der Einzelakte zu einer tateinheitlich begangenen Tat ändert nichts an der Bewertung der Erfüllung verschiedener Straftatbestände. Soweit der Angeklagte mit den weiteren Schüssen Tötungsversuche zum Nachteil von T. F. beging, gehen diese zwar für sich genommen rechtlich in dem schon durch den ersten Schuss verursachten vollendeten Mord auf; dies ändert aber nichts am tateinheitlichen Zusammentreffen mit Handlungen, die auch zum Nachteil von J. F. begangen wurden. Die Teilakte, die sich gegen diese richteten, sind vom Landgericht rechtsfehlerfrei als fahrlässig (zweiter Schuss) beziehungsweise vorsätzlich begangene Taten (dritter und vierter Schuss) bewertet worden (vgl. , NStZ 2009, 210, 211).
15b) Der Senat ändert den Schuldspruch dahin ab, dass alle Teilakte des Mordes zum Nachteil von T. F. , des Mordversuchs, der gefährlichen und der fahrlässigen Körperverletzung zum Nachteil von J. F. tateinheitlich erfüllt sind. § 265 Abs. 1 StPO steht nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht anders als geschehen verteidigen könnte.
162. Die Konkurrenzkorrektur führt dazu, dass die Einzelstrafen und die Gesamtstrafe entfallen. Jedoch kann der Senat die Strafe in Höhe der vom Landgericht gebildeten Gesamtstrafe entsprechend § 354 Abs. 1 StPO festsetzen. Danach bleibt die Gesamtstrafe im Ergebnis als Einzelstrafe bestehen. Die bloße Korrektur des Konkurrenzverhältnisses hat keine Verringerung des Tatunrechts und des Schuldgehalts in seiner Gesamtheit zur Folge (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 566/16, NStZ-RR 2017, 306, 307 f. und vom - 4 StR 75/17 mwN). Der Senat schließt aus, dass das Landgericht bei Annahme von Tateinheit auf eine mildere Strafe erkannt hätte.
173. Die Revision ist im Übrigen unbegründet. Es ist danach nicht unbillig, dem Beschwerdeführer die Kosten seines Rechtsmittels aufzuerlegen (§ 473 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 StPO).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:210818B2STR300.18.0
Fundstelle(n):
OAAAH-04896