Alterssicherung der Landwirte - Regelaltersrente - Abgabe des Unternehmens der Landwirtschaft - Verfassungsmäßigkeit
Gesetze: § 11 ALG, § 21 ALG, Art 2 Abs 1 GG, Art 3 Abs 1 GG, Art 14 Abs 1 GG
Instanzenzug: SG Detmold Az: S 22 LW 3/09 Gerichtsbescheidvorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: L 8 LW 14/11 Urteilnachgehend Az: 1 BvR 437/13 Stattgebender Kammerbeschluss
Gründe
1I. Streitig ist die Zuerkennung einer Regelaltersrente (RAR) nach § 11 Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) ohne Abgabe des Unternehmens der Landwirtschaft (§ 11 Abs 1 Nr 3, § 21 ALG).
2Die von dem im Jahre 1944 geborenen Kläger beantragte RAR wurde von der beklagten Alterskasse durch Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom unter Hinweis auf die bisher nicht vorliegende Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens abgelehnt und nach erfolgter Hofabgabe mit Bescheid vom für die Zeit ab bewilligt. Klage und Berufung des Klägers blieben erfolglos (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts <SG> Detmold vom ; Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen <LSG> vom ).
3Mit seiner gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG eingelegten Beschwerde macht der Kläger als Zulassungsgrund eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geltend.
4II. Die Beschwerde ist zulässig.
6Der Kläger will damit eine revisionsgerichtliche Prüfung und Entscheidung über die Frage erreichen, ob die Verpflichtung zur Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens nach § 11 Abs 1 Nr 3 und § 21 ALG - nach wie vor - eine wirksame Voraussetzung für den Anspruch auf RAR ist oder ob sie wegen Verstoßes gegen die genannten Vorschriften des GG verfassungswidrig und damit unwirksam ist. Soweit der Kläger im Zusammenhang mit der Frage nach der Verletzung des Art 3 Abs 1 GG Fragen nach tatsächlichen Umständen, nämlich zur Erfüllung der Überprüfungspflicht durch den Gesetzgeber und zur heutigen Eignung der Hofabgabeklausel zur Förderung des Strukturwandels in der Landwirtschaft, gestellt hat, will er damit ersichtlich die geltend gemachte Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes untermauern.
7Der Kläger hat die (konkrete) Klärungsfähigkeit der Rechtsfragen in dem angestrebten Revisionsverfahren sowie deren Breitenwirkung hinreichend substantiiert aufgezeigt. Auch die Darlegung der (abstrakten) Klärungsbedürftigkeit reicht aus, denn der Kläger hat Gründe angeführt, die eine erneute Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfragen begründen könnten. Eine Rechtsfrage ist allerdings nicht mehr klärungsbedürftig, wenn sie bereits höchstrichterlich beantwortet ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 51; BSG SozR 1500 § 160a Nr 13 und 65). Falls zu der Rechtsfrage schon Rechtsprechung eines obersten Bundesgerichts oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vorliegt, kommt es darauf an, ob sie erneut klärungsbedürftig geworden ist, weil zB im neueren Schrifttum neue Argumente angeführt oder erhebliche Einwände vorgebracht werden (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; Nr 23 S 42; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; s auch BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f, jeweils mwN). Eine Rechtsfrage kann auch dann wieder klärungsbedürftig werden, wenn sich im Geltungsbereich einer unveränderten gesetzlichen Bestimmung allein die tatsächlichen Lebensverhältnisse ändern (s Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 320). Dafür spricht, dass nach der Rechtsprechung des BVerfG eine ursprünglich verfassungsmäßige Norm wegen Veränderungen der maßgeblichen Umstände als verfassungswidrig beurteilt werden kann (BVerfGE 59, 336, 357; 97, 271, 293). Diese Kriterien hat der Kläger bei seinem umfangreichen Beschwerdevorbringen berücksichtigt.
8Die Beschwerde ist unbegründet. Die von dem Kläger angesprochenen Rechtsfragen sind nicht klärungsbedürftig.
9Die Pflicht zur Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens als Anspruchsvoraussetzung für Renten aus dem System der Alterssicherung der Landwirte besteht durchgehend seit der Schaffung einer Altershilfe für Landwirte durch das Gesetz über eine Altershilfe für Landwirte vom (BGBl I 1063 - GAL -) und ist mit der Umwandlung des Sicherungssystems in eine Alterssicherung der Landwirte durch das Gesetz zur Reform der agrarsozialen Sicherung - ASRG - vom (BGBl I 1890) in das ALG übernommen worden. Es wurden im Laufe der Zeit mehrfach Modifizierungen der Anforderungen an eine Unternehmensabgabe (heute § 21 ALG) vorgenommen (s zusammenfassend: Informationen zu den Modifizierungen der Hofabgabeverpflichtung in der Alterssicherung der Landwirte im Gesetz zur Neuordnung der Organisation der landwirtschaftlichen Sozialversicherung <LSV-NOG> vom <BGBl I 579>, Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Stand März 2012; zur Darstellung der Gesetzesentwicklung im Einzelnen s Bundessozialgericht <BSG> Urteil vom - B 10 LW 1/09 R - SozR 4-5868 § 13 Nr 5 RdNr 20 - 28 mwN). Die letzte Änderung hat § 21 ALG durch das LSV-NOG mit Wirkung ab (Art 14 Abs 2 iVm Art 4 Nr 5 LSV-NOG) erfahren.
10In der Rechtsprechung des BSG und des BVerfG ist das Erfordernis der Hofabgabe stets als mit höherrangigem Recht im Einklang beurteilt worden. Erstmals hat das - 7 RLw 50/62 - SozEntsch BSG 10/H c6 § 8 Nr 12) und (- 7 RLw 29/63 - BSGE 22, 92 = SozR Nr 5 zu GAL § 2 aF) entschieden, dass die Vorschrift des § 2 Abs 1 Buchst c GAL aF, wonach Voraussetzung für den Anspruch auf Altersgeld die Abgabe des Unternehmens ist, nicht gegen Art 2, 3, 12 und 14 GG verstößt. Diese Rechtsprechung wurde in der Folgezeit fortgeführt und zuletzt durch Urteil vom (- B 10 LW 1/09 R - SozR 4-5868 § 13 Nr 5 RdNr 30 ff mwN) bekräftigt.
11Das BVerfG hat die Pflicht zur Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens in einer Reihe von Entscheidungen ebenfalls als verfassungsrechtlich einwandfrei und insbesondere im Einklang mit Art 3 Abs 1 GG beurteilt (s zusammenfassend BSG SozR 4-5868 § 13 Nr 5 RdNr 32). Schon in seiner Entscheidung vom (- 1 BvL 18/68 - BVerfGE 25, 314 = SozR Nr 77 zu Art 3 GG) zur Verfassungsmäßigkeit strengerer Voraussetzungen für den Anspruch auf Hinterbliebenenrente in der Altershilfe für Landwirte gegenüber der gesetzlichen Rentenversicherung hat das Gericht - beiläufig - die Hofabgabepflicht erwähnt, ohne diese zu kritisieren. Die Entscheidungen vom (- 1 BvR 313/80 - SozR 5850 § 2 Nr 6) und (- 1 BvR 943/81 - SozR 5850 § 2 Nr 8) betrafen die Pflicht zur Unternehmensabgabe als Anspruchsvoraussetzung für ein Altersgeld. In der Entscheidung vom (- 1 BvR 1750/95 - SozR 3-5850 § 4 Nr 1) zu den beitrags- und leistungsrechtlichen Folgen der Nichtabgabe des Unternehmens nach Vollendung des 65. Lebensjahres hat das BVerfG diese Rechtsprechung fortgeführt. Schließlich betrifft die Entscheidung vom (- 1 BvR 2099/03 - SozR 4-5868 § 1 Nr 3) die Einbeziehung privater Forstwirte in die Versicherungs- und Beitragspflicht nach dem ALG. Auch darin wurde die Hofabgabepflicht als durch die damit verfolgten Ziele legitimiert angesehen. Zuletzt hat das BVerfG in einem dem vorliegenden Verfahren ähnlichen Rechtsstreit, in dem das BSG die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen hatte (Beschluss vom - B 10 LW 4/11 B -), die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (Kammerbeschluss vom - 1 BvR 523/12 -).
12Mit dieser Rechtsprechung sind die von dem Kläger aufgeworfenen Rechtsfragen entschieden. Sie sind - bisher - auch nicht wieder klärungsbedürftig geworden. Die von dem Kläger vorgetragenen Gründe veranlassen keine gegenteilige Beurteilung.
14Weiter macht er geltend: Die Verknüpfung von Hofabgabepflicht und Gewährung des Rentenanspruchs verletze auch den Schutz des Eigentums nach Art 14 Abs 1 GG sowie die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art 2 Abs 1 GG. Das Gesetz zwinge zwar nicht zur Hofabgabe, enthalte aber dem Landwirt den Rentenanspruch vor. Hierfür gebe es keinen legitimierenden Grund.
15Die von dem Kläger zur Begründung eines jetzt bestehenden Verfassungsverstoßes dargestellten, gegenüber den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts veränderten tatsächlichen Verhältnisse bedürfen keiner vertieften Betrachtung und Feststellung durch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit. Es ist nicht ersichtlich, dass die Hofabgabepflicht zur Erreichung ihrer gesetzten Ziele ungeeignet geworden ist.
16Die Behauptung des - weitgehenden - Nichtvorhandenseins geeigneter Hofnachfolger ist rechtlich unerheblich, weil § 21 ALG auf die Abgabe bzw die Aufgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens durch den Altlandwirt zielt und diese Abgabe nicht auf die Übernahme des Unternehmens durch einen Nachfolger begrenzt ist (s § 21 ALG). Insofern verfolgt die Abgabepflicht - wie der Kläger selbst einräumt - weiter gefasste strukturpolitische Ziele. Auch die Behauptung, allein der heutige "wirtschaftliche Druck" zwinge zur Hofabgabe, belegt nicht die Überflüssigkeit einer gesetzlichen Pflicht zur Abgabe des Unternehmens als Voraussetzung für einen Rentenanspruch. Ersichtlich gibt es eine erhebliche Zahl von "älteren" Landwirten, die sich dem behaupteten wirtschaftlichen Zwang nicht beugen und ihr Unternehmen weiterführen wollen. Diese machen im Gegenteil ua geltend, sie seien zur Weiterführung des landwirtschaftlichen Unternehmens aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen. Im Übrigen stellt die Hofabgabepflicht für ältere Landwirte, die ihre Flächen ohnehin abgeben, kein besonderes Rentenhindernis dar.
17In tatsächlicher Hinsicht wird das Beschwerdevorbringen zur mangelnden strukturpolitischen Eignung der Hofabgabepflicht nicht ausreichend belegt. Insbesondere greift der Kläger dabei zum Teil auf ältere Quellen zurück (zB "Gutachten von Maydell", das unter dem Titel "Weiterentwicklung des landwirtschaftlichen Sozialrechts" in der Schriftenreihe des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Buchform bereits im Jahre 1988 veröffentlicht worden ist). Seinen Ausführungen ist zudem in vollem Umfang widersprochen worden (s Fleuth/Liebscher, SdL 1/2012, 77, 82). Die in der Beschwerdebegründung angeführte "Ausarbeitung, Fragen zur Hofabgabeklausel im Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte, der wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages" geht lediglich davon aus, dass "mittlerweile im Bundesgebiet nur mehr in einem Drittel der Betriebe … Nachfolger aus der Familie zur Übernahme bereit" seien. Die Ausarbeitung geht insoweit zu Unrecht davon aus, dass die Hofabgabepflicht seit 1957 im Wesentlichen unverändert geblieben sei (s auch Fleuth/Liebscher, aaO 82), und berücksichtigt daher nicht hinreichend, dass nach § 21 ALG neben der Nachfolge innerhalb der Familie in großem Umfang andere Vorgehensweisen zur Verfügung stehen und von zur Abgabe verpflichteten Landwirten genutzt werden können.
18Schließlich sind die gesetzgebenden Körperschaften dem ihnen vorgetragenen Verlangen nach Abschaffung der Hofabgabepflicht aufgrund einer entsprechenden Prüfung nicht gefolgt. Vielmehr hat der Gesetzgeber im LSV-NOG die Voraussetzungen der Unternehmensabgabe zwar weiter modifiziert (s insbesondere § 21 Abs 8 S 2 und Abs 9 ALG), an der Verpflichtung selbst jedoch festgehalten. Verfassungsrechtlich ist insoweit von Bedeutung, dass der Gesetzgeber nicht nur eine - rechtlich durch das GG begrenzte - Gestaltungsfreiheit, sondern hinsichtlich tatsächlicher Umstände auch einen Einschätzungsspielraum hat, der sich insbesondere auf die zu erwartenden Wirkungen gesetzlicher Vorschriften bezieht (s - BSGE 106, 1 = SozR 4-5868 § 23 Nr 1, RdNr 48, 49 mwN). Der Gesetzgeber des LSV-NOG bzw des ALG geht nach wie vor davon aus, dass der Hofabgabepflicht auch unter den heutigen Verhältnissen in der deutschen Landwirtschaft eine positive Auswirkung auf deren Struktur zukommt (s Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung BR-Drucks 698/11 S 72, zu der in den Plenarberatungen des Bundestages keine abweichenden Äußerungen zu finden sind, vgl Plenarprotokolle 17/147 und 17/158). Diese Beurteilung steht im Übrigen, worauf die Beklagte hingewiesen hat, im Einklang mit den Stellungnahmen des Deutschen Bauernverbandes und der Deutschen Landjugend.
20Unabhängig davon begründen bloße Vollzugsdefizite eines strukturell auf eine gleichmäßige Rechtsanwendung angelegten Gesetzes keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung. Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG zum Steuerrecht verlangt der Gleichheitssatz allerdings, dass die Abgabepflichtigen durch das Gesetz nicht nur rechtlich, sondern auch tatsächlich gleich belastet werden. Wird die Gleichheit im Belastungserfolg durch die rechtliche Gestaltung des Erhebungsverfahrens prinzipiell verfehlt, so kann dies die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Besteuerungsgrundlage nach sich ziehen und die Steuerpflichtigen in ihrem Grundrecht auf Besteuerungsgleichheit verletzen (BVerfGE 84, 239, 268 ff). Diese Rechtsprechung hat das BSG auf die Beiträge zur Sozialversicherung, konkret die Beiträge zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung, übertragen und entschieden, dass eine tatsächliche Belastungsungleichheit, die lediglich durch behebbare Vollzugsmängel bei der Beitragserhebung verursacht werde, noch nicht zu einer gleichheitswidrigen Lastenverteilung führe ( - SozR 4-2700 § 182 Nr 1 RdNr 25).
21So liegt es auch hier. Das Aufdecken und die Sanktionierung von Umgehungen der Hofabgabepflicht obliegt den Trägern der landwirtschaftlichen Sozialversicherung. Die behaupteten Vollzugsdefizite sind strukturell im Gesetz selbst nicht angelegt. Es ist auch nicht ersichtlich und nicht vorgetragen, dass sie nicht behebbar seien. Zurzeit kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass sie zu einer Verfassungswidrigkeit der Hofabgabepflicht führen würden.
22Soweit der Kläger Rechtsfragen im Hinblick auf Art 14 Abs 1 und Art 2 Abs 1 GG aufgeworfen hat, enthält die Beschwerdebegründung keine weiteren Argumente für eine erneute Klärungsbedürftigkeit der betreffenden Fragen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2012:290812BB10LW712B0
Fundstelle(n):
CAAAH-04219